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Niedersachsen

Pflegekammer will nach Protesten Beitragsordnung überprüfen




Auch die hier Beschäftigten wären Kammermitglieder: Evangelisches Pflegeheim in Hannover-Marienwerder.
epd-bild / Jens Schulze
Die Pflegekammer in Niedersachsen soll als berufsständische Vertretung die Pflege stärken. Doch vor allem nach Beitragsbescheiden vom Dezember hagelt es Kritik. Die Kammer-Präsidentin kündigt jetzt Besserungen an.

Die niedersächsische Pflegekammer will nach massiver Kritik von Pflegenden ihre Beitragsordnung überprüfen. Sie werde der Kammerversammlung "mit Hochdruck" empfehlen, sofort eine Arbeitsgruppe mit einer Änderung der kritischen Punkte zu beauftragen, sagte Kammer-Präsidentin Sandra Mehmecke am 8. Januar nach einem Gespräch mit Sozialministerin Carola Reimann (SPD) in Hannover. Unterdessen gab es weitere Kritik an der im August gestarteten Kammer und ihrem Beitragsverfahren.

Mittlerweile haben mehr als 41.000 Menschen die von einem Krankenpfleger vor Weihnachten gestartete Online-Petition unterzeichnet, die eine Auflösung der Pflegekammer fordert. Hintergrund waren Bescheide, in denen den Mitgliedern der Einzug des Höchstbeitrages angekündigt wurde, wenn sie nicht schnell ihre Einkommensverhältnisse offenlegten. Mehmecke sagte, sie werde empfehlen, dieses Verfahren zu ändern. "Wir nehmen die Kritik sehr ernst", betonte sie. Die Pflegekammer müsse jetzt Vertrauen neu aufbauen.

Reimann zeigt Verständnis für die Kritik

Auch Sozialministerin Reimann sagte, sie könne die Kritik verstehen. Sie habe bereits deutlich gemacht, dass sie den Zeitpunkt und das Vorgehen beim Versand der Beitragsbescheide für unglücklich gehalten habe. Dennoch halte sie ein Festhalten an der Pflegekammer für richtig. "Die Pflege braucht eine starke Stimme. Die Pflegekammer kann eine solche Stimme sein", sagte Reimann. "Und sie muss jetzt deutlich machen, dass sie nicht gegen, sondern für und mit den Pflegekräften arbeitet."

Die Pflegekammer vertritt 80.000 bis 95.000 Pflegefachkräfte mit Abschlüssen in der Altenpflege, Gesundheits- und Kranken- sowie der Kinderkrankenpflege. Die Erhebung von Mitgliedsbeiträgen soll die Unabhängigkeit der Kammer gewährleisten.

Die Grünen im Landtag warben um Verständnis für die Anlaufschwierigkeiten der noch von der rot-grünen Vorgängerregierung beschlossenen Einrichtung. Innerhalb eines Jahres eine neue berufsständische Vertretung aufzubauen, sei für die größtenteils ehrenamtlich in der Kammer engagierten Pflegekräfte ein großer Kraftakt gewesen, sagte die Abgeordnete Meta Janssen-Kucz. "Weder die Gewerkschaften noch die Berufsverbände haben es in der Vergangenheit vermocht, die Interessen der Pflege gegenüber Einrichtungen und Krankenkassen durchzusetzen."

Ver.di erwägt Klage wegen Beitragshöhe

Die Gewerkschaft ver.di und andere Parteien äußerten dagegen Kritik. Ver.di erwägt eine Klage zur Verhältnismäßigkeit der Beiträge. Zwar müsse kaum eine Pflegekraft den Höchstbeitrag von 280 Euro im Jahr zahlen, der nach der derzeitigen Regelung ab einem Jahreseinkommen von 70.000 Euro zu entrichten ist. Allerdings liege auch der angepasste Beitrag von 0,4 Prozent für viele Pflegekräfte wesentlich über dem ursprünglich kalkulierten Beitrag von vier bis acht Euro pro Monat.

Die niedersächsische Linke forderte die Auflösung der Pflegekammer. Die AfD-Fraktion im Landtag erklärte, sie lehne eine Pflichtmitgliedschaft von Pflegerinnen und Pflegern in der Kammer ab. Für die FDP sagte Sylvia Bruns: "Die heutigen Äußerungen der Sozialministerin und der Kammerpräsidentin zur Pflegekammer sind nicht dazu geeignet, die Situation zu entspannen." Vielmehr müssten die Beitragsbescheide allesamt zurückgenommen werden.

Experten halten Kammer für sinnvoll

Die niedersächsische Pflegekammer ist nach Einrichtungen in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein die dritte und bisher größte in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen haben sich nach Angaben der niedersächsischen Kammer laut einer aktuellen Befragung Pflegefachkräfte mit großer Mehrheit ebenfalls für eine solche "schlagkräftige und unabhängige Interessenvertretung" ausgesprochen.

Auch Pflegeexperten halten eine Kammer für sinnvoll und sehen in einer unzureichenden Information der Pflegekräfte in Niedersachsen eine Ursache der Probleme. Stefan Görres, Pflegeforscher an der Universität Bremen, bezeichnete gegenüber epd die Pflegekammer als "ein Kraftpaket für die Pflege der Zukunft". Eine solche Einrichtung beantworte ethische Fragen, biete Fort- und Weiterbildungen und sichere die Qualität der Pflege.

Der Pflegewissenschaftler Hartmut Remmers von der Universität Osnabrück empfahl eine Regelung, nach der ein Beitrag der Pflegekräfte erst oberhalb einer bestimmten Einkommensgrenze zu zahlen sei. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass manche Pflegekräfte nur sehr wenig Geld verdienten. Viele könnten sich den Pflichtbeitrag schlicht nicht leisten.

Michael Grau


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