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Sterbehilfe

"Jetzt können wir wieder offen über das Lebensende reden"




Pflegeausbildung
epd-bild/Jürgen Blume
Kritiker warnen, die Aufhebung des Verbots organisierter Suizid-Beihilfe durch das Bundesverfassungsgericht könne alte und kranke Menschen unter Druck setzen. Doch unter Pflegeexperten gibt es auch Zustimmung zu dem Urteil.

Wenn schwer kranke Menschen über ihre Suizid-Wünsche sprechen wollten, so war das bis vor kurzem für Ärzte und Pflegepersonal ein doppeltes Problem. Nicht nur die Sorge um den lebensmüden Patienten belastete sie dann. Die Gesprächspartner mussten auch befürchten, sich in eine rechtliche Grauzone zu begeben, wenn sie ausführlich auf das Thema assistierter Suizid eingingen. Seit das Bundesverfassungsgericht den umstrittenen Paragrafen 217 StGB am 26. Februar für ungültig erklärt hat, fühlen sich viele sicherer.

"Jetzt können wir als diejenigen, die Menschen in den Pflegeheimen begleiten, wieder ganz offen mit ihnen darüber reden, wenn sie einen Sterbewunsch äußern", sagt Dorothea Bergmann, Leiterin der Fachstelle Spiritualität - Palliativ Care - Ethik – Seelsorge der Hilfe im Alter bei der Inneren Mission München. "Wir haben dann die Möglichkeit, im Gespräch zu ergründen, was der Mensch noch an Ressourcen hat. Und wir können in multiprofessioneller Zusammenarbeit mit versuchen, die Lebensqualität zu verbessern und Ausblicke aufzuzeigen."

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gebe es für Pflegepersonal in Heimen sowie für Ärzte wieder Rechtssicherheit, bestätigt die Münchner Fachanwältin für Medizinrecht, Tanja Unger, die Ärzte vor dem Verfassungsgericht vertreten hat. "Der Paragraf 217 StGB war eine Einschränkung im Palliativ- und Pflegebereich."

Angst vor Bestrafung

Warum viele Mediziner Probleme mit dem nun gekippten Gesetz hatten, erklärt Johanna Anneser, Leiterin des Palliativmedizinischen Dienstes im Münchner Klinikum rechts der Isar, so: "Wenn mich Patienten in Beratungsgesprächen fragten, wie sie schneller sterben könnten, war unklar, ob allein eine Beratung dieser Patienten zum Suizid schon strafbar ist." Immer wieder habe sie auch erlebt, dass sich Patienten – im Wissen um die Strafbarkeit der Suizid-Beihilfe – nicht mehr trauten, ihren Sterbewunsch ihr gegenüber auszusprechen. Damit hatte die Ärztin dann auch keine Möglichkeit, schwer kranke und sterbewillige Patienten vor einer grausamen Selbsttötung zu bewahren. "Ich selbst kenne Fälle, wo sich Patienten in ihrer Not von einem Hochhaus oder vor den Zug gestürzt haben. Das ist unmenschlich."

Kritiker des Sterbehilfe-Urteils weisen jedoch auf Gefahren hin. Sie warnen, dass die Zulassung organisierter Suizid-Beihilfe alte oder kranke Menschen unter Druck setzen könnte, davon Gebrauch zu machen. "Wir sind alle dazu angehalten, genau hinzuschauen, dass da kein Dammbruch passiert", mahnt etwa Michael Thelen, Leiter des Evangelischen Seniorenzentrums Theresienau in Bonn. Zwar arbeitet sein Haus eng mit einem Hospizverein zusammen, um schwer kranke Menschen so gut wie möglich zu begleiten. Dennoch werde auch seine Einrichtung wohl früher oder später damit konfrontiert werden, dass ein Bewohner sich an einen Sterbehilfeverein wendet, befürchtet Thelen.

Rechtsanwältin Unger erwartet aber nicht, dass Sterbehilfevereine nun in Pflegeheimen werben werden. Zudem bedeute das Kippen des Paragrafen 217 StGB keinen rechtsfreien Raum. Es gelte nun die Rechtslage, wie sie bis 2015 bestand. Danach ist die Beihilfe zum Suizid nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen straffrei. Nämlich dann, wenn ein Mensch den Entschluss freiverantwortlich, wohlerwogen und nachhaltig getroffen habe. Das schließt zum Beispiel aus, dass kurzfristige Entscheidungen oder Selbsttötungsabsichten von Menschen mit schweren Depressionen oder Demenz unterstützt werden dürfen.

Sterbehilfevereine im Altenheim

Sterbehilfevereine wüssten, dass sie diese Kriterien streng überprüfen müssten, weil sie es sonst mit der Staatsanwaltschaft zu tun bekämen, sagt Unger. Allerdings werde es immer schwarze Schafe geben. Die Heimleitungen sollten eingreifen, wenn vonseiten Dritter Sterbehilfe angeboten werde, obwohl ein Patient nicht mehr in der Lage sei, frei zu entscheiden, rät Unger. Feststehe auch, dass weder Pflegepersonal noch Ärzte verpflichtet seien, den Wunsch eines Patienten nach Suizid-Beihilfe zu erfüllen. Andererseits müssten Pflegepersonal oder Heimleitung auch akzeptieren, wenn ein Patient sich ganz bewusst Suizid-Beihilfe organisiere. "Es ist letztlich seine Entscheidung an wen er sich wendet."

Pfarrerin Bergmann hat allerdings die Erfahrung gemacht, dass Patienten sich umorientieren konnten, wenn sie offen mit ihnen über ihre Suizid-Gedanken sprechen konnte. "In dem Moment, wo man das zulässt, erleben Bewohner, dass sie auch mit so einem Wunsch gesehen und gehört werden. Wenn Menschen erleben, dass sie ganzheitlich wahr- und ernstgenommen werden, dann ändert das auch nochmals etwas an ihrer Haltung zum eigenen Leben."

"Viele Patienten wollten in erster Linie "grünes Licht", beobachtet auch Unger. "Sie wollen wissen, dass sie assistierten Suizid begehen können, falls sie es gar nicht mehr aushalten." In vielen Fällen komme es dann gar nicht dazu.

Denn Palliativmediziner könnten belastende Symptome wie Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sehr gut lindern, erklärt Anneser. "Aber es gibt eine, wenn auch kleine Gruppe von Patienten, bei denen wir das nicht in dem Maße schaffen, dass es für sie eine akzeptable Lösung ist." Man könne den Beschluss eines Menschen, Suizid zu begehen bedauern und alles versuchen, ihn umzustimmen. "Aber dessen freie Entscheidung ist in letzter Konsequenz zu akzeptieren."

Claudia Rometsch


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