sozial-Thema

Bundesteilhabegesetz

Fachverband: Umstellung fordert die Träger enorm




Uwe Mletzko
epd-bild/Kerstin Rolfes/Verein für Innere Mission
2020 tritt die nächste Stufe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Kraft. Die Träger sind schwer gefordert, die Vorgaben zu erfüllen. Leicht ist das nicht, wie Uwe Mletzko, der Vorsitzende des Bundesverbandes evangelischer Behindertenhilfe (BeB), im epd-Interview erläutert. Der Aufwand sei enorm und die Länder hätten zum Teil ihre Hausaufgaben noch nicht erledigt. Der Zeitdruck sei hoch, sagt Pastor Mletzko.

Uwe Mletzko, Theologischer Geschäftsführer der Diakovere gGmbH, begrüßt den angestrebten Paradigmenwechsel in der Betreuung von Menschen mit Behinderung, also auch die Trennung der Fachleistungen von den Leistungen der Sozialhilfe. Aber der Aufwand der Vorbereitung sei enorm, betont der Experte. Zumindest vor der Umstellung werde der bürokratische Aufwand steigen. Viele Kollegen hätten "die Sorge, dass der große Aufwand real keine Verbesserung der Lebenssituation der Leistungsberechtigten bringt. Manche Kritiker befürchten gar Verschlechterungen". Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ist eine einschneidende Reform, die ein ganz anderes Herangehen an die Betreuung und Begleitung von Menschen mit Behinderung bedeutet. Welche Veränderungen hat das für die Mitarbeiter zur Folge?

Uwe Mletzko: Der Paradigmenwechsel führt zu einer neuen Akzentuierung der Professionalität der Mitarbeitenden der Eingliederungshilfe. Sie sind Assistentinnen oder Assistenten und unterstützten Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung dabei, ihre individuellen Teilhabewünsche und -rechte zu verwirklichen. Dazu gehört auch unbedingt ein Engagement für den Nicht- beziehungsweise Abbau von Teilhabebarrieren.

epd: Das ist der rein persönliche Aspekt. Was sind die Herausforderungen für die Träger?

Mletzko: Das Gesetz ist der Versuch, den Paradigmenwechsel hin zu Selbstbestimmung und Partizipation auch strukturell im System der Eingliederungshilfe zu verankern. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Trennung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe von existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe. Dazu müssen ganz neue Instrumente der Bedarfserhebung und ihr Einsatz im Teilhabe- und Gesamtplanverfahren geschaffen werden. Diese Neujustierungen stellen vielfältige Herausforderungen an die Haltung, die Kommunikation und die Fachlichkeit aller Beteiligten dar, also vor allem für die Mitarbeitenden der Leistungsträger und der Leistungserbringer. Aber auch die Leistungsberechtigten und, sofern vorhanden, ihre gesetzlichen Betreuerinnen und Betreuer sind gefordert.

epd: Brauchen die Träger dafür zusätzliches Personal? Oder müssen Sie ihre Mitarbeiter nur entsprechend schulen?

Mletzko: Die Umstellung des Systems ist ein Kraftakt und benötigt und bindet umfängliche Ressourcen bei den Trägern. Das ist bereits bei den vorbereitenden Schritten der Fall. Zusätzliche personelle Ressourcen stehen dafür nicht zur Verfügung, sie werden durch Umstrukturierungen generiert. Zu diesen Maßnahmen zählen auch Schulungen für Mitarbeitende.

epd: Wie ist der aktuelle Umsetzungsstand?

Mletzko: Dieser Paradigmenwechsel kommt ja nicht völlig überraschend. Es wurde bei den Trägern, in den Ausbildungen und in den Akademien bereits viel unternommen, um vorbereitet zu sein, unter anderem auch von uns als BeB. Zum Beispiel mit dem Aktionsplanprojekt. Weitere Maßnahmen beziehen sich auf das Empowerment der Nutzer der Angebote und die Stärkung partizipativer Strukturen und Kulturen. Auch hier wird viel entwickelt, etwa im BeB-Projekt "Hier bestimme ich mit! Index für Partizipation".

epd: Klingt nach einer großen Herausforderung ...

Mletzko: In der Tat. Viele Kräfte in den Verwaltungen insbesondere der Wohnangebote werden zur Zeit gebunden für die Berechnung der Wohnflächen und die Vorbereitung neuer Zahlungswege. Schließlich braucht die Umstellung viel Energie bei den leitenden Mitarbeitenden der Einrichtungen. Viele Regelungen im Gesetz sind unklar, müssen verstanden werden, auf Machbarkeit überprüft werden und in die strategische Neuausrichtung übersetzt werden. Mit großem Engagement bringen sich Vertreterinnen und Vertreter der Träger in die Aushandlungsprozesse auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene ein. Und sie sind damit befasst, die Informationen in die Einrichtungen zu übersetzen und an die Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen weiterzugeben.

epd: Und wenn die Umstellung dann erfolgt?

Mletzko: Die Umsetzung selbst wird ebenfalls zahlreiche Ressourcen binden: Informationen, Schulungen und auch verwaltungstechnische Umstellungen sind notwendig. Der BeB hat bereits vor Beginn der Reform darauf hingewiesen, dass eine so grundlegende Umstellung nicht zum Nulltarif zu haben ist. Wir unterstützen die Träger dabei, diese Bedarfe bei den Leistungsträgern geltend zu machen.

epd: Ist es richtig, dass die Einrichtungen wichtige Vorarbeiten der Umstellung nicht vorantreiben können, weil zum Beispiel die Landesrahmenverträge der Länder noch nicht vorliegen?

Mletzko: Viele Fragen sind noch nicht geklärt, weil in zahlreichen Bundesländern noch keine Landesrahmenverträge abgeschlossen sind, Bedarfserhebungsinstrumente noch nicht zur Verfügung stehen und auch die Ämter vor Ort an vielen Stellen nicht ausreichend vorbereitet sind. Oft verfügen sie auch nicht über kundiges Personal.

epd: Was bedeutet das für den sehr eng getakteten Reformzeitplan?

Mletzko: In einigen Ländern sind die Vorbereitungen recht erfolgreich, andere hinken deutlich hinterher, zahlreiche Bundesländer haben Übergangsregelungen angekündigt, um die Situation zu entspannen und den enormen Zeitdruck aus dem System zu nehmen.

epd: Viele Träger beklagen ein Anwachsen von Bürokratie, etwa auf dem Sektor der Gesamt- oder Teilhabeplanung. Teilen Sie diese Kritik?

Mletzko: Die Umstellung wird auf jede Fall einen erhöhten Verwaltungsaufwand bedeuten. Vieles wird künftig davon abhängen, wie praktikabel die Regelungen umgesetzt werden, wie personzentriert und auch mit wie viel Vertrauen in die Expertise der Einrichtungen und Dienste. Wenn durch die potenziell erhöhte Bürokratie ein Mehr an Teilhabe bei den Klienten ankommt, ist das in Kauf zu nehmen. Viele haben allerdings die Sorge, dass der große Aufwand real keine Verbesserung der Lebenssituation der Leistungsberechtigten bringt. Manche Kritiker befürchten gar Verschlechterungen. Die neuen Gesamt- und Teilhabeplanverfahren sind jedenfalls kompliziert und wenig erprobt. Wir appellieren dringend an die Ausrichtung am Menschen und nicht an Systemen oder Verfahren.

epd: Gehen Sie davon aus, dass zumindest der überwiegende Teil der Einrichtungen 2020 nach den neuen Vorgaben arbeiten wird?

Mletzko: Teile des Gesetzes treten zum Jahreswechsel in Kraft - die Vorgaben müssen von allen Beteiligten umgesetzt werden. Hier sind vor allem die Leistungsträger wie die Landeswohlfahrtsverbände und Sozialämter in der Pflicht, den Betroffenen rechtzeitig die Leistungen zukommen zu lassen. Die Trennung der Leistung wird vollzogen. Die Zahlungswege müssen umgestellt sein. Bei der Bedarfsermittlung und die Gestaltung des Gesamtplanverfahrens gehen wir davon aus, dass sich vieles erst mittel- und langfristig in der Praxis und in der weiteren Rechtsprechung klären lässt.

epd: Eine aktuelle Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Curacon hat ergeben, dass sich im Vergleich zur Befragung 2018 die Bewertung des BTHG seitens der Träger nochmals verschlechtert hat. Können Sie das nachvollziehen?

Mletzko: Der Aufwand der Einrichtungen zur Umstellung ist enorm, die Verhandlungen der Landesrahmenverträge verlaufen teilweise schleppend. Deshalb sind viele Fragen weiterhin offen, woraus auf allen Seiten eine Verunsicherung bei den Beteiligten resultiert. Barrierefreie Informationen von Bund und Ländern, um zu informieren und auf diese Verunsicherungen der Bürger zu reagieren sind leider äußerst rar. Letztlich muss sich das Gesetz daran messen lassen, was es verspricht: die verbesserte Teilhabe für Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung in diesem Land.

epd: Umfassende Kritik am Gesetz gibt es ja schon länger. Jetzt wird nachgebessert. Was konkret soll das "Reparaturgesetz" bringen?

Mletzko: Eine wichtige Änderung ist, dass die Wohnkosten auch wirklich übernommen werden. Ansonsten beinhaltet das Gesetz lediglich kleinere Korrekturen. Weitere wichtige Änderungen beinhaltet der Entwurf des Unterhaltsentlastungsgesetz, mit dem Eltern von Kindern mit Behinderung finanziell entlastet werden.