sozial-Politik

Arbeitslosigkeit

Deutlich weniger Hartz-IV-Haushalte




Ein Antragsteller beim Ausfüllen der Hartz-IV-Papiere.
epd-bild/Norbert Neetz
In die Debatte um das strittige Hartz-IV-Gesetz meldet die Bundesagentur für Arbeit (BA) einen deutlichen Rückgang bei der Zahl der Leistungsempfänger. Danach beziehen weniger als drei Millionen Haushalte die Grundsicherung. Der Chef der BA wirbt für eine moderate Reform der Unterstützungsleistungen, der Paritätische indes für eine Radikalreform.

Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger geht nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) deutlich zurück. Erstmals seit der Einführung der Arbeitsmarktreform lebten im November weniger als drei Millionen Haushalte von der Grundsicherung, wie die Bundesagentur am 4. Januar in Nürnberg mitteilte. Im Dezember sank die Zahl der Hartz-IV-Bezieher weiter. BA-Chef Detlef Scheele (SPD) sagte, er sehe keine Notwendigkeit für eine grundlegende Hartz-IV-Reform, wohl aber für Korrekturen. CDU und FDP nannten Hartz IV ein "erfolgreiches System". Der Paritätische warnte indes vor Augenwischerei.

Die Bundesagentur verzeichnete im Dezember rund 2,995 Millionen sogenannte Bedarfsgemeinschaften. Das sind 5,7 Prozent weniger als ein Jahr zuvor und 17 Prozent weniger als 2008. In den Hartz-IV-Haushalten lebten im Dezember 2018 zusammen gut 5,9 Millionen Menschen, wie die BA weiter mitteilte. Das waren 281.000 weniger als ein Jahr zuvor. Auch die Zahl der einzlnen Leistungsberechtigten ging zuletzt stetig zurück. Vom Oktober 2018 bis zum Dezember 2018 sank sie von 3,01 Millionen Personen auf 2,95.

Scheele: System funktioniert

Der Chef der Bundesagentur wertet den Rückgang der von Hartz IV abhängigen Haushalte als Beleg für eine funktionierende Grundsicherung. Viele ehemalige Hartz-IV-Bezieher hätten Arbeit gefunden oder seien in Rente gegangen, sagte Scheele in Nürnberg. Die Unterbeschäftigung, die auch Personen in Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik und in kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit mitzählt, belief sich nach seinen Angaben 2018 durchschnittlich auf 3.286.000 Personen. Das waren 231.000 weniger als im Vorjahr. Da die Entlastung durch die Arbeitsmarktpolitik geringer war als vor einem Jahr, ist die Unterbeschäftigung im Jahresdurchschnitt stärker zurückgegangen als die Arbeitslosigkeit, so Scheele.

Für den sozialpolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Weiß, zeigen die Zahlen, dass "es keinen Grund für eine größere Reform oder gar die Abschaffung von Hartz IV gibt". Umfassende Änderungen, etwa bei Sanktionen, gefährdeten die Erfolge: "Wir haben mit diesem System über 1,1 Millionen Empfänger aus der Arbeitslosigkeit geholt", sagte Weiß.

"Wir haben mit diesem System über 1,1 Millionen Empfänger aus der Arbeitslosigkeit geholt", sagte der Unionspolitiker. "Dazu brauchen die Jobcenter-Mitarbeiter weiterhin die Möglichkeiten, die sie auch bis heute erfolgreich nutzen." Wenn Fachleute, wie etwa der Chef der Bundesagentur, von einem Systemwechsel abrieten, dann sollte die Politik das nicht besserwisserisch ignorieren.

Kober: Hartz IV nicht antasten

Der sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Pascal Kober, nannte es vollkommen unverständlich, dass Politiker von SPD und Grünen Hartz IV abschaffen wollen. "Stattdessen muss Hartz IV weiter verbessert werden, beispielsweise durch eine maßvolle Ausweitung des Schonvermögens und motivierendere Hinzuverdienstgrenzen. Denn wer sich anstrengt, muss dafür belohnt werden", forderte Kober: "Dass immer weniger Haushalte und Personen auf Hartz IV angewiesen sind, zeigt klar, dass das System erfolgreich funktioniert."

BA-Chef Scheele sprach sich ebenfalls für Reformen am Hartz-IV-Gesetz aus. Er plädierte für eine Vereinfachung des Leistungsrechts und für ein Ende härterer Sanktionen von Hartz-IV-Beziehern unter 25 Jahren. Die Sanktionen für Jüngere sollten an diejenigen für ältere Hartz-IV-Bezieher angeglichen werden, sagte Scheele. Die Abschaffung des umstrittenen Gesetzes lehnte er ab.

Scheele wehrte sich gegen Vorwürfe, die Jobcenter drangsalierten Langzeitarbeitslose. Auch zwängen die Jobcenter die Langzeitarbeitslosen nicht, jede Stelle anzunehmen. Vielmehr würden oftmals zweijährige Umschulungsmaßnahmen einer Arbeitsstelle vorgezogen, um auf diese Weise eine "nachhaltige Integration am Arbeitsmarkt zu erzielen", sagte Scheele.

Kindergrundsicherung gefordert

Trotz der positiven Entwicklung bei der Grundsicherung seien "nach wie vor über eine Million erwerbstätige Menschen im Leistungsbezug, die trotz Arbeit mit Hartz IV aufstocken müssen", erklärte der Paritätische Wohlfahrtsverband. Der Sozialverband forderte eine Anhebung der Regelsätze für Erwachsene von derzeit 424 Euro auf 571 Euro und die Einführung einer existenzsichernden Kindergrundsicherung.

Geschäftsführer Werner Hesse sagte, der Anteil an Langleistungsbeziehenden habe aktuell sogar noch einmal zugenommen und unter den Hilfebeziehern seien allein knapp zwei Millionen Kinder und über eine Million Aufstocker. "Die positive Entwicklung kann also nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hartz IV nach wie vor für Hunderttausende Langzeitarbeitslose eine Sackgasse ist, die Kinderarmut anhaltend hoch ist und noch immer über eine Million erwerbstätige Menschen im Leistungsbezug sind, die trotz Arbeit mit Hartz IV aufstocken müssen."

Der Rückgang der Zahlen könne auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hartz IV für all jene, die nach wie vor darauf angewiesen sind, ein Leben in Armut bedeutet. Er forderte "eine grundlegende Totalreform, eine menschenwürdige Neuausrichtung der Grundsicherung für Arbeitsuchende".

Markus Jantzer, Dirk Baas