Ausgabe 48/2017 - 01.12.2017
Gießen (epd). Das Amtsgericht Gießen hat eine Ärztin wegen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Gießener Allgemeinmedizinerin habe im Internet über Abtreibungsmöglichkeiten informiert, sagte die Richterin am 24. November in ihrer Urteilsbegründung. Damit habe sie gegen Paragraf 219a des Strafgesetzbuches verstoßen. Die Richterin folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Ärztin Kristina Hänel muss eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150 Euro und die Kosten des Verfahrens zahlen.
Hänels Verteidigerin kündigte an, "sicher" in Revision gehen zu wollen. Sie sah in dem Urteil "katastrophale Rechtsfehler". Hänel hatte bereits vorher in Interviews angekündigt, notfalls durch alle Instanzen gehen zu wollen.
Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs verbietet Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Der Gesetzgeber habe sich dort "klar und unmissverständlich ausgedrückt", sagte die Richterin. Es sei der gesetzgeberische Wille, dass Informationen bei den Beratungsstellen liegen, die Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch aufsuchen müssen. Dort seien auch Listen über Kliniken und Ärzte vorhanden.
Nach dem Wortlaut des Paragrafen hätten Hänel bis zu zwei Jahren Haft gedroht. Laut Anklage hatte sie im April 2015 auf der Internetseite ihrer Praxis einen Link "Schwangerschaftsabbruch" veröffentlicht und eine Datei zum Download angeboten. Dort seien detaillierte Informationen zum Schwangerschaftsabbruch gegeben worden, etwa über den chirurgischen Verlauf, Komplikationen sowie der Rat, eine Begleitperson mitzunehmen, erläuterte die Richterin. Auch habe Hänel darauf hingewiesen, dass sie sämtliche Methoden in ihrer Praxis durchführen würde, erklärte der Staatsanwalt. Paragraf 219a solle eine Kommerzialisierung des Abbruchs verhindern.
Die Verteidigerin Hänels, die auf Freispruch plädierte, sah in dem Paragrafen "ein vergessenes Nazi-Gesetz". Der Paragraf stammt in seiner alten Form aus dem Jahr 1933. Er ignoriere wesentliche Rechte wie das Informationsrecht der Patienten. Die Veröffentlichung auf der Homepage sei keine Aufforderung im Sinne von "Kommen Sie zu mir", sondern Hänel habe lediglich über Rahmenbedingungen informiert.
Az.: 500DS 501JS 15031/15