sozial-Politik

Caritas

Interview

"Einwanderungsgesetz muss Arbeitsmigration vereinfachen"




Elke Tießler-Marenda
epd-bild / Caritas
Die Caritas hat im Dezember ein Diskussionspapier zu den Rahmenbedingungen erstellt, unter denen Zuwanderung nach Deutschland künftig erfolgen sollte. Hauptziel: Die Arbeitsmigration von außerhalb der EU muss vereinfacht werden. Und: Die Einwanderung darf nicht primär eine Frage der Qualifizierung sein.

Ein Einwanderungsgesetz wird in unterschiedlichen Spielarten bereits von allen etablierten Parteien diskutiert. Riesig breit ist der Korridor, was alles per Gesetz geregelt werden sollte. Die Caritas geht fokussuierter zu Werke. Sie konzentriert sich in ihren Forderungen auf die Arbeitsmigration und plädiert auch nicht für ein umfassendes neues Einwanderungsgesetzbuch, das alles neu regelt, sondern für gezielte Änderungen im bestehenden ausländerrechtlichem System. Warum, das beantwortet Migrationsexpertin Elke Tießler-Marenda im Interview. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Ein Einwanderungsgesetz haben inzwischen in unterschiedlichen Spielarten alle großen Parteien auf der Agenda. Doch einig sind sie sich damit noch lange nicht. Denn die Ziele der deutschen Migrationspolitik sind umstritten. Hat die Caritas eine Vision, was ein Einwanderungsgesetz unbedingt leisten muss?

Elke Tießler-Marenda: Der Deutsche Caritasverband diskutiert das Thema unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsmigration aus Staaten von außerhalb der EU. Lange diente in Deutschland das Ausländerrecht auch dazu, den Arbeitsmarkt vor Zuwanderung zu schützen. Mit Blick auf den zunehmenden Fachkräftemangel wurde der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren zwar zunehmend für Ausländerinnen und Ausländer geöffnet. Doch die Regelungen sind noch immer sehr kompliziert.

epd: Das bedeutet?

Tießler-Marenda: Für Geringqualifizierte gibt es praktisch keine Optionen. Aus unserer Sicht muss ein Einwanderungsgesetz daher unbedingt die Regeln zur Arbeitsmigration vereinfachen. Wenn es mehr Möglichkeiten für gegebenenfalls nur temporäre Migration Geringqualifizierter brächte, könnte es auch den Druck zur illegalen Migration mindern.

epd: Weitere wünschenswerte Inhalte?

Tießler-Marenda: In einem Einwanderungsgesetz müsste dann auch geregelt sein, welche Rechte die Eingewanderten haben. Zum Beispiel mit Blick auf das Familienleben oder um zwischen Deutschland und dem Herkunftsland zu pendeln.

epd: Arbeitsmigration, Asyl, Abschiebung, Integration und Einbürgerung: alle diese Themenfelder sollen per Einwanderungsgesetz geregelt werden. Droht da nicht Überfrachtung?

Tießler-Marenda: Ja. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Arbeitsmigration und plädieren auch nicht für ein umfassendes neues Einwanderungsgesetzbuch, das alles neu regelt, sondern für gezielte Änderungen im bestehenden ausländerrechtlichem System.

epd: Sie warnen davor, Flüchtlingsschutz, humanitäre Zuwanderung und Arbeitsmigration zu vermischen. Aber Flüchtlinge sollen doch möglichst schnell Arbeit finden, was aber oft vom Asylgesetz verhindert wird. Wie könnte eine Lösung aussehen?

Tießler-Marenda: Es ist zweifellos richtig, dass anerkannte Flüchtlinge Zugang zum Arbeitsmarkt finden sollen. Für diese Gruppe stellen sich aber vor allem praktische Hürden. Rechtliche Hürden gibt es für Asylsuchende. Das ist aber ein Thema nach der Einreise. Wir wollen, dass das Zugangswege vor der Einreise nicht vermischt werden, denn Flüchtlingsschutz ist eine humanitäre Verantwortung. Ob Arbeitsmigration zugelassen wird, ist hingegen eine politische Frage. Wird beides vermischt, geht das zulasten der Schutzsuchenden.

epd: Die Vorteile eines Einwanderungsgesetzes werden von vielen Politikern meist unter dem Aspekt Fachkräftegewinnung diskutiert. Die Caritas lehnt es ab, nur die "Geeignetesten" aufzunehmen. Warum?

Tießler-Marenda: Das ist ein Missverständnis. Wir lehnen es ab, bei humanitärer Aufnahme nicht nach dem Bedarf, sondern nach der Eignung zu fragen. Deshalb wehren wir uns, wie gerade gesagt, gegen die Vermischung von humanitärer Aufnahme und Arbeitsmigration. Wenn es um letztere geht, hat der Arbeitgeber das letzte Wort. Wir sehen aber, dass Arbeitgeber nicht nur Fachkräfte suchen. In vielen Branchen finden sich für gering qualifizierte und entlohnte Tätigkeiten keine geeigneten Arbeitskräfte. Deshalb meinen wir, dass Arbeitsmigration nicht nur auf Fachkräfte verengt werden darf.

epd: Arbeitsmigration nach Kriterien der Nützlichkeit und konsequente Orientierung an den Menschenrechten: Kommt das nicht der Quadratur des Kreises gleich?

Tießler-Marenda: Das ist gar nicht so schwer. Wir vertreten allerdings die Auffassung, dass es kein Menschenrecht auf Einwanderung gibt. Es wird also politisch und nach Nützlichkeitskriterien darüber entschieden, ob Arbeitsmigration zugelassen wird. Das Wie orientiert sich dann an den Menschenrechten.

epd: Ein neues Gesetz kann den Zuzug von Migranten verlässlich steuern. Doch wird dabei nicht übersehen, dass es oft mit den Angeboten zur Integration und der Unterstützung von Partizipation hierzulande nicht sehr weit her ist. Muss ein neues Gesetz dieses Feld nicht auch bestellen?

Tießler-Marenda: Zur ersten Prämisse ist zu sagen, dass auch ein neues Gesetz Zuwanderung nur begrenzt regeln kann. Die Aufnahme von Flüchtlingen, die Einwanderung von Familienangehörigen und die Mobilität von EU-Bürgerinnen und -Bürgern sind nur sehr eingeschränkt steuerbar. Aber richtig ist, dass es an Angeboten zur Integration fehlt. Das sollte ein Einwanderungsgesetz im Blick haben. Auch das Einbürgerungsrecht und das kommunale Wahlrecht wären in den Blick zu nehmen.

epd: Das wäre dann ein Schritt in die richtige Richtung?

Tießler-Marenda: Ja, aber echte Partizipation lässt sich gesetzlich kaum regeln. Hier kann ein Einwanderungsgesetz ein Signal sein, aber Zugehörigkeit und Offenheit können nicht verordnet, sondern müssen erarbeitet und gelebt werden. Und das können wir auch ohne ein neues Gesetz tun, wie wir es mit unserer Kampagne "Zusammen sind wir Heimat" gerade versuchen.

epd: Soeben zeichnet sich im Zuge einer Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof ab, dass verfolgte Flüchtlinge für ihr Asylverfahren legal in ein EU-Land einreisen können sollen. Wären solche "humanitären Visa" etwas, das auch in einem Einwanderungsgesetz zu regeln wäre?

Tießler-Marenda: Wir sehen beim Flüchtlingsschutz und vor allem bei Zugang von Schutzsuchenden in die EU beziehungsweise nach Deutschland erheblichen Verbesserungsbedarf. Dieses komplexe Thema lässt sich aber nicht en passant im Rahmen eines Einwanderungsgesetzes "erledigen". Es muss vielmehr im Detail durchdacht und durch entsprechende Änderungen des deutschen und des EU-Asylrechts verwirklicht werden.

epd: Im Herbst ist Bundestagswahl und derzeit liegen die beiden Volksparteien Kopf an Kopf. Wie optimistisch sind Sie, dass der Wahlsieger ein Einwanderungsgesetz in den Koalitionsvertrag schreibt?

Tießler-Marenda: Ich bin ein grundsätzlich optimistischer Mensch, enthalte mich hier aber einer Einschätzung.


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