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Kriminalität

Abstinenz statt Knast




Prozesse vor Gericht vermeiden: Das kann der Täter-Opfer-Ausgleich leisten (Archivbild aus München).
epd-bild/Michael Dalder/dpa-Poolfoto
Beim Täter-Opfer-Ausgleich kommt alles auf die Gespräche an. Hat das Verfahren unter Beteilung von Mediatoren Erfolg, wird ein Gerichtsverfahren überflüssig. Doch der Täter-Opfer-Ausgleich ist wenig bekannt. Eine Infokampagne soll das ändern.

Eigentlich war er kein starker Trinker. Doch kurz nach Silvester ließ sich Clio T.s (Name geändert) Mann bei einer Party richtig volllaufen. Sturzbetrunken fing er daheim einen Streit an - und ging dann mit einer Machete auf seine Familie los. Tochter und Frau wurden verletzt. Die Sache kam vor Gericht.

"Doch ich wollte nicht, dass mein Mann ins Gefängnis wandert", sagt Clio T. Auf Anraten des Richters ließ sich die 51-Jährige aus München auf einen Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) ein. Für sie ist bis heute unglaublich, was vor knapp einem Jahr passiert ist: "So hatte ich meinen Mann noch nie zuvor erlebt."

Im Nachhinein weiß sie, dass sich bis zu diesem Zeitpunkt viele unausgesprochene Konflikte angestaut hatten: "Wir hatten nie viel miteinander geredet." Wie wichtig es in einer Partnerschaft ist, sich auszutauschen, das wurde Clio T. nicht zuletzt durch die Gespräche mit ihrer Mediatorin vom Münchner Verein "Brücke" klar. Der Verein begleitete sie und ihren Mann beim Täter-Opfer-Ausgleich.

Sicht der Opfer kommt zum Tragen

Im Vergleich zu einem Verfahren vor Gericht bietet der Ausgleich den Opfern viele Vorteile, sagt Evi Fahl vom Kölner Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich des Fachverbands für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik: "Das Opfer kann dem Täter schildern, wie es sich gefühlt hat." Das tat auch Clio T.

Um sich auf das Gespräch mit dem gewalttätigen Ehemann vorzubereiten, suchte sie zuvor ihre Mediatorin zweimal auf. Auch ihr Mann ging wiederholt zu einem "Brücke"-Mediator. Danach setzen sich alle an einen Tisch, um im Dialog eine Vereinbarung abzuschließen, die die Strafe ersetzt. Clio T. verlangte von ihrem Mann, dass er nie wieder Alkohol trinkt und sich auf eigene Kosten einem Anti-Aggressions-Training unterzieht. Die Vereinbarung wurde schriftlich festgehalten. Bis heute hält sich der geläuterte Täter an die Abmachung. Würde er sie brechen, könnte das Gerichtsverfahren wieder aufgenommen werden.

Der Täter-Opfer-Ausgleich wurde 1994 eingeführt. Schätzungen zufolge werden pro Jahr zwischen 20.000 und 30.000 Konflikte mit Hilfe einer Mediation gelöst. Damit wird das Verfahren nicht einmal bei einem Prozent aller ermittelten Straftaten angewendet. Experten gehen jedoch davon aus, dass der Ausgleich zwischen Opfer und Täter bei zehn Prozent aller Fälle erfolgversprechend wäre.

TOA ist oft noch nicht bekannt

"Bis heute wissen viele Menschen nicht, was sich hinter einem TOA verbirgt", meint Christoph Willms, ebenfalls Mitarbeiter im Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich. Wenn es zu einem Täter-Opfer-Ausgleich kommt, werde er meist von der Staatsanwaltschaft angeregt: "Das betrifft mehr als 70 Prozent der Fälle." In nur zwei Prozent ergreifen die Betroffenen selbst die Initiative.

Seit zehn Jahren herrscht in Sachen Täter-Opfer-Ausgleich Stillstand, berichtet Fahl. Das soll sich ändern. Jüngst kündigte das Servicebüro eine bundesweite TOA-Kampagne an, die 2019 starten und bis 2025 laufen soll. Der Plan: In Fußgängerzonen soll zusammen mit den 450 deutschen TOA-Fachstellen auf den Täter-Opfer-Ausgleich hingewiesen werden.

Erfolgreiche Arbeit seit 1992

Der Verein "Waage" in Hannover wendet die Mediationen mit Erfolg an. "Wir bearbeiten seit 1992 zwischen 400 und 500 TOA-Fälle jährlich", informiert Mediator Lutz Netzig. Ob der Ausgleich gelingt, hänge davon ab, inwieweit die Betroffenen bereit sind, sich auseinanderzusetzen: "Manche Menschen geben die Verantwortung lieber an andere ab, an Rechtsanwälte, Richter oder andere Experten."

Die Bereitschaft zum Einigungsversuch ist Netzig zufolge oft die halbe Miete: "Was letztlich eine 'gute' Lösung ist, das entscheiden die Betroffenen selbst." Teilweise tun sie das nach Rücksprache mit ihren Anwälten. Manchmal sei er als Mediator überrascht, was die Menschen als ein gerechtes Ergebnis erachten: "Aber um mich geht es ja nicht." Netzig achtet allerdings darauf, dass Täter und Opfer ausreichend Bedenkzeit bekommen: "Und dass die Ergebnisse am Ende konkret genug formuliert sind, damit im Nachhinein keine Missverständnisse auftauchen."

Ein Täter-Opfer-Ausgleich ist laut Netzig kein Allheilmittel. Aber: Bei der "Waage" nehmen rund 60 Prozent der Geschädigten und Beschuldigten das Angebot einer Gesprächsmediation an. Sind beide Parteien zum Einigungsversuch bereit, kommt es in über 90 Prozent der Fälle auch zur Einigung.

Pat Christ