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Behinderung

Heil: Rechtsfortschritte müssen noch in der Realität ankommen




Vorbildlich: inklusiver "Lauftreff für alle" in Rheinland-Pfalz
epd-bild/Andrea Enderlein
Vor zehn Jahren hat sich Deutschland verpflichtet, behinderten Menschen dieselben Chancen und Möglichkeiten zu garantieren wie allen anderen. Minister Heil würdigt Rechtsfortschritte. Der Behindertenbeauftragte vergibt nur mittelmäßige Noten.

Zum zehnten Jahrestag des Inkrafttretens der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die rechtlichen Fortschritte gewürdigt. Sie müssten aber noch in der Realität ankommen, sagte Heil bei einem Festakt am 26. März in Berlin: "Wir haben noch einen weiten Weg vor uns."

Barrierefreiheit müsse auch bei der Digitalisierung umgesetzt werden, sagte Heil. Wenn private Anbieter hier keine Fortschritte machten, müsse man auch auf europäischer Ebene über verpflichtende Regelungen reden. Heil kündigte außerdem ein Programm für Barrierefreiheit in ländlichen Räumen an.

Auch bei der Inklusion im Arbeitsmarkt müsse man vorankommen, sagte Heil. Es könne nicht dabei bleiben, dass immer noch viele Betriebe, die dazu verpflichtet seien, keine Menschen mit Behinderungen einstellen. Wenn Gespräche nicht weiterführten, werde er die Erhöhung der Ausgleichsabgabe für solche Betriebe auf die Tagesordnung setzen, sagte Heil.

Dusel vergibt nur mittelmäßige Note

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, zog hingegen eine überwiegend kritische Bilanz der vergangenen zehn Jahre. Er sagte, er gebe Deutschland nur die Note "befriedigend bis ausreichend". Kritik kam auch von den Grünen und Sozialverbänden.

Ziel der UN-Konvention, zu deren Umsetzung sich Deutschland verpflichtet hat, ist eine selbstbestimmte und umfassende Teilhabe behinderter Menschen am öffentlichen und privaten Leben unter dem Stichwort "Inklusion". Die Themen sind etwa Barrierefreiheit im Wohnungsbau, im öffentlichen Raum und im Internet, gemeinsamer Schulbesuch oder mehr reguläre Jobs für Menschen mit Behinderungen. Barrierefreiheit im Wohnungsbau müsse wie Brandschutz zum Standard werden. Jedes Kino und Café, das nicht barrierefrei ist, schließe Menschen aus, sagte Dusel.

Er erklärte am Beispiel des Arbeitsmarktes, einerseits seien mit 1,2 Millionen so viele schwerbehinderte Menschen in einem regulären Job beschäftigt wie nie zuvor. Andererseits seien behinderte Menschen weiterhin deutlich häufiger und länger arbeitslos als Menschen ohne Einschränkungen. Ein Viertel aller Arbeitgeber, die dazu verpflichtet seien, habe niemanden mit einer Behinderung eingestellt, sondern zahle die Ausgleichsabgabe. "Das ist inakzeptabel", kritisierte der Beauftragte der Bundesregierung und forderte schärfere Regelungen.

Grüne gegen Mehrkosten-Vorbehalt

Die Grünen forderten anlässlich des Jahrestages die Abschaffung des sogenannten Mehrkosten-Vorbehalts, der in vielen Fällen die Finanzierung selbstständigen Wohnens für behinderte Menschen verhindert. Die Regelung zwinge die Menschen in Heime, sagte die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Der UN-Konvention zufolge darf niemand gezwungen werden, gegen seinen Willen in einer besonderen Wohnform zu leben.

"Am zehnten Jahrestag der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention zeigt sich, dass auch in der Bundesrepublik noch immer erhebliche Benachteiligungen und Barrieren für Menschen mit Behinderungen bestehen", erklärt Sören Pellmann, Sprecher der Links-Fraktion Inklusion und Teilhabe. Zwar hätten sich in den letzten zehn Jahren auch einige Dinge in eine bessere Richtung entwickelt. "Es wird aber auch ein Vorgehen auf Bundesebene deutlich, welches unerträglich ist und nichts mit Inklusion zu tun hat", rügte der Abgeordnete.

Nach einer Infas-Untersuchung im Auftrag von "Aktion Mensch" und der Wochenzeitung "Die Zeit" wollen 85 Prozent der Bundesbürger, dass Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt zusammenleben. Dafür dass Kinder mit und ohne Beeinträchtigung zusammen aufwachsen, sprachen sich 94 Prozent aus - aber nur 66 Prozent wollen, dass die Kinder auch gemeinsam unterrichtet werden.

Bettina Markmeyer


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