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Corona

Forscher: Ausländische Haushaltshilfen vorrangig impfen




Niklas Harder
epd-bild/Rasmus Tanck/DeZIM
Die Impfstrategie der Bundesregierung stößt zwar weitgehend auf Zustimmung. Aber es gibt auch Kritik, bestimmte Gruppen bei der Priorisierung nicht angemessen berücksichtigt zu haben. Etwa die ausländischen Hilfen für Seniorenhaushalte: Sie müssten als enge Kontaktpersonen Hochaltriger schneller geimpft werden, fordert der Migrationsforscher Niklas Harder im Interview.

Niklas Harder ist Co-Leiter der Abteilung Integration am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin. Im Projekt "Häusliche Pflege in Zeiten der Pandemie" wird dort aktuell die Rolle der osteuropäischen Frauen bei der Betreuung von Seniorinnen und Senioren hierzulande untersucht. Dass diese Gruppe trotz enger Kontakte zur Hochrisikogruppe nicht an erster Stelle geimpft wird, rügt der Forscher. Zumal viele der betreuenden Frauen selbst schon über 60 Jahre alt sind. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Herr Harder, Ihr Institut hat das Forschungsprojekt "Häusliche Pflege in Zeiten der Pandemie" aufgelegt. Was sind die zentralen Erkenntnisse mit Blick auf die Impfstrategie der Bundesregierung?

Niklas Harder: Zunächst mal ein Blick auf die Zahlen, zum besseren Verständnis der Zusammenhänge. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 70 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland in den eigenen vier Wänden betreut werden. In vielen Fällen passiert das mit Hilfe von ausländischen Betreuerinnen, die oft aus Osteuropa stammen. Die pendeln häufig. Das heißt, sie arbeiten mehrere Wochen in Deutschland und wechseln diesen Einsatz dann mit mehrwöchigen Ruhepausen im Heimatland ab. Ein nicht unerheblicher Teil der Risikogruppe hierzulande wird durch solche Betreuerinnen aus dem Ausland gepflegt. Um sie wirksam zu schützen, müssen auch die Betreuerinnen in der Impfstrategie berücksichtigt werden. Das ist bislang nicht der Fall.

epd: Was genau untersuchen Sie?

Harder: In unserem Projekt haben wir insbesondere Frauen aus Polen zu ihren Arbeitsumständen befragt. Dabei haben wir festgestellt, dass dieses grenzüberschreitende Betreuungssystem auch während der andauernden Pandemie weiter funktionierte. Das trifft sogar für den Zeitraum zu, in dem Grenzen zwischen Deutschland und Polen geschlossen waren. Die Nachfrage nach Betreuerinnen für die häusliche Pflege ist in Deutschland während der Pandemie sogar noch gestiegen. Denn manche Pflegeheime nahmen während des Lockdowns keine neuen Pflegebedürftigen mehr auf. Andererseits fürchteten manche Menschen auch, sie könnten ihre Angehörigen nicht mehr besuchen, wenn diese ins Heim kämen. Manche Agenturen warben deshalb während der Pandemie sogar im polnischen Fernsehen oder gewährten Sonderzahlungen, um neue Pflegekräfte zu gewinnen.

epd: Hochbetagte Senioren sollen zwar zuerst geimpft werden, sind aber oft auch mit Begleitung nicht in der Lage, ein Impfzentrum aufzusuchen. Was sagen Sie zu dem Problem?

Harder: Als medizinische Laien können wir die medizinische Seite des Problems nicht beurteilen. Aber wenn die größte Gefahr für immobile Hochbetagte von ihren direkten Kontaktpersonen ausgeht, dann müssen natürlich auch diese in der Impfstrategie berücksichtigt werden. Und wenn diese Menschen durch ausländische Hilfskräfte betreut werden, sollten auch diese geimpft werden.

epd: Was ist zur Priorität der Haushaltshilfen zu sagen?

Harder: Viele der daheim lebenden Senioren werden von Frauen betreut, die oft auch schon älter als 60 Jahre sind. Zu den primären Risikogruppen zählen sie damit zwar nicht. Aber wäre es nicht nahe liegend, auch diese Personen als mögliche Infektionsüberträger schneller als bisher vorgesehen zu impfen? Ziel der Impfstrategie ist es doch, die Risikogruppen wirksam zu schützen, indem sie, deren Angehörige und ihre Kontaktpersonen geimpft werden. Also auch die Haushaltshilfen.

epd: Was für Infektionsdaten aus diesem Bereich haben Sie?

Harder: Wir haben eine Online-Umfrage gemacht. Von den 100 Betreuerinnen, die wir bislang befragen konnten, gaben drei an, sie hätten sich mit dem Coronavirus infiziert. Prozentual gesehen liegt der Anteil der Infizierten in dieser Gruppe damit über dem Durchschnitt in der deutschen Bevölkerung.

epd: Alles schaut derzeit zunächst auf die Hochbetagten in den Pflegeeinrichtungen. Aber 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden in den eigenen vier Wänden betreut. Bis die alle geimpft sind, werden Wochen, wenn nicht gar Monate vergehen. Ist das gerechtfertigt?

Harder: Die Bundesregierung musste im Rahmen ihrer Impfstrategie viele Gesichtspunkte berücksichtigen, das Thema ist hochkomplex. Wir maßen uns nicht an, es besser zu wissen. Wir möchten nur darauf aufmerksam machen, dass derzeit viele Menschen, die einer der Risikogruppen angehören, in ihren eigenen vier Wänden von ausländischen Betreuerinnen versorgt werden. Und denen wird eine niedrigere Impfpriorität zugestanden als der allgemeinen Bevölkerung, die über 60 Jahre alt ist.