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Krankenkasse

Untersuchung: Halb Deutschland steht unter Druck



Mehr als die Hälfte der Erwachsenen fühlt sich gestresst. Den größten Anteil hat die Arbeit, doch auch die eigenen Ansprüche können dazu führen, dass die Menschen am Ende krank werden. Deshalb schauen die Krankenkassen genauer hin.

Für die meisten Menschen in Deutschland gehört Stress zum Alltag. Nach einer aktuellen Studie der Techniker Krankenkasse (TK) sind die Arbeit und hohe Ansprüche an sich selbst die größten Stressfaktoren. Berufstätige, die auch nach Feierabend und im Urlaub noch erreichbar sein müssen, sind nach der am 12. Oktober in Berlin vorgestellten Stress-Studie 2016 am stärksten unter Druck. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe rief die Arbeitgeber auf, dringend nötige Eholungszeiten der Mitarbeiter zu respektieren.

Die Hälfte der Gestressten hat Rückenschmerzen, ein Drittel fühlt sich erschöpft oder ausgebrannt, fast ebenso viele leiden an Kopfweh, ein Viertel an Bluthochdruck. Probleme haben inzwischen auch viele Menschen damit, sich Ausgleich zu verschaffen.

Bei mehr als einem Drittel kommen nach eigenen Angaben Familie und Freunde zu kurz. Knapp 40 Prozent können auch am Wochenende und fast 30 Prozent selbst im Urlaub nicht mehr abschalten. Jeder Dritte greift zu Alkohol, um sich zu entspannen. Jeder Zweite versucht es mit Sport.

Ständige Erreichbarkeit weitet sich aus

Bei der Vorstellung der Ergebnisse ließ sich der TK-Vorstandsvorsitzende Jens Baas vom früheren Trainer des FC St. Pauli, Holger Stanislawski, begleiten, der heute in Hamburg Geschäftsführer eines großen Supermarkts ist. Während Baas forderte, dass nach der Arbeit auch mal Feierabend und das Handy aus sein müsse, gab Stanislawski einen Einblick, was ein Chef für das Wohlergehen seiner Mitarbeiter tun kann: "Man sollte in der Lage sein, mit seinen Leuten zu reden", sagte er. Wertschätzung, feste Arbeitsverträge und die Berücksichtigung familiärer Pflichten minderten den Stress im Laden.

Die ständige digitale Erreichbarkeit ist ein wachsendes Problem. 28 Prozent der Befragten in der TK-Studie nennen sie als einen der Hauptgründe für ihren anstrengenden Alltag. Ein Drittel der Erwerbstätigen gibt an, sie müssten auch nach Feierabend und im Urlaub erreichbar bleiben. Drei Viertel dieser "Always-On"-Beschäftigten empfinden das als Stress. 40 Prozent führen ein Leben unter Dauerdruck.

61 Prozent der Erwachsenen steht unter Strom

Insgesamt steht mehr als die Hälfte der Erwachsenen (61 Prozent) unter Strom. Jeder Vierte gibt an, häufig gestresst zu sein. Der Studie zufolge steht als Stressfaktor der Job (46 Prozent) an erster Stelle, dann folgen die eigenen Ansprüche (43 Prozent), die Termindichte in der Freizeit (33 Prozent) und schon an vierter Stelle der Straßenverkehr (30 Prozent).

Wie bei ähnlichen Umfragen zeigen sich auch in der TK-Studie Unterschiede bei der Selbsteinschätzung und im Verhalten von Frauen und Männern. Für Männer (54 Prozent) ist eindeutig die Arbeit Stressfaktor Nummer eins. Bei den Frauen sind es hingegen die hohen Ansprüche an sich selbst (48 Prozent).

Berufstätige fehlen wegen psychischer Erkrankungen heute doppelt so viele Tage wie vor zehn Jahren. Vorwiegend Frauen suchen sich inzwischen Hilfe: Im Alter zwischen 25 und 50 Jahren sind sie doppelt so häufig in psychotherapeutischer Behandlung wie Männer.

Auf der Haben-Seite steht der Studie zufolge für sieben von zehn Berufstätigen, dass ihre Arbeit ihnen Freude macht. Nur ein Viertel sieht den Job als reinen Broterwerb. Auch sagen vier von zehn Berufstätigen, dass sie der berufliche Stress eher anspornt.

Pflegeverband nimmt Arbeitgeber in die Pflicht

Der Pflegeverband verweis darauf, dass zu den Spitzenreitern bei den Ausfallzeiten auch die Fachkräfte der Pflege zählten. "Die Krankheitsausfälle sind in den letzten 15 Jahren etwa um 90 Prozent angestiegen. Das ist keine Überraschung, sondern logische Konsequenz der chronischen Überlastung am Arbeitsplatz“, sagt DBfK-Sprecherin Johanna Knüppel. „Jeder Tag Arbeitsunfähigkeit führt zu Mehrarbeit für die verbliebenen Kolleginnen und Kollegen. Das ist ein Teufelskreis, der endlich durchbrochen werden muss."

Umfragen bei Beschäftigten hätten gezeigt, dass sie oft großen Einschränkungen des Privatlebens unterworfen sind und auf Zeiten der Regeneration verzichten müssten: "Wer also als Arbeitgeber in der Pflege Fachkräfte finden und halten will, muss zuallererst für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sorgen und Erholungszeiten respektieren", sagte Knüppel.

Für die TK-Stress-Studie befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Sommer einen repräsentativen Querschnitt von Erwachsenen über 18 Jahre zu ihrem Stresslevel und ihrem Umgang mit Stress. Gegenüber einer vergleichbaren Befragung aus dem Jahr 2013 ist der Stresslevel nicht gestiegen.

Bettina Markmeyer

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