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Krankenhäuser mit Demenzpatienten oft überfordert




Demente Patientin auf Station
epd-bild/Michael Ruffert
Rund zehn Prozent der Patienten in deutschen Krankenhäusern sind demenzkrank – Tendenz steigend. Doch die wenigsten Kliniken sind auf diese Patienten eingestellt – mit teils fatalen Folgen für die Betroffenen.

Die alte Dame war noch rüstig und sollte nur zur Abklärung einer Blutarmut ins Krankenhaus. Doch der Klinikaufenthalt wurde für sie und ihre Tochter zum Horrortrip. Denn Elisabeth Schmidt (Name geändert) leidet unter Alzheimer, ist vergesslich und orientierungslos. Mehrfach fand ihre Tochter sie barfuß in der Kälte im Krankenhausgarten. Die Folge: Damit sie nicht mehr wegläuft, fesselte das Pflegepersonal Elisabeth Schmidt ans Bett. Die Tochter war entsetzt: "Die Tür war zu, niemand hätte sie rufen hören! Sie lag einsam in ihrem Zimmer, hatte ständig große Angst und Unruhe und war damit völlig alleine."

"Diese Patienten stören"

Fälle wie der von Elisabeth Schmidt seien keine Ausnahme, sagt Winfried Teschauer, Vorstandsmitglied der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Rund 1,5 Millionen Demenzpatienten würden jedes Jahr stationär in deutschen Krankenhäusern behandelt. Nur rund 20.000 von ihnen wurden laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr aufgrund der Diagnose Demenz in eine Klinik gebracht.

So wie Elisabeth Schmidt brauchen die meisten Demenzkranken wegen anderer gesundheitlicher Probleme eine stationäre Behandlung. Doch die meisten Hospitäler seien auf die steigende Zahl von Patienten mit Demenz auf ihren Stationen überhaupt nicht eingestellt, kritisiert Teschauer.

"Diese Patienten stören im Krankenhaus das System", beobachtet auch Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV). Der Verband startete im Frühjahr ein Projekt, um die Einrichtung demenzsensibler Strukturen bei evangelischen Häusern zu unterstützen. Demenzkranke brauchten mehr Zeit, man müsse sie beruhigen und alles langsamer erklären, sagt Radbruch. Die organisatorischen Abläufe in den meisten Krankenhäusern ließen dafür aber keine Zeit.

Eine belastende Situation

Denn Demenzpatienten benötigten gerade zu den personell ausgedünnten Tageszeiten mehr Aufmerksamkeit, nämlich nachmittags und abends, weiß Jessica Llerandi Pulido, Leiterin des Patientenmanagements im Evangelischen Krankenhaus Mettmann. "Das kann das Personal nicht schultern." Nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Pflegekräfte sei diese Situation belastend.

In Mettmann richtete die Krankenhausleitung deshalb vor gut einem Jahr eine Station ein, auf der ausschließlich Demenzpatienten behandelt werden. Dort arbeitet nicht nur speziell geschultes Pflegepersonal. "Auch die Abläufe sind anders", erklärt Llerandi Pulido. Gerade zur Nachmittags- und Abendzeit werden die Patienten besonders gut betreut. Dazu setzt das Krankenhaus Seniorenalltagsbegleiterinnen ein, die zum Beispiel mit den Patienten spielen oder mit ihnen im Park spazieren gehen.

Oft sind Demenzpatienten damit überfordert, alleine zu essen. Auf der Demenzstation in Mettmann gibt es deshalb einen gemeinsamen Mittagstisch mit Betreuung. Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden sorgen außerdem dafür, dass die Mobilität der Patienten erhalten bleibt oder sich sogar verbessert.

"Es ist kaum zu glauben, wie positiv sich das auswirkt," sagt Pulido. Normalerweise hätten Demenzpatienten eine um 30 Prozent über dem Durchschnitt liegende Verweildauer im Krankenhaus gehabt, weil es bei ihnen oft zu Komplikationen komme. "Bei Patienten auf unserer Demenzstation haben wir dagegen eine durchschnittliche Verweildauer", sagt Pulido.

Mehr Geld für Demenzpatienten

Auch das Malteser Krankenhaus St. Hildegardis in Köln hat sich systematisch auf diese spezielle Patientengruppe eingestellt. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (dip) wurden dadurch die negativen Folgen, die Krankenhausaufenthalte für demente Klinikpatienten oft haben, vermeidbar. In ihrer dreijährigen Beobachtung stellten die Forscher sogar fest, dass "sich Mobilität, geistige Fähigkeiten und die Alltagskompetenz der Patienten während des Aufenthalts deutlich verbesserten". Auch Fixierungen am Bett blieben aus.

Die Station für wurde mit Blick auf die Patienten übersichtlich gestaltet und bietet mit einer Küche und einem Tages- und Speiseraum eine Art familiären Zusammenlebens, das nicht einer normalen Krankenhausstation entspricht, heißt es in der Studie. Die Angehörigen erlebten nach eigenen Angaben "einen offenen und warmherzigen Umgang des Klinikpersonals mit den Patienten".

Diese besondere Versorgung der Demenzpatienten sei natürlich auch teurer. Im diakonischen Krankenhaus in Mettmann würden die Mehrkosten zum Teil durch Spenden und durch die Unterstützung der Deutschen Alzheimer Stiftung finanziert. Eine Dauerlösung sei das jedoch nicht. "Wir hoffen da auf politische Unterstützung", erklärt Pulido. Die Malteser in Köln fordern, die verbesserte Versorgung und Behandlung von Menschen mit Demenz durch "eine adäquate Finanzierung" zu ermöglichen.

Auch der DEKV-Vorsitzende Radbruch sieht die Politik in der Pflicht. "Wir fordern vom Bund eine Anschubfinanzierung von 600 Millionen Euro für die Einrichtung demenzsensibler Strukturen in Krankenhäusern." Von dem Geld sollten bauliche Veränderungen und Schulungen des Personals bezahlt werden. Außerdem müssten die Krankenkassen Zusatzentgelte für Demenzpatienten zahlen, damit die Krankenhäuser auch in der Lage seien, diese Menschen angemessen zu versorgen.

Entscheidende Verbesserungen

Winfried Teschauer vom Vorstand der Deutschen Alzheimer Gesellschaft sieht das etwas anders. "Ich bin etwas unglücklich mit dem Argument, dass mehr Geld nötig sei." Zwar sei der Ruf nach mehr finanzieller Unterstützung in Teilen richtig. "Aber die Änderung der Haltung ist wichtiger als große Summen." Denn bereits mit relativ überschaubaren Kosten könnten die Krankenhäuser schon jetzt entscheidende Verbesserungen erreichen.

Eine farbige Gestaltung der Stationen etwa könne Demenzkranken die Orientierung erleichtern, sagt Teschauer. So hätten Demenzkranke zum Beispiel häufig Probleme, in den meist ganz in Weiß gehaltenen Badezimmern schnell die Toilette zu finden. Schon durch farbige Toilettendeckel könne man dieses Problem lösen.

Und um zu verhindern, dass verwirrte Patienten weglaufen, könnten zum Beispiel Ausgangstüren "getarnt" werden, indem sie in der Wandfarbe gestrichen würden, sagt Teschauer. Möglicherweise hätte man also auch Elisabeth Schmidt schon mit ein wenig Farbe die Fixierung im Bett ersparen können.

Claudia Rometsch und Markus Jantzer

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