sozial-Politik

Pflege

An den Kammern scheiden sich die Geister




In Pflegekammern ist die Mitgliedschaft für alle Fachkräfte Pflicht. (Archivbild)
epd-bild/Werner Krüper
Der Startschuss für den Aufbau einer Bundespflegekammer in Berlin ist gefallen. Doch dem Dachverband zur Vertretung aller Pflegefachkräfte fehlt noch der Unterbau. Allein in Rheinland-Pfalz gibt es bereits eine Pflegekammer. Bayern geht in der Berufsvertretung einen Sonderweg, doch auch der ist umstritten.

Unter dem optimistisch klingenden Motto "Das neue Wir!" hat sich Ende September die Gründungskonferenz der Bundespflegekammer in Berlin konstituiert. Die Befürworter dieses Zusammenschlusses aller Berufspflegekräfte hoffen darauf, ein Schwergewicht der Interessenvertretung zu etablieren, das der Pflege zu erkennbar mehr Einfluss auf die Politik verhilft. Doch so weit ist es längst noch nicht.

Von einer bundesweiten Repräsentanz ist man noch weit entfernt - auch weil die Länder ihre föderalen Eigenarten pflegen. Allen voran Bayern: Dort gibt es statt einer Kammer bald die staatlich finanzierte "Vereinigung der Pflegenden". Doch auch die erfreut sich keineswegs uneingeschränkter Unterstützung.

"Meilenstein für die Selbstverwaltung"

An euphorischen Worten fehlte es in Berlin nicht: "Mit dem nun gefassten Beschluss haben wir einen berufspolitischen Meilenstein für die Selbstverwaltung der Pflege geschafft", sagte Andreas Westerfellhaus, der einstige Präsident des Deutschen Pflegerats, nach der Gründungkonferenz: Damit sei der Startschuss für eine gemeinsame und einheitliche Selbstverwaltung aller professionellen Pflegeberufe auf Bundesebene gefallen: "Das ist insbesondere auch ein Signal an die Bundespolitik für die neue Legislaturperiode."

Die Überzeugung, dass es berufsständische Vertretungen mit Pflichtmitgliedschaft überhaupt braucht, ist bisher nicht allzu ausgeprägt. Eine arbeitsfähige Landespflegekammer existiert seit 2016 nur in Rheinland-Pfalz, unterschiedlich weit fortgeschrittene Initiativen zu Gründungen gibt es in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

Aufgabe der Bundespflegekammer soll es sein, eine gemeinsame Interessenvertretung aller professionellen Pflegekräfte zu schaffen und damit zentraler Ansprechpartner der Politik und des Gesetzgebers zu werden. Eine weitere Aufgabe ist es, die Berufsbilder in der Pflege weiterzuentwickeln, die Qualität der Berufsausübung zu sichern und das Image der Pflege aufzupolieren.

ver.di sieht keine Notwendigkeit der Kammern

Für all diese berechtigten Anliegen sind aber laut der Gewerkschaft ver.di die umstrittenen Kammern eher überflüssig. "Es gibt nichts, was den Pflegenden nutzt", heißt es als Fazit in einem Themenpapier. ver.di bestreitet, dass eine Kammer tatsächlich positive Auswirkungen auf den Arbeitsalltag, das Ansehen und den Einfluss der Pflegenden hat. Die Mitglieder würden "Diener zweier Herren: des jeweiligen Arbeitsgebers und der Pflegekammer." Und so drohten unnötige Konflikte.

Auch in Sachen Fortbildungen zeigt sich die Gewerkschaft kritisch. Die Pflegekammern sollen die absolvierten Kurse und Schulungen ihrer Mitglieder kontrollieren. Doch die Kammer habe gar keinen Einfluss auf das Zustandekommen von Fortbildungen und deren Nutzung. Denn die Arbeitgeber haben die Kurse zu organisieren und auch zu bezahlen. "Die Pflegekammer kann keine bestimmte Fortbildungsquote erzwingen", merkt ver.di an.

Doch trotz aller kritischen Distanz zur neuen Standesvertretung: die Gewerkschaft wirkt in Rheinland-Pfalz seit dem Start der Pflegekammer aktiv mit. Und das hat seinen Grund. "Es gibt auch Mitglieder, die sich einen positiven Effekt von der Kammer erhoffen", sagt Karola Fuchs, im Hauptberuf Leiterin einer Intensivstation in Idar-Oberstein und Vertreterin im Gründungsausschuss der Kammer. Und: "Natürlich wollen die Kollegen, dass ihre Gewerkschaft mit Verantwortung übernimmt. Das tun wir." Es sei richtig gewesen, dass sich ver.di an der Gründung der Kammer beteiligt habe: "Wir sind Experten in Sachen Berufspolitik. Und wir wissen, wo die Pflegekräfte der Schuh drückt."

Bayern beschreitet einen eigenen Weg

Bayern geht einen Sonderweg. Am 24. Oktober hat sich der 25-köpfige Gründungsausschuss der "Vereinigung der Pflegenden" als öffentlich-rechtliche Körperschaft gebildet, finanziert vom Staat. Sie soll die Berufsaufsicht im Freistaat gewährleisten und auch die Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte verbessern. Landesgesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) sagte zu, die Vereinigung in alle Fragen, die die Pflege betreffen, einzubinden: "Wer sich engagiert um andere Menschen kümmert, muss selbst in der Gesellschaft Gehör finden."

Beim Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), einem erklärten Gegner der Kammern hofft man, dass die Vereinigung die Interessen der rund 130.000 potenziellen Pflegekräfte schlagkräftig vertreten kann. Wie viele freiwillig Mitglied werden, gilt als völlig offen. Noch sei die neue Körperschaft den wenigsten Pflegenden bekannt.

bpa rügt Fernbleiben der Verbände

Kai A. Kasri, der bayerische bpa-Landesvorsitzende, sagt, es habe sich ein breiter Reigen von Personen zusammengefunden, "die mitgestalten und die Pflege voranbringen wollen", darunter auch hier die Gewerkschaft ver.di. Doch viele Berufsverbände, darunter der Berufsverband für Kinderkrankenpflege in Deutschland und der Bundesverband Pflegemanagement lehnen die Mitarbeit ab. Beim bpa hält man das für kritikwürdig: "Damit wird ein seltsames Verständnis von Selbstorganisation in der Pflege demonstriert."

Auch Deutsche Pflegerat lässt kein gutes Haar an der Vereinigung im Süden. Präsident Franz Wagner spricht von einem Etikettenschwindel für die professionell Pflegenden. Wegen der staatlichen Finanzierung fehle es ihr an der "notwendigen Unabhängigkeit". Zudem sei als Folge der freiwilligen Mitgliedschaft "nicht die ganze Berufsgruppe der Pflegepersonen repräsentiert". Wagner ruft Bayern auf, den Sonderweg eines losen Interessenverbundes zu verlassen. Das aber wird ganz sicher nicht geschehen.

Dirk Baas

« Zurück zur vorherigen Seite


Weitere Themen

CDU will Werkstätten von Rechnungshof prüfen lassen

Mit einer Gesetzesinitiative will die rheinland-pfälzische CDU-Opposition dem Landesrechnungshof ermöglichen, die Verwendung staatlicher Mittel in den Behindertenwerkstätten zu überprüfen. Die Fraktion stellte am 13. November in Mainz einen entsprechenden Vorschlag zur Änderung der Landeshaushaltsordnung vor. Prüfrechte, die dem Land zustehen, sollen demnach vom Rechnungshof wahrgenommen werden.

» Hier weiterlesen

Gesundheitsökonom fordert: Keine Reformpause bei der Pflege

Der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang erwartet von der künftigen Bundesregierung weitere Reformen in der Pflege. Die größte Sorge der Politik müsse der Personalmangel sein, sagte Rothgang im Interview. "Wir haben jetzt schon einen Notstand - aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was kommt."

» Hier weiterlesen

Land hilft Migrantinnen beim Einstieg in den Beruf

Niedersachsen will zugewanderten Frauen beim Einstieg in den Arbeitsmarkt helfen. Über das Programm "Förderung der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt" unterstützt die Landesregierung acht Projekte von freien Bildungsträgern, die dieses Ziel verfolgen, wie das Sozialministerium am 15. November in Hannover mitteilte. Eingesetzt werden dabei 1,3 Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds sowie rund 150.000 Euro aus Landesmitteln.

» Hier weiterlesen