sozial-Politik

Corona

Kita-Eltern im Dilemma




Warnhinweis am Eingang einer Kita
epd-bild/Jörn Neumann
Kitas fühlen sich in der Corona-Krise von der Politik im Stich gelassen. Eltern können ihre Kinder trotz Infektionsgefahr in die Betreuung schicken. Covid-19-Tests für das Personal oder Investitionen in Luftentkeimungsgeräte - weitgehend Fehlanzeige.

Dem Coronavirus möglichst zu entwischen, dem gilt gerade die Hauptsorge der meisten Bürger. "Doch wie sollen wir das tun?", fragt Eva Mors (Name geändert). Die Kita-Leiterin aus Unterfranken ist empört, dass Bayern im aktuellen Lockdown so lax mit dem Kita-Personal umgeht: "An Eltern wird lediglich appelliert, dass sie ihre Kinder zu Hause lassen sollen." Doch jede Mutter, die denkt, die Kita sei für ihr Kind nötig, darf die Notbetreuung in Anspruch nehmen: "Damit sind die Kitas letztlich offen für alle."

Angst vor einer Infektion

Das missfällt Eva Mors im höchsten Grade. Und zwar vor allem deshalb, weil die 49-jährige Pädagogin, die sich aus Furcht vor beruflichen Nachteilen nicht namentlich äußern möchte, sicher ist, dass auch Kinder das Coronavirus übertragen können. Das habe sie an ihrem eigenen Sohn erlebt: "Der hat sich während seines Praktikums in einer Kita infiziert." Sonst habe er in dieser Zeit kaum Kontakte gehabt. Daher deute alles darauf hin, dass er von einem an Covid-19 erkrankten Kind angesteckt worden war. Doch nicht nur die Angst vor einer Infektion setzt Eva Mors unter Stress. Es sei nahezu unmöglich, sagt sie, die Corona-Auflagen mit dem vorhandenen Personal zu erfüllen.

Der Begriff "Notbetreuung" sorgt nach Mors' Ansicht für illusionäre Vorstellungen über das, was aktuell in Kitas abgeht. Mehr als die Hälfte der Eltern werden ihre Kinder im zweiten Lockdown bringen, schätzt die Pädagogin. Ein Kollege von ihr bestätigt dies: "Schon nach wenigen Tagen wurden in unserer Kita 32 von 80 Kindern für die Notbetreuung angemeldet." Mit weiteren Kindern sei zu rechnen. Betreut wird dabei in kleinen Gruppen. Dafür bräuchte es viel mehr Personal. "Vor 8 Uhr und nach 15 Uhr wurden die Kinder bei uns bisher gruppenübergreifend betreut, das geht nun nicht mehr." Die durchgehende Betreuung in kleinen Gruppen mache Überstunden nötig.

Nach Angaben des bayerischen Familienministeriums kann die Notbetreuung von allen Eltern in Anspruch genommen werden, die "die Betreuung nicht auf andere Weise sicherstellen können". Das, sagt Eva Mors, "ist Larifari". Dieses "Larifari" in Form von Eltern-Appellen gibt es laut Björn Köhler von der GEW in mehreren Bundesländern. In Berlin reiche es, wenn Eltern angeben, dass sie auf die Betreuung wegen Berufstätigkeit angewiesen sind: "Ein Nachweis ist nicht erforderlich." In Baden-Württemberg genüge eine einfache Arbeitgeberbescheinigung. Die GEW geht deshalb davon aus, dass in einigen Kitas bis zu 90 Prozent der Kinder anwesend sein werden.

"Familien müssten stärker entlastet werden"

Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sollten offengehalten werden, wo immer das pandemiebedingt möglich ist, wünscht sich Christine Kuhn von der Würzburger Fachakademie für Sozialpädagogik St. Hildegard. In vielen Familien sei das private Betreuungsnetzwerk zusammengebrochen, selbst Großeltern fallen weitgehend aus. Studien zeigten, dass diese Situation besonders hart jene Familien betrifft, die bereits vor der Pandemie belastet waren. "Das sind Familien aus prekären Verhältnissen, Alleinerziehende, Familien mit mehreren Kindern sowie solche mit psychisch erkrankten Eltern", erläutert Kuhn.

Die Münsteraner Expertin für Sozialpädagogik, Karin Böllert, bestätigt, dass Kita-Schließungen Kinder mit ohnehin schlechteren Startchancen besonders hart treffen: "Sie drohen durch die Pandemie, dauerhaft abgehängt zu werden." Familien müssten prinzipiell stärker entlastet werden, sagt die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe. Böllert fordert, die Anzahl der bezahlten Urlaubstage für berufstätige Eltern deutlich zu erhöhen. Außerdem müssten Familien, die auf das bezuschusste Mittagessen in Kitas angewiesen sind, ihr Kind auch im Lockdown günstig verpflegen können.

Freie Räume in Museen und Bibliotheken

Dass Bund, Länder und Kommunen in Sachen "Kita" an einem Strang ziehen, wünscht sich Waltraud Weegmann, Vorsitzende des Deutschen Kitaverbandes: "Wir fordern eine einheitliche Regelung mit abgestuften Maßnahmen je nach Inzidenz und R-Faktor." Was politisch aktuell geschieht, bezeichnet der Kita-Verband als "Blindflug". "Es wurden bisher weder die Herausforderungen bei der personellen Ausstattung der Einrichtungen in Angriff genommen, noch wurden Testkapazitäten zur Verfügung gestellt", kritisiert Weegmann. Ebenso wenig sei in Technik oder Bauliches investiert worden: "Zum Beispiel, was den Einsatz von Luftentkeimungsgeräten anbelangt."

Familien geraten durch den Lockdown in ein großes Dilemma. Sollen sie den Appellen folgen und ihr Kind daheimlassen, um es vor dem Virus zu schützen und das Kita-Personal zu entlasten? Oder wäre es für ihr Kind besser, in die Kita zu gehen? "Eltern werden alleine gelassen mit der Frage, wie sie den Lockdown bewältigen können", sagt Erziehungsberater Bernhard Bopp von der Caritas im baden-württembergischen Tauberkreis.

Es wäre wichtig, auf der Landesebene zu regeln, wie mehr Platz für Kinderbetreuung geschaffen werden könnte, um die Notbetreuung bald zu beenden, sagt Frank Jansen, Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK). Jansen denkt zum Beispiel an freie Räume in Museen und Bibliotheken.

Pat Christ


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