sozial-Branche

Arbeitslosigkeit

Sozialverbände verlangen höhere Hartz-IV-Leistungen




Geringe Hartz-IV-Sätze führen auch zu großer Nachfrage bei den Tafeln, wie hier in Frankfurt.
epd-bild/Thomas Lohnes
Caritas, Diakonie und Arbeiterwohlfahrt dringen auf eine andere Berechnung der Hartz-IV-Sätze, in deren Folge deutlich höhere Leistungen gezahlt werden müssten. Die Grünen unterstützen das Vorhaben, das zu einem rund 150 Euro höheren Regelsatz für Einzelpersonen führen würde.

Nach Berechnungen der Diakonie liegt der tatsächliche Bedarf für Alleinstehende und Alleinerziehende rund 150 Euro höher, was zu einem Regelsatz von 560,23 Euro führen würde. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie nannte es am 18. Mai in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" "willkürlich und unsachgemäß", dass Einzelansprüche in den vergangenen Jahren vom Gesetzgeber herausgerechnet worden seien.

Die Bundesregierung hat laut einem Bericht des TV-Magazins "Monitor" in den vergangenen Jahren den Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger systematisch nach unten gerechnet. Auf diese Weise spare sie jährlich rund zehn Milliarden Euro, berichtete das Magazin am 17. Mai.

Grund für den zu niedrigen Regelsatz seien fragwürdige Berechnungen des Existenzminimums, die bestimmte Ausgaben wie etwa für Alkohol, Tabak, Verkehrsmittel oder Reisen nicht vollständig berücksichtigten, hieß es. Außerdem gelten als Referenzgruppe zur Ermittlung des Existenzminimums seit 2011 nicht mehr die einkommensschwächsten 20 Prozent der Bevölkerung, sondern nur noch 15 Prozent.

Neher fordert flexiblen Aufschlag zu Hartz IV

Caritas-Präsident Peter Neher kritisierte dieses Vorgehen als "nicht nachvollziehbar". Der Chef des katholischen Wohlfahrtsverbandes sprach sich in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" dafür aus, Hartz-IV-Empfängern zudem einen flexiblen Aufschlag für besondere Ausgaben zu zahlen, etwa für Reparaturkosten an Elektrogeräten.

Lilie sagte, die Streichungen würden vor allem die zwei Millionen Kinder in Deutschland treffen, die in Familien leben, die Hartz IV beziehen. "Malstifte, ein Eis im Sommer, Zimmerpflanzen oder ein frischer Blumenstrauß, ein Weihnachtsbaum oder eine Haftpflichtversicherung - wer Sozialleistungen erhält, soll darauf verzichten müssen", sagte der Präsident des evangelischen Verbandes. Das sei nicht akzeptabel.

Der AWO-Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler erklärte, es sei beschämend, "bei den Ärmsten der Armen zu tricksen, um zu sparen". Das zeige wieder ganz deutlich, dass das aktuelle System der Grundsicherung, also HartzIV, nicht funktioniere.

AWO legt 20-Punkte-Plan vor

Die AWO fordert deshalb eine einfachere, transparentere und betroffenenorientiertere Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sie müssten zuverlässiger nachvollziehen können, welche Ansprüche ihnen zustehen und welche Institution verantwortlich ist. Dazu fehle aber bis heute ein Konzept, so Stadler.

Die AWO hat deshalb 20 Forderungen für eine Grundsicherung im Sinne der Betroffenen entwickelt. Ziel sei "eine betroffenenzentrierte Reform des SGB II, die soziale Situation und Rechtsstellung der Leistungsbeziehenden stärkt und damit auch die Servicequalität der Jobcenter verbessert".

Zu den Vorschlägen gehört unter anderem, die Regelbedarfe bedarfsgerecht zu berechnen, das Bedürfnis der Empfänger nach Mobilität finanziell zu berücksichtigen und die realen Kosten für die Wohnungen zu erstatten. Zudem sollten die Sanktionsregelungen im SGB II überarbeitet werden und im Fall für unter 25-Jährige abgeschafft werden. Auch wirbt die AWO für Jobs in einem sozialen Arbeitsmarkt und sie Einführung einer einkommensabhängigen und bedarfsgerechten Kindergrundsicherung.

Grüne unterstützen Forderungen der Verbände

Sven Lehmann, Sprecher für Soziales der Grünen im Bundestag sagte, die Forderung nach höheren Regelsätzen werde zurecht erhoben. Die Hilfen seien "weit davon entfernt ein Existenzminimum zu garantieren, das ein Leben in Würde sowie soziale Teilhabe ermöglicht". Dass die Hartz IV-Regelsätze so niedrig sind wie sie sind, ist politisches Kalkül auf Kosten der Betroffenen.

Sozialminister Hubertus Heil (SPD) dürfe die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen "und ist bei der nächsten Regelsatzberechnung gefordert die statistischen Rechentricks über Bord zu werfen und die Referenzgruppe der unteren 20 Prozent wieder als Maßstab zu nehmen". Statt Hartz IV brauche Deutschland eine neue Garantiesicherung, die sanktionsfrei, möglichst unbürokratisch und armutsfest sei, sowie einen Anspruch auf Qualifizierung und Weiterbildung garantiere.

Dirk Baas

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