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Corona

Kein Vor-Ort-Termin im Jobcenter möglich




Schild eines Jobcenters
epd-bild/Gustavo Alàbiso
Wer Hartz IV beantragt, braucht dabei Beratung. Vor Corona konnte man einfach im Jobcenter vorsprechen. Doch seit dem Frühjahr geht das nur noch ausnahmsweise. Seither läuft das meiste online - mit vielen Schwierigkeiten, sagen Sozialarbeiter.

Mehrere Monate wurden einem jungen Mann die Heizkosten nicht erstattet. 50 Euro im Monat, das ist viel für jemanden, der nur wenig Geld hat. Aber das kann passieren beim Jobcenter. Oft fehlt nur ein Formular. Dann genügt ein Anruf oder ein Besuch, schon klärt sich die Lage. Doch in Corona-Zeiten, wo die Jobcenter für Präsenzbesuche fast geschlossen sind, ist das häufig anders. Viele Anliegen seien umständlicher, langwieriger und teils erfolgloser geworden, klagen Sozialarbeiter und Flüchtlingshelfer. Bei ihnen staut sich die Arbeit. Sie sorgen sich um die Menschen, die keine Hilfe in Anspruch nehmen - zumal in Zeiten, da wieder mehr Menschen arbeitslos werden.

Seit zehn Monaten haben die Jobcenter, in denen Arbeitslosengeld II ("Hartz IV") beantragt wird, in ganz Bayern aus Gründen des Infektionsschutzes den Parteiverkehr drastisch reduziert. Niemand kann mehr einfach hingehen und mit einem Berater sprechen. Wer dringend einen der wenigen Vor-Ort-Termine haben möchte, muss diesen online oder telefonisch vereinbaren. Ansonsten läuft das Beantragen von Hartz IV fast nur noch online. Übrige Anfragen werden über Hotlines oder E-Mail abgewickelt.

Mails gingen ins Leere

Den Fall des Heizkosten-Klienten erzählt Johanna Albert (Name geändert), eine Angestellte aus der Flüchtlingshilfe. Sie will weder ihren Namen veröffentlicht wissen noch ihren genauen Beruf oder die kleine südbayerische Stadt, in der sie tätig ist, "weil ich ja weiterhin gut mit dem Jobcenter zusammenarbeiten will". Nachdem ihr Klient von den ausstehenden Zahlungen berichtete, mailte sie der Leistungsabteilung des Jobcenters. Nichts tat sich. Sie mailte ein zweites Mal, dann rief sie die Servicehotline an, erst nach Monaten klärte sich der Fall.

"Vor Corona konnte man einfach mal hingehen und nachfragen", sagt Albert. Zumindest in kleineren Städten sind es oft enge Beziehungen zwischen Beratern, Sozialarbeitern und Klienten, etwa jugendlichen Geflüchteten. Man kennt sich. Doch jetzt gebe es mit dem Jobcenter seit Monaten nur Telefonkontakt, klagt Albert: "Ich habe kein Verständnis für die Schließung. Jede Kassiererin kann auch hinter Plexiglas arbeiten, mit Maske."

Karin Costanzo (Name geändert), Sozialpädagogin in einer nordbayerischen Kleinstadt, berichtet: Bei manchem ihrer Jugendlichen sei ein mühsam ergatterter Gesprächstermin geplatzt, weil der Klient ihn aufgrund seines Drogenkonsums versäumt habe. Nun sei es "extrem aufwändig, einen neuen Termin zu bekommen". Sorgen bereiten ihr vor allem die jungen Leute, die nicht an eine Einrichtung angebunden sind, die ihnen hilft, den Erstantrag online zu stellen.

Online-Antrag überfordert viele

Denn dieser hat es in sich. Man braucht einen Computer, er ist inhaltlich und sprachlich komplex. Das allein zu schaffen, sei für viele Menschen unmöglich, sagt Barbara Klamt von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Jugendsozialarbeit Bayern. Vor Corona reichten viele Klienten, darunter Geflüchtete, fehlende Unterlagen persönlich in den Jobcentern nach. Doch diese Aufgabe bleibt nun häufig an den Sozialberatern hängen. Dies beklagten im Sommer auch Mitarbeiter der Diakonie München.

Weil die Probleme offenbar in vielen bayerischen Städten ähnlich sind, haben sich die Fachkräfte beschwert. Die LAG Jugendsozialarbeit etwa hat im Spätherbst an diverse Vertreter von übergemeindlichen Gremien geschrieben.

Aus dem Jobcenter München heißt es auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd), bislang seien dort keine Beschwerden über die geänderten Kontaktwege bekannt. Viele Bürger zeigten Verständnis für die Maßnahmen und seien "froh, ihre Anliegen telefonisch, digital oder postalisch erledigen zu können", teilen die Sprecher der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Bayern, und des Münchner Jobcenters gemeinsam mit.

"Angepasste Zugangswege"

Weil der Gesundheitsschutz für Mitarbeiter und Kunden "höchste Priorität" habe, seien die "Zugangswege angepasst" worden: Auf Empfehlung seiner Träger - der Arbeitsagentur und der Kommune - habe das Jobcenter München die persönliche Beratung "vorübergehend auf terminierte Gespräche und Notfälle beschränkt".

Wegen des "gestiegenen Anrufvolumens" sei ein zusätzliches telefonisches Angebot für Menschen eingerichtet worden, die erstmalig Arbeitslosengeld II beantragen. "Besonders in der Krise legen wir gesteigerten Wert auf die Qualität der telefonischen Beratung, um möglichst adäquat die persönliche Beratungssituation zu ersetzen", sagen die Sprecher. Auch das digitale Angebot sei erweitert worden. Zudem habe der Gesetzgeber den Zugang zu den Grundsicherungssystemen vereinfacht.

Albert und Costanzo sind dennoch in Sorge. Viele Bedürftige versuchten es zurzeit gar nicht erst, ihre Ansprüche auf Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch II und XII oder auf Qualifizierungsmaßnahmen geltend zu machen, vermuten sie.

Den Vorwurf der erschwerten Kontaktmöglichkeiten können Jobcenter und Arbeitsagentur nicht nachvollziehen: "In dringlichen Fällen und Notfallsituationen" seien weiterhin Vorsprachen ohne Termin möglich, betonen die Sprecher. Zudem würden telefonisch Dolmetscherdienste angeboten. In München gebe es auch Versuche mit "Beratungs-Spaziergängen" und Videoberatung.

Christine Ulrich