sozial-Politik

Behinderung

Ökonom: Vorteile der Vielfalt werden nicht genug geschätzt




Nils Jent
epd-bild/Universität St. Gallen

In vielen Unternehmen wird nach Einschätzung des St. Gallener Ökonomen Nils Jent die Inklusion von Mitarbeitern mit Behinderung nicht als Chance gesehen. "Das Stereotyp von Menschen mit Behinderung als Minderleister ist leider nach wie vor weit verbreitet", sagte der Experte für Diversity- und Ability-Management dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es werde zuerst gefragt, was jemand wegen seiner Behinderung nicht kann - und nicht, was er gut kann.

Wenn dagegen die Fähigkeiten im Zentrum stehen, fänden sich auch Wege, die Arbeit zu gestalten: "Und zwar so, dass die speziellen Fähigkeiten von Arbeitskräften mit Behinderung zusätzlich zu den verlangten Kompetenzen genutzt werden können", sagte der Wissenschaftler, der seit einem Unfall sprechbehindert, blind und Rollstuhlfahrer ist. Die Vorteile der Vielfalt würden in der Wirtschaft nicht genug geschätzt. "In vielfältig zusammengesetzten Teams gibt es mehr Perspektiven als in homogenen."

Denn sie bildeten die Vielfalt der Kunden ab und könnten deren Bedürfnisse besser verstehen. Dadurch würden Produkte attraktiver und der Kundenkreis größer - mit entsprechenden Effekten für den Erfolg einer Firma. "Ein von sehenden und sehbehinderten Entwicklern gestaltetes Induktions-Kochfeld können mehr Menschen nutzen, weil das Entwickler-Team von Anfang an mehr Ansprüche mitbedenkt." Mit diesem gezielt vielfältigen arbeitspartnerschaftlichen Modell funktioniere Inklusion, sagte Jent, der selbst so arbeitet und dieses Interview zusammen mit seiner nicht-behinderten Doktorandin Lena Pescia geführt hat.

Beide beobachten im vergangenen Jahrzehnt eine "eigenartige Polarisierung" am Arbeitsmarkt. Arbeitgeber trennten ethische Verantwortung von wirtschaftlichem Interesse. "Es werden dann aus rein ethischen Gründen gleich auch Schwerstbehinderte eingestellt." Das überfordere oft, da gerade die Inklusion geistig oder psychisch Schwerbehinderter leicht scheitere. "Dann wird Inklusion frustriert abgehakt." Jent riet dazu, "das Pferd nicht von hinten aufzuzäumen", sondern zunächst Erfahrungen mit Arbeitskräften mit leichter handhabbaren Behinderungen zu sammeln.


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