sozial-Branche

Medien

Die elektronische Suchtfessel sprengen




Immer mehr Jugendliche leiden an Computerspiel- und Internetsucht. (Archivbild)
epd-bild/Jürgen Sleegers
Soziale Netzwerke, Online-Spiele, Googeln: Alles kann zur elektronischen Suchtfessel werden. Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche. Hilfe für junge Internetsüchtigen bietet die Tübinger Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Der Suchtbericht 2016 der Bundesregierung enthält alarmierende Zahlen: In Deutschland zeigen bei den 14- bis 24-Jährigen etwa 2,4 Prozent - das sind 250.000 Betroffene - Zeichen einer Internet-Abhängigkeit. Bei den 14- bis 16-Jährigen seien es sogar vier Prozent. "Es wird alles andere gestrichen. Essen, sich mit Freunden treffen und in die Schule gehen, bleiben auf der Strecke", erklärt Psychologin Isabel Brandhorst, die in Tübingen ein Mal pro Woche Internetsüchtige therapiert.

Eltern können sich seit mehr als zehn Jahren an die Tübinger Kinder- und Jugendpsychiatrie wenden, wenn sie Hilfe für internetgefährdete Kinder brauchen. Die Spezialsprechstunde für Exzessive Mediennutzung und Computerspielsucht gehört zur Ambulanz der Klinik.

Trainieren, Pausen auszuhalten

Die Dauer des Aufenthalts im Internet allein sage noch nichts über die Suchtgefahr aus, meint Gottfried Barth, Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Tübingen. Denn man müsse das "Warum" erkennen und dabei gehe es oft "um Langeweile, die gefüllt werden will". Ein Punkt, der auch in der Therapie eine große Rolle spiele. "Es muss wieder trainiert werden, Pausen auszuhalten, anstatt ständig zu Daddeln", erläutert Isabel Brandhorst.

Für Barth ist die Internet-Sucht häufig nur ein Symptom für etwas anderes. Etwa Depressionen, die bei Kinder und Jugendlichen oft nicht erkannt würden. Oder die Aktivitäten im Netz dienten der Flucht aus der Realität, wenn den Jugendlichen echte Freunde fehlen und sie deshalb einsam seien.

Bis zu 16 Stunden sind die Süchtigen laut dem Bundes-Suchtbericht im Netz. Zwölf Stunden kennt Isabel Brandhorst als ihren extremsten Fall. Mädchen surfen dabei eher in sozialen Netzwerken, Jungs spielen dagegen häufiger Online-Computerspiele.

Ab wann eine Internetsucht besteht, legte eine Expertengruppe der American Psychiatric Association (APA) 2013 fest. Sie ermittelte neun Kriterien. Wenn fünf davon länger als ein Jahr auftreten, sprechen Experten von Sucht. Zwei der neun Aspekte sind, wenn sich die Gedanken ständig um Spiel-Episoden drehen und wenn es immer schwerer fällt, sich vom Netz trennen.

Offen, ob Internetverfügbarkeit die Suchtgefahr erhöht

Ob sich durch neue technische Möglichkeiten wie beispielsweise Smartphones, mit denen man ständig und überall im Netz unterwegs sein kann, das Suchtpotenzial vergrößert, halten die Experten für fraglich. Dazu zieht Barth einen Vergleich mit Alkoholkranken heran: "Alkohol ist auch ständig verfügbar. Doch die Zahl der Suchtkranken blieb in den letzten Jahren konstant."

"Ich bin mit meinen Schulnoten total abgesackt", habe ein Junge erklärt, warum er sich zur Therapie anmeldete. So einsichtige Internetsüchtige seien die Ausnahme, sagen die Tübinger Experten. Selbst Eltern wüssten manchmal nicht mehr weiter, so dass das Gericht eingeschaltet werde. Per Beschluss müssen diese Internetsüchtigen dann an einer Therapie teilnehmen. Besonders schwierige Fälle würden selbst diese Termine nicht einhalten. Die Unterbringung in der geschlossenen Klinik kann dann folgen.

Zur Therapie gehört, dass die jungen Leute auflisten, welche anderen Aktivitäten sie interessieren. Handwerkliches, Sport oder Surfbrett zählen zu den Alternativen. "Wenn wir den Patienten nur das Netz wegnehmen, entsteht ein Loch und dieses Vakuum müssen wir füllen", sagt Barth.

Bewusstgemacht werde den Teilnehmern auch, dass sich ihr Hirn regenerieren muss. "Das Gehirn hat verlernt, dass man auf andere Weise Positives erleben, also Spaß haben kann", meint Barth. Ein dritter Ansatz sei, gemeinsam mit dem Süchtigen Vereinbarungen zu treffen. Zeitliche Beschränkung des WLAN-Zugangs und ein gestellter Wecker, um den Zeitrahmen der Netznutzung einzuhalten, sind zwei Möglichkeiten.

Problem Dauersurfen ist neu hinzugekommen

In den Jahren seit Einrichtung der Beratungsstelle in Tübingen hat sich Einiges geändert. "Anfangs ging es nur um Computer-Spiele. Heute kommen andere Netzaktivitäten dazu", etwa Dauerchatten, das Surfen in sozialen Netzwerken oder allgemein im Internet, sagt Barth.

Seit 2008 bietet die Tübinger Klinik auch spezielle Beratungen für Alleinerziehende. "Für diese Personengruppe ist es besonders schwierig, ihren Kindern Grenzen zu setzen", meint Isabel Brandhorst.

Birgit Vey

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