Ausgabe 44/2016 - 04.11.2016
Bonn (epd). Natalie Dedreux ist ein selbstbewusster Teenager. "Meine Haare sehen schön aus. Und meine Augen auch. Mein Charakter ist gut", erklärt die 17-Jährige. Die Kölnerin geht gerne schwimmen und hat viele Freunde. Ein ganz normales Mädchen? Eigentlich schon, meint Natalie Dedreux. "Ich merke nicht, dass ich das Down-Syndrom hab." Jetzt hat Natalie Dedreux sogar an einer großen Ausstellung mitgearbeitet. Sie gehört zu dem Team von Menschen mit Trisomie 21, die an der Schau mit dem Titel "Touchdown" mitwirken, die bis 12. März in der Bundeskunsthalle zu sehen ist.
"Was Menschen mit Down-Syndrom können und wie sie leben, ist in der Öffentlichkeit noch sehr wenig bekannt", sagt Katja de Bragança, Humangenetikerin, Down-Syndrom-Expertin und Mit-Kuratorin der Ausstellung. In Deutschland leben rund 50.000 Menschen mit dem Down-Syndrom. Bei ihnen ist das 21. Chromosom dreimal statt zweimal vorhanden. Daher wird die Behinderung auch als Trisomie 21 bezeichnet.
Die Ausstellungsmacher leisteten in mehrfacher Hinsicht Pionierarbeit. Zum einen zogen sie erstmals Betroffene als Experten in eigener Sache hinzu. Diese begleiten auch dreimal pro Woche zusammen mit Führern der Bundeskunsthalle Besucher durch die Ausstellung. Zum anderen wird erstmals die Geschichte der Menschen mit Down-Syndrom in den Blick genommen.
Die Schau sei keine "Inklusionsausstellung", sondern eine kulturhistorische Schau, betont der Leiter der Bundeskunsthalle, Rein Wolfs. So sichteten die Kuratoren zum ersten Mal das Fotomaterial von John Langdon Down, dem Namensgeber des Down-Syndroms. Der britische Arzt hatte in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts zahlreiche Menschen mit Trisomie 21 fotografiert, Ähnlichkeiten festgestellt und sie zum ersten Mal als Gruppe beschrieben. Die Aufnahmen werden in der Bundeskunsthalle erstmals ausgestellt.
Schwierigkeiten hatten die Ausstellungsmacher, als sie sich auf die Suche nach Spuren in der früheren Geschichte machten. Viel fanden sie nicht: Ein holländisches Gemälde aus dem 15. Jahrhundert mit Engelsgesichtern, die Züge von Kindern mit Down-Syndrom tragen. Oder eine rund 2.200 Jahre alte Kinderfigur aus der Kultur der Olmeken in Mexiko. "Wir müssen konstatieren, dass diese Spurensuche eigentlich erfolglos blieb", stellt Ausstellungsleiterin Henriette Pleiger fest. Insofern markiere die Ausstellung den Beginn einer neuen Geschichtsschreibung.
Und das geschieht aus dem Blickwinkel der Betroffenen. "Wir haben drübergeschaut, ob die Ausstellung so wird, wie wir das gerne hätten", sagt Julia Bertmann aus dem Kuratoren-Beirat. Die Betroffenen geben außerdem Einblicke in ihr Leben, die manches Vorurteil geraderücken dürften. In Steckbriefen erzählen sie über ihre Arbeit oder ihre Hobbies. Viele treiben Sport oder wohnen auch selbständig. In Vitrinen zeigen sie Gegenstände, die ihnen etwas bedeuten. Da liegt etwa das rote Plüschherz, das Angela Fritzen von ihrem Verlobten bekam. Anna-Lisa Plettenberg steuerte eine CD von Helene Fischer bei. "Ich höre viel Musik und singe mit," erklärt sie.
So fröhlich war das Leben für behinderte Menschen nicht immer. Auch das düstere Kapitel der Euthanasie während der Zeit des Nationalsozialismus wird in der Ausstellung behandelt. Rund 100.000 Behinderte wurden in den sogenannten Pflegeheimen der Nazis in Deutschland und Österreich ermordet. Grausige Relikte dieser Zeit sind mit Namensschildern beschriftete Gläser, in denen einst die Gehirne von Menschen mit Down-Syndrom aufbewahrt wurden, die in der Wiener Anstalt "Im Spiegelgrund" getötet worden waren. Erst 2002 wurden sie bestattet.
Die Ausstellung kam zustande durch die Zusammenarbeit zwischen der Bundeskunsthalle und dem Bonner Forschungsprojekt "Touchdown 21", das daran arbeitet, weltweit verfügbare Forschungsergebnisse über das Down-Syndrom zu sammeln und zu strukturieren. Obwohl beide Institutionen nur wenige Kilometer voneinander entfernt arbeiten, war es das World Wide Web, das sie zusammenbrachte. De Braganca, Leiterin des Forschungsprojekts, und Ausstellungsleiterin Pleiger kamen über Facebook in Kontakt. Die Zusammenarbeit fand dann vor Ort statt. "Meine Kollegen mit Down Syndrom sind sehr coole Leute", stellte Pleiger dabei fest.