sozial-Thema

Pflege

Bundesregierung

36.000 Stellen in Heimen und Kliniken unbesetzt




In vielen Kliniken ist das Personal schon heute knapp. Blick in den OP der Uniklinik Köln.
epd-bild/Jörn Neumann
In der Pflege sind bundesweit mindestens 36.000 Stellen unbesetzt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor, die am 25. April bekannt wurde. Doch viele Experten gehen von weit höheren Zahlen aus.

Den Angaben der Regierung zufolge fehlten im Jahr 2017 in der Altenpflege 15.000 Fachkräfte und 8.500 Helfer. Der Pflegekritiker Claus Fussek bezweifelt, dass es nur 36.000 unbesetzte Pflegestellen sind. Ähnlich äußerte sich der Deutsche Berufsverband für Pfegeberufe. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht die Verantwortung für die Misere auch bei den Arbeitgebern.

In der Krankenpflege gibt es danach 11.000 offene Fachkräftestellen und 1.500 unbesetzte Helfer-Jobs. Die Regierung beruft sich auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Die Arbeitslosenquote in der Altenpflege lag bei 0,7 Prozent. Zum Vergleich: Bundesweit über alle Berufsgruppen betrug die Arbeitslosenquote im März 5,5 Prozent. In der Altenpflege kommen auf 100 offene Stellen bundesweit im Schnitt 21 arbeitslose Fachkräfte. In der Krankenpflege standen 100 offenen Stellen durchschnittlich 41 arbeitslose Fachkräfte gegenüber.

Grüne fordern Sofortprogramm

"Es fehlen immer mehr Pflegekräfte, vor allem im ländlichen Raum", sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt in Berlin. Deswegen brauche es ein Sofortprogramm. "Die Bundesregierung muss jetzt schnell handeln. Wir brauchen 50.000 zusätzliche Pflegekräfte in der Altenpflege und in den Krankenhäusern", sagte Göring-Eckardt. Die von Union und SPD versprochenen 8.000 zusätzlichen Stellen im Pflegebereich seien nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Die Beauftragte für Pflege der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Baehrens, sagte dagegen, das Sofortprogramm mit 8.000 neuen Fachkraftstellen sei angesichts des leer gefegten Arbeitsmarktes ein realistischer erster Schritt. Sie regte an, "Verbesserungen in einer konzertierten Aktion Pflege auf den Weg zu bringen." Ähnlich äußerte sich auch das Bundesgesundheitsministerium: "Wir gehen davon aus, dass diese 8.000 Stellen besetzt werden können", sagte ein Sprecher.

Weidner: Es fehlen mindestens 50.000 Stellen

Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung hält die genannte Zahl von 36.000 offenen Stellen für zu niedrig. "Nach unseren Daten gibt es alleine in Altenheimen und ambulanten Diensten bereits mindestens 38.000 unbesetzbare Stellen, hinzu kommen noch mindestens 10.000 nicht besetzbare Stellen im Krankenhausbereich", sagte Direktor Frank Weidner am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wir sollten zurzeit von rund 50.000 unbesetzbaren Stellen in der Pflege in Deutschland ausgehen." Es gebe quasi keine Arbeitslosigkeit mehr unter Pflegekräften.

"Diese Zahlen sind nur die Spitze des Eisberges, denn wir wissen, dass die meisten Arbeitgeber ihre freien Stellen gar nicht mehr bei der Bundesagentur melden, da diese nicht mit Arbeitssuchenden helfen können", sagte Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe. "Hinzu kommt, dass die nicht besetzten Stellen auf der Basis viel zu niedriger Stellenpläne berechnet werden." Gebraucht würden insgesamt mindestens 100.000 Stellen mehr. "In der Summe sprechen wir also von einem Mangel von deutlich über 126.000 Stellen in der professionellen Pflege."

Im Radioprogramm SWR sagte der Pflegeexperte Claus Fussek zu den fehlenden Fachkräften: "Ich befürchte, dass die Zahlen deutlich höher sind. Eine zweite unbequeme Wahrheit ist, dass unter den Mitarbeitern, die jetzt tätig sind, ein sehr großer Prozentanteil ungeeignet ist für diesen Beruf." Von diesen Mitarbeitern müssten sich Pflegeeinrichtungen trennen.

Linke: Pflegeberuf ist nicht attraktiv genug

Die Linken-Politikerin Pia Zimmermann beklagte, dass die jüngsten Pflegestärkungsgesetze "allesamt zu Lasten der Pflegekräfte gingen". Die Fachkräfte litten seit Jahren nicht nur unter unterirdisch schlechter Bezahlung, sondern auch unter schlechten Arbeitsbedingungen. All das mache "die Pflegeberufe leider wenig attraktiv".

Die aktuellen Zahlen zum Fachkräftemangel überraschen nicht", sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Dafür seien in erster Linie die Arbeitgeber verantwortlich. "Es kann nicht sein, dass Krankenhäuser und Pflegeheimbetreiber auf Kosten der Pflegekräfte sparen und sogar ihren Profit steigern." Schließlich seien in den Krankenhäusern über Jahre zusätzliche Arztstellen entstanden, während Pflegestellen abgebaut worden seien.

Die Diakonie in Niedersachsen rief ebenfalls die Politik zum Handeln auf. Es reiche nicht, 8.000 neue Pfleger einstellen zu wollen, sagte der Diakonie-Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke in Hannover dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nötig seien attraktive Arbeitsbedingungen, die dazu führten, "dass Menschen den Beruf in der Pflege ergreifen und ihn auch beibehalten". Das Sozialministerium in Hannover erklärte, es liefen bereits mehrere Schritte, um mehr Fachkräfte zu gewinnen.

Dirk Baas, Markus Jantzer

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