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Mehr Menschen als bekannt arbeiteten unter Mindestlohn




Riesenplakat von ver.di vor der Erhöhung des Mindestlohns auf 8,50 Euro. (Archivbild)
epd-bild/Rolf Zöllner
Mehr Menschen als bislang bekannt haben einer Studie zufolge in den vergangenen Jahren unterhalb des Mindestlohns gearbeitet. Die gesetzliche Lohnuntergrenze wurde zum 1. Januar 2015 eingeführt.

Rund 1,8 Millionen Menschen haben einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge 2016 keinen Mindestlohn erhalten, obwohl sie einen Rechtsanspruch darauf hatten. Laut DIW-Studie, die am 6. Dezember in Berlin vorgestellt wurde, wurden 2015, also im Jahr der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, 2,1 Millionen Beschäftigte unterhalb der gesetzlich festgelegten Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde bezahlt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Linkspartei forderten, die Unternehmen schärfer zu kontrollieren.

Die Zahlen des DIW liegen deutlich über den offiziellen Angaben der Mindestlohnkommission, die von der Bundesregierung eingesetzt wurde. Diese hatte in ihrem bislang einzigen Bericht über die "Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns" angegeben, dass 2015 nur 1,4 Millionen Menschen unterhalb eines Stundenlohns von 8,50 Euro gearbeitet hätten.

Differenzen bei den erhobenen Daten

Das Forschungsinstitut erklärt diese Differenz mit der unterschiedlichen Erhebung der Zahlen. Während sich die Mindestlohnkommission auf Ergebnisse der sogenannten Verdienststruktur-Erhebung beruft, also auf die Angaben aus den Lohnbuchhaltungen der Betriebe, haben die DIW-Forscher die Beschäftigten selbst befragt. In ihrem sogenannten sozio-ökonomischen Panel berichten Arbeitnehmer aus 11.000 Haushalten jedes Jahr, wie viel sie arbeiten und was sie verdienen.

Aus Angaben zu ihren tatsächlichen Arbeitszeiten, die nicht vertraglich festgehalten sind, ergebe sich eine noch höhere Zahl von Menschen, die unterhalb des Mindestlohns arbeiten, heißt es in dem Bericht. Im Jahr 2016 hätten 2,6 Millionen Erwerbstätige weniger als den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. Schließt man die Beschäftigten ein, für die branchenspezifische Mindestlöhne gelten, waren es laut DIW im vergangenen Jahr sogar 3,3 Millionen Menschen und damit zehn Prozent aller Beschäftigten.

Viele Beschäftigte fallen nicht unter den Mindestlohn

Viele Erwerbstätige fallen nicht unter die gesetzlichen Mindestlohnregeln, insbesondere Selbstständige und Auszubildende wie auch Beschäftigte in den Branchen, in denen längere Übergangsfristen verabredet wurden. Rechnet man diese dazu, so verdienten im Jahr 2016 auf Basis ihrer vertraglichen Arbeitszeit insgesamt 4,4 Millionen, auf Basis ihre tatsächlichen Arbeitszeit sogar 6,7 Millionen Erwerbstätige unter 8,50 Euro pro Stunde, heißt es in der Studie. "Sie belegen die Existenz eines großen Niedrigeinkommensbereichs in Deutschland", schreiben die Autoren.

Die Wissenschaftler sehen politischen Handlungsbedarf und fordern, von den Arbeitgebern eine strengere Dokumentation zu verlangen sowie die Kontroll- und Sanktionsmechanismen zu verschärfen. "Eine striktere Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeiten würde womöglich auch für die Effizienz der Kontrollen erhöhen", heißt es in der Studie.

Der DGB forderte ebenfalls, die Rahmenbedingungen für Kontrollen zu verbessern. "Dazu zählt deutlich mehr Personal bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit", erklärte DGB-Vorstand Stefan Körzell. Ferner beklagte er, dass die Dokumentationspflichten der Unternehmen zu viel Spielraum für Manipulation ließen.

VdK: Schlupflöcher schnell schließen

Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, forderte, der Mindestlohn "muss ohne Ausnahmen für alle gelten". Das heiße, dass Schlupflöcher zur Umgehung des Mindestlohns geschlossen und verstärkt Kontrollen stattfinden müssten. "Der augenblicklich gesetzlich vorgeschriebene Stundenlohn von 8,84 Euro ist nicht existenzsichernd", beklagte Mascher. Er müsse auf mindestens zwölf Euro erhöht werden, "auch damit eine Rente über dem Grundsicherungsniveau erwirtschaftet werden kann".

"Ohne effektive Kontrollen lässt sich eine flächendeckende Einhaltung des Mindestlohns nicht durchsetzen", sagte der Linken-Parteichef Bernd Riexinger. Doch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls, die den Mindestlohn kontrollieren soll, sei aufgrund von Personalmangel dazu nicht in der Lage: "Die Bundesregierung muss 5.000 neue Mindestlohnkontrolleure einstellen, sonst wird sich nichts ändern."

Trotz der genannten Defizite kommen die Forscher insgesamt zu dem Ergebnis, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns "den niedrigen Löhnen einen starken Schub gegeben hat". So seien bei den zehn Prozent der Beschäftigten, die am wenigsten verdienen, die Löhne zwischen 2014 und 2016 um 15 Prozent gestiegen. In den Jahren vor 2014 hätten die zweijährigen Lohnwachstumsraten für diese Beschäftigten bei rund zwei Prozent gelegen.

Markus Jantzer

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