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Corona

Warn-App: "Ein Überwachungsstaat ist nicht die Lösung"




Marit Hansen
epd-bild/Markus Hansen/ULD
Deutschland sollte sich nach Ansicht der Landesbeauftragten für Datenschutz Schleswig Holstein, Marit Hansen, trotz der weiter hohen Infektionszahlen kein Beispiel an den asiatischen Corona-Warn-Apps nehmen. Auch lehnt sie es ab, die Menschen zu verpflichten, ihr Ergebnis einzutragen.

In der Corona-Krise gibt es Kritik an der vermeintlich wirkungslosen Corona-Warn-App. Sie nach dem Beispiel asiatischer Länder umzugestalten, wäre aber falsch, sagt Marit Hansen, Diplom-Informatikerin und Landesbeauftragte für Datenschutz Schleswig-Holstein, im Interview. Mit ihr sprach Jana-Sophie Brüntjen.

epd sozial: Derzeit erfasst die Corona-Warn-App ungefähr zehn Prozent aller Infektionen, heruntergeladen wurde sie nach den jüngsten RKI-Zahlen rund 24 Millionen Mal, etwas mehr als die Hälfte der infizierten Nutzerinnen und Nutzer hat ihr Testergebnis geteilt. Ist das ein Erfolg?

Marit Hansen: Ob das ein Erfolg ist oder nicht, mögen Politiker oder die Regierung besser beurteilen. Ich schaue aus Sicht des Datenschutzes auf die App und freue mich, dass dieser ziemlich ernst genommen wurde. Außerdem haben uns die Virologen beigebracht, dass die Schutzmaßnahmen nach dem Modell eines Schweizer Käses funktionieren: Jede einzelne Maßnahme – auch die App – weist wie eine Käsescheibe Löcher auf, aber zusammengenommen können sie einen angemessenen Schutz bieten.

epd: Unter den Kritikerinnen und Kritikern der App werden Stimmen laut, die fordern, sich bei der Warn-App ein Beispiel an asiatischen Ländern zu nehmen, da deren Anwendungen wesentlich erfolgreicher seien. Was halten Sie davon?

Hansen: Wir als Datenschützer erwarten geeignete und verhältnismäßige Maßnahmen. Dabei schauen wir nicht nur auf die beabsichtigten Folgen der App wie eine bessere Kontaktnachverfolgung, sondern auch auf die Risiken. Ein Beispiel dafür wären Datenbanken des Staates, aus denen hervorgeht, wer sich mit wem trifft.

epd: In Südkorea werden zum Beispiel auch der Ort und der Zeitpunkt erfasst, an dem man sich angesteckt haben könnte ...

Hansen: Da stellt sich die Frage, ob es angemessen und erforderlich ist, diese Daten zu erfassen. Ich würde sagen: Nein. Im Grunde ist es irrelevant, ob ich mich in der Schlange im Supermarkt oder im Bus angesteckt habe. Das zu erheben, würde nur weitere Datenspuren hinterlassen und man würde so potenzielle Nutzerinnen und Nutzer verlieren.

epd: Und wenn es wie im asiatischen Raum verpflichtend wäre, ein positives Testergebnis in der App einzugeben?

Hansen: Wie sollte man das kontrollieren? Erst einmal könnten die Menschen einfach angeben, dass sie die App nicht haben, die ist schließlich freiwillig. Und es ist ja auch nicht verpflichtend, immer ein Smartphone dabeizuhaben.

epd: Wäre es nicht angesichts der aktuellen Situation angebracht, etwas Datenschutz für den Gesundheitsschutz zu opfern?

Hansen: Es wird immer wieder gesagt, der Datenschutz verhindere eine sinnvolle Funktionalität der App. Bislang habe ich für diese Aussage keine fundierten Argumente gehört. Der Staat sollte aus meiner Sicht auf vertrauensbildende Maßnahmen setzen statt Zusicherungen auszuhöhlen. Ein Überwachungsstaat ist nicht die Lösung.

epd: Weil dann die Bereitschaft sinkt, die App überhaupt zu benutzen?

Hansen: Genau! Als die Polizei damals zur Strafverfolgung Zugriff auf die zweckgebundenen Kontaktdaten aus der Gastronomie haben wollte, hat das nach meinem Eindruck auch eigentlich gutwillige Bürgerinnen und Bürger so sehr verunsichert, dass einige nicht mehr in die Restaurants gegangen sind oder sogar falsche Daten angegeben haben.

epd: Ein weiterer Vorschlag ist, dass die Daten aus der App automatisch ans Gesundheitsamt weitergeleitet werden ...

Hansen: Da spricht datenschutzrechtlich nichts dagegen. In den Gesundheitsämtern läuft die Kommunikation allerdings größtenteils nicht digital ab – oder ist, wenn sie digital ist, nicht vernünftig nach dem Stand der Technik abgesichert. Das liegt aber nicht am Datenschutz, ganz im Gegenteil. Ein vernünftig abgesicherter digitaler Datenaustausch wäre zu begrüßen. Solange hier noch Probleme bestehen, wird eine Übermittlung per App keinen Nutzen bringen.

epd: Ist es nicht ein Widerspruch, dass Menschen ihre Daten bereitwillig an Social-Media-Riesen geben und bei der Corona-Warn-App so misstrauisch sind?

Hansen: Zwischen dem Staat und den Plattformbetreibern gibt es ein paar Unterschiede. Facebook ist zum Beispiel weit weg, und die Nutzer haben das Gefühl, dass sie selbst entscheiden, was sie von sich preisgeben. Wenn der Staat hingegen Daten sammelt, wird das viel mehr als Fremdbestimmung wahrgenommen. Obwohl ich persönlich in puncto Datenschutz Facebook weniger vertrauen würde als der Regierung.

epd: Was gäbe es für Möglichkeiten, das Vertrauen in die App durch mehr Datenschutz zu erhöhen?

Hansen: Bisher ist die offizielle Android-Version der App auf die Google-Dienste angewiesen und steht nur über den Google Store zur Verfügung. Das ist mit einer Datenweitergabe an den Konzern verbunden. Wer argumentiert, dass Android-Nutzende das eben in Kauf nehmen müssen, liegt nicht ganz richtig. Es gibt nämlich den alternativen App Store F-Droid. Außerdem ist nicht verständlich, warum bei Google-Handys die Standortübertragung angeschaltet werden muss, damit die App funktioniert.