Ausgabe 48/2017 - 01.12.2017
Frankfurt a.M. (epd). Der Psychiater Khalid Murafi kritisiert, dass Familiengerichte mit zweierlei Maß mäßen. Während sich die Justiz bei Kindern in Suchtfamilien schnell für eine Inobhutnahme oder einen Sorgerechtsentzug entscheide, falle ihr dies bei Kindern, die Gewalt in der Familie miterleben, schwer. Hier herrsche bei Richtern die naive Vorstellung, dass der Vater "nur" die Mutter misshandle und dem Kind selbst nichts passiere.
Dem Kinder- und Jugendpsychiater aus dem westfälischen Drensteinfurt zufolge bekommen Kinder 80 Prozent der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern mit. Diese müssten die Tat nicht zwingend beobachten oder hören, sondern könnten diese auch miterleben, indem sie beispielsweise die Verletzungen der Mutter sehen oder die aggressive Erregung des Vaters spüren.
Gewalt zwischen Partnern traumatisiere Kinder, erklärte Murafi. Wenn die Kinder zum Beispiel in der Schule jemanden schreien hörten, durchlebten sie den Moment der Tat in einem Flashback erneut. "Die Folgen für die Kinder sind dramatisch", betonte Murafi, der auch Chefarzt einer Jugendpsychiatrie ist.
Häufig entwickelten Kinder eine hohe Sensitivität für emotionale Situationen, sagte der Experte. Das Kind beobachte beispielsweise genau, wie sich der Vater verhalte. Um Konflikte zu schlichten, versuche es, die Eltern zu bespaßen und für gute Stimmung zu sorgen. "Kinder fühlen sich für die gesamte soziale Situation verantwortlich", erklärte Murafi. Vor allem Kleinkinder glaubten, dass sie schuld seien an den Auseinandersetzungen der Eltern.
Wer als Kind häusliche Gewalt erlebt hat, habe als Erwachsener ein erhöhtes Risiko für Depressionen und Suchterkrankungen, sagte Murafi. "Die Kinder müssen schnell geschützt und gestützt werden", betonte der Psychiater.