Ausgabe 2/2018 - 12.01.2018
Münster (epd). Die Kommunen benötigen für die Integration von Flüchtlingen Unterstützung durch den Bund, sagte Städtetagspräsident Markus Lewe im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zugleich plädierte Lewe dafür, langfristige Strategien für die Städte zu entwickeln und das Bürgerengagement zu stärken.
epd sozial: Auf der Agenda der neuen Bundesregierung soll auch eine neue Regelung des Nachzugs von Familienangehörigen von Flüchtlingen stehen. Was erhoffen Sie sich von der neuen Regierung?
Markus Lewe: Aus Sicht der Städte muss eine Regelung gefunden werden, mit der die Integrationsfähigkeit in den Städten bewahrt bleibt. Auf der anderen Seite müssen wir in den Blick nehmen, inwieweit enge Familienangehörige die Integration erleichtern können. Für den Städtetag heißt das: Die Städte dürfen nicht überfordert werden. Zugleich dürfen wir aber auch nicht die Integrationschancen Geflüchteter beeinträchtigen. In dieser Balance muss sich das bewegen.
epd: Welche Rolle spielen bei der Integration Projekte vor Ort, die in den Kommunen umgesetzt werden können?
Lewe: Eine große Rolle. Integration findet vor Ort in den Kommunen statt, in Kindergärten, den Schulen, in Integrationskursen, durch Helferinitiativen, in Sportvereinen und mit Ehrenamtlichen. Der Blick sollte dabei nicht auf geflüchtete Menschen beschränkt werden. Diese geflüchteten Menschen werden ja, sofern sie als Flüchtlinge oder Asylbewerber anerkannt werden, ganz normal am öffentlichen Leben in unserer Gesellschaft teilhaben. Deshalb geht es darum, die Chancen in den Fokus zu rücken, die Neuzuzüge und möglicherweise künftige Fachkräfte für die Kommunen bedeuten.
epd: Was ist dafür an Unterstützung nötig?
Lewe: Wir müssen dafür umfassende Bildungsaufgaben wahrnehmen. Spracherwerb ist wichtig, die Integration in den Arbeitsmarkt braucht noch größere Anstrengungen. Die Bundesmittel für die Jobcenter sollten deshalb deutlich erhöht werden. Damit die Kommunen ihre Integrationsaufgaben erfüllen können, sollte der Bund über 2018 hinaus die fluchtbedingten Kosten der Unterkunft im Sozialgesetzbuch II tragen. Auch eine Integrationspauschale des Bundes ist weiter nötig. Die einzelnen Bundesländer in Deutschland gehen mit der Weitergabe der Integrationsmittel allerdings bisher unterschiedlich um. Es ist zwingend erforderlich, dass diese integrationsbezogenen Mittel auch in angemessener Höhe an die Städte weitergegeben werden.
epd: Wie reagieren Kommunen auf die Debatte über Kriminalität von Zuwanderern?
Lewe: Die Gesetze bieten ja Instrumente gegen Kriminalität: Wenn jemand straffällig wird, dann müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Das Problem muss ernst genommen werden. Es sollten aber auch Beispiele genannt werden, wo Integration gelingt. Es gibt ja eine ganze Reihe, wo das funktioniert. Wir sollten auch nicht so viel über Geflüchtete sprechen, sondern mit ihnen sprechen.
epd: Was sind hierbei die Aufgaben vor Ort?
Lewe: Die Aufgabe der Kommunen ist es, dafür zu sorgen, dass von Anfang an allen Kindern und Jugendlichen eine Chance gegeben wird, dass sie erst gar nicht in eine kriminelle Laufbahn hineingeraten. Das ist der präventive Auftrag, der gerade in den Kommunen geleistet wird. Hier wird deutlich, wie wichtig ganzheitliche Bildungssysteme sind. Das beginnt schon vor der Geburt eines Kindes: dass werdende Eltern gestärkt und bei Bedarf unterstützt werden.
epd: Wo wollen Sie als Städtetagspräsident Schwerpunkte setzen?
Lewe: Städte sollten sich so aufstellen, dass Vielfalt als Chance und nicht als Bedrohung erfahren wird. Das beginnt beim Städtebau: Die Stadt gehört allen. Ich muss also in den Stadtteilen Räume für Begegnungen schaffen. Dazu gehören Kitas, Cafés oder Parks. Wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft und Lebensorientierung diese Treffpunkte haben, sind sie viel eher in der Lage, sich zu vertrauen und sich auch selber zu organisieren.
Gerade in einer Zeit, die stark im Wandel steht, müssen wir großen Teilen der Öffentlichkeit etwas wiedergeben, was viele schon verloren glauben - nämlich Vertrauen. Bürger müssen Vertrauen in den Rechtsstaat haben können. Ebenso wichtig ist das Vertrauen darauf, dass man in einer Stadt weiter bezahlbar und auch bis ins hohe Alter gut leben kann.
epd: Wie sieht Ihre Vision für die Städte aus?
Lewe: Angesichts der unmittelbar großen Herausforderungen standen bislang die Mittel im Zusammenhang mit der Integration von geflüchteten Menschen im Vordergrund. Jetzt müssen wir das in eine Gesamtstrategie einbinden. Wir brauchen Strategien, wie man in zehn oder zwanzig Jahren in den Städten leben kann. Wenn man mit der Bürgerschaft die Zukunft plant, dann hat man auch eine. Wenn man das nicht tut, verpasst man Zukunftschancen.
Wir wollen unsere Städte zukunftsfähig machen in einer Zeit, die wirtschaftlich insgesamt recht gut ist, in der aber auch die Unterschiede zwischen strukturschwachen und wirtschaftsstarken Städten und Regionen wachsen. Deshalb müssen auch die Städte, denen es in Deutschland nicht so gut geht, unterstützt werden. Das gilt besonders für Städte, die Altschulden und hohe Sozialausgaben haben. Außerdem gibt es bundesweit einen großen kommunalen Investitionsstau von 126 Milliarden Euro mittelfristig abzutragen. Wir müssen der Bürgerschaft Hoffnung auf den Weg geben, dass die Städte auch für die Kinder und Enkel eine lebenswerte Zukunft bieten.