sozial-Branche

Seniorenheime

Mit Fahrrad-Rikschas auf Spritztour




Zwei Seniorinnen werden auf einer Rikscha durch Wiesbaden gefahren.
epd-bild/Kristina Schäfer
Ehrenamtliche und Angehörige können beim Evangelischen Verein für Innere Mission in Nassau Senioren auf ungewöhnliche Art herumkutschieren. Die Idee für Fahrrad-Rikschas in Altenheimen stammt aus Dänemark.

Wenn Renate Heß erzählen soll, wie sie ihre erste Fahrt in der Rikscha fand, überlegt sie nicht lange. "Geil!", platzt es aus ihr heraus. Die 73-Jährige sitzt im Wiesbadener Albert-Schweitzer-Haus, einer Einrichtung für Senioren des Evangelischen Vereins für Innere Mission in Nassau (EVIM), und wartet auf ihre nächste Ausfahrt. Heute geht es auf eine Runde gleich nebenan in den Schlosspark und zu einer Lesung in einem Hinterhof im Stadtteil Biebrich.

Inspiration aus Dänemark

Seit Ende Mai besitzt der EVIM zwei Fahrrad-Rikschas für seine Seniorenheime. Die Idee kommt aus Dänemark. Ein Mann namens Ole Kassow war dort auf dem Weg zur Arbeit immer an einem alten Mann vorbeigeradelt, der auf einer Parkbank saß, neben sich einen Rollator. Kassow fragte sich, ob der Mann früher wohl genauso gerne Fahrrad gefahren war wie er heute. Er mietete eine Fahrrad-Rikscha, fuhr zum nächsten Altersheim und lud dessen Bewohner zu einer Spritztour ein. Heute sind Rikschas in dänischen Seniorenheimen Alltag, in deutschen aber eher selten.

Karin Klinger hat von Kassows Geschichte im Online-Netzwerk Facebook gelesen und fand sie toll. Anschließend hat sie sich an ihre Arbeit gemacht: Geld besorgen. Sie ist nämlich Fundraiserin bei EVIM. Ein gutes halbes Jahr hat es gedauert, dann hatte sie das Geld für die Rikschas zusammen. Die sind nämlich nicht billig: Rund 6.000 Euro kostet eine. Es sind Einzelanfertigungen. Natürlich aus Dänemark.

"Die meisten sind erstmal skeptisch, wenn sie das Teil sehen", erzählt Anna Eisold, die Leiterin der EVIM-Einrichtung. Denn die Fahrgastkabine befindet sich ganz vorn in der Rikscha, der Fahrer sitzt hinten außerhalb des Gesichtsfeldes der Insassen. Das kann bei ihnen schon ein mulmiges Gefühl beim Fahren verursachen. Senioren, die Angst haben herauszufallen, können sich aber in der Kabine anschnallen. Eisold führt das Gefährt vor und tritt in die Pedale. Sie radelt eine Weile, dann ertönt ein Surren. "Ein Elektro-Hilfsmotor", erklärt sie. "Ganz praktisch beim Anfahren oder bei Steigungen."

"Mein armes Kreuz"

Skepsis, wenn sie denn je welche empfand, hat Renate Heß längst abgelegt. Sie erzählt von ihrer vorangegangenen Tour am Rheinufer, bei der der Fahrer einige Baumwurzeln übersehen hatte und sie ordentlich durchgeschüttelt wurde. "Mein armes Kreuz", ruft sie, lacht dabei aber herzlich.

Wer die Drahtesel steuern will, erhält eine kurze Einweisung, und danach kann es losgehen. Einen Personenbeförderungsschein wie im Taxigewerbe braucht man nicht. Die Rikschas sind wie gemacht für Angehörige, die ihre Mutter oder ihren Onkel besuchen und mit ihnen ein paar Runden drehen wollen.

Der EVIM baut derzeit einen Stamm von ehrenamtlichen Rikscha-Fahrern auf, drei sind schon dabei. Sie verabreden sich entweder mit den Bewohnern für eine Spritztour oder kommen einfach in einen Wohnbereich und schnappen sich die Senioren, die gerade Lust auf ein bisschen Sonne und Wind um die Nase haben. "Das könnte auch die Generation jüngerer Ehrenamtlicher ansprechen", hofft Fundraiserin Klinger.

Nils Sandrisser

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