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Nach Aus für Pflegekammer: Sozialministerium soll es richten



Der jahrelange, erbittert geführte Streit um die Pflegekammer in Niedersachsen ist entschieden: Die meisten Mitglieder lehnen die Kammer ab. Damit sind ihre Tage gezählt. Was kommt nun an ihrer Stelle?

Nach dem Scheitern der Pflegekammer Niedersachsen sehen die Kammergegner das Sozialministerium in der Pflicht. Die Pflegeexpertin der Gewerkschaft ver.di in Niedersachsen, Aysun Tutkunkardes, forderte Sozialministerin Carola Reimann (SPD) am 9. September im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf, nun zeitnah einen Runden Tisch einzuberufen. An dem Expertengremium sollten neben dem Ministerium und ver.di auch die Berufsverbände und der niedersächsische Pflegerat beteiligt werden. "Keinesfalls jedoch die Arbeitgeberverbände", unterstrich die Gewerkschaftssekretärin.

Ver.di dringt auf Gespräche

Tutkunkardes räumte ein, "es war nicht alles schlecht, was die Pflegekammer hervorgebracht hat". Erstmals gebe es eine Übersicht über die Pflegekräfte in Niedersachsen. Die gewonnenen Daten sollten vom Ministerium sinnvoll genutzt werden. Auch die Verwaltung der Daten sowie die Aufsicht über Fort- und Weiterbildung und die Zertifizierung solcher Bildungsangebote in der Pflege sollte beim Ministerium liegen. Über alle weiteren Fragen sollte der Runde Tisch entscheiden. Landesweit seien rund 20 Prozent der Pflegekräfte gewerkschaftlich organisiert. "Wir sind gesprächsbereit", sagte Tutkunkardes.

"Es gibt noch keinen konkreten Plan, wie es jetzt weitergehen soll", sagte der Initiator einer bundesweiten Online-Petition gegen die Pflegekammer, Stefan Cornelius auf Nachfrage. Um die Pflege attraktiver zu machen und eine starke Lobby aufzubauen, sollten sich aus seiner Sicht nun alle Interessensvertreter, also Aktivisten, Gewerkschaften, Pflegeverbände, Politik und auch die Arbeitgeberverbände zusammensetzen, sagte der Gesundheits- und Krankenpfleger aus Berge im Emsland. Seine Petition erhielt mehr als 50.000 Unterschriften.

Die Noch-Präsidentin der Pflegekammer, Nadya Klarmann, warf den Kammergegnern vor, ein wichtiges Instrument für die Verbesserung der Pflege "zerstört" zu haben, noch bevor die Kammer mit ihrer eigentlichen Arbeit habe beginnen können. Dabei machte sie im Gespräch mit dem epd auch die rot-schwarze Landesregierung mitverantwortlich.

"Es geht um Macht und nicht um die Pflege"

Erst vor kurzem sei mit Vertretern der Parteien überlegt worden, wie noch etwas gerettet werden könne, berichtete Klarmann. Dabei sei auch eine Kammer mit Pflichtmitgliedschaft diskutiert worden, aus der die Mitglieder auf Antrag austreten können. Diese Option habe jedoch keine Unterstützung erfahren.

Das Fazit der Präsidentin klang verbittert: "Es geht um Macht und nicht um die Pflege." Dass sie das Abstimmungsergebnis der vom Ministerium initiierten Umfrage zur Zukunft der Pflegekammer erst aus den Medien erfahren habe, unterstreiche dies.

Die Pflegekammer Niedersachsen besteht seit 2017, sie ist die dritte und größte ihrer Art in Deutschland. SPD und CDU hatten die Evaluation der Kammer im Koalitionsvertrag zur Hälfte der Legislaturperiode vereinbart. Am 6. September endete die Umfrage unter den insgesamt rund 78.000 Pflegekammer-Mitgliedern mit einer deutlichen Niederlage für die Kammerbefürworter.

Seit der Gründung war es immer wieder zu Protesten gegen die Einrichtung gekommen. Der Widerstand richtete sich vor allem gegen die Zwangsmitgliedschaft und die ursprünglich geplanten Pflichtbeiträge. Mitte Juni hatten sich die Kammer und die Landesregierung darauf geeinigt, dass für das Jahr 2020 keine Beiträge erhoben werden.

Jörg Nielsen


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