Ausgabe 41/2016 - 14.10.2016
Münster (epd). Das "Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen" (PsychVVG) soll zum 1. Januar 2017 wichtige Weichenstellungen für die Vergütung der Behandlungsleistungen in psychiatrischen Krankenhäusern bringen. Der Kabinettsentwurf befindet sich derzeit in der parlamentarischen Beratung durch Bundestag und Bundesrat.
Dem aktuellen Gesetzentwurf vorausgegangen war das sogenannte "PEPP-System". Dieses "Preisschild" war auf massive und vielstimmige Kritik von Fachgesellschaften und Verbänden gestoßen. Es sah vor, die Vergütung vorrangig an den Diagnosen (PEPP-Ziffern) der behandelten Patienten auszurichten und diesen bestimmte Preise in Form von Relativgewichten zuzuordnen. Die Erlöse der Klinik hätten sich als Summe aller PEPP-Ziffern errechnet.
Viele Aufwendungen des Krankenhauses lassen sich jedoch nicht nur am Umfang der unmittelbaren Behandlungsleistungen festmachen. Strukturelle, regionale und tarifliche Rahmenbedingungen sind ebenfalls als Kostenfaktoren zu berücksichtigen. Eine Klinik, die über 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche eine Krisenbereitschaft und Notfallversorgung für die Bevölkerung ihrer Region vorhält ("Regionale Pflichtversorgung"), betreibt einen hohen Vorhalteaufwand. Der finanzielle Aufwand für diese kostenintensive, aber fachlich hoch sinnvolle Leistung ist weitgehend unabhängig davon, wie viele Patienten sie faktisch in Anspruch nehmen. Ein zieldienliches und faires Entgeltsystem muss solche strukturellen, patientenübergreifenden Leistungen des einzelnen Krankenhauses in der Vergütung abbilden. Ansonsten entfiele für Krankenhäuser der Anreiz, dieses Angebot auch vorzuhalten.
Als Folge der breiten Kritik an dem "Preissystem PEPP" hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) mit dem PsychVVG nun den Entwurf für ein "Budgetsystem" vorgelegt. Damit rückt die Verhandlung eines krankenhausindividuellen Gesamtbudgets auf Ortsebene zwischen Klinik und Krankenkassen in den Mittelpunkt. In den Gesamtbetrag dieses Budgets können nun strukturelle Merkmale oder spezielle Therapiekonzepte Eingang finden. Das ist ein klarer Fortschritt. Dennoch bleiben die Regeln für die Budgetfindung zwischen Klinik und Krankenkassen noch sehr unscharf.
Damit der im Kern richtige Grundansatz des PsychVVG sich in der späteren Anwendungspraxis nicht in sein Gegenteil verkehrt, muss der Gesetzentwurf im weiteren Gesetzgebungsverfahren durch den Bundestag noch in mehreren Punkten verbessert werden. Dies haben die Verantwortlichen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe LWL, einem der bundesweit größten öffentlich-rechtlichen Klinikträger, bei einer gemeinsamen Fachtagung von LWL und Techniker Krankenkasse unter Mitwirkung von Gesundheitspolitikern der Bundestagsfraktionen in Münster angemahnt. Drei Punkte müssen noch gelöst werden: Ausfinanzierung der Personalkosten, Lösung der Investitionskrise, Stärkung der Ambulantisierung des psychiatrischen Krankenhauses.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll neue Vorgaben für die Personalausstattung in den Kliniken entwickeln. Diese Standards sollen es den Kliniken ermöglichen, die wissenschaftlichen Fortschritte, die über die letzten Jahre in der Psychiatrie und Psychosomatik erzielt wurden, vollumfänglich in die konkrete therapeutische Behandlung zu übersetzen. Ärzte, Therapeuten, Pflegekräfte in der Psychiatrie und ihre Fachverbände begrüßen solche Personalstandards ausdrücklich, weil sie fachliche Qualität für die Patientinnen und Patienten absichern helfen.
Die Kliniken sollen zum Nachweis verpflichtet werden, dass sie das Personal tatsächlich entsprechend der Vorgaben eingestellt haben. Sonst droht eine Budgetabsenkung – und zwar für alle Folgejahre! Diese Nachweispflicht kann jedoch legitim von den Kliniken nur erwartet werden, wenn ihnen auch die finanziellen Mittel zur Besetzung der Personalstellen ohne Abstriche zur Verfügung gestellt werden. Dies ist jedoch im vorliegenden Gesetzentwurf nicht sicher gestellt.
Das neue PsychVVG muss hier aus den Konstruktionsfehlern des alten Personalbemessungssystems (PsychPV) lernen, bei denen die Erlöse der Kliniken gedeckelt waren und so mit den jährlichen Tarifsteigerungen nicht Schritt halten konnten. Daraus ergab sich eine stetige Abwärtsspirale, weil die Kliniken nicht alle geforderten Fachkräfte einstellen konnten. Die logische Konsequenz ist die Forderung nach einer vollständigen Ausfinanzierung der Ist-Personalkosten. Dies schließt auch die Beachtung der speziellen Tarifstrukturen der verschiedenen Krankenhausträger ein. Im Bereich der Pflegeversicherung (SGB XI) ist dies schon erfolgreich umgesetzt worden.
Bei baulichen Sanierungs- und Neubaukosten haben sich Bund und Länder seit Jahrzehnten nicht über eine ausreichende Investitionsförderung für Krankenhäuser einigen können. In ihrer Not setzen Kliniken Eigenmittel und Betriebserlöse ein, um die fehlenden Mittel zu kompensieren. Die Situation verschärft sich durch das PsychVVG, weil den Kliniken Spielräume genommen werden, ihr Budget unternehmerisch flexibel in der Abwägung zwischen Investition in Personal versus Bausubstanz zu bewirtschaften. Solange Krankenhäuser in puncto Bausubstanz mit dem Rücken an der Wand stehen, drohen ihnen entweder deren allmählicher Verfall oder rote Zahlen bei Investitionen ohne Refinanzierung.
Bauliche Sanierungs- und Neubaumaßnahmen kommen aber auf vielerlei Weise der Therapiequalität und zugleich der Wirtschaftlichkeit der Kliniken zugute und senken so mittelfristig auch die Betriebsaufwendungen. Darum sollte im Rahmen des neuen PsychVVG die Verwendung von Eigenmitteln und Betriebserlösen bei der künftigen Aushandlung von Krankenhausbudgets mit den Kostenträgern als legitim anerkannt werden.
Unter dem Behandlungsgrundsatz "Ambulant vor Stationär" führt das neue PsychVVG sogenannte Stationsäquivalente Leistungen ein. Als Alternative zur vollstationären Versorgung soll Kliniken eine Behandlung im häuslichen Milieu ermöglicht werden. Der Gesetzgeber beschränkt diese Möglichkeit jedoch auf akute Krankheitsphasen und fordert dem Krankenhaus ab, im Gegenzug stationäre Bettenkapazitäten aus dem Krankenhausplan streichen zu lassen. Dies hemmt die Attraktivität für die Kliniken, in dieses Leistungsangebot einzusteigen. Fachleute wie der Direktor des LWL, Matthias Löb, weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass machen Kliniken wie etwa die LWL-Universitätsklinik Bochum hier konzeptionell weiter seien.
Was Löb damit meint: Der LWL hat Ende 2014 am LWL-Universitätsklinikum Bochum gemeinsam mit der Techniker Krankenkasse und der Barmer GEK ein innovatives Modellprojekt aufgelegt. Im Mittelpunkt stehen sogenannte "Stationsungebundene Leistungen". Dazu gehört zum Beispiel auch, dass Bochumer Klinik-Psychiater Patienten zu Hause besuchen und behandeln ("Home Treatment").
Allzu starre Grenzen zwischen stationärer, teilstationärer und ambulanter Behandlung werden durchlässiger und, so die Projekt-Verantwortlichen, "tendenziell aufgehoben". So ist "Home Treatment" eines von insgesamt neun psychiatrisch definierten Leistungspaketen, jedes davon ohne vollstationäre Unterkunft und Verpflegung, die sowohl in der Klinik als auch beim Patienten zu Hause erbracht werden können. Sie sind intensiv und damit tragfähig genug, um teure stationäre Leistungen zu ersetzen oder zu verkürzen.
Vorteile: Die Leistungspakete sind präzise und dennoch bürokratiearm beschrieben. Die Behandlungsteams können präventiv tätig werden, bevor eine Krise wieder eskaliert und stationäre Aufnahme erforderlich macht. Die Entgeltvereinbarung zwischen den Krankenkassen und Krankenhäusern sieht einen Budgetkorridor vor, der beiden Seiten einen wirtschaftlich sicheren Rahmen erlaubt.
Bei der Nachbesserung des Gesetzentwurfs bedarf es klarerer Leitplanken für die Budgetverhandlung. Diese definiert die Kostenbestandteile, die die Krankenhäuser legitim in die Verhandlung mit den Krankenkassen einbringen können.