sozial-Recht

Oberlandesgericht

Schmerzensgeld für Sohn nach künstlicher Ernährung des Vaters




Künstliche Ernährung in einem Altenheim
epd-bild/Werner Krüper
Die künstliche Ernährung eines schwerst demenzkranken Patienten mittels Magensonde kostet einen Hausarzt 40.000 Schmerzensgeld. Er muss sie an den Sohn und Betreuer des Verstorbenen zahlen, da er diesen in seine Entscheidung nicht einbezogen hatte.

Hat sich ein schwerst demenzkranker Patient in der Vergangenheit nie zu lebensverlängernden medizinischen Maßnahmen geäußert, darf der behandelnde Arzt nicht schalten und walten, wie er will. Will der Arzt seinen Patienten mit Hilfe einer Magensonde dauerhaft künstlich ernähren, muss er diese Behandlung umfassend mit dem Betreuer des Patienten erörtern, urteilte das Oberlandesgericht (OLG) München in einem am 21. Dezember veröffentlichten Urteil. Da der Arzt dies im konkreten Fall nicht getan hat, wurde der vom OLG zu Schmerzensgeldzahlungen an die Erben des Patienten verurteilt.

Eine Patientenverfügung lag nicht vor

Die Münchener Richter sprachen dem Sohn eines im Oktober 2011 verstorbenen schwerst demenzkranken Patienten ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zu. Da dieser sich nicht mehr selbst ernähren konnte, hatte der behandelnde Arzt eine künstliche Ernährung mit Hilfe einer durch die Bauchdecke gelegte Magensonde veranlasst. Eine Patientenverfügung oder ein mutmaßlicher Wille des Patienten zu lebensverlängernden Maßnahmen lagen nicht vor.

Der Sohn des Mannes, gleichzeitig auch dessen Betreuer, rügte, dass spätestens ab Anfang 2010 die künstliche Ernährung medizinisch nicht mehr angebracht war. Diese habe lediglich zur "sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens" geführt. Der künstlichen Ernährung mittels PEG-Sonde habe er nie zugestimmt, erklärte der Betreuer.

Sein Vater habe nur noch verkrampft im Pflegebett gelegen und am Leben nicht mehr teilhaben können. Zu diesem Zeitpunkt habe die Behandlungsmaßnahme einen rechtswidrigen körperlichen Eingriff und damit ein Behandlungsfehler und eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts seines Vaters dargestellt. Der Hausarzt hätte die Sondenernährung abbrechen müssen, so dass der Vater unter palliativmedizinischer Betreuung hätte sterben können. Von dem Hausarzt verlangte er ein Schmerzensgeld von 100.000 Euro.

Schutz des Lebens

Der Arzt verteidigte die künstliche Ernährung. Der Schutz des Lebens habe Vorrang.

Das OLG verurteilte den Hausarzt zu einer Schmerzensgeldzahlung an den Sohn in Höhe von 40.000 Euro. Als behandelnder Arzt eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten wäre er verpflichtet gewesen, mit dem Betreuer die Fortsetzung der PEG-Sondenernährung im Stadium der finalen Demenz und eine mögliche rein palliativmedizinische Behandlung "vertieft" zu erörtern. Dies sei nicht erfolgt. Der Schmerzensgeldanspruch sei uneingeschränkt vererblich, so dass der Sohn diesen uneingeschränkt geltend machen könne, urteilte das OLG.

Es gebe aber eine gesetzliche Pflicht des Arztes zur umfassenden Information des Betreuers. Die Pflichtverletzung des Arztes lag nicht darin, dass er nicht von sich aus die künstliche Ernährung abgebrochen hat, "sondern dass er dem Betreuer die Grundlage für dessen verantwortungsbewusste Entscheidung an die Hand hätte geben müssen".

Die aus der Pflichtverletzung resultierende Lebensverlängerung eines Patienten könne auch "einen Schaden im Rechtssinn darstellen". Mit der künstlichen Ernährung über fast zwei Jahre habe der Arzt das "Integritätsinteresse des Patienten" verletzt. In dieser Zeit habe er an Wundgeschwüren und anderen schweren Erkrankungen gelitten. Zugleich habe er an seiner Umwelt nicht mehr teilhaben können.

Katholikin mit Sterbewunsch

Ärzte und Angehörige müssen sich an den in einer Patientenverfügung erklärten Sterbewillen halten, stellte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Beschluss vom 8. Februar 2017 klar. Nur weil eine Patientin aktive Katholikin ist und eine aktive Sterbehilfe ablehnt, bedeute nicht unbedingt, dass sie den Abbruch einer künstlichen Ernährung ablehnt, entschied der BGH damals.

Im konkreten Fall wurde eine im Wachkoma befindliche Frau künstlich ernährt. In einer Patientenverfügung hatte sie aufgeführt, dass sie als Katholikin eine "aktive Sterbehilfe" ablehne, ebenso aber auch lebensverlängernde Maßnahmen, wenn "keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht". Der Ehemann der Frau wollte - im Gegensatz zum Sohn und Betreuer der Frau - dem Abbruch der künstlichen Ernährung dennoch nicht zustimmen und verwies auf den Glauben der Frau.

Der BGH ging jedoch von einem Sterbewillen der Frau aus. Dieser dürfe nicht übergangen werden. Der Abbruch einer künstlichen Ernährung sei zudem keine "aktive Sterbehilfe".

Der mutmaßliche Wille des Patienten

In einem weiteren Verfahren stellte der BGH am 17. September 2014 klar, dass für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen nicht zwingend eine Patientenverfügung vorliegen müsse. Sei diese nicht vorhanden, komme es auf mögliche "Behandlungswünsche" an, die der Patient früher zu vergleichbaren Situationen wie der eigenen geäußert hat. "Behandlungswünsche sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen."

Gebe es auch diese nicht, komme es auf den mutmaßlichen Willen des Patienten an. Dieser könne sich aus allgemeinen früheren Äußerungen ergeben, ohne dass der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht.

Az.: 1 U 454/17 (OLG München)

Az.: XII ZB 604/15 (BGH zur Interpretation einer Patientenverfügung)

Az.: XII ZB 202/13 (BGH zum Fehlen einer Patientenverfügung)

Frank Leth

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