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Medizinethik

Kontroverse über Umgang mit Sterbewilligen in Diakonie-Einrichtungen




Eine Verstorbene in einem Hospiz
epd-bild/Werner Krüper
Hochrangige evangelische Theologen halten Sterbehilfe in kirchlichen Einrichtungen für möglich. Damit weichen sie von der bisherigen Linie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ab. Widerspruch kommt aus den Kirchen und politischen Parteien.

Die Stellungnahme evangelischer Theologen zur Möglichkeit des assistierten Suizids auch in kirchlichen Einrichtungen stößt auf Kritik: in CDU und SPD sowie in den Kirchen und der kirchlichen Wohlfahrt. "Wer Selbsttötungshilfe zum geregelten Angebot macht, schwächt die eigenen Möglichkeiten, auch in schwieriger Lage zum Leben zu ermutigen", sagte der Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der Unionsbundestagsfraktion, Herrmann Gröhe (CDU), dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Krauß forderte sogar den Rücktritt von Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Seine Position sei eine "Bankrotterklärung", erklärte er am 12. Januar. Krauß sagte, die Diakonie müsse alles tun, um Menschen am Lebensende zu begleiten. Wenn es die Möglichkeit zur Suizidassistenz gebe, "dann werden diese Menschen unter Druck gesetzt, doch endlich aus dem Leben zu scheiden", erklärte der Abgeordnete aus dem Erzgebirge.

Freiverantwortliche Wunsch einer Person

Lilie sowie die Theologen Reiner Anselm und Isolde Karle hatten in einem am 11. Januar in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlichen Gastbeitrag dafür plädiert, sich der Suizidassistenz in kirchlichen Häusern nicht komplett zu verweigern. Kirchliche Einrichtungen sollten eine bestmögliche medizinische und pflegerische Palliativversorgung sicherstellen. Zugleich dürften sie sich aber dem freiverantwortlichen Wunsch einer Person nicht verweigern, ihrem Leben mit ärztlicher Hilfe ein Ende zu setzen, heißt es darin.

Diakonie-Präsident Lilie verteidigte am 14. Januar den von ihm mitgetragenen Vorstoß für die Möglichkeit von Suizidassistenz in kirchlichen Einrichtungen. "Niemand von uns will den Tod organisieren", sagte Lilie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gehe um einen Aufschlag "zu einer anstehenden, nachdenklichen und differenzierten Debatte über die Frage, wie wir respektvoll, wertegebunden und ergebnisoffen mit dem Willen von Betroffenen umgehen".

Er verwahre sich "gegen Karikaturen unseres Anliegens, es gehe uns um ein geregeltes Angebot neben anderen oder einen Anspruch auf Sterbehilfe in unseren Einrichtungen", sagte er: "Selbstverständlich bleibt die Diakonie Anwältin des Lebens."

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar vergangenen Jahres den Klagen von Sterbehilfeorganisationen, Ärzten und Einzelpersonen Recht gegeben, die sich gegen das Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Hilfe bei der Selbsttötung richteten. Die Karlsruher Richter erklärten das entsprechende Gesetz für nichtig und begründeten das mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das auch Dritten die Assistenz beim Suizid erlaube.

"Selbsttötungshilfe als geregeltes Angebot"

Der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Thomas Rachel, warnte, Hilfe zum Sterben in Form von Assistenz zur Selbsttötung sei keine adäquate Option kirchlich-diakonischen Handelns. "Solches wäre ein fataler Irrweg", sagte er am 14. Januar in Berlin.

Rachel betonte, das Leitbild evangelischer Sterbebegleitung müsse auch weiterhin ausschließlich in der bestmöglichen palliativmedizinischen und hospizlichen Für- und Seelsorge am Sterbebett bestehen. "Suizidales Handeln ist immer ein zutiefst zu bedauerndes, tragisches Scheitern und allein schon deshalb ein ethisch wie politisch letztlich nicht vollständig regulierbarer Grenzfall menschlicher Existenz." Aus einer solchen Grenzsituation dürfe niemals ein Regelfall oder eine Art Regelleistung medizinischer Grundversorgung werden, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete.

Gröhe sagte, auch der Respekt vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts müsse "nun wahrlich nicht bedeuten, dass solche Selbsttötungshilfe in diakonischen Einrichtungen zum geregelten Angebot wird". Zudem sei deutlich gemacht worden, dass der Beitrag der Theologen keinen Positionswechsel der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bedeute.

"Subtiler Druck"

Ein EKD-Sprecher hatte betont, dass sie weiter jede organisierte Hilfe zum Suizid, die dazu beiträgt, dass die Selbsttötung zur Option neben anderen werde, ablehne. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat in der evangelischen Kirche allerdings eine neue Kontroverse ausgelöst.

Auch von katholischer Seite kommt Widerspruch. "Den subtilen Druck, dem assistierten Suizid zuzustimmen, um am Ende des Lebens anderen nicht zur Last zu fallen, halten wir für eine große Gefahr", sagte der Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp. Auch der Deutsche Caritasverband, der katholische Sozialverband, betonte, in katholischen Einrichtungen könne es kein solches Angebot geben. "Die Aufgabe der Einrichtungen kann nicht darin bestehen, möglicherweise den Suizid von Bewohnern zu organisieren. Sie besteht darin, Menschen zu begleiten und Alternativen zu eröffnen", sagte Caritas-Präsident Peter Neher.

"Debatte überfällig"

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese sagte dem epd: "Es muss darum gehen, Hilfe beim Sterben anzubieten - und nicht Hilfe zum Sterben." Die Antwort auf Leid und Schmerz dürfe niemals die Ausweitung des assistierten Suizids sein. Griese ist ebenfalls Mitglied im EKD-Rat und hatte die Gesetzesinitiative 2015 zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe mit vorbereitet.

Der evangelische Kirchenjurist Hans Michael Heinig, der auch in der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD sitzt, sagte, in dem Text werde zu wenig thematisiert, welche Zumutungen die vorgeschlagene Etablierung "assistierten professionellen Suizids" für das Pflegepersonal und die Ärzteschaft in kirchlichen Einrichtungen bedeute. "Die inneren Verwerfungen wären massiv", sagte der Göttinger Professor. Er betonte zugleich, die Debatte sei überfällig.

Corinna Buschow


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