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Pflege

Kaffeeklatsch mit dem Medizinischen Dienst




Eine Frau sortiert Medikamente für ihren pflegebedürftigen Mann.
epd-bild/Jürgen Blume
Vor einem Jahr wurden die neuen Kriterien für die Einstufung der Pflegebedürftigkeit eingeführt. Davon konnten vor allem Demenzkranke profitieren. Eine gute Vorbereitung auf den Besuch des Medizinischen Dienstes kann aber nach wie vor entscheidend sein.

"Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?" fragte die alte Dame den Gutachter des Medizinischen Dienstes höflich. "Ich war fassungslos", sagt Susanne Meier (Name geändert). Im Alltag muss sie ihrer dementen Mutter alle Mahlzeiten zubereiten, weil sie das Essen sonst glatt vergisst. Beim Besuch des Gutachters aber präsentierte sich die 82-Jährige plötzlich als perfekte Gastgeberin - servierte Kaffee und Gebäck. Und auch bemühte sie sich, möglichst fit zu erscheinen. Die Folge: Der Antrag auf mehr Geld von der Pflegekasse wurde abgelehnt.

Helmut Täuber von der Pflegeberatung der Diakonie in Frankfurt am Main kennt solche Fälle. "Kein Mensch gesteht sich im Alter gerne ein, dass die Einschränkungen größer werden." Wenn der Gutachter des Medizinischen Dienstes frage, wo Hilfe benötigt wird, sei das vielen Senioren unangenehm, beobachtet Täuber. Manche böten dann alle Kräfte auf, um ihre Situation besser darzustellen, als sie ist.

Angehörige sollten bei MDK-Visite dabei sein

"Gerade bei Themen wie Inkontinenz oder Vergesslichkeit schämen sich viele Pflegebedürftige", sagt auch Catharina Hansen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. "Wir raten deshalb dazu, dass beim Besuch des Medizinischen Dienstes immer eine Person dabei ist, die den Pflegebedürftigen gut kennt." Der Angehörige solle sich dann auch ruhig in das Gespräch einschalten, wenn er merke, dass der Pflegebedürftige seinen Hilfebedarf herunterspielt.

Damit der Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ein möglichst realistisches Bild von der Situation erhält, rät Hansen, den Termin gezielt vorzubereiten. "Am besten gehen Pflegebedürftige und Angehörige vorher gemeinsam durch, wo es im Alltag Probleme gibt, und sammeln Beispiele dafür."

"Alle wichtigen Dokumente sollten bereitliegen"

Auch Peter Pick, Geschäftsführer des MDK-Spitzenverbandes, rät: "Man sollte den Termin mit dem Gutachter nicht einfach auf sich zukommen lassen." Das Wichtigste sei, alle nötigen Unterlagen bereitzulegen. Das sind etwa Arztberichte, Entlassungsberichte aus dem Krankenhaus oder der Reha, der Medikamentenplan und - falls man bereits einen Pflegedienst in Anspruch nimmt - die Pflegedokumentation. "Der Gutachter kann nur die Informationen berücksichtigen, die er auch bekommt", sagt Pick.

Der Medizinische Dienst stellt bei seinem Besuch viele Fragen wie zum Beispiel: Kann der Pflegebedürftige ohne Hilfe aufstehen? Kann er sich noch selbst waschen? Ist er in der Lage, sich selbst Essen zuzubereiten? "Viele Menschen erleben das als Prüfungssituation und geraten in Stress", sagt Täuber. Viel entspannter sei das Gespräch, wenn Pflegebedürftige und Angehörige den Fragenkatalog vorher durchgehen, sagt Pflege-Expertin Hansen. Die Fragen sind auf der Internetseite des Medizinischen Dienstes veröffentlicht.

Demenzpatienten profitieren von der Reform

Seit 1. Januar 2017 zählen bei der Einstufung der Pflegebedürftigkeit nicht nur körperliche Einschränkungen. Neu ist, dass bei der Begutachtung nun auch berücksichtigt wird, ob Menschen aufgrund psychischer Probleme oder Demenz Hilfe brauchen. Damit haben diese Patienten nun wesentlich bessere Chancen, in einen der fünf Pflegegrade eingestuft zu werden. So bekamen 2017 nach Angaben des MDK-Spitzenverbandes im Vergleich zum Vorjahr zusätzlich rund 283.000 Menschen Geld von der Pflegekasse.

Gerade für Demenzkranke aber seien Hinweise von Angehörigen beim Besuch des MDK besonders wichtig, sagt Pick. Der Gutachter fragt zum Beispiel, ob der Patient noch selbstständig soziale Kontakte pflegen kann. Oder etwa, ob er sich daran erinnern kann, seine Medikamente genommen zu haben, und wie es um seinen Orientierungssinn steht.

Widerspruch lohnt sich

Doch was tun, wenn die Pflegekasse den Antrag ablehnt, oder aber der Pflegebedürftige meint, er sei zu niedrig eingestuft worden? Dann sollten sich der Pflegebedürftige und seine Angehörigen das schriftliche Gutachten genau ansehen. Möglicherweise wurden darin wichtige Punkte ausgelassen. Damit ließe sich dann ein Widerspruch begründen.

Der Versuch lohnt sich. Die Erfolgschancen haben sich seit dem Start der Pflegereform sogar verbessert. 2017 wurde laut Medizinischem Dienst rund 52 Prozent der Widersprüche stattgegeben. Das sind rund acht Prozent mehr als im Vorjahr.

Auch Susanne Meier hatte mit einem Widerspruch Erfolg. Nach dem Besuch eines zweiten Gutachters erhielt ihre Mutter doch noch einen höheren Pflegegrad und bekommt nun mehr Geld von der Pflegekasse.

Claudia Rometsch

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