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Diakonie-Chefin warnt vor Kahlschlag bei sozialer Infrastruktur




Barbara Eschen
epd-bild/DWBO/Zellentin
Die Berliner Diakonie-Chefin Barbara Eschen hat außer der Bewältigung der Corona-Pandemie für 2021 weitere drängende Themen auf ihrer Agenda: Neben dem Fachkräftemangel in den sozialen Berufen treiben sie die verbreitete Armut und die Versorgungslage auf dem Land um.

Für Barbara Eschen, die Berliner Diakonie-Chefin, ist in diesem Jahr sozialpolitisch viel zu tun - neben dem Kampf gegen die Corona-Pandemie. Wichtig seien vor allem Reformen in der Pflege, Schritte gegen die wachsende Wohnungsnot und mehr Elan, um die Kinder- und Familienarmut zu besiegen, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Die Fragen stellte Lukas Philippi.

epd: Frau Eschen, welches sind Ihres Erachtens die dringendsten sozialpolitischen Aufgaben des neuen Jahres?

Barbara Eschen: Die dringendsten Aufgaben sind der Fachkräftemangel in den sozialen Berufen, die Mietenexplosion, die Armut von Kindern und Familien sowie die soziale Infrastruktur im ländlichen Raum.

epd: Was schlagen Sie für die Pflege vor?

Eschen: Wir brauchen eine bessere ideelle und finanzielle Honorierung der sozialen Berufe. Schon vor der Corona-Krise war die Personaldecke insbesondere in den Alten- und Pflegeheimen dünn. Durch Corona können Einrichtungen ganz schnell vor der Situation stehen, kein Personal mehr für die nächsten Schichten zu haben. Bund und Länder müssen hier gemeinsam an einem Strang ziehen und in die Pflege investieren. Ich kenne viele Mitarbeitende in der Pflege, die ihre Arbeit gerne mit hoher Identifikation machen, aber darunter leiden, dass Kolleginnen und Kollegen fehlen. Das gilt für die ganze Sozial- und Bildungsarbeit.

epd: Und beim Thema Wohnungsnot?

Eschen: In Berlin, aber auch in Teilen von Brandenburg, steigen seit Jahren die Mieten, bezahlbarer Wohnraum fehlt eklatant. Seit dem Inkrafttreten des Berliner Mietendeckels ist der Wohnungsmarkt erstarrt, alle warten, wie das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit des Berliner Sonderweges entscheiden wird. Ganz gleich, wie die Entscheidung aussieht: Berlin muss noch stärker den Neubau bezahlbarer Wohnungen vorantreiben und geförderte Sozialwohnungen schaffen. Außerdem muss die Landesregierung Maßnahmen ergreifen, damit Mieterinnen und Mieter nicht ihre Wohnung verlieren, sollte der Mietendeckel für rechtsungültig erklärt werden und es zu Mietrückforderungen kommen.

epd: Berlin nimmt beim Thema Kinder- und Familienarmut einen der vorderen Plätze im Armutsbericht des Bundes ein...

Eschen: Der vierte Platz ist beschämend. Besonders besorgt mich die Situation von Kindern und Jugendlichen. Ich wünsche mir von der Landespolitik, dass die Landeskommission gegen Kinderarmut schlagkräftige Maßnahmen vorschlägt, um auch armen Familien die soziale Teilhabe zu ermöglichen. Das gilt auch für die digitale Teilhabe: Wie sollen Kinder am Homeschooling teilnehmen, wenn sich die ganze Familie ein Tablet teilt? Grundsätzlich erwarte ich von der Landespolitik, dass Armutsbekämpfung in allen Politikfeldern eine wesentliche Rolle spielt, also in der Stadtentwicklung, Wirtschafts-, Jugend-, Sozial- und Gesundheitspolitik.

epd: Wie sieht es damit auf dem Land aus?

Eschen: Wir dürfen nicht zulassen, dass in ländlichen Gebieten die Infrastruktur abgeschnitten wird. Zugang zu Bildung, Gemeinschaft und medizinischen Angeboten muss auch in kleinen Gemeinden gefördert werden, damit Menschen nicht abgehängt werden. Kirche und Diakonie haben da viele Ideen. Ich wünsche mir dazu einen engeren Austausch mit den politisch Verantwortlichen.

epd: Welche Fehler, welche Defizite in der Sozialpolitik des vergangenen Jahres sollten nicht wiederholt werden?

Eschen: Die Auswirkungen der größten Fehler spüren wir heute noch: Der massive Verkauf von Wohneigentum der landeseigenen Wohnungsunternehmen, das Kaputtsparen der Berliner Verwaltung insbesondere im Bereich Jugend und auch, dass das Land Berlin leider verschlafen hat, sich frühzeitig um den Ausbau von Schul- und Kindergartenplätzen zu kümmern. Aber ich halte nicht viel davon, die damaligen Entscheidungen aus der heutigen Perspektive zu beurteilen. Wir als Diakonisches Werk wollen uns lieber dafür einsetzen, Berlin und Brandenburg für alle lebenswert und gerecht zu gestalten.

Lukas Philippi