sozial-Branche

Flüchtlinge

Gastbeitrag

"Wir möchten wieder ein normales Familienleben führen"




Verena Mörath
epd-bild/Uwe Lenhardt
Für Flüchtlinge mit Kindern ist ein Neuanfang in Deutschland besonders schwer. Verena Mörath hat im Vorjahr eine Studie im Auftrag des Berliner Beirats für Familienfragen erstellt, in der sie der Frage nachging, wie die Lebenssituation von geflüchteten Familien geprägt ist. In epd sozial stellt sie die Ergebnisse vor.

"Meine Tochter lebt noch in Eritrea, mein Mann im Sudan. Das lässt mir keine Ruhe." "Meine zwei Kinder gehen zur Schule, ich habe Arbeit. Aber jeden Tag habe ich Angst, dass wir doch ausreisen müssen." Diese und viele andere Sorgen bewegen Flüchtlinge, die mit ihren Kindern aus Afrika oder Asien nach Deutschland ausgewandert sind und vom Berliner Beirat für Familienfragen zu ihrer Lebenssituation in einer Studie befragt worden sind.

Geflüchtete Eltern sind nach ihrer Ankunft besonders gefordert, da sie nicht nur für sich selbst sorgen müssten, sondern auch das Wohlbefinden ihrer Kinder im Auge haben müssten. Das ist eine der Erkenntnisse der Untersuchung. Für die Eltern gilt es, das Familienleben in einer fremden Umgebung und meist ohne Deutschkenntnisse zu organisieren und ein gesundes familiäres Gleichgewicht aufrechtzuerhalten oder nach der Flucht wieder herzustellen.

Es fehlt allenthalben an Daten

"Es gibt noch wenig gesicherte Daten über die Familien von Geflüchteten, ihre Zusammensetzungen, Merkmale oder besonderen Bedürfnisse", beschreibt Karlheinz Nolte, Vorsitzender des Berliner Beirat für Familienfragen, in der Studie die Wissenslücken. Der Beirat, der den Berliner Senat in Fragen der Familienpolitik berät, erhofft sich, "dass die aus der Studie gewonnenen Erkenntnissen helfen werden, die Unterstützungssysteme in Berlin zielführender und bedarfsgerechter für Familien mit Fluchthintergrund zu organisieren".

Die Untersuchung richtete den Blick auf materielle und soziale Aspekte der Lebenssituation geflüchteter Familien: Ihren Aufenthaltsstatus, ihre Wohnsituation, ob der Spracherwerb gelingt und sie Arbeit finden, wie gut ihre Kinder im Bildungssystem ankommen, wie ihr Zugang zur Gesundheitsversorgung und wie gut ihr Kontakt in die Stadtgesellschaft ist.

Familien kommen direkt zu Wort

In der Studie kommen Flüchtlingsfamilien selbst zu Wort. So wurden sieben Familien mit 27 Kindern und Erwachsenen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran und Albanien befragt. Darunter waren verheiratete Eltern und Alleinerziehende. Die Perspektive der Geflüchteten wurde ergänzt durch Interviews mit mehr als 20 haupt- und ehrenamtlichen Expertinnen und Experten aus der regionalen Flüchtlingsarbeit.

Für den Beiratsvorsitzenden Nolte ist eine wichtige Erkenntnis der Studie, dass geflüchtete Familien insbesondere dort große Probleme haben, wo die Wohnraumsituation angespannt und die Suche nach einem Kitaplatz schwierig ist.

Die Folge: Vor allem große Familien müssen über Jahre in Gemeinschaftsunterkünften bleiben. Nicht nur der knappe Wohnraum, auch Vorbehalte der Vermieter gegenüber Geflüchteten behindern eine erfolgreiche Wohnungssuche. "Unser größter Wunsch ist eine eigene Wohnung, aber ich suche seit über einem Jahr. Wenn ich anrufe und sage, dass wir aus Afghanistan kommen und durch das Jobcenter unterstützt werden, wird gesagt, wir arbeiten nicht mit dem Jobcenter zusammen", wird ein 19-Jähriger Afghane, ältester Sohn in der sechsköpfigen Familie in der Studie zitiert.

"Eine Wohnung, Kinderbetreuung, Spracherwerb und Arbeit stehen für Frauen und ihre Familien an erster Stelle der Wunschliste", weiß Barbara Scheffer, Koordinatorin des Berliner Projekts "Charité für geflüchtete Frauen: Women for Women". Ein syrischer Vater drückt simpel aus, was er sich und seiner Familie wünscht: "Der Krieg hat unser Leben umgekehrt. Wir möchten einfach wieder ein ganz normales Familienleben führen können."

Verena Mörath ist Ethnologin und Autorin war bis 2018 stellvertretende Vorsitzende des pro familia Bundesverbandes


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