Ausgabe 28/2016 - 15.07.2016
Karlsruhe (epd). Nach der Entscheidung der Karlsruher Richter dürfen Beschäftigte mit besonderem Kündigungsschutz bei Massenentlassungen nicht benachteiligt werden. Das Bundesverfassungsgericht hob damit ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt als frauendiskriminierend auf.
Im konkreten Fall war die Klägerin als "Ticketing/Reservation Agent" bei einer früheren griechischen Fluggesellschaft beschäftigt, die in Zahlungsschwierigkeiten geriet. Im Dezember 2009 zeigte die Fluglinie bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Massenentlassung aller Beschäftigten in Deutschland an. Kurz darauf gingen die Kündigungen raus.
Da die Klägerin sich noch in Elternzeit befand und damit grundsätzlich Kündigungsschutz besteht, musste die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde der Kündigung erst zustimmen. Da die Zustimmung erst nach der Massenentlassung ihrer Kollegen eintrudelte, wurde der Frau verspätet im März 2010 gekündigt.
Die Massenentlassungen des Unternehmens wurden vom BAG für unwirksam erklärt, weil der Betriebsrat nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, informiert worden war. Die Kündigung der Klägerin sei dagegen wirksam. Diese sei wegen der Elternzeit nicht im Rahmen der Massenentlassung erfolgt, so dass die BA und der Betriebsrat auch nicht über ihre Kündigung hätten informiert werden müssen, urteilte das BAG.
Das Bundesverfassungsgericht entschied: Die Beschwerdeführerin werde in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung verletzt, indem sie im Zusammenhang mit ihrer Elternzeit "vom Anwendungsbereich des Massenentlassungsschutzes" ausgeschlossen wird.
Laut BAG gelte der Schutz bei Massenentlassungen - hier die Pflicht des Arbeitgebers, die BA und den Betriebsrat zu informieren - zwar auch für Arbeitnehmer in Elternzeit. Nach dem Kündigungsschutzgesetz muss der Arbeitgeber die BA informieren, bevor er die Arbeitnehmer innerhalb von 30 Tagen entlässt. Da aber bei einer Entlassung während der Elternzeit erst die für den Arbeitsschutz zuständige Landesbehörde informiert werden muss, führt das Abwarten auf die behördliche Erklärung dazu, dass die Kündigung erst außerhalb des für eine Massenentlassung relevanten 30-Tage-Zeitraums ausgesprochen werden kann, so das BAG.
In Elternzeit befindliche Arbeitnehmer könnten sich dann nicht mehr auf die Schutzvorschriften bei einer Massenentlassung berufen, rügte das Bundesverfassungsgericht. Dies führe zu einem "geringeren Schutzniveau" für Personen in Elternzeit, "die nach dem Willen des Gesetzgebers besonders schutzwürdig sind und deshalb besonderen Kündigungsschutz genießen".
Es liege eine "faktische Benachteiligung wegen des Geschlechts" vor. Denn gerade Frauen würden besonders häufig in Elternzeit gehen und könnten dann von den Schutzvorschriften bei einer Massenentlassung nicht profitieren.
Dabei lasse sich die Benachteiligung vermeiden. So könne die 30-Tage-Frist als gewahrt gelten, wenn bereits der Kündigungsantrag des Arbeitgebers bei der zuständigen Landesbehörde für Arbeitsschutz innerhalb dieses Zeitraums erfolgt.
Az.: 1 BvR 3634/13