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Regierung an Pflegekräfte: "Wir haben verstanden"




Seniorenbetreuung im Priessnitzhaus im brandenburgischen Mahlow.
epd-bild/Stefan Trappe
Endlich wendet sich die Politik den Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte in Deutschland zu. Gesundheitsminister Spahn versteht das Sofortprogramm für mehr Stellen in der Alten- und Krankenpflege als einen Anfang - und als Signal für eine Trendwende.

Mit 13.000 zusätzlichen Pflegekräften und mehr Geld will die Koalition aus Union und SPD den Anfang machen für eine Trendumkehr in der Alten- und Krankenpflege. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte am 23. Mai in Berlin, von dem Sofortprogramm der Bundesregierung gehe das Signal aus: "Wir haben verstanden." Das Echo fiel verhalten aus. Mehrere Sozialverbände verwiesen darauf, dass der Fachkräftebedarf weit größer sei.

Die Arbeitsbedingungen in der Pflege hätten sich jahrelang immer weiter verschlechtert, viele Pflegekräfte der Branche den Rücken gekehrt. Das Sofortprogramm sei "ein erster, wichtiger Baustein, um die Vertrauenskrise in der Pflege zu überwinden", sagte Spahn.

Der Gesetzentwurf soll in Kürze vorliegen. Den Eckpunkten zufolge, auf die sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD verständigt haben, sollen nicht nur, wie zunächst verabredet, 8.000, sondern 13.000 neue Fachkraftstellen für die medizinische Behandlungspflege in Altenheimen geschaffen werden.

Kleine Heime können eine zusätzliche halbe Stelle einrichten, Einrichtungen mit 41 bis 80 Bewohnern eine Stelle, mit bis zu 120 Bewohnern anderthalb Stellen und darüber hinaus zwei neue Pflegestellen, deren Kosten von den Krankenkassen getragen werden.

Heime sollen bei Ausbildung Entlastung bekommen

Die Ausbildung von Altenpflege-Nachwuchs soll sich ab 2020 finanziell günstiger für die Einrichtungen auswirken als heute. Außerdem erhalten Pflegeeinrichtungen, die in die Digitalisierung ihrer Dokumentation investieren, für Ausgaben von bis zu 30.000 Euro 40 Prozent von den Pflegekassen zurück, also bis zu 12.000 Euro pro Einrichtung.

Die Krankenhäuser können von diesem Jahr an damit kalkulieren, dass Tarifsteigerungen für das Pflegepersonal voll durch die Krankenkassen refinanziert werden und vom kommenden Jahr an auch jede zusätzliche Pflegestelle vollständig finanziert wird. Bisher müssen die Kliniken einen Eigenanteil von zehn Prozent leisten, wenn sie neue Pflegekräfte einstellen. Wie in der Altenpflege sind auch für die Krankenhäuser darüber hinaus finanzielle Anreize für mehr Ausbildungsplätze vorgesehen.

Maßnahmen sollen schnell greifen

Das Sofortprogramm soll Spahn zufolge Anfang kommenden Jahres in Kraft treten. "Wir wollen Pflegekräfte, die der Pflege den Rücken gekehrt haben, dazu ermuntern, wieder zurückzukommen", sagte Spahn. Andere würden hoffentlich ihre Stundenzahl erhöhen. In der Pflege wird überwiegend Teilzeit gearbeitet.

Der CDU-Politiker räumte ein, dass es schwierig werden wird, die neu geschaffenen Stellen auch zu besetzen. Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, sei eine Möglichkeit, sagte er. Noch wichtiger aber sei es, in die Ausbildung zu investieren. In der Kranken- und Altenpflege fehlen der Bundesregierung zufolge schon heute mindestens 25.000 Fachkräfte und weitere 10.000 Hilfskräfte. Freie Stellen bleiben so lange unbesetzt wie in keiner anderen Branche.

Das Pflege-Sofortpaket kostet Spahn zufolge rund eine Milliarde Euro pro Jahr, die fast vollständig aus Mitteln der Krankenversicherung aufgebracht werden soll. Die Krankenkassen verfügen über Rücklagen von rund 30 Milliarden Euro, während sich bei den Pflegekassen in diesem Jahr ein dreimal so hohes Defizit ankündigt wie erwartet. Sie rechnen zum Jahresende mit knapp 3,5 Millionen Pflegebedürftigen, eine halbe Million mehr als vor der jüngsten Reform, durch die seit vorigem Jahr vor allem Demenzkranke mehr Leistungen erhalten.

Über weitere Schritte wird beraten

Spahn und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sowie Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) wollen daher gemeinsam mit Berufsverbänden, Gewerkschaften und Arbeitgebern über weitere Schritte gegen die Personalnot in der Pflege beraten. Union und SPD hatten sich unter anderem darauf verständigt, im Rahmen einer "Konzertierten Aktion Pflege" Personaluntergrenzen festzulegen und die gesetzlichen Voraussetzungen für eine flächendeckende Anwendung von Tarifverträgen zu schaffen.

Kordula Schulz-Asche, Sprecherin der Grünen für Pflegepolitik, sagte, das von Spahn vorgestellte Sofortprogramm zur Entlastung der Personalsituation in der Kranken- und Altenpflege enthalte überwiegend Maßnahmen, "die höchstens mittel- eher langfristig ihre Wirkung entfalten können". Kurzfristig sollen zusätzliche 13.000 Stellen in der Altenpflege geschaffen werden. Auch mit den jetzt angekündigten 13.000 Stellen werde der tatsächliche Bedarf bei weitem nicht gedeckt. "Der liegt bei etwa 50.000 in der Kranken- und Altenpflege, weswegen wir in unseren Sofortprogrammen eben diese Zahl fordern."

"Nur ein paar Löcher gestopft"

Pia Zimmermann, Sprecherin der Linken für Pflegepolitik, zeigte sich ebenfalls unzufrieden. „Dieses Sofortprogramm kann maximal ein paar Löcher stopfen. Es wird den Pflegnotstand nicht beenden." Pflegekräfte bräuchten ausreichende Personalschlüssel, verlässliche Dienstpläne und wertschätzende Arbeitsbedingungen. "Dann kann gute Pflege gelingen."

"Dieser Aktionsplan ist leider ein Witz", sagte der Präsident der Diakonie, Ulrich Lilie, am 24. Mai den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Mit diesen 13.000 Symbolstellen gewinnen wir nichts in diesem Land." Spahn stehe vor einer Bewährungsprobe, sagte der Chef des evangelischen Wohlfahrtsverbands. Der Minister müsse nachhaltige Reformen durchsetzen.

Schneider: Pflege braucht deutlich mehr Geld

"Das Sofortprogramm kann punktuelle Entlastung bringen, aber es ersetzt keine Planung", bemängelte Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Was es brauche, sei ein Gesamtkonzept und eine Aussage, wie und bis wann die Bundesregierung insgesamt 100.000 fehlende Pflegekräfte gewinnen und finanzieren will. "Es braucht endlich Antworten, wie der Pflegenotstand behoben werden soll. Und diese Antworten kann man von einer Bundesregierung erwarten", sagte Schneider.

Notwendig seien deutlich mehr finanzielle Mittel, um die Reformen zu finanzieren. "Eine menschenwürdige gute Pflege für alle ist nicht zum Nulltarif zu haben: Wenn die Bundesregierung den Pflegenotstand stoppen will, muss sie weitere Milliarden in die Hand nehmen."

GKV warnt vor Kostenverschiebung

Für den GKV-Spitzenverband sagte Sprecher Florian Lanz: "Die heute angekündigten zusätzlichen 13.000 Pflegenden für die Altenheime sind ein guter erster Schritt im Rahmen der Umsetzung des Koalitionsvertrages. Die geplante Querfinanzierung der neuen Pflegestellen in den Altenheimen aus der Krankenversicherung sehen wir jedoch skeptisch."

Wenn hier mit einem Finanztransfer von der Kranken- in die Pflegeversicherung begonnen werde, stelle sich die Frage, wo das dann aufhöre. Er sei an der Zeit, über die Einführung eines steuerfinanzierten Bundeszuschusses für die Pflegeversicherung nachzudenken, betonte Lanz.

Ver.di sieht ungelöste Fragen in der ambulanten Pflege

Auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sprach von einem halbherzigen Vorgehen Spahns. "Die großen Probleme Personalmangel und Bezahlung in der Altenpflege werden nicht gelöst", erklärte Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Außerdem plane Spahn kein Programm für die ambulante Pflege. In diesem Bereich seien die Beschäftigten jedoch genauso belastet.

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, zufolge ist das Sofortprogramm ein Schritt in die richtige Richtung. "Allerdings kann das nur der Anfang sein. Wir brauchen gerade vor dem Hintergrund einer wachsenden Zahl älterer Menschen mit einem höheren Pflegebedarf mindestens 60.000 zusätzliche Pflegefachkräfte." Positiv zu bewerten sei, dass die Finanzierung nicht zulasten der pflegebedürftigen Menschen erfolgen soll.

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe begrüßte die geplanten Maßnahmen als zukunftsweisenden Schritt, mahnte aber ebenfalls Korrekturen an. Präsidentin Christel Bienstein sagte: "„Unzureichend ist das Sofortprogramm für eine Verbesserung der kritischen Situation im Bereich der ambulanten Pflege. Es ist seit Jahren bekannt und spitzt sich regional immer stärker zu, dass ambulante Pflegedienste mangels ausreichendem Personal und adäquater Refinanzierung der erbrachten Leistung die Versorgung von Patienten in zunehmenden Maße ablehnen müssen." In diesem Bereich sei dringend Abhilfe durch strukturelle Verbesserungen zu schaffen.

Bettina Markmeyer, Dirk Baas

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