sozial-Recht

Bundesgerichtshof

Demenzkranke können für sich selbst Betreuer vorschlagen




Gruppe von Demenzpatienten in der LVR-Klinik in Köln. (Archivbild)
epd-bild/Joern Neumann
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat klargestellt: Auch nicht mehr geschäftsfähige demenzkranke Personen können für sich einen Betreuer vorschlagen. Das Betreuungsgericht darf den Vorschlag nur ablehnen, wenn die Gefahr besteht, dass die Betreuung nicht zum Wohl des Betroffenen ausgeübt wird.

Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 18. April veröffentlichten Beschluss. In zwei weiteren Entscheidungen klärten die Karlsruher Richter außerdem, wie sich eine "erheblich beeinträchtigte" freie Willensbildung eines Betroffenen auf die Betreuerbestellung auswirkt und unter welchen Voraussetzungen ein Betreuer bestellt werden kann, wenn der Aufgabenkreis der Betreuung sich erweitert.

Im ersten Fall ging es um eine verheiratete 74-jährige demenzkranke Frau aus dem Raum Augsburg. Ihre Nichte und ihre Schwägerin hatten für sie beim Betreuungsgericht eine Betreuung angeregt. Seit zwölf Jahren wurde die Patientin von ihrem Lebensgefährten und jetzigem Ehemann unterstützt. Die Frau legte dagegen Beschwerde ein und verlangte, dass ihr Ehemann die Betreuung übernehmen soll.

Doch dagegen stünden "gewichtige Umstände", befand das Landgericht. Zwar habe sich der Ehemann um sie zuverlässig gekümmert und sie gepflegt. Dennoch komme er als Betreuer nicht in Betracht. Denn: Es sei mit Konflikten zwischen ihm und der restlichen Verwandtschaft zu rechnen, was wiederum die Frau unnötig belasten könne. Auch könne der Mann ihren Gesundheitszustand nicht richtig einschätzen, befand das Gericht.

"Willensbekundung reicht aus"

Zwar habe die Frau einen Betreuerwunsch geäußert, sie sei aber wegen ihrer fehlenden Geschäftsunfähigkeit gar nicht zu einer eigenen Willensentscheidung fähig.

Doch der BGH sah das anders: Für einen Betreuervorschlag sei weder Geschäftsfähigkeit noch "natürliche Einsichtsfähigkeit" erforderlich, entschied der BGH. Es reiche aus, dass die Betroffene ihren Willen kundtut.

Der Wille der Betroffenen könne nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person ihrem Wohl zuwiderläuft. Hierfür müsse jedoch eine konkrete Gefahr bestehen. Nach dem Gesetz müssten bei der Betreuerbestellung verwandtschaftliche Beziehungen berücksichtigt werden. Das gelte erst recht, wenn die Betroffene ihren Ehemann als Betreuer vorschlägt, entschied der BGH.

Schließlich habe das Landgericht den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt, rügten die Karlsruher Richter. Es habe noch nicht einmal den Ehemann persönlich angehört. Das muss das Gericht nun nachholen und den Betreuer dann neu bestimmen.

Willensäußerung muss möglich sein

Im zweiten Fall stellte der BGH klar, dass auch eine festgestellte "erheblich beeinträchtigte Willensbildung" nicht ausreicht, um den Willen einer Betroffenen übergehen zu können. So dürfe ein Betreuer nicht gegen den Willen der Betroffenen, hier eine psychisch kranke Frau, bestellt werden, wenn gar nicht klar ist, ob sie nicht doch teilweise einen freien Willen äußern könne. Eine "erheblich beeinträchtigte Willensbildung" reiche nicht aus, um einen Betreuer über den Kopf der Betroffenen hinweg zu bestellen, entschied der XII. Zivilsenat des BGH.

Sollen die Aufgabenkreise einer bereits bestehenden Betreuung erweitert werden, muss demnach geprüft werden, ob der bisherige Betreuer dafür infrage kommt oder nicht doch ein Betreuerwechsel angebracht wäre, entschied der BGH im dritten Verfahren. Äußert die betreute Person den Wunsch, dass die neuen Aufgaben eine andere Person übernehmen soll, muss das zuständige Gericht in einem solchen Fall "unter Beachtung des Betreuervorschlags gegebenenfalls eine Mitbetreuung einrichten". Alternativ könne die Erweiterung des Aufgabenkreises Anlass für eine Überprüfung hinsichtlich der bereits bestehenden Betreuung sein, hieß es.

Az.: XII ZB 589/17 (Betreuervorschlag)

Az.: XII ZB 540/17 (freier Wille)

Az.: XII ZB 547/17 ((Aufgabenkreis)

Frank Leth

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