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Diakonie kann nicht von allen Mitarbeitern Mitgliedschaft verlangen




Gebäude des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung in Berlin
epd-bild/Rolf Zöllner
Kirchliche Einrichtungen verlangen von Mitarbeitern häufig Loyalität in Form der Kirchenmitgliedschaft. Über die Rechtmäßigkeit dieser Praxis wird schon lange gestritten. Es hängt vom Einzelfall ab, urteilte jetzt der Europäische Gerichtshof.

Kirchliche Arbeitgeber dürfen von Stellenbewerbern nicht pauschal und unbegründet Kirchenmitgliedschaft verlangen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am 17. April in Luxemburg, dass solch eine Anforderung an einen Bewerber "objektiv geboten" sein müsse. Es müsse ein direkter Zusammenhang zwischen der Konfession und der fraglichen Tätigkeit bestehen. Zudem müsse von einem Gericht überprüft werden können, ob die Voraussetzung einer Kirchenmitgliedschaft "wesentlich", "rechtmäßig" und "gerechtfertigt" sei. Dies könnte die Kirchen und ihre Einrichtungen in Zukunft dazu zwingen, ihre Stellenanforderung künftig stärker zu begründen.

Diakonie-Rechtsstreit wieder beim BAG

Im konkreten Fall ging es um die konfessionslose Berlinerin Vera Egenberger, die sich erfolglos beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben und daraufhin wegen religiöser Diskriminierung geklagt hatte. Über den Ausgang des Verfahrens, in dem Egenberger eine Entschädigungszahlung durchsetzen will, muss nun erneut das Bundesarbeitsgericht befinden.

Egenberger sieht sich bereits vom EuGH bestätigt. Sie sei sehr froh, dass dem Urteil zufolge die Praxis der konfessionellen Verbände bei der Personalauswahl in Deutschland "so nicht haltbar ist", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Gewerkschaft ver.di, die Egenberger juristisch und finanziell unterstützte, zeigt sich mit dem heutigen Urteil "sehr zufrieden".

Auch die beklagte Diakonie sieht sich bestätigt, da der EuGH festgestellt habe, "dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht der wesentliche Faktor bei solchen Abwägungsentscheidungen ist", sagte Diakonie-Vorstand Jörg Kruttschnitt, der zur Urteilsverkündung in Luxemburg war. Das Gericht hatte auch betont, dass es staatlichen Gerichten in der Regel nicht zustehe, über das Ethos kirchlicher Arbeitgeber zu befinden, mit dem das Erfordernis der Konfession begründet wird.

EKD: Urteil schränkt Kirchen ein

Das zuständige Bundesarbeitsministerium wertete das Urteil als Einschnitt für die Kirchen. Der EuGH habe das Recht der kirchlichen Arbeitgeber, selbst zu entscheiden, für welche Tätigkeit eine bestimmte Religionszugehörigkeit erforderlich ist, eingeschränkt, hieß es aus dem Ministerium. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, erklärte: "Die Kirchen können künftig von ihren Beschäftigten nicht mehr pauschal eine bestimmte Religionszugehörigkeit verlangen."

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die in der sogenannten Loyalitätsrichtlinie Anforderungen für die Arbeit in kirchlichen Einrichtungen vorgibt, wertete das Urteil ebenfalls als Einschränkung. Die Prägung der Arbeit in der Kirche hänge maßgeblich an den Personen, die ihren christlichen Glauben und ihre christliche Haltung einbringen, erklärte der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke. Deswegen sei Gestaltungsfreiheit bei der Personalauswahl wichtig. Diese Freiheit schränke der EuGH nun über das Europarecht ein, sagte Anke. Gleichzeitig betonte der EKD-Präsident, im Grundsatz bestätige der EuGH die von der Kirche selbstbestimmte Gestaltung des Arbeitsrechts.

Als Körperschaften öffentlichen Rechts können die Kirchen für die Arbeit in ihrem eigenen Bereich eigene Regeln definieren. Für sie gelten damit auch Teile des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, wonach Bewerber nicht wegen ihrer Religionszugehörigkeit benachteiligt werden dürfen, nicht. Lüders zufolge gilt das nun aber nicht mehr pauschal. Sie forderte die Kirchen auf, Konsequenzen aus dem EuGH-Urteil zu ziehen. "Die Kirchen müssen ab jetzt für jedes einzelne Arbeitsverhältnis nachvollziehbar und gerichtsfest begründen können, warum eine bestimmte Religionszugehörigkeit dazu zwingend notwendig sein soll", sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle.

Katholische Kirche prüft Einstellungspraxis

Diese Konsequenz sahen auch Rechtsexperten im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. Der Göttinger Kirchenrechtler Hans Michael Heinig sagte, die Kirche werde ihre Anforderungen an Bewerber bezogen auf die jeweilige Einrichtung und konkreten Arbeitsplatz künftig stärker begründen oder auf das Erfordernis einer Religionszugehörigkeit für manche Bereiche ganz verzichten müssen. Der Erlanger Arbeitsrechtler Steffen Klumpp sagte, Gerichte könnten nun inhaltlich prüfen, ob die Religionszugehörigkeit tatsächlich für eine Stelle notwendig sei. Die evangelischen Regelungen müssten entsprechend neu gefasst werden. Der Bremer Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bernhard Baumann-Czichon, sagte, der EuGH habe mit seinem Urteil, in dem er die Ausübung der kirchlichen Sonderrechte der Kontrolle durch staatliche Gerichte unterwirft, das Verhältnis von Staat und Kirche vom Kopf auf die Füße gestellt.

Die katholische Kirche, die nicht am Verfahren beteiligt war, aber ebenso eigene Regeln im Arbeitsrecht hat, kündigte an zu prüfen, ob und inwieweit die Einstellungspraxis angepasst werden müsse.

Az.: C-414/16

Corinna Buschow, Phillipp Saure

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