Ausgabe 49/2017 - 08.12.2017
Kassel (epd). Bietet ein ambulanter Pflegedienst zusammen mit einem Schwesterunternehmen für schwerst pflegebedürftige Personen Wohnen und Pflege aus einer Hand an, kann das nach Landesrecht zulässig sein, urteilte am 30. November das Bundessozialgericht (BSG). Eine zulassungspflichtige stationäre Pflegeeinrichtung müsse damit nicht vorliegen, betonten die Kasseler Richter, die damit im Grundsatz grünes Licht für entsprechende Wohnformen in Rheinland-Pfalz gaben.
Geklagt hatte die Tochter und gleichzeitig Betreuerin ihres mittlerweile verstorbenen Vaters. Der Mann befand sich nach einem akuten Hinterwandinfarkt mit nachfolgendem Hirnschaden im Wachkoma. Vom September 2012 bis zu seinem Tod im Oktober 2012 wurde der Mann rund um die Uhr im Rahmen der häuslichen Krankenpflege gepflegt.
Hierfür hatte die Tochter ein Zimmer eines Apartements in einer 14 Kilometer entfernt gelegenen Seniorenresidenz angemietet. Das andere Zimmer war von einem weiteren Intensiv-Patienten belegt. Die Pflege übernahm die ISA Ambulant GmbH in Koblenz. Die Vermieterin war ein Schwesterunternehmen des ambulanten Pflegedienstes. Mit dem Modell Pflege und Wohnen aus einer Hand "wird die Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefördert", wirbt der Pflegedienst auf seiner Homepage.
Die bis zum Tod des Vaters angefallenen Kosten für die häusliche Krankenpflege in Höhe von 20.910 Euro wollte sich die Tochter von der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland erstatten lassen.
Nach den seit 1. April 2007 geltenden gesetzlichen Bestimmungen haben Versicherte Anspruch auf häusliche Krankenpflege unter anderem "in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort". Häusliche Krankenpflege sollte so auch in betreuten Wohngruppen ermöglicht werden.
Doch die Krankenkasse lehnte die Zahlung ab. Der verstorbene Versicherte habe nicht in einer "Wohngemeinschaft" gelebt und einen eigenen Haushalt gehabt. Bei dem hier praktizierten Modell "Wohnen und Pflege" aus einer Hand handele es sich vielmehr um einen "künstlichen Haushalt" und ein "verdecktes Pflegeheim" für Intensivpatienten, lautete die Begründung. Pflegeeinrichtungen seien aber zulassungspflichtig und unterstünden der Heimaufsicht. Das habe auch einen guten Grund. So müsse die Qualität der Pflege oder auch der erforderliche Brandschutz gewährleistet werden, hieß es.
Der Pflegedienst habe diese Vorgaben umgangen, offenbar auch, weil die von den Krankenkassen zu zahlende häusliche Krankenpflege besser vergütet wird als die von der Pflegeversicherung gedeckelte Pflege in einem stationären Pflegeheim. Laut AOK wurde der inzwischen verstorbene Versicherte letztlich nicht, wie vom Gesetz gefordert, "an einem geeigneten Ort" gepflegt.
Das BSG verwies den Fall an das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz zurück. Allerdings sei es durchaus möglich, dass die Krankenkassen die häusliche Krankenpflege bei einer Konstellation von "Wohnen und Pflege" aus einer Hand bezahlen müssen. Ob eine Wohnform als "geeigneter Ort" oder als "verdecktes Pflegeheim" anzusehen ist, hänge vom Heimrecht des jeweiligen Bundeslandes ab. Zumindest in Rheinland-Pfalz sei diese Wohnform nach den Feststellungen des LSG zulässig. Daran sei man gebunden, befand das BSG.
Die Tochter sei als Betreuerin ihres Vaters zudem dessen Wunsch nachgekommen, "ihn gerade nicht in einem Pflegeheim unterzubringen. Das entsprach seinem - auch leistungsrechtlich grundsätzlich zu beachtenden - Selbstbestimmungsrecht", urteilten die Kasseler Richter.
Ob und inwieweit die Tochter einen Kostenerstattungsanspruch geltend machen kann, könne noch nicht entschieden werden. So müsse das LSG Mainz prüfen, ob die häusliche Krankenpflege des Wachkomapatienten überhaupt in der Wohnung zu leisten war und in einem "häuslichen Umfeld" erbracht wurde. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen habe hier Zweifel geäußert. Sei die Intensivpflege nicht möglich, liege auch kein "geeigneter Ort" vor. Außerdem müsse noch die Pflegeversicherung in dem Verfahren hinzugezogen und ihre Leistungspflicht geprüft werden.
Az.: B 3 KR 11/16 R