sozial-Branche

Kinder

Interview

Fachverband: "Programm ist neben der Spur"




Carsten Schlepper
epd-bild/Dieter Sell
Die Bundesregierung will 300 Millionen Euro investieren, um mehr Fachkräfte für die Kitas zu gewinnen und die Ausbildung attraktiver zu machen. Die Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder (BETA) ist wenig begeistert. Im Interview mit dem epd erläutert der Vorsitzende Carsten Schlepper die Gründe.

Zu wenig Geld und der falsche inhaltliche Ansatz: Die BETA ist mit dem neuen Programm von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) unzufrieden. Der Vorsitzende Carsten Schlepper spricht von einem Tropfen auf den heißen Stein. Mehr Geld für die Ausbildungsvergütung allein reiche nicht, um die strukturellen Probleme in der Nachwuchsgewinnung zu lösen. Es brauche weitergehende Initiativen der Länder mit den Trägern, so Schlepper: "Der Fachkräftekanon muss erweitert werden, um Professionen in Kita-nahen Branchen für die Arbeit in der Kindertagesbetreuung zu gewinnen. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: 300 Millionen Euro des Bundes sollen von 2019 bis 2022 fließen für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Klingt nach viel Geld?

Carsten Schlepper: Wenn wir davon ausgehen, dass alle Azubis eine Vergütung erhalten sollen, wie in anderen Lehrberufen auch, und für einen Azubi rund 17.000 Euro im Jahr anfallen, raucht es 1,5 Milliarden. Euro jährlich allein für die Vergütung. Also ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber grundsätzlich begrüßt die BETA, dass der Bund die Länder und Träger bei der Fachkräftesicherung unterstützen wird. Das Programm ist allerdings aus unserer Sicht "neben der Spur".

epd: Warum?

Schlepper: In Verbindung mit dem Kita-Gesetz und Eckpunkten zur Qualitätsverbesserung sollten gerade diese zusätzlichen Mittel seitens der Länder genutzt werden, um die Fachkräftegewinnung zu verbessern. Als Folge des neuen Bundesprogrammes befürchten wir Träger jedoch, dass die Länder sich aus ihrer Verantwortung zurückziehen.

epd: Haben Sie dafür Anhaltspunkte?

Schlepper: Für die vergütete Ausbildung, auch praxisintegriert, braucht es keine Erprobung, weil es hinlänglich Erfahrungen damit gibt. Das Problem ist letztlich der zusätzliche finanzielle Aufwand. Dieser wird dort, wo die vergütete Ausbildung etabliert ist, über eine anteilige Anrechnung des Einsatzes der Azubis auf die Fachkraftquote generiert. In Ländern wie Bremen, in denen um die reguläre Finanzierung der Ausbildungsvergütung noch gerungen wird, werden wir in den nächsten zwei Jahren sicher auf das Bundesprogramm verwiesen. Damit verzögert sich die notwendige Weiterentwicklung des Ausbildungssystems erneut.

epd: Ministerin Giffey prognostiziert rund 200.000 fehlende Fachkräfte bis zum Jahr 2030. Sind das Zahlen, die Sie bestätigen können?

Schlepper: Die Prognose der Ministerin ist eher verhalten. Allein für die Verbesserung der Personalschlüssel in den Ländern, angelehnt an die formulierten Fachstandards, prognostiziert die Bertelsmann Stiftung zusätzlich mehr als 100.000 Fachkräfte. Laut Fachkräftebarometer 2017 der Weiterbildungsinitiative frühpädagogische Fachkräfte (WIFF) verlassen rund 170.000 Fachkräfte bis zum Jahr 2025 das Feld. Mit Blick auf den weiteren Ausbau der Betreuungsangebote werden bis dahin allein 260.000 neue Fachkräfte benötigt.

epd: Ab dem nächsten Jahr werden bundesweit rund 38.000 junge Menschen eine Erzieherinnenausbildung beginnen. Das wird künftig kaum reichen, um die Lücken in den Kitas zu schließen. Hilft die vorgesehene Ausbildungsvergütung?

Schlepper: Die vergütete Ausbildung, übrigens nicht nur in der praxisintegrierten Struktur, ist ein Baustein, um Fachkräfte zu gewinnen und die Zielgruppe der Interessierten zu erweitern. Daneben braucht es weitergehende Initiativen der Länder mit den Trägern: der Fachkräftekanon muss erweitert werden, wo dieses noch nicht geschehen ist, um Professionen in Kita-nahen Branchen für die Arbeit in der Kindertagesbetreuung zu gewinnen.

epd: Das geschieht nicht von selbst ...

Schlepper: Nein. Für diese nicht grundständig für die Kita-Arbeit qualifizierten Kräfte müssen Anpassungs- und Weiterbildungsqualifizierungen konzipiert und angeboten werden. Zudem bin ich persönlich überzeugt davon, dass wir in den nächsten Jahren im Rahmen multiprofessioneller Teams auch andere Spezialisten, etwa aus den Bereichen Musik, Kunst, Handwerk, in das Arbeitsfeld integrieren müssen, die nicht unbedingt pädagogisch qualifiziert für besondere Angebote in der Kita zuständig sind.

epd: Der Bund will für 5.000 Auszubildende die Vergütung übernehmen, im ersten Jahr zu hundert Prozent? Reicht dieses Engagement?

Schlepper: Nein. Deshalb nenne ich das Programmen "neben der Spur". Ein derartiges Programm ist mit sehr viel Aufwand der Träger vor Ort verbunden und nur befristet. Insbesondere bei der praxisintegrierten Ausbildung gibt es längst Erfahrungen, wie zum Beispiel in Baden-Württemberg zur Umsetzung und anteiligen Finanzierung der Vergütung durch die Träger.

epd: Warum war es in der Vergangenheit so schwer, Nachwuchs für die Kitas auszubilden? Ist der Beruf wirklich so unattraktiv?

Schlepper: Die fehlende Ausbildungsvergütung hat sicher einen Teil beigetragen. Ansonsten betonen wir ausdrücklich, dass es sich um ein attraktives und auch boomendes Arbeitsfeld handelt, in dem auf diesem Ausbildungsniveau die Vergütung auch angemessen ist.

epd: Wo hapert es noch?

Schlepper: Es fehlt noch an Aufstiegs- und Weiterentwicklungslinien. Wir müssen mehr Funktionsstellen und damit verbunden Aufstiegslagen in der Kindertagesbetreuung schaffen. Insgesamt ist dieser Sektor eher immer zurückhaltend gewesen, wenn es darum ging, die finanziellen Konsequenzen für eine Verbesserung und Weiterentwicklung auch zu benennen. Da können wir noch besser werden.