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Flüchtlinge

Interview

Forscherin: Trennung von der Familie hemmt die Integration




Diana Schacht
epd-bild/DIW Berlin/Florian Schuh
Der intakte Familienverband ist für die Integration von Flüchtlingen äußerst wichtig, sagt Diana Schacht vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Eine längere Familientrennung kann zu einem Integrationshindernis werden", betont die Wissenschaftlerin.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hat in verschiedenen Studien die Lebenslagen von Geflüchteten, die zwischen 2013 und 2016 in Deutschland angekommen sind, untersucht. Dabei stehen die Themen Spracherwerb, Arbeitsmarktintegration und Lebenszufriedenheit im Mittelpunkt. Mit der Sozialwissenschaftlerin Diana Schacht, die dazu beim DIW forscht, sprach Verena Mörath über getrennte Flüchtlingsfamilien.

epd sozial: Sie haben 2018 eine Studie zur Lebenssituation von Geflüchteten und deren Familienstrukturen durchgeführt. Dafür wurden Daten von 3.400 Erwachsenen zwischen 18 und 49 Jahren in Deutschland ausgewertet. Welche Erkenntnisse lieferte die Erhebung?

Diana Schacht: Wir haben herausgefunden, dass knapp die Hälfte der Geflüchteten verheiratet ist und diese durchschnittlich zwei minderjährige Kinder haben. Knapp zehn Prozent gaben an, dass noch mindestens eines ihrer minderjährigen Kinder im Ausland lebt. Zwölf Prozent haben eine Ehepartnerin oder einen Ehepartner und rund 86 Prozent haben Geschwister im Ausland. Rund die Hälfte der Männer ist allein in Deutschland eingereist. Die weiblichen Befragten sind zu 81 Prozent im Familienverband eingereist.

epd: Welche Folgen hat eine längere Familientrennung für die Betroffenen?

Schacht: Wir haben danach gefragt, wie zufrieden die Geflüchteten ihr Leben im Allgemeinen zum Zeitpunkt der Erhebung selbst einschätzten, wie ihr Wohlbefinden ist. Unser Befund war eindeutig: Eine Trennung von nahen Familienmitgliedern geht nachweislich mit einer größeren Unzufriedenheit einher. Geflüchtete mit Kindern im Ausland waren besonders unzufrieden und schätzten ihr Wohlbefinden gering ein.

epd: Wie wirkt sich die Unzufriedenheit auf das Leben, den Alltag der Geflüchteten in Deutschland aus?

Schacht: Aus der bisherigen Forschung wissen wir, dass eine größere Unzufriedenheit etwa die Integration in die Aufnahmegesellschaft und in den Arbeitsmarkt sowie die Teilhabe am öffentlichen Leben nachteilig beeinflussen kann. Auch wirkt sich die Lebenszufriedenheit von Eltern auf die Entwicklung der Kinder aus. Eine längere Familientrennung kann deshalb zu einem Integrationshindernis werden. Die Ungewissheit und Sorge um die Dagebliebenen, vor allem um minderjährige Kinder im Herkunfts- oder in einem Transferland belastet sehr. Wenn viel Kraft und Zeit in den Familiennachzug investiert werden, bleiben weniger Ressourcen für Spracherwerb, Wohnungs- und Arbeitssuche oder soziale Teilhabe übrig.

epd: Welche Handlungsempfehlungen sprechen Sie angesichts der Untersuchungsergebnisse aus?

Schacht: Unserer Meinung nach brauchen Familien niedrigschwellige und alltagsorientierte unterstützende Maßnahmen, die über Integrations- und Sprachkurse hinausgehen. Es muss Angebote für Geflüchtete geben, deren nahen Angehörigen noch im Herkunftsland oder im Ausland leben, damit sie die Familientrennung emotional und seelisch verkraften können. Ein zeitnaher Familiennachzug könnte natürlich entlasten und die Integrationsmotivation von Geflüchteten befördern und den integrationshemmenden Moment der Familientrennung abschwächen.



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