sozial-Thema

Pflege

Gewalt

Keine Hilfe, kein Rat




In Kliniken, in denen das Personal meist auf sich alleine gestellt ist, wächst die Gefahr Opfer von Gewalt zu werden.
epd-bild/Werner Krüper
Pflegekräfte in Krankenhäusern und Seniorenheimen sind sich einig: Es gibt immer mehr Fälle von Gewalt gegen das Personal solcher Einrichtungen. Experten warnen, dass die Entwicklung auch mit der mangelhaften Personalausstattung zu tun hat.

Der Wormser Fachkrankenpfleger Udo Haas hat regelmäßig mit Menschen zu tun, die äußerst aggressiv werden. Manche seiner Patienten wehren sich massiv dagegen, dass sie bei der Neuaufnahme Messer und Rasierklingen abgeben müssen. Andere sind so gefährlich, dass sie zwangsweise Medikamente erhalten oder fixiert werden müssen. "In der Akutpsychiatrie ist Gewalt alltäglich", sagt er.

Die rheinland-pfälzische Landespflegekammer hat jetzt Alarm geschlagen, da die Zahl der Übergriffe auf das Pflegepersonal immer weiter zunimmt. Zur Realität in Krankenhäusern und Pflegeheimen gehört aber auch, dass manche Pflegekräfte selbst gewalttätig werden.

"Thema aus der Tabuzone holen"

"Das Thema Gewalt muss aus der Tabuzone herausgeholt werden", sagt Hans-Josef Börsch vom Vorstand der rheinland-pfälzischen Landespflegekammer. Beim Jahreskongress der Berufsvertretung in Mainz steht die Frage im Mittelpunkt, wie Pflegekräfte vor Angriffen besser geschützt und übergriffige Kollegen rechtzeitig gestoppt werden können.

Daniel Tucman, Pflegewissenschaftler am Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) in Köln, hat nicht nur darüber geforscht, wie stark Klinik- und Seniorenheimmitarbeiter von Gewalt betroffen sind, sondern selbst einschlägige Erfahrungen machen müssen. Im Zivildienst sei er von einem Psychiatriepatienten niedergeschlagen worden, berichtet er. Anschließend habe er große Probleme gehabt, seine Arbeit wie zuvor fortzusetzen. Kollegen und Vorgesetzte hätten sich aber vorbildlich um ihn gekümmert.

In Einrichtungen fehlen Ansprechpartner

Anderenorts ist das offenbar längst nicht überall so: Nur in der Hälfte der deutschen Pflegeeinrichtungen gibt es einer von Tucman vorgestellten Studie zufolge überhaupt einen festen Ansprechpartner, an den sich Mitarbeiter nach Gewalterlebnissen wenden können. Eine intensive Begleitung von Opfern wünschen sich viele, in der Realität findet sie aber nur in jedem zehnten Fall statt.

Dabei kommen tätliche Angriffe, Beleidigungen oder sexuelle Belästigungen flächendeckend vor. In einer dip-Umfrage gaben rund 14 Prozent der Teilnehmer an, häufig selbst Opfer von Übergriffen zu werden. Zwölf Prozent erklärten außerdem, in ihren Einrichtungen komme es "sehr häufig oder eher häufig" zu Gewalt gegen Patienten.

Der Frankfurter Medizinrechtler Thomas Schlegel glaubt an einen Zusammenhang zwischen überlasteten Pflegekräften, schlechter Personalausstattung und der Häufigkeit von Gewalt in Heimen und Kliniken. "Aggression ist der Kontrapunkt zum Burn-out", sagt er. "Pflegekräfte auf unterbesetzten Stationen sind auf sich selbst gestellt. Sie bekommen keine Hilfe, keinen Rat." Wenn es zu wenig Personal gebe, würden beispielsweise Patienten häufiger gegen ihren Willen mit Medikamenten ruhiggestellt. Ohne ausdrückliche Erlaubnis der Patienten handelten die Pflegekräfte in einer rechtlichen Grauzone, warnt Schlegel.

"Strukturen fördern Gewalt in der Pflege"

Auch der Arzt und Hochschulprofessor Karl Beine gibt den Strukturen des Gesundheits- und Pflegesystems eine Mitverantwortung für die Gewalt in der Pflege. Der Wissenschaftler hat sich intensiv mit den wohl gravierendsten Gewalttaten in Pflegeeinrichtungen beschäftigt und alle zehn Tötungsserien der vergangenen Jahrzehnte im deutschsprachigen Raum untersucht. Menschen wie der Krankenpfleger Niels H., der in Oldenburg und Delmenhorst wohl über 90 Patienten ermordet hat, hätten nur deshalb teilweise über Jahre hinweg töten können, weil Hinweise lange ignoriert worden seien.

Manche der Täter hätten im Kollegenkreis nämlich schon lange vor ihrer Festnahme prägnante Spitznamen wie "Todesengel" oder eben "Niels mit einem Sensenmann" erhalten. Der Wissenschaftler warnt davor, dass in einem von "erbarmungslosem Wettbewerb" geprägten Gesundheitssystem solche Taten vertuscht werden, wie es mehrfach versucht worden sei. "Wahrheit darf nicht zum Wettbewerbshindernis werden", fordert er.

Karsten Packeiser

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