sozial-Recht

Bundessozialgericht

"Intensiv-Wohngemeinschaften" müssen kein Pflegeheim sein




Eine "Intensiv-WG" muss nach einem Urteil des Bundessozialgerichtes nicht der Heimaufsicht unterliegen.
epd-bild/Thomas Lohnes
Eine Wohngemeinschaft aus Intensivpatienten muss noch keine der Heimaufsicht unterliegende Pflegeeinrichtung sein. Das Bundessozialgericht billigte jetzt eine entsprechende Wohnform in Rheinland-Pfalz.

Bietet ein ambulanter Pflegedienst zusammen mit einem Schwesterunternehmen für schwerst pflegebedürftige Personen Wohnen und Pflege aus einer Hand an, kann das nach Landesrecht zulässig sein, urteilte am 30. November das Bundessozialgericht (BSG). Eine zulassungspflichtige stationäre Pflegeeinrichtung müsse damit nicht vorliegen, betonten die Kasseler Richter, die damit im Grundsatz grünes Licht für entsprechende Wohnformen in Rheinland-Pfalz gaben.

Geklagt hatte die Tochter und gleichzeitig Betreuerin ihres mittlerweile verstorbenen Vaters. Der Mann befand sich nach einem akuten Hinterwandinfarkt mit nachfolgendem Hirnschaden im Wachkoma. Vom September 2012 bis zu seinem Tod im Oktober 2012 wurde der Mann rund um die Uhr im Rahmen der häuslichen Krankenpflege gepflegt.

Pflege in einem Apartementzimmer

Hierfür hatte die Tochter ein Zimmer eines Apartements in einer 14 Kilometer entfernt gelegenen Seniorenresidenz angemietet. Das andere Zimmer war von einem weiteren Intensiv-Patienten belegt. Die Pflege übernahm die ISA Ambulant GmbH in Koblenz. Die Vermieterin war ein Schwesterunternehmen des ambulanten Pflegedienstes. Mit dem Modell Pflege und Wohnen aus einer Hand "wird die Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefördert", wirbt der Pflegedienst auf seiner Homepage.

Die bis zum Tod des Vaters angefallenen Kosten für die häusliche Krankenpflege in Höhe von 20.910 Euro wollte sich die Tochter von der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland erstatten lassen.

Nach den seit 1. April 2007 geltenden gesetzlichen Bestimmungen haben Versicherte Anspruch auf häusliche Krankenpflege unter anderem "in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort". Häusliche Krankenpflege sollte so auch in betreuten Wohngruppen ermöglicht werden.

Kasse sah "verstecktes Pflegeheim"

Doch die Krankenkasse lehnte die Zahlung ab. Der verstorbene Versicherte habe nicht in einer "Wohngemeinschaft" gelebt und einen eigenen Haushalt gehabt. Bei dem hier praktizierten Modell "Wohnen und Pflege" aus einer Hand handele es sich vielmehr um einen "künstlichen Haushalt" und ein "verdecktes Pflegeheim" für Intensivpatienten, lautete die Begründung. Pflegeeinrichtungen seien aber zulassungspflichtig und unterstünden der Heimaufsicht. Das habe auch einen guten Grund. So müsse die Qualität der Pflege oder auch der erforderliche Brandschutz gewährleistet werden, hieß es.

Der Pflegedienst habe diese Vorgaben umgangen, offenbar auch, weil die von den Krankenkassen zu zahlende häusliche Krankenpflege besser vergütet wird als die von der Pflegeversicherung gedeckelte Pflege in einem stationären Pflegeheim. Laut AOK wurde der inzwischen verstorbene Versicherte letztlich nicht, wie vom Gesetz gefordert, "an einem geeigneten Ort" gepflegt.

Das BSG verwies den Fall an das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz zurück. Allerdings sei es durchaus möglich, dass die Krankenkassen die häusliche Krankenpflege bei einer Konstellation von "Wohnen und Pflege" aus einer Hand bezahlen müssen. Ob eine Wohnform als "geeigneter Ort" oder als "verdecktes Pflegeheim" anzusehen ist, hänge vom Heimrecht des jeweiligen Bundeslandes ab. Zumindest in Rheinland-Pfalz sei diese Wohnform nach den Feststellungen des LSG zulässig. Daran sei man gebunden, befand das BSG.

Kostenerstattung muss noch geprüft werden

Die Tochter sei als Betreuerin ihres Vaters zudem dessen Wunsch nachgekommen, "ihn gerade nicht in einem Pflegeheim unterzubringen. Das entsprach seinem - auch leistungsrechtlich grundsätzlich zu beachtenden - Selbstbestimmungsrecht", urteilten die Kasseler Richter.

Ob und inwieweit die Tochter einen Kostenerstattungsanspruch geltend machen kann, könne noch nicht entschieden werden. So müsse das LSG Mainz prüfen, ob die häusliche Krankenpflege des Wachkomapatienten überhaupt in der Wohnung zu leisten war und in einem "häuslichen Umfeld" erbracht wurde. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen habe hier Zweifel geäußert. Sei die Intensivpflege nicht möglich, liege auch kein "geeigneter Ort" vor. Außerdem müsse noch die Pflegeversicherung in dem Verfahren hinzugezogen und ihre Leistungspflicht geprüft werden.

Az.: B 3 KR 11/16 R

Frank Leth

« Zurück zur vorherigen Seite


Weitere Themen

Arbeitgeber müssen bei Minijobs in der Regel Sozialabgaben zahlen

Arbeitgeber müssen für geringfügig Beschäftigte auch dann Sozialbeiträge zahlen, wenn sie diese nur für Tätigkeiten auf Abruf einstellen. Wenn ein Beschäftigter immer wieder als Aushilfskraft einspringen muss, liegt keine beitragsfreie kurzfristige Beschäftigung vor, urteilte am 5. Dezember das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. In solch einem Fall müsse das Unternehmen die Sozialabgabenpauschale für Minijobs entrichten.

» Hier weiterlesen

Unverheiratete Stiefväter müssen Zuschlag zur Pflege zahlen

Ein unverheirateter Mann, der mit seiner Freundin und deren Kindern seit vielen Jahren in einem Haushalt zusammenlebt, gilt dennoch als kinderlos. Er muss damit den Beitragszuschlag zur Pflegeversicherung in Höhe von 0,25 Prozent zahlen, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in einem am 6. Dezember bekanntgegebenen Urteil.

» Hier weiterlesen

Rollstuhlfahrer müssen nicht schnell fahren können

Die Krankenkasse muss es gehbehinderten Menschen grundsätzlich nicht ermöglichen, dass sie mit ihrem Rollstuhl so schnell wie ein Radfahrer unterwegs sein können. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am 30. November verkündeten Urteil klargestellt. Die Richter lehnten es ab, ein sogenanntes Einhängefahrrad mit Elektromotor in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen. Die darin aufgelisteten Produkte müssen in der Regel grundsätzlich von den Krankenkassen bezahlt werden.

» Hier weiterlesen