sozial-Thema

Bundesteilhabegesetz

Gastbeitrag

Vorbereitung der Reformstufe III läuft auf Hochtouren




Jan Appel (re.) und Simon Odenwald
epd-bild/Curacon
Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes läuft auf Hochtouren. Die Leistungserbringer sind intensiv in der Vorbereitung, haben aber bis zum 1. Januar 2020, dem Inkrafttreten der dritten Reformstufe, noch einige Hürden vor sich. Zu diesem Fazit kommen die beiden Autoren des Gastbeitrages für epd sozial, Simon Odenwald und Dr. Jan Appel von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Curacon.

Das Bundesteilhabegesetz als größte Reform des SGB IX seit dessen Entstehung stellt insbesondere Leistungserbringer mit Wohnsettings vor die große Herausforderung, komplexe Neuregelungen in die Praxis umzusetzen. In einer aktuellen Studie unserer Curacon GmbH wird der Stand des Vorbereitungsprozesses von Einrichtungen der Eingliederungshilfe im Bereich Wohnen aus zehn Blickwinkeln analysiert.

Vor einem Jahr hatten wir bereits in der Vorgängerstudie die Stimmungen und Erwartungen der Branche aufgenommen. Die Teilnehmer beschrieben dabei zu 48 Prozent ihre Vorbereitung auf das BTHG als proaktiv - trotz des eher negativen Stimmungsbildes, das die Branche von den wirtschaftlichen Konsequenzen des Gesetzes hatte. So glaubten damals 94 Prozent der Befragten nicht an eine Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklungen in der Behindertenhilfe durch das neue Gesetz.

Diese negative Sichtweise galt erfreulicherweise nicht für die Situation der Leistungsberechtigten. Die Mehrheit der Befragten gab an, positive Auswirkungen auf das Leben der Menschen mit Behinderung zu erwarten.

Diese und weitere ausgewählte Fragen zur Bewertung der jüngeren Entwicklung sind erneut in die aktuelle Befragung eingegangen. Der Hauptfokus der BTHG-Studie 2019 liegt jedoch auf dem aktuellen Umsetzungsstand der Leistungserbringer anhand von typischen Projektschritten des Vorberei-tungsprozesses.

Hohe Professionalität im Vorbereitungsprozess

Die Anforderungen, die mit der Umsetzung des Gesetzes einhergehen, sind vielfältig und betreffen sowohl organisatorische als auch mannigfaltige weitere Aspekte der fachlich-inhaltlichen Arbeit. ICF-basierte Bedarfsermittlung, Leistungsmodularisierung, personenzentrierte Leistungsplanung oder die Differenzierung zwischen Assistenz- und qualifizierter Assistenzleistung sind nur einige Beispiele, die die große Komplexität und Vielschichtigkeit der gesetzlichen Reform verdeutlichen. Eine interdisziplinäre und hierarchieebenenübergreifende Zusammenarbeit ist dabei unerlässlich, wenn diese Herausforderungen erfolgreich bewältigt und die vorgegebene Zeitschiene des sukzessive in Kraft tretenden Gesetzes eingehalten werden sollen.

Die Mehrheit der befragten Einrichtungen kommt dieser Herausforderung mit einem professionell gestalteten Projektmanagement nach. 63 Prozent der Einrichtungen haben einen Zeitplan mit den wichtigsten Meilensteinen aufgestellt, drei Viertel der Einrichtungen haben ein (Multi-)Projekt für die Umsetzung definiert oder planen es. Die zugehörige Projektgruppe ist dabei typischerweise interdisziplinär aufgestellt und umfasst Betriebswirte, Sozialpädagogen und in einem Drittel der Fälle externe Berater.

Handlungsbedarf bei der inhaltlichen Vorbereitung

Zentrale Änderungen, die mit dem Inkrafttreten des BTHG einhergehen, sind die Trennung von Fachleistung und existenzsichernder Leistung sowie die neuen Verfahrensregeln des Gesamt- und Teilhabeplanverfahrens.

Insbesondere stellt die Änderung des Gesamtplanverfahrens die Einrichtungen vor große Herausforderungen. Denn sie müssen nach Paragraf 118 SGB IX Bedarfsermittlungsinstrumente anwenden, die sich an der "International Classification of Functioning Disability and Health" (ICF) orientieren. Welches Bedarfsermittlungsinstrument konkret Anwendung findet, bleibt den Ländern überlassen.

In einzelnen Bundesländern sind jedoch bis zum jetzigen Zeitpunkt entsprechende Bedarfsermittlungsinstrumente noch nicht existent oder werden erst seit Anfang des Jahres modellhaft angewandt. Das spiegelt sich auch in einem geringen Verständnis für die neuen Instrumente wider.

Planungsinstrumente oft noch nicht bekannt

So geben die Studienteilnehmer im Schnitt an, dass ihren Mitarbeitern nur zu 42 Prozent das konkrete Bedarfsermittlungsinstrument bekannt ist. Immerhin knapp die Hälfte der Einrichtungen setzt spezielle Experten (zum Beispiel Case Manager) für die individuelle Fallsteuerung ein, um die aus neuen Verfahrensregelungen resultieren Anforderungen erfolgreich bewältigen zu können.

Mit Inkrafttreten der dritten Reformstufe des BTHG wird schließlich die Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem des SGB XII herausgelöst. Damit einhergehend ergeben sich eine neue Refinanzierungsstruktur und die Notwendigkeit für leistungserbringende Einrichtungen, die Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den Leistungen zur Existenzsicherung zu trennen.

Den ersten Schritt stellt dabei die Frage nach der Höhe der Kosten der Unterkunft dar. Zentraler Punkt hierbei ist die genaue Zuordnung der Flächen inklusive ihrer Kosten zu Wohnzwecken oder zu Fachleistungszwecken. Die befragten Einrichtungen haben diesen Prozess zu großen Teilen bereits begonnen und in 44 Prozent der Fälle sogar schon abgeschlossen. Lediglich 16 Prozent der Einrichtungen haben diesen notwendigen Schritt im Frühjahr 2019 noch auf ihrer To-do-Liste.

Vielschichtige Implikationen

Neben einer schier unüberschaubaren Vielfalt an fachlich-inhaltlichen und betriebswirtschaftlichen Implikationen, wirft die Umsetzung des Gesetzes auch zahlreiche sozialrechtliche und steuerliche Fragestellungen auf, die es im Zuge des Umsetzungsprozesses zu kennen gilt. Sie haben große Bedeutung für die Gestaltung der neuen Verträge über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen (Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz - WBVG) sowie der Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen ist. Eine Modularisierung und Harmonisierung der Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen sowie der Unterkunfts- und Betreuungsverträge wird in den kommenden Monaten durch die Einrichtungen vorgenommen. Aktuell ist dies erst in weniger als fünf Prozent der Einrichtungen geschehen.

Spät verabschiedete Ausführungsgesetzte, noch ausstehende Landesrahmenverträge, hohe Aufwände im Vorbereitungsprozess und Zweifel an der Erreichung der kommunizierten Ziele des BTHG führen eher zu Verstimmungen unter den Studienteilnehmern. Im Vergleich zur Befragung 2018 hat sich die Bewertung des BTHG nochmals verschlechtert.

Die Studienteilnehmer sind größtenteils auf einem guten Weg der Vorbereitung. Auf diesem Pfad haben sie aber in den nächsten Monaten noch einige steinige Abschnitte vor sich, insbesondere vor dem Hintergrund der in vielen Bundesländern noch laufenden Landesrahmenvertragsverhandlungen. Beide Studien sind kostenlos via studien@curacon.de zu beziehen.

Dr. Jan Appel leitet seit 2017 Curacon Research. Simon Odenwald ist Berater im Geschäftsfeld Strategie und Organisation in der Sozialwirtschaft bei Curacon.