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Corona

Heim-Kinder können nicht nach Hause geschickt werden



Heimerzieher betreuen Kinder und Jugendliche rund um die Uhr. Das stellt sie in Zeiten der Pandemie vor besondere Herausforderungen. Von Politik und Gesundheitsbehörden fühlen sich viele im Stich gelassen.

Es ist harte Arbeit, neun Kinder im Alter zwischen 8 und 14 Jahren sechs Tage lang alleine rund um die Uhr zu versorgen. Doch wenn die Kinder dazu auch noch unter Quarantäne stehen, müsse man schon "ein wenig Raubtierdompteur sein", sagt Harald Schwab, Geschäftsführer der Evangelischen Jugendhilfe Oberhausen. Erlebt hat das Ende vergangenen Jahres ein pädagogischer Mitarbeiter aus Schwabs Team. Seine vier Kolleginnen waren zusammen mit den neun Kindern einer Wohngruppe der Jugendhilfe in Quarantäne geschickt worden. Das Problem: Die Betreuerinnen und ihre Schützlinge durften sich nicht gemeinsam in Isolation begeben.

Starre Quarantäne-Regeln

Die Kinder mussten in der Wohngruppe bleiben, während die Erzieherinnen in ihre eigenen Wohnungen verbannt wurden. So habe ihr Kollege, der zufällig gerade aus dem Urlaub kam, die Kinder fast eine Woche alleine rund um die Uhr betreuen müssen, sagt Schwab. Arbeitsrechtlich sei das bedenklich. "Aber wir konnten die Kinder ja nicht einfach sich selbst überlassen."

Die starren Quarantäne-Regelungen führten in Heimen und stationären Einrichtungen der Jugendhilfe immer wieder zu schwierigen Situationen, sagt Schwab, der auch Sprecher der Oberhausener Facharbeitsgruppe "Hilfen zur Erziehung" ist. Dadurch fielen immer wieder gesunde Mitarbeiter ohne jegliche Symptomatik aus. "Und schließen können wir ja nicht. Wir sind darauf angewiesen, präsent zu sein." Es sei auch kaum möglich, Ersatzpersonal zu beschaffen.

Dabei gebe es Lösungen, meint Schwab. Die ambulante Quarantäne etwa, die es den Erzieherinnen ermöglicht hätte, sich sowohl zu Hause als auch an ihrem Arbeitsplatz in der Wohngruppe aufzuhalten. Doch dazu seien die Gesundheitsbehörden in der Regel nicht bereit, beobachtet Schwab. "Die Erziehungshilfe ist ein kleiner Bereich, der völlig vergessen wurde."

Abstand und Maske - nicht durchweg möglich

"Im Großen und Ganzen sind die Einrichtungen der Jugendhilfe auf sich selbst gestellt", beobachtet auch Dagmar Hardt-Zumdick, Fachreferentin beim Caritas-Verband im Bistum Aachen. Keiner habe ein Augenmerk auf die besondere Situation in den Heimen und Wohngruppen der Erziehungshilfe. "Für die Mitarbeitenden ist es auf Dauer frustrierend, dass sie nicht gesehen werden."

Grundproblem sei, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Heimen und Wohngruppen nicht als systemrelevant eingestuft würden, sagt Tim Rietzke vom Evangelischen Fachverband für Erzieherische Hilfen Rheinland-Westfalen-Lippe, in dem 146 Träger zusammengeschlossen sind. Aus seiner Sicht müssten die pädagogischen Fachkräfte in der Heimerziehung Lehrern oder Erzieherinnen in den Kitas gleichgestellt werden, etwa wenn es um die Möglichkeit regelmäßiger Corona-Tests gehe. "Doch mit dieser Forderung sind wir nicht durchgedrungen." Dabei sei es für die Heim-Mitarbeiter bei ihrer Arbeit schlichtweg unmöglich, durchweg Abstand zu halten und Maske zu tragen.

Priorisierung bei der Impfung gefordert

Jetzt fürchten die Beschäftigten der Erziehungshilfe, auch beim Zugang zu Corona-Schutzimpfungen das Nachsehen zu haben. "Wenn wir mit unserer relativ jungen Belegschaft warten, bis die Mitarbeiter als Altersklasse drankommen, dann wird es Sommer werden, und die großen Herausforderungen für uns werden zunehmen", fürchtet Schwab. Auch Rietzke fordert bei der Impfung eine Priorisierung der Heim-Erzieherinnen und Erzieher, so wie sie auch für die Beschäftigten in den Kitas vorgesehen ist. "Derzeit sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Erziehungshilfe aber allen anderen Bürgern gleichgestellt."

Die Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege NRW sieht das etwas anders. Zwar würden Einrichtungen der Erziehungshilfe bei den Priorisierungen für die Schutzimpfungen nicht erwähnt, erklärt der Vorsitzende, Frank J. Hensel. Aber: "Die stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gehören aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege in die Kategorie der Einrichtungen, in denen mit einer schützenswerten Klientel gelebt und gearbeitet wird." Damit seien sie zum Beispiel Kindertageseinrichtungen gleichgestellt.

Harald Schwab von der Evangelischen Jugendhilfe Oberhausen ist nach seinen bisherigen Erfahrungen weniger hoffnungsvoll und hat nun nordrhein-westfälischen Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) um Unterstützung gebeten. "Wir kümmern uns um hilflose Menschen. Ich kann ja Kinder nicht sich selbst überlassen."

Claudia Rometsch