sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Markus Jantzer
epd-bild/Heike Lyding

dieses Grundsatzurteil könnte erhebliche Folgen für die Sozialbranche haben: Gemeinnützige Einrichtungen können nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs für ihre Zweckbetriebe in Zukunft meistens nicht mehr den ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent beanspruchen, sondern müssen volle 19 Prozent zahlen.

Da war der Minister mächtig stolz. Bei der Präsentation von Gesundheits-Apps auf Kassenrezept sprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von einer "Weltpremiere". Deutschland werde das erste Land auf dem Globus sein, in dem sich Patienten die Kosten für Gesundheits-Apps von der gesetzlichen Krankenversicherung erstatten lassen können. Experten warnen allerdings vor einem sorglosen Einsatz der digitalen Anwendungen.

Frauen in Deutschland wird jeden Tag von ihren Partnern körperliche Gewalt angetan, jeden dritten Tag wird eine Ehefrau, eine Freundin oder eine Ex-Partnerin getötet. Grauenvolle Zahlen - und sie sagen noch nichts aus über andere Formen der Drangsalierung und Unterdrückung. So wird nach Schätzungen fast jede Frau im Laufe ihres Lebens in herabsetzender oder einschüchternder Weise von Männern angemacht.

Der Druck für eine Pflegereform erhöht sich weiter: Sozialverbände fordern, die Finanzierung der Pflege grundlegend zu überarbeiten. Die finanziellen Belastungen für die Betroffenen und ihre Angehörigen werden aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch der Ausgabendynamik zu groß. Auch die Gewerkschaft ver.di spricht von einem "extremen Handlungsdruck".

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Hier geht es zur Gesamtausgabe von epd sozial 48/2019.

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Markus Jantzer




sozial-Politik

Digitalisierung

Gesundheits-Apps auf Rezept oft nicht ausreichend getestet




Eine App, mit der Diabetiker ihre Glukosewerte auf dem Smartphone überwachen können
epd-bild/Heike Lyding
Das neue "Digitale-Versorgung-Gesetz" ermöglicht ab 2020 Gesundheits-Apps auf Kassenrezept – doch Ärzte und Gesundheitsexperten warnen vor fehlerhaften Anwendungen. Denn sie könnten schwerwiegende Folgen haben.

Von einer "Weltpremiere" sprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), als er der Öffentlichkeit seine Gesundheits-Apps auf Kassenrezept präsentierte. Ab Januar wird Deutschland damit das erste Land sein, das seinen Bürgern ermöglicht, sich Gesundheits-Apps für Smartphones und Tablets von der gesetzlichen Krankenversicherung erstatten zu lassen. "Digitale Lösungen können den Patientenalltag konkret verbessern. Darum gibt es ab 2020 gesunde Apps auf Rezept", sagte der Minister.

Vorteile für chronisch Kranke

Gemeint sind Apps, die Gesundheitsdaten aufzeichnen und verarbeiten. Das können die beim Joggen zurückgelegte Wegstrecke und die dabei verbrauchten Kalorien sein, Blutzuckerwerte bei Diabetikern oder Blutdruckmessungen bei Patienten mit zu hohem Blutdruck. Auch die Häufigkeit, mit der Medikamente eingenommen werden müssen, können solche Apps vorgeben und überwachen.

"Grundsätzlich ist es gut, dass es nun diese Möglichkeit gibt", sagt Marcel Weigand, Experte für digitale Transformation von der Patientenberatung Deutschland (UPD) in Berlin. Gerade chronisch kranke Menschen wie Diabetiker und Herzpatienten könnten davon profitieren, wenn ihnen die Selbstkontrolle erleichtert werde: "Wenn die Werte aus dem Ruder laufen, dann werden sie und gegebenenfalls auch der behandelnde Arzt alarmiert."

Eine mögliche Folge könne sein, dass Patienten besser mitwirkten und sie motivierter bei der Sache seien, sagt Weigand. "Unnötige Arztbesuche fallen zudem weg, weil dem Arzt die Werte elektronisch übermittelt werden oder eine Videosprechstunde mit dem Arzt reicht." Gerade für Patienten mit eingeschränkter Mobilität oder langen Anfahrtswegen in ländlichen Gegenden sei dies ein deutlicher Vorteil.

Studien fehlen

Doch ganz ungetrübt ist die Freude über die Apps auf Rezept nicht. "Wir finden es kritisch, dass es Apps geben wird, deren Wirksamkeit und Schadenspotenzial noch nicht überprüft wurde. So werden die Apps im ersten Jahr auch dann von den Kassen bezahlt, wenn es noch keine Studien zu ihnen gibt." So etwas sei bei Medikamenten völlig undenkbar, kritisiert Weigand, warum aber bei Gesundheits-Apps?

Der Experte der UPD saß selbst mit in dem Gesundheitsausschuss, der über das "Digitale-Versorgung-Gesetz" (DVG) der Bundesregierung beriet, das nun verabschiedet wurde. "Dahinter steckt, dass mehr innovative Apps auf den Markt kommen sollen, junge Start-ups aber sehr schnell pleitegingen, wenn sie wie bei Medikamenten drei bis fünf Jahre auf die Genehmigung warten müssten." Dass man es ihnen so leicht mache, ist aus Sicht der UPD bedenklich. "Denn was passiert, wenn sich zeigt, dass eine App nicht richtig funktioniert und sie mehr Schaden als Nutzen anrichtet?"

Warnung vor fatalen Folgen

Äußerst kritisch findet das auch die niedergelassene Fachärztin für Allgemeinmedizin, Christina Neumann aus Denklingen im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech: "Apps gehören nur dann verschrieben, wenn sie auf Herz und Nieren geprüft wurden." Absolut fatal könne es etwa sein, wenn eine App fehlerhaft sei, die an die Einnahme von Medikamenten erinnere: "Wenn ein Präparat dann etwa dreimal statt nur einmal am Tag eingenommen wird."

Ebenso fatal könne es sein, wenn der Blutzuckerwert eines Diabetikers nicht korrekt angezeigt werde, sagt Neumann: "Dann spritzt er sich zu viel oder zu wenig Insulin, was unter Umständen zum Koma führen kann." Problematisch findet Neumann an den Apps, "dass es sofort eine Handlungsempfehlung gibt, die sehr gefährlich sein kann".

Neumann geht zwar davon aus, dass die Gesundheits-Apps ihren Praxisalltag ein wenig verändern werden. Aber sie glaubt auch, dass nur für etwa zehn Prozent ihrer Patienten die Apps infrage kommen. "Ältere Patienten haben oft überhaupt kein Smartphone oder wären mit einer solchen App technisch überfordert. Und jüngere Patienten haben seltener chronische Krankheiten, die eine regelmäßige Überprüfung ihrer Werte nötig machten."

Barbara Driessen


Frauen

An jedem dritten Tag stirbt eine Frau durch Partnergewalt




Aktion zum "Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen" am 25. November
epd-bild/Jürgen Blume
Es ist ein großes Tabu - kommt aber ständig vor: Jeden Tag werden Dutzende Frauen Opfer von Gewalt. Oft werden sie von ihrem Partner verletzt. Familienministerin Giffey verspricht mehr Einsatz für den Ausbau von Frauenhäusern.

Mehr als einmal pro Stunde wird in Deutschland statistisch gesehen eine Frau durch ihren Partner gefährlich verletzt. Das geht aus der "Kriminalstatistischen Auswertung zu Partnerschaftsgewalt 2018" des Bundeskriminalamtes hervor, wie Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) zum "Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen" am 25. November in Berlin sagte. Demnach wurden im vergangenen Jahr insgesamt 140.755 Menschen Opfer versuchter und vollendeter Gewalt. Ein Jahr zuvor waren es noch 138.893 Fälle. Mehr als 81 Prozent der Betroffenen waren laut Statistik Frauen.

Übergriffe, Bedrohung, Stalking

Erhoben wurden Mord und Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexuelle Übergriffe, Bedrohung, Stalking, Nötigung, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution. Die Ministerin nannte die Zahlen "sehr alarmierend" und verwies darauf, dass hier nur von einem "Hellfeld" gesprochen werde. Sie gehe davon aus, dass das Dunkelfeld weitaus größer sei. Denn nicht alle Taten würden zur Anzeige gebracht.

Insgesamt ist den Angaben zufolge jede dritte Frau mindestens einmal im Leben von Gewalt betroffen. 122 Frauen wurden 2018 laut Statistik durch Partnerschaftsgewalt getötet - damit an jedem dritten Tag eine. 2017 waren es 147.

Gewalt gegen Frauen komme in allen sozialen Schichten und Altersgruppen und in allen ethnischen Gruppen vor, betonte Giffey. Deshalb starte sie die bundesweite Initiative "Stärker als Gewalt" mit dem Ziel, betroffene Frauen und Männer zu ermutigen, sich Unterstützung zu holen, und die Hilfsangebote besser bekanntzumachen.

Es fehlen 13.000 Plätze

Mit dem Förderprogramm "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen" will die Ministerin in den kommenden vier Jahren ab 2020 insgesamt 120 Millionen Euro zusätzlich für den Ausbau von Beratungsstellen und Frauenhäusern bereitstellen. Derzeit gebe es in Frauenhäusern knapp 7.000 Plätze, nötig seien 20.000. Zuständig sind aber die Länder und Kommunen.

Derweil mehren sich Forderungen nach einem Rechtsanspruch aller von Gewalt betroffenen Frauen auf Schutz. Die Grünen-Fraktion im Bundestag sprach sich für einen Anspruch auf "Geldleistung für den Zweck des Aufenthalts in einem Frauenhaus oder einer vergleichbaren Schutzeinrichtung" aus.

Auch die Frauenrechtskommission UN Women und Schauspielerin Carolin Kebekus mahnen mehr Einsatz für das Recht von Frauen und Kindern auf Schutz vor Gewalt an. Zum Start einer Online-Petition verlangten sie von der Bundesregierung, Frauen und Kindern per Bundesgesetz einen Anspruch auf einen Platz im Frauenhaus zu gewährleisten. "Sieben Frauen werden täglich von ihrem Partner vergewaltigt oder sexuell genötigt. Und zwar in Deutschland", sagte die Schauspielerin und Komikerin Kebekus. UN Women Deutschland kritisierte, Gewalt gegen Frauen sei nach wie vor ein Problem, obwohl die Bundesregierung mit der Istanbul-Konvention im Oktober 2017 ein rechtlich bindendes Instrument zum Schutz von Frauen vor Gewalt ratifiziert habe.

Der Verein Frauenhauskoordinierung forderte darüber hinaus ein striktes Verbot des Umgangs gewalttätiger Väter mit ihren Kindern. Die Rechtsprechung bewerte das Umgangsrecht des Vaters meist noch immer höher als den Gewaltschutz der Mutter, beklagte die Organisation: "Das ist hochgefährlich für betroffene Frauen und für ihre Kinder."

Terre des Femmes fordert Sexkaufverbot

Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes hat am 25. November gegen Prostitution demonstriert. Prostitution sei eine legalisierte Form der Gewalt an Frauen. Die Nachfrage nach käuflichem Sex müsse deshalb durch ein Sexkaufverbot eingedämmt werden, forderte Terre des Femmes.

Es sei erschreckend, dass es in Deutschland Männern erlaubt sei, "sich den Körper einer Frau zu erkaufen", kritisierte die Frauenrechtsorganisation. Damit toleriere die Politik ganz offiziell Gewalt an Frauen und signalisiere Jungen und Männern, "dass man über eine Frau sexuell verfügen darf, wenn man dafür bezahlt".

Deutschland solle das schwedische Modell gegen Prostitution übernehmen, forderte Terre des Femmes. Damit könne zugleich eine Entkriminalisierung der Prostituierten, eine Kriminalisierung der Sexkäufer sowie die Finanzierung von Ausstiegsprogrammen für Prostituierte erreicht werden.

Mey Dudin


Frauen

Expertin: Frauen brauchen Schutz vor Anmache




Gesine Birkmann
epd-bild/Terre Des Femmes
Die allermeisten Frauen haben es schon einmal erlebt: Anmache auf der Straße. Wie betroffene Frauen auf diese Form der sexuellen Belästigung reagieren sollten, erläutert eine Expertin von Terre des Femmes.

Frauen und Mädchen werden bei sexueller Belästigung auf der Straße nach Ansicht von Frauenrechtlerinnen zu oft alleingelassen. "Zeugen sollten bei Catcalling unbedingt Solidarität signalisieren, aber das passiert in der Regel nicht", sagte Gesa Birkmann von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Dabei sei es gar nicht nötig, den Täter zu konfrontieren. Es reiche schon aus, der Frau zu zeigen, dass man ihr beisteht, sich näher an sie heranzustellen und sie ein Stück zu begleiten.

Unter den Begriff Catcalling (deutsch: Katzenrufe) fällt jegliche sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum. Dazu gehören unerwünschte Gesten, Kommentare oder Hinterherpfeifen. Zumeist werden Frauen von Männern belästigt. Terre des Femmes und andere Organisationen rufen aus Anlass des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen am 25. November Politik und Gesellschaft dazu auf, gegen Anmache und Übergriffe vorzugehen.

Unangenehm und peinlich

"Wir schätzen, dass fast jede Frau in Deutschland unter 40 Jahren Catcalling schon einmal selbst erlebt oder zumindest mitbekommen hat", sagte Birkmann und berief sich dabei auf Studien aus den USA und Europa. Erste Erfahrungen machten Mädchen demnach meist schon mit Beginn der Pubertät.

Den Betroffenen sei das Catcalling meist unangenehm oder peinlich, sagte Birkmann. Zudem trage es dazu bei, dass sich die betroffenen Frauen eingeschüchtert und "wie Freiwild" fühlen könnten. Es könne auch passieren, dass manche Frauen Umwege in Kauf nehmen, um die Orte zu vermeiden, an denen sie schon oft belästigt wurden. "Im schlimmsten Fall leiden die Betroffenen unter Alpträumen und psychischen Nachwirkungen", sagte die Frauenrechtlerin.

Bloß nicht einschüchtern lassen

Eine Patentlösung, wie Frauen am besten auf Catcalling reagieren, gibt es laut Birkmann nicht. Eine Möglichkeit sei es, die Belästigung zu ignorieren, um dem Täter keine Bestätigung zu geben. "Das muss keine stille Ignoranz sein. Die Frauen können zum Beispiel ein Lied pfeifen, was wiederum für Verwirrung sorgt", sagte sie. Auch Konfrontation könne eine Lösung sein. Wichtig sei, den Täter zu siezen, sich nicht einschüchtern zu lassen, nicht auf Fragen zu reagieren und selbst keine zu stellen.

Frauen sollten stets auf ihr Bauchgefühl hören, um sich nicht in Gefahr zu bringen, sagte Birkmann. Strafanzeigen seien ebenfalls möglich. "Das machen leider die wenigsten, weil die Belästigung meistens sehr schnell passiert, schnell wieder vorbei ist und viele Betroffene die unangenehme Situation abschütteln wollen", erklärte sie. Zudem fehlten in der Regel Zeugen, und Frauen bekämen häufig zu hören, dass sie sich "nur wegen eines blöden Spruchs" nicht so anstellen sollen.

Um gegen Catcalling vorzugehen, brauche es eine gesellschaftliche Debatte, sagte Birkmann. "Frauen sind keine Objekte, an denen Männer ihre Macht demonstrieren können."

Jana-Sophie Brüntjen


Frauen

Rund 32.800 Prostituierte in Deutschland offiziell angemeldet



Rund 32.800 Prostituierte waren Ende 2018 bei den Behörden in Deutschland angemeldet. Wie das Statistische Bundesamt am 26. November in Wiesbaden mitteilte, hatte knapp ein Fünftel der angemeldeten Prostituierten (6.200) die deutsche Staatsangehörigkeit. 35 Prozent aller angemeldeten Prostituierten (11.400) kamen aus Rumänien, zehn Prozent (3.200) aus Bulgarien und sieben Prozent (2.400) aus Ungarn. Der Stuttgarter Verein "Sisters - für den Ausstieg aus der Prostitution" wies darauf hin, dass diese Daten keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Zahl der Prostituierten zuließen.

Von den angemeldeten Prostituierten waren laut Statistikamt 25.000 (76 Prozent) 21 bis 44 Jahre alt. 5.700 (17 Prozent) waren 45 Jahre oder älter, 2.000 (sechs Prozent) waren zwischen 18 und 20 Jahren alt. Den Angaben zufolge hatten knapp 1.600 Prostitutionsgewerbe eine erteilte oder vorläufige Erlaubnis nach dem seit 1. Juli 2017 geltenden Prostituiertenschutzgesetz. Die Ergebnisse basierten teilweise auf noch im Aufbau befindlichen Verwaltungsstrukturen. Das schränke die Aussagekraft der Daten ein, hieß es.

Expertin: Ausländerinnenanteil weit höher

Ende 2018 sei das Anmeldeverfahren, das das Gesetz vorsieht, in vielen Kommunen noch nicht vollständig umgesetzt gewesen, betonte auch Sisters-Sprecherin Sabine Constabel. "Einige Kommunen mussten die dazu erforderlichen Verwaltungsstrukturen erst aufbauen", erläuterte sie auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd). Die tatsächliche Anzahl der Prostituierten in Deutschland sei nach wie vor unbekannt. "Das Prostituiertenschutzgesetz konnte kaum Licht in das bestehende Dunkelfeld bringen", sagte die Gründerin des Vereins.

Constabel geht davon aus, dass die Anzahl der Prostituierten insgesamt ziemlich konstant ist. "Es gab einen Anstieg nach 2002 und dann mit der Zuwanderung der Frauen aus Osteuropa, aber in den vergangenen zehn Jahren gab es wenig Bewegung." Weder hätten relevant viele Bordelle neu eröffnet, noch seien relevant viele geschlossen worden. "Die Zahlen dürften also gleichbleibend hoch sein", sagte die Expertin.

Auch die Angaben zu den Nationalitäten der gemeldeten Frauen sei mit Vorsicht zu betrachten: "Bis Ende 2018 haben sich diejenigen Frauen angemeldet, die von der Anmeldepflicht wussten. Und das waren zunächst die Deutschen", sagte Constabel. Sie glaube nicht, dass der Anteil der Deutschen tatsächlich bei 19 Prozent liege: "Höchstens zehn Prozent erscheint mir realistischer." Der Anteil der Rumäninnen sei zudem wesentlich höher als die in der Statistik genannten 35 Prozent: "Deren Anteil schätze ich auf 60 bis 70 Prozent."



Ruhestand

OECD-Rentenbericht sieht Risiken für Frauen und Selbstständige




Ein selbstständiger Bäcker in seiner Backstube
epd-bild / Jens Schulze
Im Vergleich zu anderen Industriestaaten steht Deutschland nicht gut da bei der Alterssicherung von Frauen und von Selbstständigen. Die Beschäftigung Älterer ist aber nirgendwo anders so stark gestiegen wie hierzulande.

Frauen, Selbstständige und Arbeitnehmer in prekären Jobs sind im Alter schlechter abgesichert als der durchschnittliche Arbeitnehmer, der ein Leben lang Rentenbeiträge gezahlt hat. Das geht aus dem aktuellen Rentenbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor, der am 27. November in Berlin vorgestellt wurde.

Das Alterseinkommen von Frauen ist dem Bericht zufolge in Deutschland um 46 Prozent niedriger als das der Männer. Damit ist die Rentenlücke fast doppelt so hoch wie im OECD-Durchschnitt (25 Prozent). Deutschland wird gefolgt von den Niederlanden, Österreich und Großbritannien. Am geringsten ist die Lücke in den osteuropäischen und den meisten skandinavischen Ländern.

Die Probleme liegen im Arbeitsmarkt

Die überdurchschnittlichen Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern und der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigung führten dazu, dass die Rentenansprüche von Frauen voraussichtlich weiter hinter denen der Männer zurückbleiben werden, hält der OECD-Rentenbericht fest. Die Leiterin der Abteilung Sozialpolitik bei der OECD, Monika Queisser, sagte, die Probleme lägen im Arbeitsmarkt: "Es wäre zu viel verlangt vom Rentensystem, wenn es das ausgleichen sollte."

Der durchschnittliche Selbstständige steht ebenfalls im Alter nicht besonders gut da. Den Berechnungen zufolge kann er im Durchschnitt mit 50 Prozent der Altersbezüge rechnen, die einem Arbeitnehmer mit gleicher Karriere zustehen. Deutschland liegt damit deutlich unter dem OECD-Durchschnitt (80 Prozent). Einschließlich ihrer Vermögenswerte liegen die Altersbezüge der Selbstständigen in Deutschland aber nur knapp unter denen von Arbeitnehmern. Damit rangiert Deutschland im Mittelfeld. In Ländern wie Belgien, Dänemark, Frankreich, Schweden, Luxemburg und der Schweiz haben Selbstständige im Alter im Durchschnitt mehr Geld zur Verfügung als Arbeitnehmer.

Die Bundesrepublik ist eines der wenigen OECD-Länder, die keine verpflichtende Rentenversicherung für Selbstständige haben. Bei Solo-Selbständigen ist zudem die freiwillige Vorsorge fürs Alter seit 2000 weiter zurückgegangen. Selbstständigkeit ohne ausreichende Vorsorge kann laut OECD-Bericht ebenso wie Teilzeitarbeit, Befristung oder Plattformarbeit zu Altersarmut führen. Inzwischen machen diese atypischen Beschäftigungsverhältnisse mehr als ein Drittel aller Jobs aus.

Gesetz für Selbstständige in Vorbereitung

Die Bundesregierung plant die Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung, wenn sie nicht anderweitig, etwa über berufsständische Versorgungswerke, obligatorisch versichert sind. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will dazu nach Auskunft einer Ministeriumssprecherin bis zum Frühjahr 2020 einen Gesetzentwurf vorlegen.

Große Fortschritte attestiert der OECD-Bericht Deutschland bei den Beschäftigungsraten älterer Arbeitnehmer. Mit einer Steigerung um 34 Prozent seit 2000 bei den 55- bis 64-Jährigen ist die Bundesrepublik Spitzenreiter unter den Industrieländern. Die OECD spricht sich für längere Lebensarbeitszeiten aus und plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln.

Insgesamt rechnet der OECD-Rentenbericht damit, dass die deutschen Renten künftig unter dem OECD-Durchschnitt liegen werden und insbesondere die Geringverdiener deutlich geringere Altersbezüge im Vergleich zu ihrem Lohn haben werden als Geringverdiener in anderen Industrieländern. Die Bundesregierung müsse daher gezielt gegen Altersarmut vorgehen, hieß es.

Der OECD-Rentenbericht erscheint alle zwei Jahre. Er vergleicht und bewertet die Rentensysteme der 36 Mitgliedsländer und dokumentiert die Reformbemühungen der Regierungen. Die OECD hat ihren Hauptsitz in Paris.

Bettina Markmeyer


Behinderung

Aufreibender Kampf um einen geeigneten Rollstuhl




Sieglinde Park mit Peter Stumm (Mitte) vom Selbsthilfeverband und ihrem Mann Stan.
epd-bild/Pat Christ
Eigentlich soll das soziale Netz in Deutschland sicherstellen, dass Menschen die Hilfen bekommen, die sie benötigen. Doch was, wenn die Krankenkasse das benötigte Hilfsmittel einfach nicht bezahlen will? Ein Fall aus Würzburg zeigt die ganze Misere.

Früher hat sie gern getanzt. Schwimmen mochte sie auch. "Es gab keinen Sport, den ich nicht mochte", sagt Sieglinde Park. Dann wurde sie schwer krank: Die 59-Jährige hat Elefantiasis, eine Krankheit, bei der sich durch Lymphstau einzelne Körperteile stark vergrößern. Dank eines E-Rollstuhls blieb sie mobil. Doch vor sechs Jahren ging er kaputt. Seither streitet sich die Würzburgerin mit ihrer Kasse um einen neuen, exakt auf sie angepassten Rollstuhl. "Seit sechs Jahren sitze ich fast nur noch daheim, ich fühle mich total gefangen", klagt die 59-Jährige.

Behindertenfahrdienst hat nicht genug Fahrer

Den alten Rollstuhl zu flicken, wäre unwirtschaftlich. "Er ist verbraucht, unsicher und nicht mehr verkehrstauglich", teilt Parks Sanitätshaus mit: "Alle möglichen Teile sind ausgeschlagen, das Fahrwerk ist defekt." Sie nutzt den alten Rollstuhl nur noch im Notfall - und dann nur mit großer Angst, dass er zusammenbrechen könnte. Sie verwendet ihn, wenn sie zum Arzt muss, der Behindertenfahrdienst aber niemanden schicken kann: "Sie haben zu wenige Fahrer." Auch Behindertentaxis sind in Würzburg rar. Will man sie nutzen, muss man sie lange im Voraus bestellen.

Park ist frustriert. Die Kasse wolle sie mit einem Rollstuhl abspeisen, mit dem sie nicht klarkommt: "Ich habe ihn sechs Wochen lang ausprobiert und bin dreimal umkippt, einmal an einer Kreuzung." Sie will exakt so einen Rollstuhl wie bisher. Dass Sieglinde Park mit einem neuen Elektrorollstuhl mit behinderungsbedingten Zurüstungen aufgrund ihrer erheblichen Beeinträchtigungen versorgt werden müsse, "wird nicht bestritten", schreibt ihr die Krankenkasse. Doch es sei nichts an der Tatsache zu ändern, dass an dem neuen Elektrorollstuhlmodell, das sich Park wünscht, "technisch nicht die Möglichkeit besteht", diesen entsprechend umzubauen. Das werde auch vom Hersteller bestätigt, schreibt die Kasse.

Dass ein Umbau unmöglich ist, sei schlicht falsch, erklärt hingegen das Würzburger Sanitätshaus, bei dem Park Kundin ist: "Wir sind genau auf solche Sonderbauten spezialisiert." Alle benötigten Optionen seien "machbar".

"Das schreit zum Himmel"

Ein extra angepasster E-Rollstuhl sei für Sieglinde Park sehr wichtig, sagt auch Silke Trost von der Offenen Behindertenarbeit (OBA) der Würzburger Diakonie. Ohne dieses Hilfsmittel könne die 59-jährige Frau nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Oft sitzt Park zusammen mit ihrem Mann Stan eine ganze Woche lang nur in den eigenen vier Wänden. "Was hier passiert, das schreit wirklich zum Himmel", sagt die Sozialpädagogin Trost, die Park regelmäßig zu Hause besucht, um sie psychisch aufzubauen und um sie zu ermutigen, weiterzukämpfen.

Jeder Behinderte habe ein Recht auf ein individuell angepasstes Hilfsmittel, sagt Peter Stumm vom Landesverband Bayern Selbsthilfe Körperbehinderter. Der ehemalige Polizeibeamte wurde vor 33 Jahren durch einen Dienstunfall selbst behindert, seither setzt er sich dafür ein, dass Menschen mit Handicap zu ihrem Recht kommen. Nachdem es Parks Anwältin bisher nicht gelang, die Ansprüche ihrer Mandantin vor Gericht durchzusetzen, nahm sich nun Stumm der Angelegenheit an.

Ein Dorn im Auge ist ihm, dass die Krankenkasse Park zwingen will, Kundin eines Sanitätshauses in Nordrhein-Westfalen zu werden. "Diese Kooperationen sind mafiaähnlich", sagt er. Fast durchgehend extrem negative Internet-Bewertungen bestätigen seine Aussage, dass es sich bei dem betreffenden Sanitätshaus um keine Firma mit gutem Ruf handelt. "Keine Rückmeldungen zu zig Mails, bei Reklamationen kein Kontakt, das ist unverschämt", heißt es dort. Und auch: "Dass die Krankenkassen mit so einem Haus zusammenarbeiten, ist mir unbegreiflich."

Restriktive Bewilligungspraxis

Doch selbst wenn die Mitarbeiter ihren Job gut machen würden, wäre es absurd, dass Park Kundin einer Firma in Nordrhein-Westfalen wird, sagt Stumm. Denn sie würde, sollte irgendetwas mit ihrem elektrischen Rollstuhl sein, keine schnelle Hilfe erhalten. "Wenn der Akku kaputtgeht, müsste die Firma aus Nordrhein-Westfahlen kommen, das örtliche Sanitätshaus dürfte nichts machen." Beziehungsweise: Sieglinde Park dürfte zwar ihr lokales Sanitätshaus mit der Reparatur beauftragen, sie bliebe dann aber auf den Kosten sitzen.

Dass Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen um Hilfsmittel kämpfen müssen, ist nichts Ungewöhnliches, sagt Werner Fack von der Diakonie Bayern: "Die restriktive Bewilligungspraxis ist problematisch." Es gebe aber Unterschiede zwischen den Kassen, sagt Fack, der bei der Diakonie für den Bereich "Unterstützung von Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung" zuständig ist.

Für ihre Rechte zu kämpfen, sei für viele Betroffene keine Kleinigkeit. Auch die Würzburger Sieglinde Park hat sich in den vergangenen Jahren schon mehrmals gedacht: "Das geht jetzt über meine Kräfte!" Man müsse bereit sein, Widerspruchsverfahren und notfalls Gerichtsprozesse durchzuziehen, sagt Diakonie-Experte Fack.

VdK hilft bei Widersprüchen

Auch die Zahlen des Sozialverbandes VdK in Bayern bestätigen, dass es für behinderte Menschen schwer ist, genau das gewünschte Hilfsmittel zu bekommen, das ihnen ein trotz Beeinträchtigung selbstbestimmtes Leben ermöglicht. "Unsere Geschäftsstellen legen im Schnitt jährlich zwischen 500 bis 800 Widersprüche gegen Ablehnungen ein", sagt Sprecherin Bettina Schubarth. Die Ablehnungen beträfen alle Arten von Hilfsmitteln: "Rollstühle und weitere Mobilitätshilfen, Kopfstützen oder Sitzkissen für Rollstühle, Hörhilfen oder Bade- und Duschhilfen."

In jedem Fall prüfe der VdK, ob sich der Aufwand lohnt. Widersprüche gegen Ablehnungsbescheide werden nur dann eingelegt, wenn das Hilfsmittel auch nachgewiesenermaßen medizinisch notwendig ist. Im Falle der mehrfach kranken und behinderten Würzburgerin Sieglinde Park bestehe daran keinerlei Zweifel.

Pat Christ


Bundesregierung

Kinderrechte ins Grundgesetz: Lambrecht präsentiert Entwurf



Die große Koalition hat vereinbart, Kinderrechte im Grundgesetz gesondert festzuschreiben. Justizministerin Lambrecht hat nun einen konkreten Vorschlag vorgelegt. Die Reaktion aus Union und Verbänden zeigt, dass es noch Diskussionen geben wird.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat ihren Vorschlag zur Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz vorgelegt. Er sieht eine Ergänzung von Artikel 6 der Verfassung vor. Dort soll festgehalten werden, dass jedes Kind "das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte" hat, wie aus dem am 26. November in Berlin vorgestellten Entwurf hervorgeht, der nun innerhalb der Bundesregierung beraten wird. "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie haben unseren besonderen Schutz verdient", sagte Lambrecht.

Austariertes System

Hinter dem ersten Absatz von Artikel 6, der den besonderen Schutz von Ehe und Familie formuliert, soll Lambrechts Vorschlag zufolge ein Absatz 1a eingefügt werden, der drei Aspekte enthält: die besonderen Grundrechte von Kindern, die "angemessene" Berücksichtigung des Kindeswohl bei staatlichem Handeln und die Beteiligungsrechte von Kindern "bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen".

Lambrecht sprach von einer "ausgewogenen Formulierung", die Grundrechte von Kindern gegenüber dem Staat verdeutliche und zugleich das Recht der Eltern nicht beeinträchtige. Vom Koalitionspartner kamen dabei Zweifel. "Das austarierte System zwischen Kindern, Eltern und staatlichem Wächteramt darf nicht verschoben werden", erklärte die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker. Dies könne nur mit einer Ergänzung von Absatz 2 des Artikel 6 geschehen, ergänzte sie. Er legt fest, dass "Pflege und Erziehung" von Kindern das natürliche Recht der Eltern sind.

Eine Grundgesetzänderung für die Ergänzung von Kinderrechten benötigt in Bundestag und Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Lambrecht sagte, sie hoffe auf zügige Beratungen, die im nächsten Jahr abgeschlossen werden könnten.

"Angemessen", "wesentlich" oder "vorrangig"

SPD und Union hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Ende Oktober legte die dafür eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit Vertretern aus den Bereichen Justiz und Familie ihren Bericht vor. Er enthielt mehrere Formulierungsvorschläge, etwa in der Frage, ob Kinderrechte "angemessen", "wesentlich" oder "vorrangig" beachtet werden sollen. Lambrecht hat sich nach eigenen Worten nicht für einen der konkreten Vorschlägen entschieden, sondern Elemente der verschiedenen Varianten kombiniert.

Das Aktionsbündnis Kinderrechte, zu dem unter anderem das Deutsche Kinderhilfswerk und Unicef Deutschland gehören, begrüßte die Vorlage eines Entwurfs zur Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung, forderte aber eine weitergehende Regelung. Die vorgeschlagene Formulierung bringe den Kindeswohlvorrang und das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Beteiligung noch nicht deutlich genug zum Ausdruck. Die Verbände fordern eine "Weiterentwicklung" des Entwurfs im parlamentarischen Verfahren.

Corinna Buschow


Arbeit

Lambrecht und Giffey wollen Frauenquote für Vorstände



Bundesjustizministerin Christine Lambrecht und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (beide SPD) wollen eine Frauenquote auch für die Vorstände großer Unternehmen durchsetzen. Wie Sprecher beider Ministerien am 25. November in Berlin mitteilten, ist derzeit ein gemeinsamer Gesetzentwurf beider Häuser in Arbeit. Seit 2016 müssen in großen börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen mindestens 30 Prozent der Plätze im Aufsichtsrat mit Frauen besetzt sein. Für Vorstände gibt es bislang keine gesetzliche Quote. Sie sollen freiwillige Zielgrößen definieren.

Freiwilligkeit habe nicht den gleichen Erfolg wie eine Quote, sagte Lambrecht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (25. November). 70 Prozent aller Unternehmen hätten die Zielgröße "null" benannt. "Diese Unternehmen wollen gar nicht, dass sich etwas verändert", sagte die Ministerin. "Deswegen muss man auch über eine Quote für die Vorstände nachdenken."

Während die Quote in Aufsichtsräten laut "Managerinnen-Barometer" des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) inzwischen eingehalten wird, hat sich in den Vorständen nicht viel bewegt. 2018 sind demnach 8,5 Prozent der Vorstandsposten der Unternehmen, für die die Quote im Aufsichtsrat gilt, mit Frauen besetzt gewesen.

Zu Details zu den Gesetzesplänen, auch zur Höhe der angestrebten Quote, machten die Ministeriumssprecher keine Angaben. Vorstände hätten eine andere Struktur, der Vorschlag werde aber sicherlich in die Richtung der Quote für Aufsichtsräte gehen, sagte der Sprecher des Justizministeriums.

Andere Ministerien sind in die Überlegungen bislang nicht eingebunden. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: "Die Unzufriedenheit über die äußerst geringe Zahl weiblicher Vorstandsmitglieder eint uns alle in der Bundesregierung." Konkrete Vorschläge würden geprüft und besprochen, sobald sie vorlägen.



Minderjährige

Flüchtlingsrat kritisiert Bundesinnenminister Seehofer



Der niedersächsische Flüchtlingsrat hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dafür kritisiert, dass er einer Aufnahme von 1.000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus Griechenland nicht zustimmt. Der von Seehofer stattdessen vorgeschlagene Kompromiss, 144 Kindern einen Nachzug zu ihren Familien zu ermöglichen, sei empörend und "nicht mehr als ein Feigenblatt", sagte Gerlinde Becker vom Flüchtlingsrat am 28. November. Diese Kinder hätten ohnehin einen rechtlichen Anspruch darauf, zu ihren Familien zu kommen.

Seehofer hatte einem von seinem niedersächsischen Amtskollegen Boris Pistorius (SPD) geforderten Sofortprogramm zur Aufnahme von 1.000 minderjährigen Flüchtlinge, die ohne Eltern auf griechischen Inseln gestrandet sind, eine Absage erteilt. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums hat Seehofer mit der griechischen Regierung bereits Unterstützung vereinbart. Das betreffe vor allem die materielle und technische Ausstattung sowie die Vermittlung von Know-how, hieß es. Um die aktuell schwierige Lage zu entspannen, würden die Verfahren für 50 unbegleitete Minderjährige beschleunigt. Bei 94 weiteren Jugendlichen, die familiäre Beziehungen nach Deutschland hätten, solle kurzfristig eine Aufnahme in Deutschland geprüft werden.

Der Flüchtlingsrat erklärt, die Beschleunigung bereits laufender Verfahren von 50 Minderjährigen sei wichtig und dringend notwendig für die betroffenen Kinder und Jugendlichen. Angesichts der Verhältnisse in Griechenland und des nahenden Winter sei dies jedoch eine "lächerliche" Zahl. Nach Angaben des Flüchtlingsrates leben zurzeit etwa 4.100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf den griechischen Inseln, davon nur rund 1.000 in kinder- und jugendgerechten Unterbringungsplätzen.



Bundesländer

Neuer Verhandlungstermin zum Kita-Volksbegehren steht



Der baden-württembergische Verfassungsgerichtshof hat einen neuen Termin für die Verhandlung zum Volksbegehren für gebührenfreie Kitas angekündigt. Die mündliche Verhandlung werde am 20. Januar stattfinden, teilte der Gerichtshof am 25. November in Stuttgart mit. Eine Entscheidung werde voraussichtlich wenige Wochen danach ergehen. Ursprünglich war die Verhandlung für den 21. Oktober geplant. Ursache für die Verschiebung sei die Klärung von weiteren Fragen gewesen. Die SPD-Opposition hatte das Volksbegehren in Gang gesetzt.

Die Zulassung war trotz ausreichender Unterschriften Anfang März vom Innenministerium abgelehnt worden mit der Begründung, dass die Vorlage unter anderem das Staatshaushaltsgesetz tangiere, zu dem es laut Landesverfassung kein Volksbegehren geben kann. Die SPD argumentiert, dass die Gesetzesvorlage des Volksbegehrens sowohl mit der Landesverfassung als auch mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Deshalb klagt sie gegen die Nichtzulassung.




sozial-Branche

Senioren

Studie: Depressionen im Alter unterschätzt




Depressionen werden bei alten Menschen unterschätzt.
epd-bild/Gustavo Alàbiso
Ältere Menschen werden im Gesundheitssystem benachteiligt, wenn es um das Angebot einer Psychotherapie geht, kritisiert die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Sie fordert deshalb mehr Aufklärung und Suizidprävention für Senioren.

Depressionen bei alten Menschen werden nach Expertenansicht in Deutschland oft falsch oder gar nicht behandelt. Dies trage mit "zu den drastisch erhöhten Suizidraten im Alter" bei, heißt es in dem am 26. November in Berlin vorgestellten dritten "Deutschland-Barometer Depression" der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.

Depressive Symptome bei Senioren wie Hoffnungs- und Freudlosigkeit, Schlafstörungen oder Erschöpfungsgefühl würden oft nicht als Ausdruck einer eigenständigen schweren Erkrankung gesehen, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Ulrich Hegerl. Vielmehr würden depressive Symptome "als nachvollziehbare Reaktion auf die Bitternisse des Alters oder als Folge körperlicher Erkrankungen fehlinterpretiert". Bei der repräsentativen Online-Umfrage über Einstellungen zu und Erfahrungen mit Depression wurden 5.350 Personen zwischen 18 und 79 Jahren befragt.

Hauptursachen von Depressionen

Vier von fünf Befragten (83 Prozent) glaubten demnach, dass eine Depression am häufigsten im jungen und mittleren Erwachsenenalter auftritt. Diese Annahme liege vor allem darin begründet, dass Stress und Belastung am Arbeitsplatz für die Deutschen zu den Hauptursachen von Depressionen zählten. Da diese berufsbezogenen Aspekte bei Senioren weniger bedeutsam seien, werde die Erkrankung im Alter als weniger relevant angesehen.

Weiter weiß laut Umfrage nur knapp die Hälfte (45 Prozent), dass Depression auch eine Erkrankung des Gehirns ist. "Depression hängt viel weniger von den aktuellen Lebensumständen ab, als viele glauben", betonte Hegerl. "Es ist eine eigenständige Erkrankung, die jeden treffen kann - auch Senioren."

86 Prozent der Deutschen gingen davon aus, dass es Älteren schwerer fällt, sich bei Depression Hilfe zu suchen. Dies gelte insbesondere für die Psychotherapie: 71 Prozent der Befragten glauben, dass Ältere seltener bereit sind, die Hilfe eines Psychotherapeuten anzunehmen. Tatsächlich seien 31 Prozent der an Depression erkrankten Befragten zwischen 30 und 69 Jahren in psychotherapeutischer Behandlung. Bei den Betroffenen über 70 sind es nur zwölf Prozent.

Psychotherapie wird selten angeboten

Allerdings wäre eine deutliche Mehrheit (64 Prozent) der befragten Menschen im Alter über 70 bereit, eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, wie es weiter hieß. "Älteren Menschen wird viel zu selten eine Psychotherapie angeboten", sagte Hegerl. "Sie werden im Versorgungssystem eindeutig benachteiligt."

Laut Umfrage meinten aber 22 Prozent, dass bei Älteren die Behandlung körperlicher Erkrankungen wichtiger sei. Jeder Sechste (17 Prozent) habe sich zudem dafür ausgesprochen, Ressourcen des Gesundheitssystems lieber für die Behandlung jüngerer Patienten mit Depression auszugeben.

Zwei Drittel der Befragten gaben im "Deutschland-Barometer Depression" an, dass sie sich über die Erkrankung im Alter nicht gut informiert fühlen. Deshalb sei eine Aufklärung über Depression und Suizidprävention für ältere Menschen besonders wichtig, sagte Hegerl. Laut Stiftung gaben in der Umfrage 21 Prozent an, dass bei ihnen bereits die Diagnose einer Depression gestellt wurde. Von den Älteren (70-79 Jahre) sagten dies nur neun Prozent.

Lukas Philippi


Flüchtlinge

Neustart für EU-Migrationspolitik angemahnt




Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos
epd-bild/Ralf Maro/version-foto.de
Kurz bevor die neue EU-Kommission ihre Arbeit aufnimmt, haben europäische Organisationen einen Neustart der EU-Asylpolitik gefordert. Menschenrechtsverletzungen durch EU-Staaten müssen beendet werden, heißt es in einem "Berliner Aktionsplan".

Zivilgesellschaftliche Organisationen aus sechs europäischen Ländern haben von der EU-Kommission einen Neustart der Asyl- und Migrationspolitik auf der Grundlage geltender Konventionen gefordert. Nötig seien unter anderen ein EU-weiter Flüchtlingsstatus, das bedingungslose Recht auf faire Asylverfahren und eine gerechte Aufteilung der Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten, heißt es in einem "Berliner Aktionsplan", der am 25. November von der Diakonie Deutschland, der französischen Organisation France Terre d'Asile und der Heinrich-Böll-Stiftung präsentiert wurde.

"Migration ist keine Gefahr"

EU-Institutionen und Regierungen sollten "in ein postpopulistisches Zeitalter eintreten und mit Gelassenheit und Augenmaß zu einer vernünftigen Sachpolitik zurückkehren", fordern die rund 30 Unterzeichner-Organisationen aus Deutschland, Frankreich, Polen, Italien, Griechenland und Tschechien. "Wir brauchen eine auf Menschenrechten und Flüchtlingsschutz basierte Asyl- und Migrationspolitik, die von allen Mitgliedsstaaten getragen wird", sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Ellen Ueberschär, Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, betonte: "Migration ist keine Gefahr für Europa. Sie kann ein großer Gewinn sein, wenn es gelingt, diese in humanitäre und geordnete Bahnen zu lenken."

Der "Berliner Aktionsplan" sei ein deutlicher Appell an die neue EU-Kommission: "Die Blockaden in der europäischen Asyl- und Migrationspolitik müssen jetzt überwunden werden, ein 'Weiter so' darf es nicht geben", sagte Ueberschär. Thierry Le Roy, Präsident von France Terre d'Asile, sagte, dass es bei einem Neustart der Asyl- und Migrationspolitik insbesondere auf das deutsch-französische Tandem ankomme.

"Inakzeptable Lage in Hotspots"

Der "Berliner Aktionsplan" sieht die EU-Kommission in der Pflicht, die Einhaltung der EU-Asylgesetze sicherzustellen. Menschenrechtsverletzungen durch EU-Staaten wie gewaltsame und illegale Abweisung an den Außengrenzen Europas müssten beendet werden. Dies gelte auch für "die inakzeptable Lage in den Hotspots auf den griechischen Inseln" sowie für Nahrungsentzug und die "unmenschliche Behandlung in den ungarischen Grenzgebieten".

Gefordert wird auch ein neues Zuständigkeitssystem, das berechtigte Interessen von Asylsuchenden berücksichtige. Ein EU-weiter Flüchtlingsstatus sollte "auf der gegenseitigen Anerkennung positiver Asylentscheidungen beruhen und es Flüchtlingen und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ermöglichen", unter bestimmten Bedingungen in einen anderen EU-Staat zu ziehen.

Der "Berliner Aktionsplan" wurde im Rahmen einer Konferenz von europäischen zivilgesellschaftlichen Organisationen verabschiedet. An dem zweitägigen Treffen in Berlin nehmen den Angaben zufolge rund 110 Teilnehmer aus elf europäischen Ländern teil. Die Konferenz diene der Vernetzung der Organisationen und Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements im Bereich Asyl und Migration. Die Auftaktkonferenz des Netzwerks hatte im März in Paris stattgefunden.

Christine Xuân Müller


Pflege

Sozialverbände fordern Reform der Pflegeversicherung




Dokumentationsmappe für die Pflege
epd-bild / Werner Krüper
Gute Pflege kostet Geld - vor allem die Pflegebedürftigen selbst. Sozialverbände beklagen, dass bessere Gehälter vor allem von Heimbewohnern bezahlt werden. Sie fordern deshalb eine Reform der Pflegeversicherung.

Die Gewerkschaft ver.di sowie die Verbände AWO und Diakonie haben eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung gefordert. Die Bundesregierung dürfe nicht länger ignorieren, "dass es extremen Handlungsdruck gibt", sagte ver.di-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler am 25. November in Berlin. Die Organisationen sprachen sich für eine Pflegebürgerversicherung aus, die den Großteil der Kosten abdecken und die finanzielle Belastung für die Betroffenen kalkulierbar machen soll. Dabei verwiesen sie unter anderem auf die stark gestiegenen Eigenanteile für Heimunterbringungen.

Einfrieren der Eigenanteile

Diakonie-Vorständin Maria Loheide sagte, die Kosten für die Pflegebedürftigen stiegen mit jeder Tariferhöhung. Die Leistungen der Pflegeversicherung seien aber gedeckelt. Dadurch müssten Erhöhungen vollständig von den zu Pflegenden, Angehörigen oder dem Sozialamt finanziert werden, erläuterte Loheide. Sie forderte zumindest ein Einfrieren der Eigenanteile auf dem heutigen Niveau, mittelfristig auch eine Reduzierung.

Bühler erläuterte, die derzeitige Situation führe dazu, dass insbesondere dort die Eigenanteile steigen, wo sich die Gehälter der Pflegekräfte am meisten erhöhen. Sie wolle nicht, dass ausgerechnet die Träger in einen Wettbewerbsnachteil kommen, die gute Verträge abschließen, sagte sie.

Pflegebedürftige müssen für einen Heimplatz immer tiefer in die Tasche greifen. Nach einer im September veröffentlichten Auswertung der "Pflegedatenbank" des Verbandes der privaten Krankenversicherung (PKV) liegt die Eigenbeteiligung im Durchschnitt bei fast 1.930 Euro im Monat. Die Durchschnittsrente liegt nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands mit 874 Euro (West) und 1.019 Euro (Ost) deutlich darunter.

Allgemeinverbindlicher Tarifvertrag

Zu den Forderungen der Sozialverbände gehört auch die nach einer besseren Bezahlung von Fachkräften in der Pflege. "Es darf nicht sein, dass eine Arbeit an Maschinen bei gleicher Qualifikation höher angesehen ist und besser bezahlt wird als Arbeit an Menschen", sagte der AWO-Vorstandsvorsitzende Wolfgang Stadler. Derzeit laufen zwischen den Trägern von Pflegeeinrichtungen und Gewerkschaften Verhandlungen über einen Tarifvertrag, der für die Branche allgemeinverbindlich werden könnte.

Wie viel eine Pflegebürgerversicherung kosten würde, wollten ver.di und die Verbände nicht konkret beziffern. Loheide sprach sich für einen Finanzierungsmix aus gegebenenfalls höheren Beiträgen zur Pflegeversicherung, Abgaben auf Miet- und Kapitaleinnahmen sowie eventuell einem Steuerzuschuss aus.

Bühler verwies auf eine im September veröffentlichte Studie des Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Nach Rothgangs Berechnungen müssten gesetzlich Versicherte für eine Pflegevollversicherung rund 65 Euro im Jahr mehr zahlen, Arbeitgeber 25 Euro. Der Beitrag zur Pflegeversicherung beträgt derzeit 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens, für Kinderlose 3,3 Prozent.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte zu den Forderungen der Verbände, damit die Kosten Pflegebedürftige und Angehörige nicht überforderten, brauche es einen fairen Ausgleich. "Wir müssen die Balance zwischen der familiären Verantwortung und der der Gesellschaft neu justieren", sagte Spahn. Die Kosten der Pflege sollten für die Familien planbarer werden. "Diese Debatte will ich kommendes Jahr zu einer Entscheidung führen", sagte er.

Corinna Buschow


Traumatisierung

Forscherin: Kinderverschickungen der Nachkriegszeit aufarbeiten




Christiane Dienel
epd-bild/Robert Boden
Die Historikerin und Sozialwissenschaftlerin Christiane Dienel ruft dazu auf, die Geschichte der Kinderverschickungen in der Nachkriegszeit auf breiter Basis aufzuarbeiten.

Bei Kinderverschickungen ist den Kindern nach Erkenntnissen der Berliner Sozialwissenschaftlerin Christiane Dienel häufig großes Leid zugefügt worden. Bei diesen mehrwöchigen Aufenthalten in vermeintlichen Erholungsheimen an der Nordsee oder in den Bergen "gab es einen sehr rauen Umgang, den man heute als Kindesmisshandlung bezeichnen würde", sagte die Professorin dem Evangelischen Pressedienst (epd).

In den Heimen seien Kinder etwa vom Pflegepersonal zum Teil gewaltsam mit kaltem Wasser abgewaschen worden, erläuterte Dienel, Geschäftsführerin des Nexus-Instituts in Berlin. "Viele mussten so lange vor ihrem Teller sitzen, bis sie alles aufgegessen hatten." Selbst Ausgespucktes hätten sie aufessen müssen. Als Strafe hätten manche Kinder die ganze Nacht auf einem Stuhl verbringen müssen.

Die Folgen reichten für die Kinder bis hin zu Traumatisierungen. "Das ganze Thema ist noch praktisch unerforscht", sagte Dienel, die als Kind selbst ein solches Heim erlebt hat: "Es fühlte sich an wie ein Kindergefängnis."

Elternbesuche waren nicht erlaubt

Bundesweit waren nach Dienels Angaben in den 1950er bis 1980er Jahren Hunderttausende von Jungen und Mädchen aus gesundheitlichen Gründen von ihren Eltern in Kinderkurheime geschickt worden. Der Aufenthalt wurde von den Krankenkassen bezahlt. Elternbesuche waren nicht erlaubt.

Die Professorin schlug vor, die Aufarbeitung nach dem Konzept der "Citizen Science" zu gestalten. Dabei stellen Bürger persönliche Berichte zur Verfügung, die von Experten ausgewertet werden. Aus dem Material könne eine Wanderausstellung entstehen, die durch regionale Beiträge angereichert werde. Diskussionen vor Ort könnten die Ausstellung ergänzen.

"Die Kinderkurheime können uns lehren, wie totale Institutionen entstehen und wirken", sagte Dienel. Mehrere Faktoren hätten dazu beigetragen, dass sich der Erziehungsstil aus den von der NS-Ideologie geprägten 1930er und 1940er Jahren hier zum Teil noch Jahrzehnte gehalten habe. "Die Heime waren abgelegen, zahlten nicht gut und hatten deshalb kaum pädagogische Fachkräfte", erklärte sie. Die Einrichtungen seien hierarchisch geführt worden und hätten sich nach außen abgeschottet. Rund ein Drittel der Heime befand sich laut Dienel in kirchlicher Trägerschaft.

Michael Grau


Familie

Bündnis begrüßt Pläne der SPD zur Kindergrundsicherung



Das Bündnis Kindergrundsicherung lobt die SPD für ihr neues Konzept einer Kindergrundsicherung. Es sei ein wichtiger und konkreter Vorschlag zur Reform der der Kinder- und Familienförderung, heißt es in einer Mitteilung der Organisation vom 25. November. Als positiv bewertet das Bündnis vor allem die Forderung, das kindliche Existenzminimum neu zu berechnen sowie die Infrastruktur für Kinder und Familien zu stärken.

Die SPD-Pläne basieren auf einem Beschluss der SPD-Fraktion zur Modernisierung des Sozialstaates. Fraktions-Vize Katja Mast sagte, damit werde eine "unbürokratische und leicht verständliche Leistung geschaffen, die bei den Kindern und Familien ankommt".

Konkrete Vorschläge von drei Parteien

Die Pläne sehen vor, Hartz IV für Kinder, Kindergeld und andere Leistungen zu einem neuen Kindergeld zusammenzuführen. Der Staat soll nach dem Willen der Partei für jedes Kind in Deutschland ein neues Kindergeld zwischen 250 Euro und 478 Euro zahlen. Mit Hilfe dieser neuen Grundsicherung würden zwei Millionen Kinder aus Hartz IV geholt, hieß es.

Vom neuen Kindergeld sollen monatlich 30 Euro auf ein Teilhabekonto in Form einer Kinderkarte fließen. Nutzen können das Eltern und Kinder zweckgebunden für gebührenpflichtige Angebote wie Sportvereine, Schwimmbäder und Musikschulen. Die jährlichen Mehrkosten betragen den Angaben nach insgesamt rund elf Milliarden Euro.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes und Sprecher des Bündnisses Kindergrundsicherung, Ulrich Schneider, sagte, dass sich mit SPD, der Linken und den Grünen nun schon drei Parteien im Bundestag mit konkreten Vorschlägen für die Idee einer Kindergrundsicherung einsetzten.

Schneider begrüßte den Ansatz der SPD, die Infrastruktur für Kinder vor Ort zu stärken: "Kinder und Familien bräuchten Investitionen in eine bessere personelle Ausstattung etwa für Schulen in benachteiligten Stadtteilen oder in Schwimmbäder und Bibliotheken sowie den weiteren Ausbau der Frühen Hilfen.

Das Bündnis, ein Zusammenschluss von Sozial- und Familienverbänden und von Wissenschaftlern, setzt sich seit zehn Jahren für einen Systemwechsel in der Familienförderung und für eine monatliche Geldleistung ein, die die bisherigen Leistungen bündelt und das kindliche Existenzminimum sichert.



Bundesländer

Gegner fordern Ende der Pflichtmitgliedschaft in der Pflegekammer



Nachdem die niedersächsischen Regierungsfraktionen die Pflichtbeiträge zur Pflegekammer gestrichen haben, fordern die privaten Pflegeanbieter, Gewerkschaften und die Linke nun auch ein Ende der Zwangsmitgliedschaft für die rund 90.000 Pflegekräfte im Land. Dass das Land die Kosten für die umstrittene Kammer tragen werde, sei ein erster richtiger Schritt, sagte die Landesvorsitzende des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Ricarda Hasch, am 27. November in Hannover. Nun müsse in Ruhe geschaut werden, welchen Nutzen die Kammer für die einzelne Pflegekraft wirklich habe.

Die Landtagsfraktionen von SPD und CDU hatten sich am Tag zuvor auf ein Ende der umstrittenen Zwangszahlung für alle Pflegekräfte im Land geeinigt. Sie erklärten weiter, dass bereits gezahlte Beträge zurückerstattet werden sollten. In den vergangenen Monaten war es immer wieder zu Protesten gegen die Kammer gekommen. Der Widerstand richtete sich gegen die Zwangsmitgliedschaft, die Beiträge und fehlerhafte Beitragsbescheide.

Linke fordert Aus der Kammer

Der Landesvorsitzende der Linken in Niedersachsen, Lars Leopold, nannte die Beitragsbefreiung einen Erfolg der Protestbewegung. Dennoch seien die zunächst zugesagten sechs Millionen Euro für die Pflegekammer nur eine "Beruhigungspille". Es stehe noch nicht fest, ob die Pflegekammer auch nach dem Haushaltesjahr 2020 beitragsfrei bleibe.

Die pflegepolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Pia Zimmermann, ergänzte, nun müsse auch die Zwangsmitgliedschaft beendet und die Kammer insgesamt abgewickelt werden. Die Kammer sei weder Tarifpartei, noch sei sie bei den Pflegesatz- oder Gebührenverhandlungen dabei. Darum könne sie an den entscheidenden Punkten zur Verbesserung der Pflegesituation nichts tun.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßte die Entscheidung von SPD und CDU. Detlev Athing von der Gewerkschaft ver.di, unterstrich jedoch, dass die Pflegekammer von vielen Beschäftigten abgelehnt werde. Die Gewerkschaft trete für eine freiwillige Vereinigung der Pflegenden ein.

Die Pflegekammer hatte im August 2018 ihre Arbeit aufgenommen. Sie soll die professionelle Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Niedersachsen sicherstellen und die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen berufspolitisch vertreten. Ihr gehören obligatorisch alle Pflegefachkräfte mit Abschlüssen in der Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Kinderkrankenpflege an.



Sozialunternehmen

Scheidender Rektor: Rummelsberger sind dezentraler geworden



Der Vorstandsvorsitzende der Rummelsberger Diakonie, Günter Breitenbach, hat seinem Sozialunternehmen eine erfolgreiche Neuorientierung in vielen Bereichen bescheinigt. Von einem Träger, der stark von seinen stationären Angeboten geprägt gewesen sei, habe man sich zu einem Träger entwickelt, der dezentraler aufgestellt sei, sagte Breitenbach am 28. November.

Breitenbach, der am 6. Dezember in den Ruhestand verabschiedet wird, zeigte sich besonders mit dem Bereich Personal zufrieden. Die Rummelsberger kämen fast ohne Leiharbeit aus. "Die Leute kommen gerne zu uns", stellte er fest. Man setze auf familienfreundliche Arbeitsplätze, Fortbildungen und gute Tarife. "Löhne zu drücken, macht sich nicht gut", sagte Breitenbach.

Bei den Rummelsbergern arbeiten nach den Angaben 5.650 Beschäftigte. Dazu kommen 1.240 Ehrenamtliche. 134 Diakoninnen und Diakone sind derzeit in der Ausbildung, hinzu kommen Studierende an den Fachakademien für Erzieher, Heilerziehungspfleger oder Altenpfleger. Die Rummelsberger Diakonie machte im Jahr 2018 einen Umsatz von 303 Millionen Euro.

Breitenbach blickt aber mit Sorgen auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Für die Altenhilfe, die Behindertenhilfe und den Jugendhilfebereich seien die Bedingungen schlechter geworden, stellte er fest. Zum Beispiel würden die staatlichen Mittel für die Umsetzung des Bundesteilhabe-Gesetzes in der Behindertenhilfe "nur tröpfeln".

Auch der 58-jährige Finanzvorstand der Rummelsberger, Harald Frei scheidet aus dem Vorstand der Rummelsberger aus. Er verlässt das Unternehmen Ende Februar. Er werde sich in Zukunft beruflich auf Interimsmanagement-Aufgaben verlegen oder projektbezogen arbeiten, sagte er.



Pflege

Musterverträge für die Ausbildungsträger



Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) und die Freie Wohlfahrtspflege haben Musterverträge erarbeitet, die Pflegeeinrichtungen zum Start der neuen Ausbildung nutzen können. "Damit versetzen wir die Träger der Ausbildung in die Lage, die erforderlichen Kooperationsverträge zu schließen und erfolgreich auszubilden", sagt Bernd Tews, Geschäftsführer des bpa, am 25. November in Berlin.

Das Pflegeberufegesetz ist ab dem nächsten Jahr die Grundlage für die neue generalistische Pflegeausbildung. Danach müssen die Auszubildenden alle Leistungsbereiche der Pflege kennenlernen. Hierzu müssen die Ausbildungsbetriebe und Pflegeschulen diverse Verträge schließen. "Um diese Herausforderung so einfach, praxisnah und einheitlich wie möglich zu gestalten, stellen wir die gemeinsam entwickelten Musterverträge zur Verfügung", sagte Tews.

Neben konkreten Anwendungs- und Umsetzungshinweisen enthalten sie nach den Angaben Kommentare zum besseren Verständnis. "Diese gemeinsame Aktion soll die Ausbildungsträger unterstützen, möglichst viele Auszubildende zu gewinnen, ohne sich mit komplizierten Regelungen auseinandersetzen zu müssen", erläuterte Gerhard Timm, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.



Arbeit

Caritas-Mitarbeiter für Abschaffung der sachgrundlosen Befristung



Die Mitarbeitervertretung des Deutschen Caritasverbandes fordert von der Bundesregierung die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Die zeitlich begrenzten Arbeitsverträge bedeuteten "für die betroffenen, zumeist jungen Beschäftigten große wirtschaftliche und soziale Unsicherheit: bei der Gründung einer Familie, dem Anmieten oder dem Erwerb einer Wohnung oder bei der Altersvorsorge", sagte Thomas Schwendele von der Interessengemeinschaft der Mitarbeitenden in Caritas und Kirche (IG-MiCK) am 25. November in Berlin.

Vor allem Berufseinsteiger erhielten oft einen befristeten Arbeitsvertrag - teilweise missbräuchlich als verlängerte Probezeit und zur Umgehung des Kündigungsschutzes. "Mit der sachgrundlosen Befristung wird ihnen zudem die Möglichkeit genommen, Befristungsgründe auf dem Rechtsweg überprüfen zu lassen", so Schwendele. Positive Beschäftigungseffekte seien bei sachgrundloser Befristung nicht nachweisbar.

Schwendele erinnerte an die im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD verankerten Vorschläge zur Begrenzung sachgrundloser Befristung. Sie seien unzureichend, weil von dieser Regelung Tausende Beschäftigte in der katholischen Kirche und ihrer Caritas nicht erfasst würden, da sie in Einrichtungen mit weniger als 75 Beschäftigten arbeiteten.



Digitalisierung

Diakoniepräsident Lilie: Mensch ist Technik nicht unterworfen



Technik muss nach den Worten des Diakoniepräsidenten Ulrich Lilie dem Menschen dienen. "Er ist ihr nicht unterworfen", sagte der Theologe am 26. November auf der Tagung "Sind Bots die besseren Zuhörer?" in Köln. Technik könne dem Menschen keine Entscheidungen abnehmen. Sie blende aus, was den Menschen zum Menschen mache, betonte der Präsident der Diakonie Deutschland.

Künstliche Intelligenz könne aber die Teilhabe-Chancen vergrößern, sagte Lilie. Zudem könne sie beispielsweise im diakonischen Bereich Mitarbeitende entlasten, etwa bei der Dokumentation im Pflegebereich. Mediziner und Techniker hätten beispielsweise für Parkinson-Patienten einen Chip in die Schuhsohle integriert. Allein durch die Analyse der Schrittfolgen hätten sie eine um den Faktor 1.000 verbesserte medikamentöse Einstellung der Erkrankten erreicht, berichtete er.

Digitale Sprachassistenten wie Alexa könnten auch evangelische Morgenandachten abrufbar machen. Lilie forderte eine "theologische Kritik der digitalen Vernunft". Gottes Wort habe sich schon vieler Formen der Kommunikation bedient. "Warum nicht auch Alexa?" Aber: "Wir müssen über die Kriterien sprechen, die die Menschen-Maschinen-Interaktionen bestimmen sollen." Die unverlierbare Würde und Freiheit des Einzelnen sei aus christlicher Sicht Voraussetzung für eine freie und offene Gesellschaft.




sozial-Recht

Bundesfinanzhof

Volle Umsatzsteuer für gemeinnützige Sozialbetriebe




Beschäftigter in einer Behindertenwerkstatt in Köln
epd-bild/Jörn Neumann
Werkstätten für behinderte Menschen und andere gemeinnützige Vereine mit sogenannten Zweckbetrieben drohen künftig höhere Umsatzsteuerzahlungen.

Gemeinnützige Einrichtungen können nach einem Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs (BFH) für ihre Zweckbetriebe in Zukunft meistens nicht mehr den ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent beanspruchen. Denn steht der Zweckbetrieb mit seinen Leistungen im unmittelbaren Wettbewerb zu regulären Firmen, wird nach "zwingendem Unionsrecht" regelmäßig der volle Umsatzsteuersatz von 19 Prozent fällig, entschieden die Münchner Richter in einem am 21. November veröffentlichten Urteil.

Folgen für die gesamte Branche

Welche Auswirkungen das Urteil bundesweit auf gemeinnützige Einrichtungen und der Finanzierung ihrer Zweckbetriebe hat, ist noch nicht klar. "Als Konsequenz werden viele Caritas-Vereine und -Träger entgegen derzeit häufiger Praxis prüfen müssen, ob sie für die Umsätze ihrer Betriebe, wo zum Beispiel Menschen mit Behinderung oder langzeitarbeitslose Menschen beschäftigt werden, den ermäßigten Steuersatz anwenden und diese Betriebe unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen des Steuerrechts weiterführen können", sagte Janina Bessenich, Stellvertretende Geschäftsführerin und Justiziarin der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP).

Die strenge Auslegung der Steuerpflicht bei gemeinnützigen Organisationen werden die Caritas-Träger "vor erhebliche Herausforderungen stellen", befürchtet die Justiziarin. Einerseits stehe im Mittelpunkt der Caritas-Arbeit der Satzungszweck, wie die Unterstützung behinderter oder anders benachteiligter Menschen. Andererseits müssten die Formen der Betätigung genau geprüft werden, um die Anforderungen der Gemeinnützigkeit zu erfüllen und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit der Leistungen einzuhalten.

Die Diakonie Deutschland konnte zu den konkreten Auswirkungen noch nichts Genaues sagen. "Die Auswirkungen seien davon abhängig, inwieweit das BFH-Urteil in den Umsatzsteueranwendungserlass übernommen und damit unmittelbarer Prüfgegenstand der Finanzämter im Rahmen der Umsatzsteuerprüfung wird", teilte die Diakonie in einer Stellungnahme mit.

Zweckbetrieb oder Wirtschaftsunternehmen

Im entschiedenen Streitfall hatte eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) unter anderem ein Bistro und eine öffentliche Toilette betrieben. In dem Bistro arbeiteten drei behinderte Langzeitarbeitslose, deren Stellen öffentlich gefördert wurden. Für die Außenumsätze berücksichtigte die WfbM den ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent.

Sie begründete dies mit der Abgabenordnung und dem Umsatzsteuergesetz. Das Bistro sei ein sogenannter Zweckbetrieb, da hier mindestens 40 Prozent behinderte Menschen arbeiten. Erbringen Zweckbetriebe Leistungen, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen, sei für Umsätze der ermäßigte Umsatzsteuersatz anzuwenden. Das Finanzamt sah dagegen in dem Bistro einen für die Kunden regulären Betrieb, für dessen Umsätze 19 Prozent Umsatzsteuer fällig werden.

Der BFH entschied nun, dass Gemeinnützigkeit nicht automatisch vor dem vollen Umsatzsteuersatz von 19 Prozent schützt. Allein die Mitarbeit behinderter oder anders benachteiligter Menschen in der Einrichtung reiche für den Anspruch auf einen ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent nicht aus, erklärten die Münchner Richter.

"Vorgaben des Unionsrechts"

Stünden gemeinnützige Einrichtungen mit ihren Zweckbetrieben in unmittelbarem Wettbewerb mit regulären Unternehmen, seien die Außenumsätze grundsätzlich nach dem vollen Umsatzsteuersatz von 19 Prozent zu versteuern. Dies seien "zwingende Vorgaben des Unionsrechts", also des EU-Rechts.

Nur wenn bei den erbrachten Leistungen kein Wettbewerb mit regulären Unternehmen besteht oder wenn mit den Leistungen "die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklicht werden", könne ein ermäßigter Steuersatz infrage kommen. Dies sei aber nicht der Fall, wenn die Leistungen in erster Linie den Zwecken der Kunden und nicht der benachteiligten Menschen dienen.

Hier dienten die Gastronomieleistungen des Klägers in erster Linie dem Kunden und nicht den behinderten benachteiligten Beschäftigten, stellte der BFH fest. Grundsätzlich fiele dann der volle Umsatzsteuersatz von 19 Prozent an.

Die obersten Finanzrichter verwiesen den Fall an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zurück. Dieses muss noch prüfen, ob aus anderen Gründen ein ermäßigter Umsatzsteuersatz infrage kommt, etwa wenn Speisen lediglich zur Mitnahme angeboten werden.

Az.: XI R 2/17

Frank Leth


Bundesverfassungsgericht

Gewerkschaften nur mit ausreichender Mitgliederzahl tariffähig



Nur mit einer ausreichenden Anzahl an Mitgliedern sind Gewerkschaften tariffähig. Diese, von den Arbeitsgerichten entwickelten Anforderungen zur Tariffähigkeit, verstoßen nicht gegen die im Grundgesetz geschützte Koalitionsfreiheit, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am 22. November veröffentlichten Beschluss zur "Neuen Assekuranz Gewerkschaft" (NAG).

Die im November 2010 in Gießen gegründete Gewerkschaft vertritt Beschäftigte der Versicherungsbranche. Über die Anzahl ihrer Mitglieder hüllte sich die Gewerkschaft in Schweigen.

Die konkurrierende DGB-Gewerkschaft ver.di hielt die NAG wegen fehlender "Mächtigkeit" für nicht tariffähig. Sie dürfe daher mit Arbeitgebern keine Tarifverträge abschließen.

Schon das LAG sah keine Tarifffähigkeit

Das als erste Instanz zuständige Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hatte auf Antrag von ver.di die NAG für nicht tariffähig erklärt. Wegen der unbekannten Mitgliederzahl müsse davon ausgegangen werden, dass die NAG keine durchsetzungsfähigen Tarifforderungen aufstellen könne. Das Bundesarbeitsgericht lehnte die dagegen eingelegte Beschwerde ebenfalls ab.

Vor dem Bundesverfassungsgericht hatte die NAG nun ebenfalls keinen Erfolg. Zwar regele weder das Grundgesetz noch das Tarifvertragsgesetz ausdrücklich, "wann eine Arbeitnehmerkoalition als Gewerkschaft anzusehen ist" und Tarifverträge erstreiten darf. Es sei aber mit der im Grundgesetz enthaltenen Koalitionsfreiheit vereinbar, dass die Arbeitsgerichte als Voraussetzung von tariffähigen Gewerkschaften eine ausreichende Mitgliederzahl verlangen. "Ohne eine gewisse Geschlossenheit der Organisation und Durchsetzungskraft wäre eine Arbeitnehmervereinigung vom guten Willen der Arbeitgeberseite und anderer Arbeitnehmerkoalitionen abhängig und könnte den Aufgaben der Tarifautonomie nicht gerecht werden", erklärten die Verfassungsrichter.

Hier habe das LAG annehmen dürfen, dass die NAG nur einen Organisationsgrad von 0,05 Prozent aufweise und damit keine ausreichende Durchsetzungsfähigkeit bestehe.

Az.: 1 BvR 1/16



Bundesgerichtshof

Auch ohne Flüchtlinge gilt Mietvertrag für Flüchtlingsunterkunft



Kommunen können einen Mietvertrag für eine Flüchtlingsunterkunft mit dem Vermieter grundsätzlich nicht vorzeitig kündigen. Auch wenn die Flüchtlingszahlen mittlerweile deutlich zurückgegangen sind und in der angemieteten Unterkunft noch nie ein Zimmer belegt war, ist ein über mindestens 60 Monate dauernder Mietvertrag wirksam, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 25. November veröffentlichten Urteil.

Wegen erwarteter hoher Flüchtlingszahlen hatte die saarländische Stadt Ottweiler bei einem privaten Vermieter im Januar 2016 eine Flüchtlingsunterkunft angemietet. In dem Haus sollten 14 Personen Platz finden. Die Stadt hatte eine monatliche Miete von 2.645 Euro sowie eine Mindestvertragslaufzeit von 60 Monaten vereinbart.

Vorwurf einer sittenwidrigen Wuchermiete

Das angemietete Haus wurde jedoch nie belegt. Die Stadt kündigte daher den Mietvertrag zum 30. April 2017. Als der Vermieter widersprach, verlangte die Kommune einige Monate später eine geringere Miete - und zwar von 10,62 Euro pro Quadratmeter auf fünf Euro pro Quadratmeter, da dies der ortsüblichen Vergleichsmiete entspreche. Als der Vermieter dies ablehnte, kündigte die Stadt erneut das Mietverhältnis wegen einer sittenwidrigen Wuchermiete.

Der BGH urteilte, dass der Mietvertrag mit der Kommune weiter wirksam sei. Zwar sei ein über mehr als vier Jahre dauernder Kündigungsausschluss im Bereich der Wohnungsmiete unwirksam. Für das Vorliegen einer Wohnungsmiete müsse aber der Mieter oder seine Familie selbst dort wohnen. Hier habe die Stadt aber die Unterkunft für Flüchtlinge angemietet. Die Vierjahresfrist gelte in solch einem Fall nicht. Das Risiko der Nichtbelegung der Unterkunft trage alleine die Stadt.

Die Kommune könne außerdem die Unterkunft auch für andere Personen mit Wohnungsproblemen nutzen. Dass eine sittenwidrige Wuchermiete bestehe, sei ebenfalls nicht nachgewiesen. Da es sich hier um ein gewerbliches Mietverhältnis handele, dürfe die Stadt nicht auf die allgemein ortsübliche Vergleichsmiete für Wohnraum verweisen, sondern müsse die übliche Miete für Asylunterkünfte zugrunde legen.

Az.: XII ZR 125/18



Bundesgerichtshof

Mieter können sich leichter gegen Mieterhöhungen wehren



Mieter können sich mit Hilfe von Inkasso-Dienstleistern leichter gegen Mieterhöhungen wehren. Es verstößt nicht gegen das Gesetz, wenn registrierte Inkasso-Firmen Mietern für mögliche Zahlungsforderungen gegenüber dem Vermieter ihre Hilfe anbieten und - anders als bei einem Anwalt - nur im Erfolgsfall eine Vergütung verlangen, entschied am 27. November der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil (BGH) im Fall des Berliner Inkasso-Dienstleisters Lexfox.

Lexfox (früher Mietright) bietet auf seiner Internetseite www.wenigermiete.de eine unverbindliche Prüfung an, ob Mieter eine zu hohe Miete zahlen oder zu Unrecht eine Mieterhöhung erhalten haben. Mieter können hierfür auf der Internetseite einen kostenlos nutzbaren "Mietpreisrechner" nutzen und dabei erste Hinweise erhalten, ob etwa der Vermieter gegen eine bestehende Mietpreisbremse verstoßen hat.

"Keine Vorabzahlung wie beim Anwalt",

Wird Lexfox damit beauftragt, Zahlungsforderungen beim Vermieter außergerichtlich durchzusetzen, verlangt das Unternehmen nur im Falle des Erfolges vom Mieter eine Vergütung in Höhe eines Drittels "der ersparten Jahresmiete". "Das heißt: Keine Vorabzahlung wie beim Anwalt", wirbt das Unternehmen auf seiner Homepage.

Im Streitfall hatte ein Berliner Mieter gerügt, dass sein Vermieter, eine Wohnungsbaugesellschaft, eine überhöhte Miete verlangt und sich nicht an die vorgeschriebene Mietpreisbremse hält. Der Mieter trat seine Forderungen an den Inkasso-Dienstleister Lexfox ab, der seine Ansprüche durchsetzen sollte.

Der Vermieter hielt die Beauftragung von Lexfox als Inkasso-Dienstleister für nichtig. Lexfox erbringe eine Rechtsberatung, für die das Unternehmen nicht qualifiziert sei. Nur mit entsprechender Erlaubnis dürften solche Rechtsdienstleistungen erbracht werden. Dies sei etwa bei Anwälten der Fall. Ähnlich hatte sich in dem Fall auch die Rechtsanwaltskammer Berlin positioniert.

Doch der BGH urteilte, dass das Angebot von Lexfox noch nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstößt. Als registrierter Inkasso-Dienstleister habe Lexfox ausreichend Sachkunde, um außergerichtlich Zahlungsforderungen geltend machen zu können. Die gesetzlichen Bestimmungen seien hier weit auszulegen.

Sämtliche Maßnahmen von Lexfox hingen mit der Einziehung der Forderung zusammen, die den Gegenstand "Inkassoauftrag" beinhaltet, betonte der BGH. Eine allgemeine Rechtsberatung liege nicht vor. Nicht zu beanstanden sei auch, dass Mieter nur im Erfolgsfalle eine Vergütung an den Inkasso-Dienstleisterzahlen müssen.

Az.: VIII ZR 285/18



Bundesgerichtshof

Keine Strafe wegen gescheiterter Resozialisierungsmaßnahme



Justizvollzugsbeamte müssen für unerwartete Verbrechen von Strafgefangenen im offenen Vollzug nicht geradestehen. Haben die Beamten alle relevanten für und gegen eine Vollzugslockerung sprechenden Aspekte berücksichtigt und abgewogen, begründet ein vom Freigänger begangener Mord keine Verurteilung der Beamten wegen fahrlässiger Tötung, urteilte am 26. November der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe.

Hintergrund des Rechtsstreits war die mehrfache Verurteilung eines Mannes wegen Verkehrsdelikten, meist Fahrens ohne Führerschein. Der Mann musste seine Haftstrafe in den rheinland-pfälzischen Justizvollzugsanstalten in Wittlich und Diez absitzen. Sowohl im ersten als auch im zweiten Gefängnis hatten die zuständigen Justizvollzugsbeamten den Freigang für den Straftäter als Resozialisierungsmaßnahme gebilligt. Er erhielt jedoch die Auflage, sich nicht ans Steuer eines Autos zu setzen.

"Geisterfahrer" tötete 21-Jährige

Als der Mann während eines Ausgangs dennoch ein Auto fuhr, kam er in eine Polizeikontrolle. Er trat daraufhin die Flucht an, lenkte das Auto auf die Gegenfahrbahn einer vierspurigen Bundesstraße und stieß als "Geisterfahrer" mit dem Auto einer 21-jährigen Frau zusammen. Die Frau starb an ihren Verletzungen. Der Straftäter wurde wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Auch die beiden Justizvollzugsbeamten, die den Freigang des Mannes gewährt hatten, sollten sich verantworten. Sie wurden wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Doch die Beamtin und der Beamte haben mit der gewährten Vollzugslockerung nicht gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen, urteilte nun der BGH. Justizvollzugsbeamten müssten bei jeder Vollzugslockerung die Sicherheit der Allgemeinheit und das grundrechtlich geschützte Resozialisierungsinteresse eines Strafgefangenen miteinander abwägen. Dies hätten sie hier getan. Die Tat des Strafgefangenen sei nicht absehbar gewesen, entschieden die BGH-Richter.

Az.: 2 StR 557/18



Landesarbeitsgericht

Fristlose Kündigung darf vorsorgliche Urlaubsanordnung enthalten



Bei Zweifeln über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung können Arbeitgeber den auch hilfsweise gekündigten Beschäftigten vorsorglich bis Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist in den Urlaub schicken. Damit solch eine mit der Kündigung ausgesprochene Vorgabe gültig ist, muss der Arbeitgeber vor Antritt des Urlaubs die Urlaubsvergütung dem Beschäftigten verbindlich zusagen oder zahlen, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 14. November veröffentlichten Urteil.

Dem Kläger wurde im September 2017 fristlos gekündigt. Der Arbeitgeber war sich jedoch nicht sicher, ob die Kündigung wirksam ist. Er kündigte dem Mann daher hilfsweise auch ordentlich zum 30. November 2017. Zugleich wurde der Arbeitnehmer vorsorglich in den Urlaub geschickt, falls die fristlose Kündigung unwirksam sein sollte. Der Arbeitgeber sagte in diesem Fall vorbehaltlos die Zahlung der Urlaubsvergütung zu.

Urlaub ohne Erholung

Die Parteien einigten sich schließlich vor dem Arbeitsgericht auf einen Vergleich. Danach sollte das Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 2017 enden.

Im Streit stand allerdings noch, ob der Arbeitgeber den Beschäftigten in dem Kündigungsschreiben zum Urlaub verpflichten durfte. Diese vorsorgliche Urlaubsgewährung sei nicht zulässig gewesen, sagte der Arbeitnehmer. Urlaub diene schließlich der Erholung und der Freizeit. Er habe sich aber wegen der Kündigung bei der Arbeitsagentur melden und sich auf neue Stellen bewerben müssen. Eine Urlaubserholung sehe anders aus. Da die Urlaubsgewährung unwirksam sei, stehe ihm noch eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.338 Euro zu.

Doch das LAG entschied, dass der Arbeitgeber den Urlaub wirksam angeordnet hat, auch wenn die Urlaubsgewährung nur vorsorglich erfolgte. Da dem Arbeitnehmer Urlaubsentgelt gewährt wurde, sei er auch nicht in unzumutbarer Weise in seiner Urlaubsgestaltung eingeschränkt worden. Der Kläger habe sich in dieser Zeit ausreichend erholen können. Dass er den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur zur Verfügung stehen musste, sei kein Grund für die Unwirksamkeit der Urlaubsanordnung.

Denn entsprechende Mitwirkungspflichten gegenüber der Agentur für Arbeit bestünden auch bei "normalen" ordentlichen Kündigungen. Auch hier müssten sich Arbeitnehmer bis Ablauf der Kündigungsfrist der Behörde für Vermittlungsbemühungen zur Verfügung stellen, selbst wenn sie in dieser Zeit noch Urlaub haben.

Gegen das Urteil wurde die Revision zum Bundesarbeitsgericht in Erfurt zugelassen.

Az.: 4 Sa 15/19



Landesarbeitsgericht

Zeitintensive Vorstellungsgespräche auch mit behinderten Bewerbern



Öffentliche Arbeitgeber müssen auch schwerbehinderte Bewerber zu Vorstellungsgesprächen einladen. Dass der Bewerberkreis möglichst klein gehalten werden soll, sei kein Grund, geeignete schwerbehinderte Bewerber nicht einzuladen, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein in Kiel in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 29. August.

Das Kraftfahrt-Bundesamt hatte über sein Online-Portal "Ingenieure/-innen (FH - Diplom/Bachelor)" der Fachrichtungen Kraftfahrzeugtechnik, Maschinenbau, Elektrotechnik oder vergleichbarer Fachrichtungen gesucht. Auf die Stelle bewarb sich auch der mit einem Grad der Behinderung von 60 eingestufte Kläger. Dieser hatte einen höherwertigen Universitäts-Abschluss mit der Note "gut" geschafft.

Der schwerbehinderte Stellenbewerber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, obwohl dies die gesetzlichen Bestimmungen für öffentliche Arbeitgeber so vorsehen. Der Mann fühlte sich wegen seiner Behinderung diskriminiert und verlangte eine Entschädigung.

Störung des Betriebsfriedens

Die Behörde hielt ihr Vorgehen für rechtmäßig. Sie habe den Bewerberkreis wegen der aufwendigen Vorstellungsgespräche möglichst klein halten wollen. Daher seien nur Bewerber mit Bachelor-Abschluss, darunter auch behinderte Menschen, eingeladen worden.

Während des Verfahrens erweiterte die Behörde ihre Begründung. Eine Einstellung von zu hoch qualifizierten Bewerbern könne zu einer Störung des Betriebsfriedens und Konkurrenzkämpfen zwischen den weniger qualifizierten Beschäftigten führen. Eine deshalb unterbliebene Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch sei vom Bundesarbeitsgericht gebilligt worden.

Doch das Kraftfahrt-Bundesamt muss zwei Monatsgehälter, insgesamt 7.000 Euro, als Diskriminierungsentschädigung an den Kläger zahlen, urteilte das LAG. Der Kläger sei mit seinem Uni-Abschluss für die Tätigkeit fachlich geeignet und hätte daher zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen.

Hier sei der Kläger auch nicht wegen seiner Überqualifizierung und einer möglichen Gefahr des Betriebsfriedens nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Vielmehr seien allein personalwirtschaftliche Gründe hierfür verantwortlich. Die Behörde habe lediglich sich zeit- und arbeitsintensive Vorstellungsgespräche sparen wollen. Die gesetzliche Verpflichtung, grundsätzlich geeignete schwerbehinderte Bewerber trotz des Zeitaufwandes zum Vorstellungsgespräch einzuladen, sei vom Gesetzgeber aber gewollt. Da das Kraftfahrt-Bundesamt dem nicht nachgekommen sei, habe es "die Rechte des schwerbehinderten Klägers leichtfertig verletzt".

Az.: 5 Sa 375 öD/18



Landgericht

Schwere Untreue: 6,5 Jahre Haft für Ex-ASB-Geschäftsführer



Ein früherer Geschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) Hannover ist wegen schwerer Untreue vom Landgericht Hildesheim am 28. November zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der 46-Jährige sei überführt, zwischen 2015 und 2017 Zuweisungen an den ASB in Höhe von rund 8,1 Millionen Euro auf eigene Konten abgezweigt zu haben, sagte Gerichtssprecher Steffen Kumme dem Evangelischen Pressedienst.

Ein ebenfalls angeklagter ehemaliger Bereichsleiter des ASB und Assistent des Geschäftsführers erhielt wegen Beihilfe zur Untreue und Betruges eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren. Beide Beschuldigte hatten die ihnen zur Last gelegten Taten während des Prozesses weitgehend gestanden.

Leistungen nicht erbracht

Das veruntreute Geld hatte der ASB vom Land Niedersachsen für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in einer vom Verband betriebenen Unterkunft in Hildesheim erhalten. Der Hauptangeklagte soll die Mittel auf ein Konto umgeleitet haben, das er angeblich für den ASB eingerichtet hatte, in Wirklichkeit aber nur selbst nutzte und auch nicht über die Buchhaltung der Hilfsorganisation laufen ließ. Der Anklage zufolge hatten die Männer dem Land zudem Leistungen in Rechnung gestellt, die gar nicht erbracht wurden.

Die Unregelmäßigkeiten waren erst im vergangenen Februar aufgefallen. Der Ex-Geschäftsführer saß seitdem wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Weil die U-Haft in der Regel nur maximal sechs Monate dauern darf, verhandelte das Gericht zunächst über einen Teil der Vorwürfe. In das Urteil gegen den Bereichsleiter sei auch dessen Besitz von kinderpornografischen Bildern eingeflossen, sagte Kumme. Entsprechende Dateien hatte die Polizei im Zuge der Ermittlungen auf seinem Laptop des 37-Jährigen gefunden.

Die Staatsanwaltschaft hatte für den Hauptangeklagten sieben Jahre und seinen Assistenten vier Jahre und neun Monate Gefängnis gefordert. Die Verteidigung hielt eine Strafe von sechseinhalb Jahren für den Geschäftsführer für angemessen. Für den Mitangeklagten hatte dessen Anwalt für eine deutlich geringere Strafe plädiert.




sozial-Köpfe

Niedersachsen

Müller-Brandes gibt Geschäftsführung der Diakoniestationen ab




Rainer Müller-Brandes
epd-bild/Markus Lampe
Der hannoversche Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes gibt seine Position als Geschäftsführer von diakonischen Sozialstationen auf. Damit will er Tarifverhandlungen nicht unnötig verkomplizieren.

Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes gibt zum Jahresende die Geschäftsführung der "Diakoniestationen Hannover gGmbH" ab, um anstehenden Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft ver.di nicht im Weg zu stehen. "Da ich zugleich Vorsitzender des Aufsichtsrates bin, hätte ich mir sonst selbst den von mir ausgehandelten Abschluss genehmigen müssen", erläuterte Müller-Brandes am 25. November seinen Rücktritt. Darum habe er diesen Schritt bereits vor Monaten mit dem Diakonischen Werk Hannover abgestimmt. Die Diakoniestationen mit fünf Standorten in Hannover sowie Zweigstellen in Garbsen und Neustadt am Rübenberge gehören mit rund 600 Beschäftigten und etwa 2.000 Patienten zu den größeren Verbünden dieser Art in Niedersachsen.

Gerichtsklage für mehr Lohn

Die Tarifverhandlungen mit ver.di beginnen Müller-Brandes zufolge Anfang des neuen Jahres. Bisher zahlen die Diakoniestationen Hannover nach einer sogenannten Arbeitsvertragsrichtlinie. Ein Mitarbeiter der Stationen klagt derzeit vor dem Arbeitsgericht Hannover auf Lohnnachzahlung. Seiner Ansicht nach müsste sein Arbeitgeber nach dem deutlich besseren Tarifvertrag zahlen, der 2014 zwischen der Diakonie in Niedersachsen als Spitzenverband und ver.di ausgehandelt wurde. Der Prozess wird im März fortgesetzt.

Die Diakoniestationen Hannover gGmbH gehört zum Diakonischen Werk Hannover, bei dem Müller-Brandes ebenfalls die Geschäftsführung innehat. Das Werk ist Träger von zahlreichen Beratungsdiensten wie der Ehe- und Lebensberatung, der Suchtberatung und der Kirchenkreissozialarbeit. Hinzu kommen Jugendhilfe, Jugendwerkstätten, Wohnungslosenhilfe in der Region Hannover und Kleiderkammern. Darüber hinaus verantwortet das Diakonische Werk die Straßenzeitung Asphalt, die soziale Wohnraumhilfe, die Bahnhofsmission und das Fairkaufhaus.



Weitere Personalien



Jürgen Paschke ist neuer Bundesvorsitzender des Blauen Kreuzes in Deutschland. Paschke tritt damit die Nachfolge von Klaus Richter an, der seit 2006 Bundesvorsitzender des Blauen Kreuzes war. Der neue Vorsitzende ist gelernter Bankkaufmann, Theologe und Pädagoge und leitete zuletzt als Direktor das Theologisch-Pädagogische Seminar "Malche" in der NRW-Stadt Porta Westfalica. Das Blaue Kreuz prägt sein Leben: 29 Jahre war er Vorsitzender des Landesverbandes Niedersachsen und rund 20 Jahre im Bundesvorstand des Blauen Kreuzes. Die Gründung und Koordination des Blauen Kreuzes Russland, Netzwerke Moskau und St. Petersburg, gehören zu den Schwerpunkten seines Engagements. Das Blaue Kreuz in Deutschland unterstützt suchtgefährdete und suchtkranke Menschen sowie Angehörige an über 400 Standorten mit über 1.100 Gruppen- und Vereinsangeboten.

Maria Knorr und Judit Neumann sind zu Richterinnen am Bundessozialgericht (BSG) ernannt worden. Knorr studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Bonn und Mainz und begann nach ihrem zweiten Staatsexamen im September 1997 ihre richterliche Laufbahn beim Sozialgericht Dortmund. Am Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht in Köln schloss sie 2005 ihre Promotion ab. Judit Neumann, in Magdeburg geboren, studierte nach einer Berufsausbildung Rechtswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Nach ihrem Referendariat nahm sie im Jahr 2006 die Tätigkeit als Richterin am Sozialgericht Halle auf. Im Dezember 2015 wurde sie zur Richterin am Landessozialgericht in Sachsen-Anhalt ernannt. Knorr wurde dem für die gesetzliche Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Künstlersozialversicherung zuständigen 3. Senat des BSG und Neumann dem für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen 14. Senat zugewiesen.

Ursula Nonnenmacher ist die neue Sozialministerin in Brandenburg. Die 61-jährige Ärztin war bislang Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag. Nonnenmacher wird auch stellvertretende Ministerin in der Koalition aus SPD, CDU und Grünen. Am 1. September war ein neuer Brandenburger Landtag gewählt worden.

Barbara Eschen ist neue Sprecherin der Landesarmutskonferenz (LAK) in Berlin. Die Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz wird für zwei Jahre gemeinsam mit Hermann Pfahler das Sprecheramt innehaben. In ihrer Antrittsrede betonte die Theologin, dass "die Landesarmutskonferenz ein dringendes und unverzichtbares Bündnis für Berlin ist". Immer noch wachse jedes dritte Kind unter Armutsbedingungen auf, ein hoher Anteil der Jugendlichen verlasse die Schule ohne Abschluss "und damit ohne Anschluss an die Gesellschaft". 2017/18 war Eschen bereits Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz (NAK).

Barbara Stamm hat die Goldene Ehrennadel der Lebenshilfe Bayern erhalten. Die Vorsitzende des Verbandes wurde für ihren "unermüdlichen und außerordentlichen Einsatz für Menschen mit Behinderungen und ihren Familien" ausgezeichnet. Die 75-Jährige sei "Gesicht und Seele" der Lebenshilfe Bayern, sagte Laudator und stellvertretender Vorsitzender Gerhard John. Die CSU-Politikerin war von 1976 bis 2018 Abgeordnete im Bayerischen Landtag und von 2008 bis 2018 auch dessen Präsidentin.

Bernd Wallenstein (58) ist neuer Ärztlicher Leiter des Zentrums für Forensische Psychiatrie in Lippstadt. Der Gesundheits- und Krankenhausausschuss des Landschaftsverbandes Westfalen- Lippe (LWL) wählte den gebürtigen Lüdenscheider einstimmig zum neuen Ärztlichen Direktor. Der Arzt, forensische Psychiater und Psychotherapeut ist Nachfolger der langjährigen Direktorin Nahlah Saimeh, die sich seit Mai auf eigenen Wunsch als forensische Psychiaterin selbstständig gemacht hat. Wallenstein war seit Jahren Stellvertreter Saimehs. Wallenstein arbeitet bereits seit 1991 im LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie in Lippstadt. Er war Chefarzt der Abteilung "Klinische Psychiatrie" und zuletzt kommissarischer Ärztlicher Direktor.

Malte Mechels und David Lazica sind als neue Chefärzte des Agaplesion Diakonieklinikums in Rotenburg/Wümme in ihre Ämter eingeführt worden. Mechels leitet seit 1. April die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik. Lazica ist seit Jahresbeginn Chefarzt der Klinik für Urologie und Kinderurologie. Das Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg ist das größte konfessionelle Krankenhaus in Niedersachsen und akademisches Lehrkrankenhaus der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg.






sozial-Termine

Veranstaltungen bis Januar



Dezember

3.12. Freiburg:

Seminar "Arbeitszeitrecht in der Pflege"

der Fortbildungsakademie des Caritasverbandes

Tel.: 0761/89740

3.12. Berlin:

Fachtag "Einmischen, mitmischen, aufmischen - Perspektiven politischer Partizipation"

des Deutschen Behindertenrates

Tel.: 030/40571413

3.12. Köln:

Seminar "Fördermittelgewinnung bei Stiftungen"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-160

3.-4.12. Moritzburg:

Seminar "Musik und Biografiearbeit mit Menschen mit Demenz, psychischen Erkrankungen und geistiger Behinderung"

der Diakonischen Akademie für Fort- und Weiterbildung

Tel.: 030/82097-117

5.12. Berlin:

Seminar "Social Media Marketing"

der BfS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-160

9.12. Berlin:

Seminar "Die Personalgewinnung und -bindung in der Pflege unter den Herausforderungen des Pflegeberufegesetzes"

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980-605

9.12. Potsdam:

Forum "Fachberatung: Aktuelle Entwicklungen in der Kindertagesbetreuung"

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980-605

10.-11.12. Frankfurt a.M.:

Fachtagung "Rechtspopulismus schadet der Seele - Herausforderungen und Handlungsstrategien für Jugendsozialarbeit und gesellschaftspolitische Jugendbildung"

der BAG EJSA

Tel.: 0711/16489-20

11.-12.12. Leipzig:

Seminar "Besondere und originelle Klienten in der Beratung"

der Diakonischen Akademie für Fort- und Weiterbildung

Tel.: 030/82097-117

13.12. Witten-Herdecke:

Fachtagung zum Forschungsprojekt "Zielgruppenorientierte Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige (ZipA)" der Universität Witten-Herdecke

Tel.: 0170/6764648

16.12. Berlin:

Seminar "Die Dublin-Verordnung"

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-0

Januar

13.1. Moritzburg:

Seminar "Kommunikation mit "schwierigen" Angehörigen"

der Diakonischen Akademie für Fort- und Weiterbildung

Tel.: 030/82097-117

15.1. Köln:

Seminar "Interkulturelle Kompetenz. Vorurteilsbewusstheit in Zusammenarbeit mit Kindern und Familien"

des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln

Tel.: 0221/2010-284

21.1. Berlin:

Tagung "Gesundheit und Wohlbefinden von Männern im digitalen Zeitalter"

der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin

Tel.: 0511/3881189-0

23.-25.1. Kassel:

Christlicher Gesundheitskongress "Du bist es wert - Menschen. Würde. Achten"

des Vereins Christen im Gesundheitswesen

Tel.: 04104/91709-34