sozial-Branche

Gastbeitrag

Freiwillige

"Ehrenamt in der Altenhilfe ist nicht wegzudenken"




Maria Loheide
epd-bild/Thomas Meyer/Ostkreuz
Die Diakonie sieht das Zusammenspiel von ehrenamtlichen Helfern und Profis in der Altenhilfe langfristig gefährdet. Ein Grund dafür sei die zunehmende Überalterung der Gesellschaft, schreibt Vorstand Maria Loheide in ihrem Gastbeitrag. Vor allem in der Altenhilfe, die stark geprägt sei von ehrenamtlicher Mitarbeit, bestehe dringender Handlungsbedarf.

Mit freiwilligem Engagement setzen Bürgerinnen und Bürger eigene Akzente im gesellschaftlichen Gefüge. Im Bereich Pflege und Gesundheit hat dieses Engagement für andere eine lange Tradition und ist in vielfältiger Weise organisiert. Aus den Einrichtungen und Diensten der ambulanten und stationären Pflege der Diakonie ist freiwilliges Engagement nicht wegzudenken.

Diakonisches Handeln ist geprägt von Personalität und Interaktion. Um Menschen in ihren persönlichen Lebenslagen zu unterstützen, muss ihnen mit Einfühlungsvermögen, Respekt und Wertschätzung begegnet werden. Würdevolle Pflege braucht Zeit und Zuwendung. Sie muss die individuellen Bedürfnisse des Menschen verbindlich einbeziehen. Die Rolle und der Beitrag der freiwillig Engagierten zu einem am christlichen Menschenbild und Auftrag des Evangeliums orientierten Pflegeprozess sind nicht hoch genug einzuschätzen.

700.000 Freiwillige zählt die Diakonie

Unter dem Dach der Diakonie arbeiten insgesamt rund 700.000 Freiwillige. Das sind fast doppelt so viele freiwillige wie hauptamtliche Mitarbeitende. Neben der Kranken- und Behindertenhilfe ist die Altenhilfe mit über einer Viertelmillion Freiwilligen das am stärksten durch ehrenamtliches Engagement geprägte Arbeitsfeld.

Empirische Untersuchungen zeigen: Die meisten der 700.000 in der Diakonie Engagierten sind im 3. Lebensdrittel, weiblich und häufig seit vielen Jahren ehrenamtlich aktiv. Die Engagierten sind mehrheitlich sehr zufrieden mit ihrer Tätigkeit und identifizieren sich in hohem Maße mit ihrer Aufgabe. Das führt dazu, dass sie sich viele Jahre einbringen.

Die ursprüngliche Motivation für soziales Engagement ist oft die Wahrnehmung konkreter Hilfebedarfe und Notlagen, auf die es keine institutionellen und professionellen Antworten gibt. Die "grünen Damen und Herren" zum Beispiel nehmen wahr, dass Menschen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen häufig allein sind. Sie kümmern sich um einsame Patientinnen und Patienten, unterstützen und entlasten so den Alltag in stationären Einrichtungen.

Hospizgruppen wenden sich dagegen mit hoher Aufmerksamkeit sterbenden Menschen zu, die oftmals in der heutigen Gesellschaft fehlt. Sie stehen den sterbenden Menschen bei, begleiten sie bis zum Lebensende und bringen Leben in die letzten Lebenswochen - jenseits medizinischer und pflegerischer Versorgung. Schon diese beiden Beispiele zeigen, dass die Gesundheitsversorgung und Pflege qualitativ und quantitativ bedeutsame Felder freiwilligen Engagements sind.

Haupt- und Ehrenamt müssen sich ergänzen

Freiwilliges Engagement und hauptamtliche Arbeit in der Pflege ergänzen sich. Hauptamt und soziales Engagement stehen im Dialog, manchmal in einem Spannungsgefüge, aber nicht im Gegensatz zu einander. Hauptamtliche engagieren sich oft selbst noch freiwillig, über ihren Arbeitsvertrag hinaus als "professional Volunteers".

Das Zusammenwirken von Hauptamtlichen und Freiwilligen ist eine Frage der gemeinsamen Kultur, die entwickelt und in die investiert werden muss. Es geht nicht nur um die Verteilung von Aufgaben, sondern um die Sorge für förderliche Rahmenbedingungen, damit die Zusammenarbeit gut klappt. Das ist eine ganz eigene, wichtige Leitungsaufgabe in einem sich dynamisch entwickelnden und verantwortungsvollen Handlungsfeld wie der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung.

Basis für das gelingende Zusammenwirken zwischen Freiwilligen und Hauptamtlichen sind klare Rollen und Zuständigkeiten. Unerlässlich sind gute Ehrenamtskoordinatorinnen und -koordinatoren. Sie haben sich in vielen Einrichtungen bewährt. Allen Beteiligten ist bewusst: Freiwilliges Engagement ist unentgeltlich, aber nicht umsonst.

Immerwährender Wandel ist unabdingbar

Ehrenamt hat in der diakonischen Arbeit eine 150-jährige Tradition und muss sich immer wieder wandeln und neuen Herausforderungen stellen. So zum Beispiel dem demografischen Wandel, der sich auch im Bereich der freiwilligen Hilfen auswirkt. Die Herausforderungen für die Altenhilfe in Ballungsräumen sind völlig andere als in teilweise entvölkerten ländlichen Räumen. Sie erfordern regional unterschiedliche Vorgehensweisen und differenzierte Konzepte für eine alternde Gesellschaft.

Die Diakonie Deutschland sieht in der Gemeinwesenarbeit und Sozialraumorientierung, in der Zusammenarbeit von diakonischen Einrichtungen und Kirchengemeinden, von Initiativen, Selbsthilfe und freiwillig Engagierten einen tragfähigen Lösungsansatz und ein wichtiges Zukunftskonzept. Mit dem aktuellen Jahresthema "Wir sind Nachbarn. Alle." wollen wir Ansätze und Projekte fördern, die das gesellschaftliche Engagement der Menschen untereinander und die Verantwortung füreinander in den Mittelpunkt stellen.

Mit Projekten wie "Alt werden im ländlichen Raum" oder "Kirche findet Stadt", aber auch mit Aktionen wie dem Freiwilligentag des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung werden Beispiele guter Praxis gefördert, die zeigen, wie vielfältig ehrenamtliche Tätigkeiten umgesetzt werden können.

Zukunftsweisend ist das Konzept der "Geteilten Verantwortung", bei dem sich Professionelle, Angehörige, Freiwillige und berufliche Assistenzkräfte Aufgaben und Verantwortung für die Sorge und Pflege teilen.

Ein besonders gelungenes Beispiel hierfür ist die Bürgergemeinschaft Eichstetten. Als sich kein Betreiber für eine Senioreneinrichtung fand, ergriffen interessierte Bürger, Bürgermeister und Gemeinderat, die Kirchen und soziale Organisationen kurzerhand die Initiative. Der neu gegründete Verein schuf die formalen und materiellen Grundlagen einer der dörflichen Gemeinschaft angemessenen Sorgekultur und Sorgestruktur. Mittlerweile gehören 50 Prozent der Haushalte des 3000-Seelen-Dorfs der Bürgergemeinschaft an.

Neue Wege zum Ehrenamt beschreiten

Wollen wir ehrenamtliches Engagement auch in Zukunft als wichtigen Teil der diakonischen Arbeit und in der Altenhilfe erhalten, müssen wir neue Wege gehen. Wir müssen uns fragen, ob wir mit unseren traditionellen Angeboten des Ehrenamts noch ausreichend Menschen motivieren und wie wir freiwillig Engagierte gewinnen.

Das neue Konzept der Evangelischen Alten- und Krankenhilfe zur Gewinnung und Schulung neuer Freiwilliger ist meines Erachtens beispielhaft und ein gelungener Ansatz. Folgende drei Aspekte werden in der Gewinnung von freiwillig Engagierten zukünftig immer bedeutsamer:

* Die Vereinbarkeit von freiwilligem Engagement mit Berufstätigkeit, familiärer Verantwortung für Kinder und Pflegeaufgaben.

*Die zunehmende Bedeutung der sozialen Medien in der Gewinnung neuer Ehrenamtlicher, sowie zeitgemäße Informationsplattformen und Info-Kanäle.

* Die Zunahme eines projektorientierten Ehrenamts auf Zeit, das dafür geeignete Konzepte, Einsatzbereiche und Aufgabendefinitionen benötigt.

Mit kreativen Antworten auf diese aktuellen Herausforderungen kann freiwilliges Engagement weiterhin ein wichtiger Akzent im gesellschaftlichen Gefüge bleiben. Das überwältigende Engagement für Flüchtlinge hat uns gezeigt, dass Menschen nach wie vor eine große Bereitschaft und ein Interesse haben, sich einzubringen und Verantwortung zu übernehmen, für Menschen in der Nachbarschaft und in der Pflege.

Maria Loheide ist Vorstand für Sozialpolitik bei der Diakonie Deutschland

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