sozial-Recht

Bundesverfassungsgericht

Häftlinge müssen Beobachtung ohne Anlass nicht hinnehmen



Häftlinge in einer Gemeinschaftszelle dürfen laut Bundesverfassungsgericht nicht ohne jeglichen Anlass über ein Sichtfenster vom Gefängnispersonal immer wieder beobachtet werden. Denn auch eine Justizvollzugsanstalt (JVA) muss grundsätzlich die Privat- und Intimsphäre eines Gefangenen wahren und ist bei der Einsichtnahme in den Haftraum an das Willkürverbot gebunden, wie das Gericht in einem am 11. Januar veröffentlichten Beschluss entschied. Gerichte müssten daher vom Häftling vorgebrachten entsprechenden Beschwerden auch nachgehen, forderten die Karlsruher Richter.

Im Streitfall ging es um einen mittlerweile aus der Haft entlassenen Mann, der im Jahr 2019 über einen Zeitraum von zweieinhalb Monaten zusammen mit fünf weiteren Personen in einer Gemeinschaftszelle untergebracht war. In der Wand zur Zelle war ein Sichtfenster angebracht, dessen Vorhang von außen aufgezogen werden konnte. Das Fenster wurde auch als sogenannte Kostklappe genutzt.

Ständig beobachtet

Der Häftling rügte, dass ohne jeglichen Anlass das JVA-Personal, darunter auch Frauen, mindestens 20 Mal über das Fenster in den Haftraum gesehen hätten. Selbst andere Gefangene hätten von außen in die Zelle hineingesehen. Die anlasslosen Einsichtnahmen führten zu einem Gefühl, ständig beobachtet zu werden. Dies greife in seine Intimsphäre ein und sei auch nicht verhältnismäßig.

Das Landgericht Amberg hatte mit der anlasslosen Kontrolle keine Probleme. Es sei "gerichtsbekannt", das es in Gemeinschaftszellen häufig zu Aggressionen zwischen den Häftlingen oder mitunter zu Selbsttötungen komme, hieß es. Stichprobenartige Kontrollen wirkten vorbeugend. Gefangene könnten sich für ihre Privatsphäre ja in den Toilettenraum zurückziehen. Ob die Einsichtnahmen tatsächlich stattfanden, wurde vom Gericht nicht geprüft.

Dies beanstandete das Bundesverfassungsgericht. Zwar könne sich ein in einer Zelle untergebrachter Gefangener nicht auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung berufen. Er habe aber grundsätzlich Anspruch auf Achtung seiner Privat- und Intimsphäre. Anlasslose Einsichtnahmen in den Haftraum verstießen gegen das Willkürverbot und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, "die ein schonendes Vorgehen gebieten". Zu Unrecht habe das Landgericht daher die Beschwerden des Mannes nicht weiter geprüft. Dies müsse das Gericht nun nachholen.

Az: 2 BvR 2194/19