sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Dirk Baas
epd-bild/Heike Lyding

Kinder zu haben ist schön. Aber sie kosten eben auch viel Geld, das erst mal verdient werden will. Vielleicht ist das der Hauptgrund dafür, dass Väter nach der Geburt eines Kindes sogar mehr als vorher arbeiten. Experten sehen das überaus kritisch, denn die alten Rollenmuster erstarken dadurch. Sie sehen in diesem Trend sogar eine Gefahr für die Gleichberechtigung der Frauen.

Der "Kölner Kreidekreis" ist ein Lichtblick für viele Heimkinder, die keinen oder nur sehr unregelmäßigen Kontakt zu ihren Eltern haben. Der Verein vermittelt Paten, die die Mädchen und Jungen ein Stück auf ihrem steinigen Lebensweg begleiten. Sie sind eine Konstante in deren oft von vielen Wechselfällen geprägten Dasein. Die Paten bleiben auch dann bei der Stange, wenn ein Heimwechsel ansteht. Ein Glücksfall, auch für Jan, der seit zwei Jahren einen Paten hat.

Für Thomas Beyer, Chef der bayerischen Arbeiterwohlfahrt (AWO), ist die Situation dramatisch: Obwohl Menschen arbeiten, reicht ihr Lohn oft nicht aus, um vor allem in den Ballungsräumen eine Mietwohnung zu halten oder eine neue zu finden. Von diesem stetig wachsenden Mangel seien nahezu alle Bevölkerungsgruppen betroffen: Studierende, ältere Menschen, anerkannte Geflüchtete, Zugewanderte, Alleinstehende, Familien, schreibt Beyer in seinem Gastbeitrag für epd sozial. Er nimmt den Staat in die Pflicht, wieder mehr als Bauherr bezahlbarer Wohnungen zu agieren. Er betont aber auch: Enteignung beziehungsweise Vergesellschaftung sollten Ultima Ratio bleiben.

Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, unter welchen Bedingungen deutsche Standesämter ausländische Leihmütter auch als rechtliche Mutter anerkennen. Es ging um zwei Fälle, in denen mit dem Samen der Ehemänner befruchtete Eizellen Leihmüttern in der Ukraine eingesetzt wurden. Das Gericht entschied: Auch wenn ausländische Behörden die rechtliche Mutterschaft der deutschen Ehefrau anerkannt haben, sind deutsche Standesämter daran grundsätzlich nicht gebunden.

Hier geht es zur Gesamtausgabe von epd sozial 17/2019

Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen

Dirk Baas

Ich freue mich über Ihre Email




sozial-Politik

Studien

Durchschnittseinkommen klaffen regional weit auseinander




Shopping in Kronberg, das im Hochtaunuskreis mit vielen betuchten Bewohnern liegt (Archivbild)
epd-bild/Thomas Rohnke
Von gleichwertigen Lebensverhältnissen ist Deutschland weit entfernt. Haushalte im Süden haben im Durchschnitt doppelt so viel Geld zum Ausgeben als im Norden, Osten oder in den alten Industriegebieten des Westens, sagt eine aktuelle Studie.

Durch Deutschland verläuft ein Riss zwischen armen und reichen Regionen. Wie eine am 24. April in Düsseldorf veröffentlichte Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt, fällt das durchschnittliche verfügbare Einkommen der Privathaushalte höchst unterschiedlich aus. So standen der Studie zufolge 2016 im Landkreis Starnberg bei München pro Person und Jahr im Schnitt 34.987 Euro zur Verfügung. Das war mehr als doppelt so viel wie in Gelsenkirchen, wo das Pro-Kopf-Einkommen bei 16.203 Euro lag. Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnte vor regionalen Armutsspiralen.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Böckler-Stiftung wertete den Angaben zufolge die Einkommensdaten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder für alle 401 deutschen Landkreise und kreisfreien Städte aus. Als verfügbares Einkommen eines privaten Haushaltes gilt das Einkommen nach Steuern, Sozialabgaben und Sozialtransfers, das für den Konsum verwendet oder gespart werden kann.

Starnberg vor Heilbronn

Nach Spitzenreiter Starnberg liegen Heilbronn und der Hochtaunuskreis mit durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 30.000 Euro auf dem zweiten und dritten Platz. Weniger als 17.000 Euro pro Kopf und Jahr weist neben Gelsenkirchen nur noch Duisburg mit 16.881 Euro auf. Unter der Marke von 20.000 Euro liegen laut Studie auch weitere Teile des Ruhrgebiets, des Saarlandes, von Niedersachsen und auch zahlreiche ostdeutsche Kreise und Städte wie Leipzig, Frankfurt an der Oder, Brandenburg an der Havel, Rostock und der Landkreis Vorpommern-Greifswald.

Generell seien die verfügbaren Einkommen nach Abzug der Preissteigerung zwischen 2000 und 2018 im deutschen Durchschnitt um 12,3 Prozent gestiegen, hieß es. Dabei seien die Zuwächse in den ostdeutschen Bundesländern etwas höher gewesen als im Westen, bei einem deutlich niedrigeren Ausgangsniveau.

Den bundesweit stärksten Anstieg gab es in Heilbronn, wo das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen seit der Jahrtausendwende real um 43 Prozent zulegte. Das führen die Wissenschaftler vor allem darauf zurück, dass in der Kommune mehrere sehr reiche Einzelpersonen gemeldet sind, darunter Milliardär und Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz. Gegen den Trend zurückgegangen ist das verfügbare Einkommen dagegen in 33 Kreisen und Städten, darunter in Offenbach am Main, Bremerhaven, Essen, Baden-Baden und Ansbach.

Paritätischer fordert staatliches Handeln

Der paritätische Wohlfahrtsverband forderte mehr finanzielle Unterstützung für strukturschwache Regionen und die Beibehaltung des Solidaritätszuschlags. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider erklärte in Berlin, Deutschland sei nicht nur sozial, sondern auch regional ein zerrissenes Land. Während die Armutsquote in Bayern und Baden-Württemberg bei 12,1 Prozent liege, betrage sie in Norddeutschland 17,3 Prozent. Regionen wie das Ruhrgebiet befänden sich in einer Armutsspirale nach unten, aus der sie aus eigener Kraft kaum noch herauskommen könnten, sagte Schneider.

"Die regionale Betrachtung zeigt: Es geht bei Armut nicht nur um individuelle Schicksale und Problemlagen, sondern um echte Strukturprobleme", so Schneider. Es könne nicht angehen, dass bei seit Jahren steigendem Wohlstand regelmäßig Aufschwungsverlierer produziert würden, seien es Menschen, die aus ihren Wohnungen vertrieben würden oder Menschen, die für nicht auskömmliche Mindestlöhne arbeiten müssten. Notwendig seien nicht nur armutsfeste Löhne und Sozialleistungen, sondern ebenso eine solidarisch finanzierte Infrastrukturpolitik, insbesondere in den abgehängten Regionen, forderte der Verbandschef.

Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, wandte sich ebenfalls gegen eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, wie sie Union und FDP anstreben. Es sei "ökonomisch dumm", auf öffentliche Investitionen in die Infrastruktur, in Schulen, Kitas, Pflegeheime, Straßen und Brücken zu verzichten, erklärte Kipping.

Ester Soth, Bettina Markmeyer


Familie

Männlichkeit und Mütterlichkeit: Rückfall in alte Rollen




Eine Mutter kümmert sich um ihr Baby.
epd-bild/Meike Boeschemeyer/vigilux-Pressefoto
Statt nach der Geburt ihrer Kinder so viel Zeit wie möglich zu Hause zu verbringen, arbeiten viele Väter sogar mehr als zuvor. Immer mehr Paare folgen wieder ganz klassischen Mustern der Rollenverteilung - eine Gefahr für die Gleichberechtigung.

Die Geburt des ersten Kindes ist für viele Paare ein magischer Augenblick: Der Wunsch nach dem ersehnten Baby hat sich erfüllt, das Glück ist perfekt. Eigentlich ein Grund, um beruflich etwas kürzer zu treten und so viel Zeit wie möglich zu Hause mit dem Nachwuchs zu verbringen. Doch tatsächlich arbeiten Väter sogar häufiger als Männer ohne Nachwuchs.

Im Jahr 2017 waren nach Angaben des Statistischen Bundesamts 91 Prozent der Väter im Alter zwischen 18 und 64 Jahren berufstätig. Bei kinderlosen Männern lag der Anteil bei nur 77 Prozent.

Und nicht nur das: Väter arbeiteten den Angaben zufolge auch häufiger in Vollzeit. Während 94 Prozent der Väter die volle Stundenzahl ableisteten, taten das nur 88 Prozent der kinderlosen Männer.

Einkommensverlust soll ausgeglichen werden

Der Soziologe Harald Rost vom Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg macht dafür vor allem finanzielle Gründe verantwortlich: "Vor dem ersten Kind sind meistens beide berufstätig, dann geht in der Regel die Frau in Elternzeit, wodurch das Familieneinkommen sinkt." Es entstünden aber zusätzliche Kosten, etwa durch die Anschaffung einer Babyausrüstung und der Einrichtung eines Kinderzimmers. "Durch eine Erweiterung ihrer Erwerbstätigkeit wollen Väter den Einkommensverlust ausgleichen."

Zwar sei es durchaus so, dass Väter heute eine aktive Rolle im Leben ihrer Kinder spielen wollten. "Und auch die Zeit, die Väter mit ihren Kindern verbringen, hat sich erhöht." So gingen mittlerweile 35 Prozent aller Väter nach der Geburt in Elternzeit - allerdings in aller Regel nur für zwei Monate. "Nur fünf bis sechs Prozent aller Väter arbeiten Teilzeit. Hier klaffen Wunsch und Realität noch weit auseinander", sagte Rost dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Retraditionalisierung nach der Geburt

Der Kindheits- und Familienforscher Dominik Krinninger vom Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Osnabrück spricht sogar von einer "Retraditionalisierung" nach der Erfüllung des Kinderwunsches: "Bei Paaren gibt es vorher oft eine klare Übereinkunft in puncto faire Aufteilung, wer sich wie um das Kind kümmert und wer welche Aufgaben etwa im Haushalt übernimmt."

Nach dem ersten Kind stellten sich jedoch schnell traditionelle Muster ein: Mehrheitlich sei es die Frau, die fortan weniger erwerbstätig sei und den Großteil des Haushalts erledige. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts arbeiten 71 Prozent aller Mütter, aber weniger als ein Drittel tut dies in Vollzeit.

"Tatsächlich haben wir heute in den Krippen eine Situation wie vor 40 Jahren in den Kindergärten", sagt Krinninger. Damals besuchte nur etwa ein Drittel der Drei- bis Sechsjährigen den Kindergarten, heute sind es mehr als 90 Prozent. Bei den unter Dreijährigen sind heute rund 30 Prozent in institutioneller Betreuung. "Ein Kindergartenbesuch ist die Norm, ein Krippenbesuch nicht."

Unbewusste Rollenmuster kommen zum Tragen

Warum sich Paare zunehmend wieder für eine traditionelle Rollenverteilung entscheiden, habe viele Gründe, meint der Pädagoge. Oft sei es schwierig, überhaupt einen Krippenplatz zu bekommen. Zudem müsse er mit vertretbarem Aufwand für die Eltern zu erreichen sein: "Wenn er am anderen Ende der Stadt liegt, lässt sich das nur schlecht in den Alltag integrieren." Gleichzeitig spielten die Erwartungen an die Geschlechter eine nicht zu unterschätzende Rolle: "Für viele Paare ist es besser vorstellbar, dass die Frau zurücksteckt. Hier kommen - oft unbewusst - gesellschaftliche Muster zum Tragen: Vorstellungen von Männlichkeit und Mütterlichkeit."

Das sieht auch die Dortmunder Psychologin und Psychotherapeutin Cornelia Wien so: "Gesellschaftlich sind wir immer noch nicht wirklich in der Gleichberechtigungsphase angekommen." Bei beruflich erfolgreichen Müttern mache sich sehr schnell ein Schuldbewusstsein bemerkbar, dass die Karriere auf Kosten der Familie gehe. "Das ist bei Männern in aller Regel nicht gegeben."

Frauen stünden unter einem besonderen Druck, viel mehr als Männer: "Sie möchten überall super sein, im Beruf und zu Hause mit den Kindern und dem Partner." Wenn beide Eltern voll arbeiten gingen, sei das meistens nur mit Unterstützung von außen machbar: "Und dann muss man entweder sehr gut verdienen oder den Zugriff auf Oma und Opa haben."

Barbara Driessen


Gesundheit

Ethikrat: Debatte um Masern-Impfpflicht greift zu kurz



In Deutschland reißt die Debatte um eine Impfpflicht bei Masern nicht ab. Zu Beginn der Europäischen Impfwoche am 24. April äußerte der Deutsche Ethikrat Kritik an der Diskussion.

Die Verkürzung auf eine Pflicht für Kinder sei verfehlt, heißt es in einer in Berlin veröffentlichten Erklärung des Ethikrats. Die Wissenschaftler beklagen darin zudem eine "Unschärfe" des Begriffs Impfpflicht, da unklar sei, wie sie durchgesetzt werden solle. Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin ließ dagegen Sympathien für eine Impfpflicht erkennen.

In Ländern wie Frankreich und Italien gebe es eine gesetzliche Pflicht zur Impfung unter anderem gegen Diphtherie, Keuchhusten, Kinderlähmung, Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken, heißt es in einer Erklärung des Dachverbands. Dabei habe sich gezeigt, dass die Zahl der daran jeweils erkrankten Kinder dort deutlich geringer sei als in Ländern, die auf Freiwilligkeit setzen.

Kritik an Impfgegnern

Nur bei einer vollständigen Impfung als Voraussetzung für den Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen sei es möglich, das Ziel des Nationalen Aktionsplans zu erreichen, Masern bis 2020 in Deutschland dauerhaft zu eliminieren, sagte der Generalsekretär Hans-Iko Huppertz. Er kritisierte Impfgegner, die Eltern verunsicherten. Sie gefährdeten ihre Kinder, wenn sie nicht oder nur vollständig impfen ließen.

Zudem sei nur bei einer hohen Impfrate gewährleistet, dass auch Kinder, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, indirekt über den sogenannten Herdenschutz vor lebensgefährlichen Krankheiten geschützt werden, betonte Huppertz.

Viele Immunisierungen sind erst nach einer zweiten oder mehrmaligen Impfung ein wirksamer Schutz. Der Ethikrat beklagt in seiner Stellungnahme, dass die Datenlage dazu in der aktuellen Debatte nicht hinreichend berücksichtigt werde, Die Quote bei Erst-Impfungen in Deutschland zum Zeitpunkt der Einschulung liege bei 97,1 Prozent, führt der Ethikrat aus. Probleme entstünden durch die unzureichende Quote von 92,9 Prozent bei den Zweit-Impfungen, die für eine dauerhafte Immunisierung nach Einschätzung der Impf-Experten nötig sind. Der sogenannte Gemeinschaftsschutz, bei dem auch nicht-geimpfte Personen mitgeschützt sind, liegt bei einer Quote von 95 Prozent.

Erwachsene sind das Problem

Ein Fokussierung auf Kinder ist nach Ansicht des Ethikrats verkürzt, weil fast die Hälfte aller an Masern Erkrankten in Deutschland Erwachsene seien. Maßnahmen mit dem Ziel, die Impfquote zu erhöhen, müssten sie mit einbeziehen, fordert das Gremium.

Zudem fordert es eine Präzisierung der Gestaltung der Impfpflicht, weil nur bei Betrachtung der angedachten Strafen eine ethische und rechtliche Abwägung möglich sei: "Denkbare Sanktionen wären je nach Adressaten etwa Bußgelder, Ausschluss aus Kindertagesstätten oder Schulen, Einschränkungen der ärztlichen Berufsfreiheit oder sogar körperliche Zwangseingriffe."

Der Ethikrat will nach eigenen Angaben noch vor der im Juli beginnenden Sommerpause des Bundestages eine umfangreichere Stellungnahme zu dem Thema vorlegen. Zu den Befürwortern einer Impfpflicht gehört unter anderen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dessen Mitarbeiter derzeit die Einführung einer Impfpflicht prüfen. Konkrete Vorschläge will Spahn im Mai vorlegen, sagte eine Ministeriumssprecherin in Berlin.



Gesundheit

Hintergrund: So impft Europa gegen Masern



Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will im Mai einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Pflichtimpfung gegen Masern vorlegen. Er reagiert damit auf eine erneute Debatte über eine Impfpflicht nach einem Masernausbruch in einer Hildesheimer Grundschule und einer Warnung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), fehlender Impfschutz gehöre weltweit zu den größten Gesundheitsrisiken.

Nach Angaben des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, einer Agentur der Europäischen Union, schreiben zehn europäische Länder Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln verpflichtend vor: Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Frankreich, Italien, Lettland, Polen, die Slowakische Republik, Slowenien und Ungarn.

Italien hat die 2017 nach einem Masernausbruch mit Todesfällen beschlossene Impfpflicht für Kinder unter 17 Jahren allerdings wieder aufgeweicht. Seit diesem Jahr reicht eine Selbstauskunft der Eltern, während 2018 eine Bestätigung der Gesundheitsbehörde über Impfungen gegen zehn Krankheiten verlangt wurde. Ohne die Bescheinung wurden die Kinder nicht in die Kita aufgenommen. Eltern schulpflichtiger Kinder wurden Bußgelder angedroht. Die Fünf-Sterne-Bewegung und die rechtpopulistische Lega hatten angekündigt, die Pflicht wieder abzuschaffen.

Mehr Impfungen in Frankreich

Frankreich weitete 2018 die Impfpflicht deutlich aus. Seit dem 1. Januar geborene Kinder müssen gegen elf statt bis dahin drei Krankheiten geimpft werden. Andernfalls können sie keine Kita oder öffentliche Einrichtungen besuchen. Zum Schulbeginn müssen die Eltern erneut Impfnachweise vorlegen. Es gibt aber keine Strafen. Ein Viertel der Franzosen steht dem Impfen kritisch gegenüber. Durch die Gesetzesänderung steigen die Impfraten.

In Polen gewinnen hingegen die Gegner an Boden, die die seit 60 Jahren bestehende Impfpflicht abschaffen wollen. Das Parlament will sich mit einem Gesetzentwurf der Impfgegner beschäftigen.

Auch in den USA wird aktuell auf einen Masernausbruch mit einer regionalen Impfpflicht reagiert: Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio rief für Teile von Brooklyn Anfang April den Gesundheitsnotstand aus, nachdem die Krankheit in der dortigen jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft ausgebrochen war. Wer keine Impfung nachweisen kann, muss bis zu 1.000 Dollar (897 Euro) Strafe zahlen. Kontrolliert wird der Impfstatus durch das Gesundheitsamt der Stadt.

Erste Masernimpfung bei 85 Prozent der Kinder

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation waren 2017 weltweit 85 Prozent aller Kinder unter zwei Jahren zumindest einmalig gegen Masern geimpft. In 167 Ländern sei zudem eine zweite Impfung vorgesehen: Diese hatten 2017 insgesamt 67 Prozent aller Kinder erhalten. Als Voraussetzung für die Ausrottung einer Krankheit sieht die WHO eine Immunität von mehr als 95 Prozent in der Bevölkerung.

In Deutschland spricht sich der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, dafür aus, eine mögliche Impfpflicht nicht auf Masern zu beschränken. Es stünden nur noch Mehrfachimpfstoffe zur Verfügung. Ein einzelner Impfstoff gegen Masern müsste importiert werden, erklärte er in der Debatte um eine Impfpflicht. Die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts (Stiko) empfiehlt einen Vierfachimpfstoff gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken.

Die Stiko empfiehlt für Kinder und Jugendliche in Deutschland Standardimpfungen gegen 14 Krankheiten. Eltern müssen eine Impfberatung nachweisen, wenn sie ihr Kind in einer Kita anmelden.



Bildung

Menschen mit geistiger Behinderung werden zu Hochschul-Lehrern




Menschen mit Behinderungen werden zu Inklusions-Experten ausgebildet.
epd-bild/Claudia Rometsch
Wenn es um Belange von Menschen mit Behinderung geht, sprechen meist Nicht-Behinderte für sie. Erstmals sollen nun in Nordrhein-Westfalen Menschen mit geistiger Behinderung Studierende an Hochschulen in Sachen Inklusion unterrichten.

Florian Lintz hatte trotz seiner Behinderung immer das Ziel, einen Job auf dem regulären Arbeitsmarkt zu bekommen. "Ich habe eine Zeit lang in der Krankenpflege gearbeitet. Man hat mir auch gesagt, dass ich kognitiv relativ fit bin", sagt der junge Mann. "Aber ich musste dann wegen Mobbing aufhören", berichtet er. Nun ist Florian Lintz glücklich. Denn er wird nun zusammen mit sechs weiteren Menschen mit geistiger Behinderung zur Bildungsfachkraft an Hochschulen qualifiziert.

Ausbildung zu Inklusions-Experten

Der offizielle Startschuss für das Projekt "Inklusive Bildung NRW", das erstmals Behinderte in Nordrhein-Westfalen zu Experten in eigener Sache ausbildet, fiel in Köln. "Die Teilnehmer sollen dazu beitragen, dass Studierende darauf achten, sich auf die Belange Behinderter einzustellen", erklärt die Staatssekretärin im nordrhein-westfälischen Bildungsministerium, Annette Storsberg (CDU), das Ziel des Lehrgangs.

Florian Lintz und die sechs anderen Teilnehmer sollen drei Jahre lang zu Inklusions-Experten qualifiziert werden. Nach Abschluss der Ausbildung durch das Institut für Inklusive Bildung NRW werden sie Lehrkräften und Studierenden an nordrheinwestfälischen Hochschulen die speziellen Bedürfnisse und Kompetenzen von Menschen mit Behinderungen vermitteln. Gefördert wird das Projekt vom Landschaftsverband Rheinland (LVR), der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW und der Kämpgen-Stiftung.

Mit Unterstützung einer pädagogischen Assistenz oder einer hauptamtlichen Lehrkraft werden die Bildungsfachkräfte Seminare und Workshops abhalten, etwa zu Themen wie Barrierefreiheit oder die Anforderungen an einen inklusionsorientierten Arbeitsplatz. Ziel sei es, die beiden gesellschaftlich getrennten Welten der hochschulischen Exzellenz und der sogenannten geistigen Behinderungen miteinander zu verbinden, erklärte Claudia Paul vom Institut für Inklusive Bildung NRW.

"Lange überfällig"

"Das ist eine tolle Idee", freut sich Jennifer Cöllen. Die 24-Jährige, die bislang in einer Kölner Behindertenwerkstatt gearbeitet hat, hat bereits Erfahrungen in einem Projekt mit Studierenden gesammelt. "Ich freue mich darauf, anderen viel zu vermitteln." Auch sie hat bei einem Praktikum im Einzelhandel erfahren, wie wenig die Arbeitswelt auf Menschen mit Behinderungen eingestellt ist.

Das Projekt "Inklusive Bildung NRW" will bereits bei den Studierenden ein Bewusstsein für die Bedürfnisse von Behinderten wecken. "Das Projekt soll langfristig und innovativ zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention beitragen", sagt Storsberg. Diese schreibt die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen vor.

"Es ist ein tolles und lange überfälliges Experiment", sagt der Präsident der Technischen Hochschule Köln, Stefan Herzig. Die Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule ist Partner des Projekts. Es sei Zeit, die Perspektive zu öffnen und Behinderte zu Experten in eigener Sache zu machen.

"Ich will zeigen, was ich kann"

Die Bildungsfachkräfte sollten zunächst am Studiengang Kindheitspädagogik und Soziale Arbeit eingesetzt werden, sagt Paul. Geplant sei aber die Ausdehnung auf weitere Studienfächer. Denkbar sei zum Beispiel die Schulung von Architekturstudenten, damit diese in ihrer späteren Berufspraxis die Belange Behinderter besser berücksichtigen könnten.

Ziel ist es, den Einsatz der künftigen Bildungsfachkräfte auf möglichst viele nordrhein-westfälische Hochschulen auszudehnen. Dazu sollen entsprechende Kooperationen vereinbart werden. In Schleswig-Holstein, das einzige Bundesland, wo bereits ein entsprechendes Projekt läuft, funktioniert das bereits sehr gut. Dort schulten die Bildungsfachkräfte mit geistiger Behinderung im vergangenen Jahr insgesamt 3.400 nicht behinderte Menschen.

Nach Abschluss ihrer Ausbildung soll den Bildungsfachkräften eine reguläre Anstellung im ersten Arbeitsmarkt angeboten werden. Dazu ist die Gründung eines Inklusionsunternehmens vorgesehen. Florian Lintz freut sich über diese Chance. "Ich will zeigen, dass ich nicht das bin, was man unter einem klassischen Menschen mit Behinderung versteht. Ich will zeigen, was ich kann."

Claudia Rometsch


Integration

Deutschkurse: 10.000 zusätzliche Teilnehmer jährlich erwartet




Deutschkurs für Flüchtlinge in Cottbus
epd-bild/Christian Ditsch
Wer kein Deutsch spricht, findet oft keine Arbeit: Die Politik will dem entgegensteuern und plant eine Öffnung der Sprachkurse für mehr Asylbewerber. Ob diese Kurse zum Erfolg führen, war in der Vergangenheit immer wieder angezweifelt worden.

Von den Plänen der Bundesregierung zur weiteren Öffnung der Deutschkurse könnten pro Jahr rund 10.000 Menschen profitieren. Das Bundesarbeitsministerium rechnet mit rund 5.000 Personen mehr in den Berufssprachkursen, wie ein Sprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Zudem würden rund 4.400 zusätzliche Teilnehmer in den Integrationskursen erwartet. Hintergrund ist das in der vergangenen Woche vom Bundeskabinett beschlossene Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz, das Gestatteten und Geduldeten einen besseren Zugang zur Sprachförderung ermöglichen soll.

Wie der Ministeriumssprecher erklärte, könnten zudem 27.000 Personen, die bereits in Deutschland sind und die neuen Voraussetzungen erfüllen, sofort an den Kursen teilnehmen. Zum Vergleich: Von Januar bis Ende Oktober 2018 wurden nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge rund 197.000 Teilnahmeberechtigungen für Integrationskurse erteit. Aktuellere Angaben und Zahlen zu den berufsbezogenen Sprachkursen liegen demnach nicht vor.

Ausweitung des Angebotes

Das Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz sieht vor, dass künftig alle Gestatteten - also Asylbewerber, deren Verfahren noch läuft - nach neun Monaten Aufenthalt an einem Integrationskurs oder an einem berufsbezogenen Sprachkurs teilnehmen können, wenn sie als arbeitssuchend gemeldet sind. Bislang galt dies nur für Gestattete mit guter Bleibeperspektive, aktuell Menschen aus Syrien, Eritrea, Somalia, Iran und Irak. Die berufsbezogenen Deutschkurse stehen nach dem neuen Gesetz zudem allen Schutzsuchende offen, die seit mindestens sechs Monaten geduldet und als arbeitssuchend gemeldet sind. Der Bundestag muss noch über die Neuregelung beraten.

Ziel des Gesetzes ist es, den Menschen durch den Erwerb deutscher Sprachkenntnisse den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. So soll die Abhängigkeit von Sozialleistungen verhindert werden. Aus dem Arbeitsministerium hieß es, mangelnde Deutschkenntnisse seien das Haupthindernis für die Beschäftigung von Ausländern. Die Fähigkeiten, die die Menschen in einer Ausbildung oder Beschäftigung erlernen, könnten zudem nach einer Rückkehr in die Heimatländer helfen.

Das Arbeitsministerium erwartet durch die Öffnung der Kurse Mehrkosten in Höhe von rund 150 Millionen Euro bis einschließlich 2023. Davon entfällt einem Sprecher zufolge ein Großteil auf die Integrationskurse.

Qualität der Kurse ist umstritten

In der Vergangenheit hatte es immer wieder Kritik an der Qualität der Sprachkurse gegeben. Mitte April war bekanntgeworden, dass rund die Hälfte der Teilnehmer den Deutschkurs im vergangenen Jahr nicht erfolgreich abschlossen. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion geht hervor, dass 2018 insgesamt 51,5 Prozent der Teilnehmer das B1-Niveau bei Kursende nicht erreichten.

Ein wesentlich höherer Anteil der Teilnehmer erreichte derweil das niedrigere Sprachniveau A2: Die Erfolgsquote lag Regierungsangaben nach in den ersten drei Quartalen 2018 bei 91,9 Prozent. Die Veröffentlichung vorläufiger Zahlen Ende März hatte zu einer Debatte geführt, inwieweit die damals getätigten Aussagen korrekt gewesen sind.

Bemängelt wurden im Anschluss an die Veröffentlichung der Zahlen unter anderem lange Wartezeiten und schlechte Rahmenbedingungen. Auch die Integrationsminister und -senatoren der Länder forderten Mitte April eine Qualitätsverbesserung der Sprachkurse. Aus dem Arbeitsministerium hieß es, es seien mehrere Maßnahmen zur Qualitätssicherung ergriffen worden. Zum Beispiel würden künftig höhere Anforderungen an die Qualifikationen der Lehrkräfte für die berufsbezogenen Sprachkurse gestellt.

Jana-Sophie Brüntjen


Arbeitsmarkt

Über 170.000 offene Stellen in der Pflege



Im ersten Quartal 2019 waren einer neuen Untersuchung zufolge über 170.000 Stellen zu besetzen, davon fast ein Viertel in Nordrhein-Westfalen. Das teilte die index Internet und Mediaforschung GmbH am 24. April in Berlin mit. Sie wertet Stellenanzeigen aus 500 Zeitungen und Online-Stellebörsen aus, in denen Pflegefachkräfte umworben werden.

In der Berufsgruppe der Pflege- und Arzthelferberufe wurden im ersten Quartal dieses Jahres 174.296 Arbeitsplätze ausgeschrieben. Allein im März 2019 waren 71.849 Stellen in dieser Berufsgruppe zu besetzen, von denen sich 59 Prozent an Alten- und Krankenpfleger richteten.

Bei der Betrachtung nach Bundesländern zeigt sich, dass die meisten Jobs dieser Jobs in Nordrhein-Westfalen zu vergeben waren. Mit 40.442 offenen Stellen im ersten Quartal 2019 war fast jede vierte Position für dieses Bundesland ausgeschrieben. Auch in Bayern und Baden-Württemberg wurden mit jeweils 26.050 und 21.039 Jobs viele Pflegemitarbeiter gesucht. Dagegen wurden in den einwohnerschwachen Bundesländern Bremen und Saarland mit jeweils unter 2.000 Positionen vergleichsweise wenige Stellen ausgeschrieben.

Relativ selten wurde in diesen Stellenanzeigen auf die Möglichkeit eines Quereinstiegs aufmerksam gemacht. Im ersten Quartal 2019 wurden Angebote für Quereinsteiger in 1.682 Stellenausschreibungen explizit erwähnt, was einem Anteil von knapp einem Prozent der angebotenen Jobs für die Berufsgruppe entspricht. Im März dieses Jahres beinhalteten 630 Jobs den Hinweis auf einen Quereinstieg.

"Unsere Auswertung zeigt, dass die Unternehmen weiterhin aktiv auf der Suche nach Pflegefachkräften sind. Dabei wird die Ansprache von Quereinsteigern aus unserer Sicht allerdings noch zu selten genutzt. In Kombination mit gezielten Weiterbildungsprogrammen könnte hier eine neue Zielgruppe erschlossen werden", erläuterte Jürgen Grenz, Geschäftsführer der index Gruppe.



Sucht

Grüne fordern Ausweitung von Heroin-Ambulanzen



Die Grünen im Bundestag setzen sich für eine Ausweitung der Substitutionsbehandlung von Heroinsüchtigen mit Diamorphin ein. "Die Hürden für die Originalstoffvergabe sollten abgesenkt werden", sagte die drogenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Kirsten Kappert-Gonther, dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf Anfrage. Seit 2009 seien nur zehn Diamorphin-Ambulanzen entstanden. Lediglich ein Prozent der knapp 80.000 Substitutionspatienten erhalte eine Behandlung mit dem synthetisch hergestellten Heroin.

"Von einer flächendeckenden Versorgung kann keine Rede sein", erklärte Kappert-Gonther. Es sei nicht sichergestellt, dass alle Abhängigen, die von einer Versorgung mit Diamorphin profitieren könnten, diese auch erhielten.

"Obwohl die Bundesregierung eine durchweg positive Bilanz aus der zehnjährigen Diamorphinvergabe in den sogenannten Heroin-Ambulanzen zieht, weigert sie sich, diese Behandlungsform einem größeren Kreis von Betroffenen zugänglich zu machen", sagte die Grünen-Politikerin. "Erst wer schon ganz unten war, darf die Therapie in Anspruch nehmen." Dabei zeigten Studien, dass sich der gesundheitliche Zustand, die Kriminalitätsrate und der Ausstieg aus der Drogenszene von Betroffenen bei der Behandlung mit Diamorphin verbesserten.

Regierung: Option wird angenommen

Kappert-Gonther verwies auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen zu dem Thema. Demnach war das Ziel der 2009 gesetzlich ermöglichten Diamorphinvergabe, eine klar begrenzte Gruppe schwerstkranker Opiatabhängige verstärkt zu erreichen, die bisher nicht erfolgreich behandelt werden konnten. "Diese therapeutische Option wird von dieser Gruppe von Patientinnen und Patienten sowie den behandelnden Personen angenommen", heißt es in der Antwort des Bundesgesundheitsministeriums, die dem epd vorliegt.

Die Vergabe von Diamorphin an schwer Heroinabhängige war ab 2002 zunächst in einem Modellprojekt in sogenannten Heroin-Ambulanzen in sieben Städten erprobt worden. 2009 beschloss der Bundestag ein Gesetz, das die Substitutionsbehandlung mit dem synthetisch hergestellten Heroin unter strengen Auflagen als Regelversorgung ermöglicht. Zugangsvoraussetzung ist, dass der Patient oder die Patientin über 23 Jahre alt und seit mindestens fünf Jahren drogenabhängig ist sowie zwei erfolglose Therapien hinter sich hat. Diamorphin-Ambulanzen gibt es in Berlin, Bonn, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Köln, München und Stuttgart.



Sucht

Krankenkasse verzeichnet mehr Rauschtrinker



Die Zahl der sogenannten Rauschtrinker ist seit 2007 in allen Bundesländern stetig gestiegen, am deutlichsten im Osten. Wie aus einer am 23. April veröffentlichten Auswertung der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) hervorgeht, lagen Sachsen (plus 63 Prozent) sowie Sachsen-Anhalt und Thüringen (jeweils plus 58 Prozent) an der Spitze.

Dagegen verzeichneten das Saarland (plus 19 Prozent), Hamburg (plus 26 Prozent) und Hessen (plus 29 Prozent) den geringsten Anstieg. Rheinland-Pfalz landete mit einem Plus von 38 Prozent im Mittelfeld. Dort wurden 2017 rund 1.400 KKH-Versicherte wegen eines akuten Alkoholrauschs oder psychischer Probleme aufgrund von Alkohol ärztlich behandelt, in Hessen waren es 2.200.

"Gesundheitsschädlicher Alkoholkonsum gilt als Mitverursacher für zahlreiche Krankheiten, unter anderem Bluthochdruck, Übergewicht, Leberzirrhose und Krebs", warnte Carsten Kuhn vom KKH-Servicezentrum in Wiesbaden. Vor allem Rauschtrinken sei besonders riskant, weil es darüber hinaus akute Schäden wie Alkoholvergiftung und Verletzungen sowie Gewalt nach sich ziehen könne.

Das Robert Koch-Institut spricht von Rauschtrinken, wenn Betroffene mindestens einmal im Monat sechs oder mehr alkoholische Getränke bei einer Gelegenheit, beispielsweise einer Party, konsumieren. "Es ist aber nichts dagegen einzuwenden, wenn gesunde Menschen hin und wieder ein Glas Rotwein zum Essen oder ein kleines Bier zum Fußballgucken trinken", sagte Kuhn. Wichtig sei es, Jugendliche möglichst früh über die Gefahren des Alkoholkonsums aufzuklären.




sozial-Branche

Niedersachsen

Arbeitgeber und Gewerkschaft einigen sich im Diakonie-Tarifstreit




Höhere Löhne: Auch die Beschäftigten im Diakoniekrankenhaus Friederikenstift Hannover profitieren von der Einigung.
epd-bild/Jens Schulze
Im Dezember hatten die Gewerkschaften ver.di und Marburger Bund Tarifverhandlungen mit dem diakonischen Arbeitgeberverband DDN aufgenommen. Nach zähen Verhandlungen gelang jetzt der Durchbruch. Davon profitieren Beschäftigte bereits im Mai.

Die rund 37.000 Diakonie-Beschäftigten in Niedersachsen bekommen mehr Geld. Die Gehälter der Beschäftigten sollen in drei Schritten angehoben werden, sagten Vertreter der Gewerkschaft ver.di und des Diakonischen Dienstgeberverbandes Niedersachsen (DDN) am 18. April dem Evangelischen Pressedienst (epd). In der Nacht zuvor hatten beide Seiten nach zähem Ringen ihre Verhandlungen abgeschlossen. "Wir sind mit diesem Gesamtpaket sehr zufrieden", sagte ver.di-Verhandlungsführerin Annette Klausing. Dem schloss sich der DDN-Vorsitzende Rüdiger Becker an: "Es ist erfreulich, dass wir zu einem guten Ergebnis gekommen sind."

Drei Prozent mehr ab Mai

Die erste Gehaltssteigerung um drei Prozent oder mindestens 70 Euro tritt den Angaben zufolge bereits am 1. Mai in Kraft. Eine weitere Gehaltssteigerung um 2,6 Prozent oder wieder mindestens 70 Euro ist für den 1. Januar 2020 vorgesehen. Abschließend sollen die Gehälter zum 1. Januar 2021 um 1,6 Prozent steigen, allerdings ohne Sockelbetrag.

Für Auszubildende sind drei Lohnerhöhungen um jeweils 50 Euro vereinbart worden, die zum 1. Mai, und jeweils zum Jahresanfang 2020 und 2021 in Kraft treten. Der Vertrag läuft über 30 Monate bis zum 30. Juni 2021.

Besonderheiten in der Pflege

In der Altenhilfe haben die Verhandlungspartner vereinbart, die Gehälter langfristig an die übrigen Pflegebereiche anzugleichen, so dass ab September 2022 eine examinierte Altenpflegekraft genauso viel verdient wie eine Krankenschwester. Da diese Angleichung ein enormer wirtschaftlicher Kraftakt sei, müsse sie über einen längeren Zeitraum gestreckt werden, betonte Becker. Aktuell verdienen Beschäftigte in der Altenpflege drei Prozent weniger als Fachkräfte in anderen Pflegefeldern.

Sowohl Becker als auch Klausing werten eine sogenannte "Pflegezulage" als weiteren Verhandlungserfolg. Danach werden etwa einer Krankenhaus-Pflegekraft mit dreijähriger Ausbildung ab dem 1. Mai unabhängig vom Pflegefeld und den sonstigen Steigerungen 120 Euro zusätzlich gezahlt. In der Altenpflege greift die "Pflegezulage" ab dem 1. Januar 2020. Klausing betonte, der Gewerkschaft sei es in dieser Tarifrunde ein besonderes Anliegen gewesen, die Pflegeberufe zu stärken. Becker ergänzte: "Die Pflegezulage kostet natürlich viel Geld, aber sie wertet den Kernbereich unserer Arbeit entscheidend auf."

Björn Schlüter


Familie

Verein vermittelt Paten für Heimkinder




Edeltraud Preuß, Gründerin und Vorsitzende des "Kölner Kreidekreises"
epd-bild/Jörn Neumann
Der "Kölner Kreidekreis" vermittelt Paten für Heimkinder, die keinen oder nur sehr unregelmäßigen Kontakt zu ihren Eltern haben. Die Paten sollen die Kinder durchs Leben begleiten und ihnen auch bei Heimwechseln langfristige Unterstützung bieten.

Jan hat die vergangenen sechs Jahre in verschiedenen Kinderheimen verbracht. Seit anderthalb Jahren lebt der 13-Jährige in einer Einrichtung für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche bei Mönchengladbach. Seine Eltern hat er seit dem letzten Heimwechsel nicht mehr gesehen, sie scheuen die Anreise. Aufgrund seiner Lernbehinderung ist es ungewiss, ob Jan jemals lesen und schreiben lernen wird. Aber es gibt eine Konstante in seinem Leben: seinen Paten, der ihm vom "Kölner Kreidekreis" vermittelt wurde und vor zwei Jahren in sein Leben trat.

Gemeinsame Wochenenden

Jans Pate ist Gymnasiallehrer in der Nähe von Köln und möchte namentlich nicht genannt werden. Er selbst hat keine Kinder. "Das hat leider nicht geklappt", sagt er. Vor gut zwei Jahren hat er sich beim "Kölner Kreidekreis" gemeldet mit dem Wunsch, eine Patenschaft zu übernehmen. "Man darf nicht erwarten, ein 'normales' Patenkind zu bekommen", sagt der 48-Jährige. "Viele Kinder haben eine Vorgeschichte und ihr Päckchen zu tragen - so sind einige Kinder verhaltensauffällig, in ihrer Entwicklung zurück oder können sich schlecht auf andere einlassen." Aber das hat ihn nie gestört.

Als Jan noch in Köln lebte, hat sein Pate ihn mehrmals in der Woche gesehen. "Das geht jetzt nicht mehr, weil er zu weit weg ist." Stattdessen holt er Jan einmal im Monat von freitags bis sonntags ab und verbringt das Wochenende mit ihm. Dass das einige Stunden Fahrtzeit für ihn bedeutet, nimmt er gern in Kauf: "Ich freue mich immer auf ihn, auch wenn ich dann sonntagabends ziemlich k.o. bin."

Sie kochen zusammen, machen Fahrradtouren, gehen schwimmen oder spazieren. In den Sommerferien fahren sie zusammen in den Urlaub. Alle paar Tage telefonieren sie miteinander.

Langfristige Bindungen

Der 48-Jährige ist einer von 40 Wegbegleitern, die der "Kölner Kreidekreis", ein gemeinnütziger Verein, bislang vermittelt hat. Bevor jemand Pate werden kann, führen die Mitarbeiter intensive Gespräche und besuchen die Interessierten zu Hause. Die Bewerber müssen ein polizeiliches Führungszeugnis einreichen. Dann folgt ein mehrtägiges Vorbereitungsseminar.

"Wir lernen alle Kinder und Paten gut kennen, um herauszufinden, wer zu wem passt", sagt Edeltraud Preuß, die den "Kreidekreis" 2006 gegründet hat. Nach einem begleiteten Kennenlernen in der Einrichtung und einer Probezeit können Kind und Pate dann entscheiden, ob sie den Richtigen gefunden haben. "In aller Regel klappt das von Anfang an total gut, einige unserer Wegbegleiter betreuen ihre Patenkinder schon seit mehr als zehn Jahren."

Preuß ist Sozialpädagogin und hatte beruflich immer mit Heimkindern zu tun. Am schlimmsten sind die Kinder dran, die keinen oder so gut wie keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern haben, weiß sie aus Erfahrung: "Die anderen Kinder dürfen am Wochenende nach Hause fahren, während sie dann allein im Heim zurückbleiben." Deswegen kümmert sich der "Kreidekreis" ausschließlich um Kinder ohne regelmäßigen Elternkontakt: "Die haben es einfach am nötigsten."

Preuß möchte den Kindern und Jugendlichen etwas geben, was ihnen im Alltag kaum widerfährt: Langfristigkeit. "In der stationären Jugendhilfe kommen so viele Wechsel vor: Die Kinder wechseln in unterschiedliche Heime. Die Erzieher, Lehrer und Betreuungspersonen wechseln." Die Paten dagegen sollen für Stabilität sorgen.

Gewollt oder ungewollt kinderlos

"Uns geht es bewusst um langjährige Verbindungen, auch über die Volljährigkeit hinaus", sagt Preuß' Kollegin Antje Lehbrink. "Es klappt oft nicht, dass die Jugendlichen mit 18 plötzlich auf eigenen Beinen stehen. Aber in diesem Zeitraum enden die Maßnahmen der stationären Jugendhilfe. Plötzlich sind die jungen Menschen komplett auf sich gestellt." Der Übergang in die Eigenständigkeit sei oft sehr schwierig, umso wichtiger sei dann die Unterstützung durch die Paten.

Die meisten Paten haben einen akademischen Hintergrund, sind etwa Lehrer oder kommen aus dem IT-Bereich. Manche haben bereits erwachsene Kinder und möchten sich noch einmal um einen Heranwachsenden kümmern. Die meisten sind gewollt oder ungewollt kinderlos geblieben. 50 Bewerber warten zurzeit darauf, ein Patenkind zu bekommen. "Es ist ein Konzept, das viele anspricht", sagt Lehbrink.

In den kommenden Jahren soll der "Kreidekreis" auf 100 Patenschaften anwachsen. "Bislang haben wir nur über Mund-zu-Mund-Propaganda gearbeitet. In vielen Heimen und Einrichtungen sind wir noch unbekannt", sagt Lehbrink. Doch seit 2018 wird der "Kreidekreis" von der Organisation "Aktion Mensch" gefördert und hat zwei feste Stellen eingerichtet.

Jetzt wollen die Mitarbeiterinnen gezielt auf Einrichtungen im Rheinland zugehen. Zudem möchten sie ihr Konzept gern in andere Bundesländer weitervermitteln. Denn bislang gebe es nur in Berlin noch einen weiteren Verein, der unter anderem Patenschaften für Heimkinder vermittele.

Barbara Driessen


Wohnungsnot

Gastbeitrag

"Der Staat muss stärker als Bauherr auftreten"




Thomas Beyer
epd-bild/Hans Buttermilch/AWO
Die Debatte über die Enteignung von Wohnungskonzernen ist voll entbrannt. Doch im Kampf gegen Wohnungsnot wird oft übersehen, dass die Datenlage bundesweit schlecht ist. Bayerns AWO-Chef Thomas Beyer fordert deshalb eine Wohnungslosenstatistik. Warum die unabdingbar ist, erläutert er in seinem Gastbeitrag für epd sozial.

Die Situation ist dramatisch: Obwohl Menschen arbeiten, reicht ihr Lohn oft nicht aus, um eine Mietwohnung zu halten oder eine neue zu finden. Das belegen eindruckvoll folgende Zahlen:

39 Prozent der 2.472 Hilfesuchenden, die sich im Jahr 2018 an die Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit (FOL) des Kreisverbandes München Land der Arbeiterwohlfahrt gewandt haben, gaben als Haupteinkommensart für ihren Haushalt Arbeitslohn an. Dennoch drohte diesen Betroffenen - unter ihnen 591 Kinder - der Verlust der Wohnung.

"Im Vergleich zum Vorjahr ist erkennbar, dass immer mehr Familien mit Arbeitslohn und einer abgeschlossenen Berufsausbildung von Obdachlosigkeit bedroht sind", schreiben in ihrem Jahresbericht die Beratungskräfte der FOL, die im Landkreis München, der auch als Speckgürtel der bayerischen Landeshauptstadt bekannt ist, tätig sind.

Unterschiedliche Gruppen betroffen

Die Bilanz der FOL-Expertinnen und -Experten ist durchaus exemplarisch für den gesamten Freistaat Bayern sowie große Teile Deutschlands, wo beispielsweise in Ballungsräumen und Uni-Städten bezahlbarer Wohnraum massiv fehlt. Von diesem stetig wachsenden Mangel sind nahezu alle Bevölkerungsgruppen betroffen: Studierende, ältere Menschen, anerkannte Geflüchtete, Zugewanderte, Alleinstehende, (Eineltern)-Familien. Sie alle eint: ihr Einkommen reicht in vielen Städten Deutschlands nicht aus, um eine angemessene Wohnung zu finden.

Hinzu kommt, dass in dieser angespannten Lage manche Bevölkerungsgruppen wie Ältere und Migranten auf dem Wohnungsmarkt Diskriminierung erfahren und nicht berücksichtigt werden. Wohnungsnot ist in unterschiedlichen Graden stark verbreitet.

So detailliert und differenziert die Zahlen der FOL sind, ähnlich belastbares Zahlenmaterial gibt es als amtliche Erhebung nicht. Wie viele Menschen tatsächlich wohnungslos sind, das heißt, über keine oder keine angemessene Wohnung verfügen, ist unbekannt. Eine entsprechende Statistik gibt es weder auf Bundesebene noch auf Landesebene, abgesehen von Nordrhein-Westfalen. Dabei wären jährlich erhobene Zahlen zu Art, Dauer und Grund der Wohnungslosigkeit ein wichtiges Instrument für Prävention und im Kampf gegen den Wohnungsmangel.

Viele Fragen, keine Antworten

Es ist wichtig zu wissen, wie viele Menschen in hierzulande auf der Straße, in Notunterkünften, in baufälligen Gebäuden, in Pensionen und provisorischen Containern, zur Untermiete oder auf fremden Sofas schlafen. Wie viele von ihnen sind weiblich, wie viele männlich? Warum sind auch Kinder betroffen? Welche anderen Probleme haben die Betroffenen möglicherweise? Erst wenn es Antworten auf all diese Fragen gibt, können Projekte zielgruppengerecht ausgerichtet werden.

Zahlen zur Wohnungslosigkeit sollten in den Sozialberichten von Bund und Ländern aufgenommen werden, weil sie ein Seismograph für die soziale Inklusion unserer Gesellschaft sind und dokumentieren, wie die sprichwörtliche Schere zwischen Arm und Reich tatsächlich immer weiter auseinandergeht und immer mehr Bevölkerungsschichten von Bedürftigkeit betroffen sind. Keine eigenen vier Wände zu haben, ist ein Indiz für materielle Not. Die entsteht in vielen Städten durch zu hohe Mieten, die bereits Normalverdiener über Gebühr belasten und andere Bevölkerungsgruppen wie Alleinerziehende und Erwerbslose in Armut bringen.

Wille zur Selbstkritik fehlt

Es gehört politischer Mut dazu, eine amtliche Wohnungslosenstatistik einzuführen, weil sie auch staatliches Versagen dokumentiert. Dieser Wille zur Selbstkritik fehlt den Verantwortlichen bis dato leider.

Die staatliche Schutzpflicht gilt allerdings nicht erst ab dem Moment, in dem Wohnungslosigkeit konkret droht oder sogar schon eingetreten ist, auch wenn das gegenwärtig so praktiziert wird. Vielmehr ist es die ureigene Aufgabe des Staates, eine ausreichende Versorgung aller Bürger mit Wohnraum sicherzustellen, wie es in der Bayerischen Verfassung (BayVerf) in Art. 106 Abs. 1 festgeschrieben ist und wie es im Grundgesetz für die Bundesrepublik festgeschrieben sein sollte.

Die Mietpreisbremse dagegen war in ihrer geltenden Form von Anfang an untauglich als Instrument des Mieterschutzes und ist eher als Camouflage staatlichen Handlungsunwillens zu bewerten, denn sie enthält etliche Schlupflöcher. Beispielsweise bleiben gerade die Mieten für Neubauten und umfangreich modernisierte Gebäude von ihr unberührt. Vor allem aber: Mieter haben kaum Sanktionsmöglichkeiten, wenn die Vereinbarung seitens des Eigentümers nicht eingehalten wird.

Sozialen Wohnungsbau wiederbeleben

Ganz klar: Der Staat muss verstärkt als Bauherr und Anbieter bezahlbaren Wohnraums auftreten. Und der soziale Wohnungsbau muss dringend wiederbelebt werden und das in einem Ausmaß, dass er kurzfristig zu einer ausreichenden Größe wächst und nicht - wie aktuell - lediglich ein Feigenblatt ist.

Ein Rückkauf vormals kommunaler Wohnungsbestände ist ebenfalls zu befürworten. Für diesen Zweck sind vorrangig öffentliche Mittel heranzuziehen. In der Bayerischen Verfassung findet sich dazu folgender Passus: "Die Förderung des Baus billiger Volkswohnungen ist Aufgabe des Staates und der Kommunen" (Art. 106 Abs. 2). Es mutet nämlich seltsam an, wenn die öffentliche Hand erst Immobilienbestände auf eigene Rechnung veräußert und dann der Bürgerschaft zuruft: "Kauft eure Wohnungen zurück!" Genossenschaftsmodelle ohne staatliche oder kommunale Beteiligung sind deshalb nicht unproblematisch.

Enteignung nur Ultima Ratio

Als überdauerndes und abschreckendes Beispiel sei an dieser Stelle an die Privatisierung der GBW-Wohnungen erinnert, der als größter Fehler des Regierungshandelns der letzten Jahrzehnte in Bayern einzustufen ist.

Enteignung beziehungsweise Vergesellschaftung sollten Ultima Ratio bleiben und müssen an strenge Voraussetzungen inklusive Entschädigung gebunden sein. Trotzdem darf der soziale Rechtsstaat angesichts drohender elementarer Missstände für erhebliche Teile der Bevölkerung diese Mittel nicht vorschnell aus Rücksicht auf bloße Kapitalinteressen ausschließen.

So sind es viele Maßnahmen, die gegen die Wohnungsnot ergriffen werden müssen. Sie sind unterschiedlich, aber haben eines gemeinsam: Sie müssen rasch umgesetzt werden, auch im Sinne des sozialen Friedens.

Dr. Thomas Beyer ist Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt in Bayern


Wohnungsnot

Experte: Städte haben den Wohnungsmarkt aus der Hand gegeben



Die Mieter in deutschen Großstädten zahlen nach Auffassung des Oldenburger Sozialwissenschaftlers Walter Siebel heute die Zeche für gravierende Fehler der Wohnungspolitik, die ihren Anfang in den 70er Jahren nahmen.

"Damals glaubte der Bund, die Wohnungsfrage sei gelöst, und zog sich aus der Förderung des Wohnungsbaus zurück", sagte Siebel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Mietpreisbindung für staatlich subventionierte Wohnungen ist auf 25 Jahre begrenzt. In der Folge ist der Bestand sozial gebundener Wohnungen in den vergangenen 30 Jahren von rund fünf Millionen auf 1,2 Millionen Wohnungen geschrumpft.

Zum "Grundfehler des Bundes" kam laut Siebel hinzu, dass viele Kommunen ihre Wohnungsbaugesellschaften ganz oder teilweise an private Investoren verkauft haben. "Mit den Einnahmen wollten die Städte ihre Haushalte sanieren", sagte Siebel. "Damit haben sie jedoch auch ihre Einflussmöglichkeiten auf den Wohnungsmarkt verloren." Deswegen regle heute weitgehend der Markt die Mieten - mit entsprechend hohen Preisen.

Neidvoller Blick nach Wien

Die Bewohner deutscher Großstädte könnten neidvoll auf die Mieter in Wien schauen, erklärte Siebel. Denn die Hauptstadt Österreichs und die Genossenschaften besitzen 60 Prozent der Wohnungen, und sie verlangen als Kaltmiete weniger als sieben Euro pro Quadratmeter. In München liegt dagegen die durchschnittliche Kaltmiete bei 11,69 Euro.

Deutsche Städte versuchten inzwischen, der Wohnungsmisere zu begegnen, sagte Siebel dem epd. So bemühten sich die Städte München und Hamburg, eine Drittelung des Wohnungsmarkts zu erreichen: Bauvorhaben würden teilweise nur genehmigt, wenn sich die Bauträger verpflichteten, jeweils ein Drittel der neuen Wohnungen zu verkaufen, freihändig zu vermieten und zu einem von der Stadt festgelegten Preis zu vermieten.

Kommunen haben begrenzte Möglichkeiten

Kommunen, die immer noch Gesellschafter eigener Immobilienunternehmen seien, träten wieder verstärkt als Bauherren auf. Doch ihre Möglichkeiten seien begrenzt. "Denn sie können nicht das Bauvolumen leisten, das notwendig wäre", sagte der Oldenburger Stadtforscher.

Andere Kommunen wie etwa die Stadt Tübingen erinnerten sich wieder an ihr Recht, gegen Grundstücksspekulation vorzugehen. So erlaubt das Baugesetzbuch, Besitzer brachliegender Baugrundstücke zum Bauen zu zwingen. Tun sie das nicht, hat die Stadt das Recht, die Immobilienbesitzer zu enteignen und ihnen das Grundstück zum aktuellen Marktwert wegzunehmen. Auf ähnliche Weise können Städte Immobilienbesitzer zur Sanierung verfallender Gebäude zwingen.

Markus Jantzer


Ausbildung

Pflegenachwuchs klagt über Zeitmangel



Zeitmangel, Personalnot, zu wenig Wertschätzung für den Beruf und eine unzureichende Vergütung sind aus Sicht von Altenpflegeschülerinnen und -schülern die Hauptprobleme in ihrem Job.

Stellvertretend für viele Mitschüler sagte der Auszubildende Tobias Karl am 23. April im Bildungszentrum der Bremer Heimstiftung, er habe sich den Umgang mit den Bewohnern herzlicher vorgestellt. "Das liegt am Zeitmangel, das ist belastend", betonte der 26-Jährige, der seit eineinhalb Jahren bei der Heimstiftung lernt, bei einer Diskussion mit Gesundheitspolitikern.

Seine Kollegin Thaira Petz, demnächst 20 und ebenfalls seit eineinhalb Jahren in der Ausbildung, hat die Vielfalt des Berufes überrascht: "Das ist so viel mehr als nur Waschen." Aber auch sie machte darauf aufmerksam, dass in den Wohnbereichen Zeit fehlt, zum Beispiel auch für Praxisanleitungen, Aus- und Fortbildungen. Doch trotz schwieriger Rahmenbedingungen würde sie sich immer wieder für die Altenpflege entscheiden: "Man kriegt so viel zurück - das ist Grund genug, die Ausbildung anzufangen."

Mehrfach machten Auszubildende den Vorschlag, mit Gesprächen in Schulen für den Beruf zu werben. Tobias Karl ging noch einen Schritt weiter und plädierte für ein Pflichtpraktikum im Sozialen, damit junge Leute die Chance haben, den Alltag in der Pflege besser kennenzulernen.

Skepsis mit Blick auf die Digitalisierung

Digitalisierung und Robotik in der Pflege bewerteten viele der etwa 60 Schülerinnen und Schüler im Publikum eher skeptisch. Sie könnten zwar helfen, um die Bürokratie zurückzudrängen, hieß es. Aber Karl sprach wohl für viele Mitschülerinnen, als er sagte: "In der direkten Pflege möchte ein Mensch einen Menschen haben."

Zeitmangel und Stress sei das, was alle kaputtmache, lautete ein Einwurf, dem der Auftrag an die Politiker von SPD, CDU und Grünen folgte, das müsse sich "so schnell wie möglich ändern". Die jungen Leute verwiesen auf eine hohe Abbrecherquote in der Ausbildung, die auch durch Überlastung zustande komme. Alexander Künzel, Seniorvorstand der Bremer Heimstiftung, sprach von 30 Prozent: "Das ist zu viel." Er sagte, gute Bedingungen für die Pflege fielen nicht vom Himmel. "Die schaffen wir nur gemeinsam - Politik, Kassen und Träger."

Techniker Krankenkasse und Heimstiftung hatten die Diskussion im Vorfeld der Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft organisiert, die am 26. Mai angesetzt ist. Susanne Klein, Leiterin der TK-Landesvertretung Bremen, fasste zusammen, was auch in der Debatte mehrfach angesprochen wurde: "Die Gesellschaft muss sich darüber klarwerden, was ihr eine gute Pflege wert ist. Wertschätzung für einen Beruf zeigt sich auch in der Vergütung."



Gesundheit

TK: Krankheitstage bundesweit auf Rekordhoch



Die Zahl der Krankheitstage ist laut Techniker Krankenkasse (TK) im vergangenen Jahr auf ein Rekordhoch geklettert. Den Angaben zufolge fehlten die bei der TK versicherten Erwerbstätigen im Durchschnitt 15,5 Tage lang bei der Arbeit, 2,5 Prozent länger als 2017. Ursache sei vor allem eine Zunahme von psychischen Erkrankungen, teilte die TK am 18. April in Hamburg mit. Spitzenreiter unter den Bundesländern ist Mecklenburg-Vorpommern mit 20,1 Fehltagen pro Kopf, gefolgt von Sachsen-Anhalt und Brandenburg mit 19,6 Fehltagen.

Laut Gesundheitsreport der TK war fast jeder fünfte Fehltag (18 Prozent) psychisch bedingt. Seit 2016 sei ein bundesweiter Anstieg der Fehlzeiten aufgrund von psychischen Erkrankungen zu beobachten. Seit 2006 sei die Zahl der Diagnosen von psychischen Erkrankungen um 92 Prozent gestiegen.

Die Grippewellen im Februar und November schlagen sich auch in der Krankenstatistik nieder. So lag der Krankenstand mit Grippe- oder Erkältungsdiagnosen im Frühjahr 2018 höher als in den Frühjahren vergangener Jahre seit 2000. Erkältungskrankheiten hatten 2018 in Spitzenzeiten einen Anteil von knapp 39 Prozent am Gesamtkrankenstand.

Die Zahl der Krankschreibungen wegen "Rücken" ist leicht zurückgegangen. Weil Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems aber meist langwierig sind, ist ihr Anteil an den Fehlzeiten mit 8,3 Prozent recht hoch.

Für den Gesundheitsreport hat die TK die Krankschreibungen und Arzneimittelverordnungen der rund 10,3 Millionen TK-versicherten Erwerbspersonen ausgewertet. Dazu zählen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sowie Empfänger von Arbeitslosengeld I.



Spenden

BFS mit neuem Portal zum Fundraising



Seit Mitte April ist die Online-Nutzung des neuen Spendenportals der Bank für Sozialwirtschaft (BFS) möglich Auf www.sozialspende.de können Organisationen ab sofort kostenlos ihre Projekte bewerben und Spenden sammeln, heißt es in einer Mitteilung der Bank. Potenziellen Spendern ermögliche die Fundraising-Plattform eine Stichwortsuche nach Themen und Organisationen.

Die Spendenabwicklung erfolgt den Angaben nach über ein Konto bei der BFS. Als Zahlungsarten stünden Lastschrift, Kreditkarten, PayPal, giropay und paydirekt zur Verfügung. Alle Daten werden verschlüsselt übertragen, hieß es weiter.

Auf der Homepage lassen sich den Angaben nach Spendenprojekte mit Bildern, Videos und ausführlichen Beschreibungen darstellen. Rund 250 Projekte von 148 Organisationen sind bereits online.

"Mit dem neuen Portal setzen wir unsere Digitalisierungsstrategie fort und sind Partner für erfolgreiche Spendenprojekte", sagte Harald Schmitz, Vorstandsvorsitzender der BFS.

Das Portal sozialspende.de stehe allen Organisationen offen, die ein Spendenkonto bei der Bank für Sozialwirtschaft führen und das kostenlose Fundraisingtool "BFS-Net.Tool XXL" verwenden.




sozial-Recht

Bundesgerichtshof

Leihmutter ist meist auch rechtliche Mutter




Hinweisschild des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe
epd-bild/Uli Deck
Bringt eine im Ausland lebende Leihmutter das Kind eines deutschen Ehepaares zur Welt, gilt sie meist auch als rechtliche Mutter. Doch das muss nicht so sein, entschied der Bundesgerichtshof am 23. April in Karlsruhe.

Im ersten entschiedenen Fall hatte ein Ehepaar aus dem Raum Dortmund seinen Kinderwunsch mit einer künstlichen Befruchtung erfüllt. Die mit dem Samen des Mannes befruchtete Eizelle der Ehefrau wurde einer Leihmutter in der Ukraine eingesetzt. Während die Leihmutterschaft in Deutschland verboten ist, ist das Verfahren in der Ukraine legal.

Die Leihmutter brachte schließlich im Dezember 2015 das Kind zur Welt. Sie hatte notariell erklärt, dass das deutsche Ehepaar die rechtlichen Eltern sein sollten. Das ukrainische Standesamt hatte den Ehemann als rechtlichen Vater und die deutsche Ehefrau als rechtliche Mutter anerkannt.

Eintrag im Geburtenregister korrigiert

Als die frisch gebackenen Eltern mit dem Kind nach Deutschland zurückgekehrt waren, wurde dieses zunächst auch in das Geburtenregister und die Ehefrau als rechtliche Mutter eingetragen. Nachdem das Standesamt jedoch von der Leihmutterschaft erfuhr, korrigierte die Behörde den Geburtenregistereintrag. Rechtliche Mutter sei die Frau, die das Kind geboren hat - also die Leihmutter.

Ohne Erfolg verwies das Ehepaar darauf, dass die Leihmutterschaft in der Ukraine legal ist und die ukrainischen Behörden sie als Eltern anerkannt haben.

Auch im zweiten Fall, den der BGB zu entscheiden hatte, hatte das Standesamt die Eintragung der rechtlichen Mutterschaft im Geburtenregister abgelehnt. Hier hatte ein aus Niedersachsen stammendes Ehepaar für die Geburt ihres Kindes die Dienste einer Leihmutter in der Ukraine in Anspruch genommen.

Der BGH entschied, dass nach deutschem Recht jene Frau als rechtliche Mutter gilt, die das Kind geboren hat. Ob in den konkreten Fällen ukrainisches oder deutsches Recht greife, hänge bei minderjährigen Kindern, insbesondere bei Neugeborenen, von dem "gewöhnlichen Aufenthalt" der Betreuungspersonen ab. Haben die Bezugspersonen ihren "gewöhnlichen Aufenthalt" in der Ukraine, gelte ukrainisches Recht. Dann sei die Entscheidung der ukrainischen Behörden später auch für das deutsche Standesamt bindend.

Nur vorübergehender Aufenthalt

Doch in beiden Fällen sei das nicht der Fall, so der BGH. Nach den tatsächlichen Umständen sei der Aufenthalt der deutschen Ehepaare in der Ukraine nur "vorübergehend" gewesen. Die per Leihmutter zur Welt gebrachten Kinder sollten von Anfang an in Deutschland mit ihren biologischen Eltern leben.

Weil kein gewöhnlicher Aufenthalt in der Ukraine bestand, komme bei der Anerkennung der rechtlichen Mutterschaft deutsches Recht zur Anwendung. Danach seien in beiden Fällen die beiden Ehemänner die rechtlichen Väter der Kinder. Die Kinder hätten dadurch auch die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Rechtliche Mütter seien aber die Leihmütter, weil sie die Kinder geboren hätten.

Im ersten Fall hätten sich die Beteiligten aber auf eine Adoption des Kindes durch die Ehefrau geeinigt, betonte der BGH. Damit habe diese gute Chancen, die rechtliche Mutterschaft im Wege eines durchzuführenden Adoptionsverfahrens zu erhalten. Bis dahin gelte jedoch nicht sie, sondern die Leihmutter als rechtliche Mutter.

Adoption ist möglich

Bereits am 5. September 2018 hatte der BGH allerdings entschieden, dass Entscheidungen eines ausländischen Gerichts über die rechtliche Mutterschaft von deutschen Behörden anerkannt werden müssen. Anders als bei Entscheidungen von ausländischen Behörden, seien diese nach deutschem Recht hier bindend.

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hatte am 28. Februar 2019 entschieden, dass eine Leihmutterschaft einer Adoption des Kindes durch seine biologische deutsche Mutter grundsätzlich nicht entgegensteht. Entscheidend sei, dass die Adoption dem Kindeswohl diene und zwischen der Mutter und dem Kind eine "enge und liebevolle Bindung" zu erwarten sei.

Ähnlich entschied auch das OLG München am 12. Februar 2018 im Fall eines schwulen verheirateten Paares. Das Paar wurde mit Hilfe einer anonymen Eizellspende und einer in der Ukraine lebenden Leihmutter Eltern. Die Eizelle war mit dem Samen eines der Männer befruchtet worden

Als der andere Partner die Adoption des Kindes wünschte, lehnten das Jugendamt und das Amtsgericht München das Ansinnen ab. Die Adoption sei nicht erforderlich. Die Leihmutterschaft sei nach deutschem Recht gesetzes- und sittenwidrig.

"Bei der Bewertung des Adoptionsbegehrens kommt es einzig auf das Wohl des Kindes und die Prognose des Entstehens eines Eltern-Kind-Verhältnisses an“, entschied das OLG. Werde trotzdem die Adoption versagt, liege ein Eingriff in die Rechte des Kindes vor.

Az.: XII ZB 530/17 und XII ZB 320/17 (BGH Leihmutter als rechtliche Mutter)

Az.: XII ZB 224/17 (BGH Mutterschaft Gerichtsentscheidung)

Az.: 1 UF 71/18 (OLG Frankfurt/Main)

Az.: 33 UF 1152/17 (OLG München)

Frank Leth


Bundesgerichtshof

Hohe Hürden für Entschädigung nach rechtswidriger Abschiebehaft



Flüchtlinge können bei einer rechtswidrigen Abschiebehaft vom jeweiligen Bundesland Entschädigungsansprüche geltend machen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jedoch in einem am 18. April verkündeten Urteil für entsprechende Haftungsansprüche hohe Hürden aufgestellt. Im konkreten Fall wiesen die Karlsruher Richter Entschädigungsansprüche eines afghanischen, mittlerweile anerkannten Flüchtlings ab.

Der Mann war am 2. Oktober 2013 mit seiner Frau und seiner Tochter von der Slowakei über Österreich nach Deutschland eingereist. Die Bundespolizei griff die Flüchtlinge beim Grenzübertritt auf. Wegen eines bereits in der Slowakei gestellten Asylantrags sollte die Familie wieder dorthin abgeschoben werden.

Das Amtsgericht München ordnete für 44 Tage eine Abschiebehaft an. Das Landgericht München I hielt diese später jedoch wegen einer fehlenden Fluchtgefahr für rechtswidrig. Weniger eingreifende Maßnahmen wie die Unterbringung der Ehefrau und der Tochter in einer Gemeinschaftsunterkunft seien zur Sicherstellung der Abschiebung ausreichend.

Zuflucht im Kirchenasyl

Um der Abschiebung zu entgehen, nahm die Familie Zuflucht im Kirchenasyl. Da dadurch die fristgemäße Rückschiebung in die Slowakei nicht mehr möglich war, musste das Asylverfahren in Deutschland stattfinden. Der Kläger wurde als Flüchtling anerkannt.

Wegen der vom Landgericht festgestellten rechtswidrigen Abschiebehaft verlangte er nun vom Bund oder dem Land Bayern eine Entschädigung in Höhe von 100 Euro je Hafttag. Das Landgericht sprach ihm für 27 Tage Haft eine Zahlung von 810 Euro zu.

Zu Unrecht, befand der BGH. Zwar könne nach der Europäischen Menschenrechtskonvention wegen einer rechtswidrigen Abschiebehaft eine Entschädigung verlangt werden, allerdings nur vom jeweiligen Bundesland und nicht vom Bund. Maßgeblich sei das ansässige Gericht, das die Haft angeordnet hat.

Doch auch von Bayern könne der Kläger nichts verlangen. Denn in dem Verfahren, in dem die rechtswidrige Abschiebehaft vom Landgericht festgestellt wurde, war das Bundesland nicht beteiligt und habe dazu nichts entgegenbringen können.

Az.: III ZR 67/18



Landesarbeitsgericht

Bei Arbeit am Ostersonntag fällt erhöhter Lohnzuschlag an



Wer am Ostersonntag arbeitet, kann durch einen erhöhten Feiertagszuschlag einen dreifachen Stundenlohn erhalten. Dies entschied das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in einem am 18. April bekanntgegebenen Urteil und gab damit einem Beschäftigten der Backwarenindustrie recht. Der Mann hatte geklagt, weil sein Unternehmen für die Arbeit an Ostersonntag im Jahr 2017 lediglich einen reduzierten Sonntagszuschlag gezahlt hatte. Der Arbeitgeber begründete das damit, dass es sich beim Ostersonntag nach seiner Einschätzung nicht um einen gesetzlichen Feiertag handele.

Bis zum Jahr 2017 hatte die Firma immer entsprechend dem Manteltarifvertrag für die Brot- und Backwarenindustrie in Nordrhein-Westfalen einen dreifachen Stundenlohn am Ostersonntag gezahlt. In dem Gerichtsverfahren verlangte der Arbeitnehmer nun eine zusätzliche Feiertagsvergütung von rund 280 Euro sowie die Feststellung, dass der Arbeitgeber sowohl an Oster- wie Pfingstsonntagen den erhöhten Feiertagszuschlag zu zahlen habe.

Das Landesarbeitsgericht folgte dieser Einschätzung mit Verweis auf den für das Unternehmen geltenden Manteltarifvertrag. Demnach definiere der Manteltarifvertrag unter anderem Ostern und Pfingsten als hohe Feiertage. Die Arbeitnehmer sollen für die Arbeit an diesen Tagen und die damit verbundene Belastung einen deutlich erhöhten Zuschlag beim Entgelt erhalten. Durch die Arbeit könne der Arbeitnehmer die Feiertage nicht frei bestimmen und zum Beispiel im Kreise der Familie verbringen. Diese Beeinträchtigung liege am Ostersonntag wie auch am Pfingstsonntag vor.

Az.: 6 Sa 996/18



Landesarbeitsgericht

Yoga-Kurs ist in Berlin berufliche Weiterbildung



Yoga kann Arbeitnehmer beruflich bilden. Zumindest nach dem Bildungsurlaubsgesetz des Landes Berlin kann ein Yoga-Kurs berufliche Weiterbildung sein, für den der Arbeitgeber Bildungsurlaub gewähren muss, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg in einem am 16. April bekanntgegebenen Urteil. Das ist zumindest dann der Fall, wenn der Yoga-Kurs die Anpassungsfähigkeit und Selbstbehauptung des Arbeitnehmers im Beruf fördert.

Geklagt hatte ein Versicherungsangestellter, der an einem von der Volkshochschule angebotenen fünftägigen Kurs "Yoga I - erfolgreich und entspannt im Beruf mit Yoga und Meditation" teilnehmen wollte. Der Arbeitgeber verweigerte hierfür den beantragten Bildungsurlaub.

Das LAG sprach dem Mann nun aber den Bildungsurlaub zu. Nach dem Berliner Bildungsurlaubsgesetz werde dieser für politische Bildung und für berufliche Weiterbildung gewährt. Dabei reiche es aus, wenn eines von beide Kriterien erfüllt ist.

Hier gehe es um den Begriff der beruflichen Weiterbildung. Nach dem Bildungsurlaubsgesetz solle unter anderem die Anpassungsfähigkeit und Selbstbehauptung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unter den Bedingungen des fortwährenden und sich beschleunigenden technischen und sozialen Wandels gefördert werden. Das sei bei dem Yogakurs der Volkshochschule der Fall. Nach seinem didaktischen Konzept habe der Kurs unter anderem die Prophylaxe vor Burn-out zum Ziel und trainiere zudem den Umgang mit beruflichem Stress.

Az.: 10 Sa 2079/18



Finanzgericht

Keine Steuerersparnis für Lebensmittelmehrkosten wegen Bulimie



Höhere Lebensmittelkosten wegen einer Ess-Brech-Sucht sind keine steuermindernde außergewöhnliche Belastung. Denn die Verpflegungskosten sind "nichtabzugsfähige Kosten der privaten Lebensführung", entschied das Finanzgericht Münster in einem am 15. April bekanntgegebenen Urteil.

Geklagt hatte der Ehemann einer mit ihm steuerlich zusammenveranlagten Frau, die seit 20 Jahren an Bulimie erkrankt ist. Die Erkrankung geht mit täglich mindestens fünf Heißhungerattacken einher. Die Ehefrau "verschlingt", so der Kläger, pro Heißhungerattacke dabei jedes Mal Lebensmittel mit bis zu 8.000 Kalorien und von mindestens zehn Euro. Anschließend wird die Nahrung krankheitsbedingt wieder erbrochen.

Außergewöhnliche Belastung geltend gemacht

Die erhöhten Lebensmittelaufwendungen fielen krankheitsbedingt an und seien daher als außergewöhnliche Belastung bei der Steuer anzusehen, trug der Kläger vor. Die Verpflegung diene der Befriedigung der Sucht und führe gleichzeitig zu einer Linderung der Symptome. Beim Finanzamt machte er pauschal 80 Euro pro Woche an krankheitsbedingten Lebensmittelaufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend, insgesamt 4.160 Euro für das Streitjahr 2015.

Das Finanzgericht lehnte die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung ebenso wie das Finanzamt ab. Die erhöhten Lebensmittelkosten seien "nicht abzugsfähige Kosten der privaten Lebensführung". Lebensmittel seien keine Arzneimittel und damit auch keine typischen Krankheitskosten. Sie dienten weder der Linderung noch der Heilung der Erkrankung, sondern seien vielmehr deren Ausdruck.

Nach dem Einkommensteuergesetz sei auch ärztlich verordnete Diätverpflegung ausdrücklich vom Abzug als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen. Dies müsse dann erst recht für nicht ärztlich verordnete Lebensmittelmehrkosten gelten. Die Aufwendungen fielen zudem nicht zwangsläufig an, weil sie nicht für therapeutische Maßnahmen ärztlich verordnet worden seien.

Az.: 12 K 302/17 E



Finanzgericht

Supervision kann umsatzsteuerfrei sein



Supervision kann als berufliche Fortbildung gelten und daher umsatzsteuerfrei sein. Voraussetzung hierfür ist, dass es bei den Supervisions-Gesprächen um bei der Arbeit auftretende Fragen, Hintergründe und Handlungsmöglichkeiten geht, wie das Finanzgericht (FG) Münster in einem am 15. April bekanntgegebenen Urteil entschied.

Die Klägerin leistete für verschiedene Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, der Kinder- und Jugendhilfe sowie für ähnliche Einrichtungen Supervisionen. Die Teilnehmer, Arbeitnehmer der Einrichtungen, brachten in der Supervision Konflikte und Problemfälle zur Sprache, die im Rahmen ihrer Arbeit auftraten.

Ziel der Supervision war es, Handlungskompetenzen und -empfehlungen zu erarbeiten, damit die Teilnehmer künftig genauer und umsichtiger mit den Alltagsproblemen umgehen können und sich die Teamarbeit sowie der Umgang mit Patienten, Betreuten oder Kunden verbessert. Auch berufsbedingter Stress sollte mit der Supervision besser verarbeitet werden.

Finanzamt wollte Geld sehen

Die Klägerin erzielte für ihre angebotenen Supervisionen in den Streitjahren 2013 und 2014 jeweils gut 26.000 Euro Umsatz.. Das Finanzamt hielt die erbrachten Leistungen für umsatzsteuerpflichtig.

Dem widersprach jetzt jedoch das Finanzgericht. Es handele sich hier um eine umsatzsteuerfrei berufliche Fortbildung. Denn bei den Supervisionsgesprächen sei es nicht um die privaten Probleme der Teilnehmer gegangen, sondern um "Handlungs- und Verhaltenskompetenzen" im Umgang mit der jeweiligen Klientel, insbesondere Pflegebedürftige oder Jugendliche.

Gegenstand der Supervisionseinheiten sei letztlich "die Vermittlung im beruflichen Alltag erforderlicher Kompetenzen" gewesen. Diese seien dann auch bei der künftigen Arbeit anwendbar. Dass solche Kompetenzen im Einzelfall auch privat weiterhelfen können, sei unschädlich, betonte das Finanzgericht. Es habe sich weder um "Veranstaltungen mit bloßem Freizeitcharakter" noch um umsatzsteuerpflichtige Beratungen gehandelt.

Das Finanzgericht ließ die Revision zum Bundesfinanzhof in München zu. Von dem Urteil profitieren Unternehmen und Einrichtungen, die selbst ebenfalls keine Umsatzsteuer zahlen - etwa in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales. Umsatzsteuerpflichtige Unternehmen könnten sich dagegen eine auf die Supervisionsrechnung aufgeschlagene Umsatzsteuer im Wege des sogenannten Vorsteuerabzugs zurückholen.

Az.: 15 K 1768/17 U




sozial-Köpfe

Caritas

Direktor Thomas Domnick wechselt in die Kinder- und Jugendhilfe




Thomas Domnick
epd-bild/Caritas Mainz
Der Mainzer Diözesancaritasdirektor Thomas Domnick wird zum 1. September 2019 Geschäftsführer des Theresien Kinder- und Jugendhilfezentrums (TKJHZ) in Offenbach, einem der größten Kinder- und Jugendhilfeträger in Hessen.

Thomas Domnick wechselt seine Stelle, auf eigenen Wunsch, wie es in der Pressemitteilung des Diözesancaritasverbandes heißt. Er wolle sich einer neuen beruflichen Herausforderung widmen. "Die Entscheidung von Thomas Domnick respektiere ich. Ich danke ihm für die gute und erfolgreiche Zusammenarbeit und freue mich, dass er weiterhin im Bistum Mainz tätig sein wird", sagte der Aufsichtsratsvorsitzende Weihbischof Udo Markus Bentz zum bevorstehenden Wechsel.

Domnick ist seit 2008 Diözesancaritasdirektor. In seine Amtszeit fallen die Weiterentwicklung der Beratungsdienste hin zu Caritaszentren und damit verbunden die Sozialraumorientierung der Caritas im Bistum Mainz. Projekte wie beispielweise "Sozialraumorientierte Netzwerke in der Altenhilfe", "Frühe Hilfen" und "Mitarbeitende in Führung bringen" entstanden in dieser Zeit. Thomas Domnick war an verschiedenen sozialpolitischen Entwicklungen beteiligt, so zum Beispiel beim "Hessischen Kinderförderungsgesetz" und der "Rahmenvereinbarung der Kinder- und Jugendhilfe in Hessen".

Domnick selbst sagte, er habe in den zurückliegenden elf Jahren im Dienst der verbandlichen Caritas immer die Menschen am Rande der Gesellschaft im Zentrum seines Handelns gesehen. "Ich bin dankbar für diese Zeit und viele wertvolle Momente und Begegnungen. Nun freue ich mich auf die berufliche Herausforderung in der Kinder- und Jugendhilfe." Das Theresien Kinder- und Jugendhilfezentrums gehört zum Bistum Mainz.



Weitere Personalien



Dennis Kummarnitzky hat zum 1. April die Geschäftsführung der Lebenshilfe Nürnberger Land übernommen. Sein Vorgänger, Norbert Dünkel, ist in den Bayerischen Landtag eingezogen. Kummarnitzky gehört seit 2014 der Geschäftsleitung des Verbands an. Er ist Betriebswirt und hat einen Master in Leadership und Management. Die Lebenshilfe im Nürnberger Land ist in der Frühförderung aktiv. Der Verband betreibt Kitas sowie Werk- und Förderstätten. Insgesamt betreut er Menschen in 24 Einrichtungen und Diensten mit 1.500 Betreuungsplätzen.

Artur May, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht, ist tot. Er starb am 17. März im Alter von 96 Jahren. May trat nach kurzer richterlicher Tätigkeit am Landgericht Düsseldorf in den höheren Dienst der Ruhrknappschaft Bochum ein. Bis zur Ernennung zum Bundesrichter beim Bundessozialgericht am 21. August 1969 war er Richter am Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Essen. Ab Januar 1983 übernahm er am BSG den Vorsitz des für Angelegenheiten der Krankenversicherung zuständigen 8. und des für Konkursausfallgeld- und Kindergeldstreitigkeiten zuständigen 10. Senats. Von 1979 bis 1986 war May Beisitzer am Richterdienstgericht des Bundes.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Juni



Mai

2.-3.5. Meckenbeuren:

Seminar "Übergang vom Jugendlichsein zum Erwachsenenwerden - Lebenspläne, Ablösung, Perspektiven"

der Akademie Schloss Liebenau

Tel.: 07542/10-0

6.-7.5. Paderborn:

Seminar "Datenschutz aktuell"

der Fortbildungs-Akademie des DCV

Tel.: Tel.: 0761/200-1700

8.5. Hamburg:

Seminar "Controlling für Einrichtungen der Behindertenhilfe"

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-221

8.-10.5. Freiburg:

Seminar "Wenn das Miteinander zur Herausforderung wird. Führungskräfte als Vermittelnde bei Konflikt und Mobbing"

der Fortbildungs-Akademie des DCV

Tel.: 0761/200-1700

9.-10.5. Berlin:

Seminar "Psychose und Sucht - double trouble"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

13.-14.5. Berlin:

Tagung "Checkpoint Teilhabe. Kinder- und Jugendhilfe + BTHG = Neue ganzheitliche Lösungen entwickeln"

des Deutschen Instituts für Urbanistik

Tel.: 030/39001-136

14.5. Berlin:

Seminar "Zwei Jahre neue Pflegeversicherung: die ambulante Entwicklung strategisch nutzen!"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

14.-15.5. Berlin:

Tagung "Moderne Berufe in der Pflege - Qualifizierung: Königsweg der Personalgewinnung" (https://www.vkad.de/angebote/veranstaltungen/bundestagung/21.-bundestagung-in-berlin)

Tel.: 030/284447-851

16.5. Berlin:

Seminar "Quartierskonzepte. Die Zukunft der Altenhilfe?"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356159

16.5. Frankfurt a.M.:

Fachtagung "Was leisten die stationären Hilfen zur Erziehung? - Heimerziehung und soziale Teilhabe"

des BVkE

Tel.: 0761/200-756

16.-17.5. Filderstadt:

Seminar "Umgang mit Drohung und Gewalt"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

16.-17.5.:Magdeburg:

11. Kongress der Sozialwirtschaft "Führung gestaltet"

der BAGFW und der Bank für Sozialwirtschaft

Tel: 0221/97356-210

21.5. Berlin:

Seminar "Professionelles Belegungsmanagement in der stationären Altenhilfe"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-160

21.5. Köln:

Seminar "Integrierte Finanzplanung und Berichtswesen in Pflegeeinrichtungen und anderen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens"

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-221

23.5. Berlin:

Fachtag "Grundeinkommen"

des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung

Tel.: 030/65211-1636

27.-28.5. Bonn:

Fachtagung "Schulabsentismus - Alternative Wege zum Schulabschluss)

der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit

Tel.: 0711/16489-20

Juni

4.6. Berlin:

Seminar "Rote Zahlen - Strategische und operative Ansätze für die stationäre Altenhilfe"

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-221

13.6. Göttingen:

Tagung "Kulturelle Diversität und erfolgversprechende Patientenversorgung"

des Zentrums für Gesundheitsethik

Tel.: 0511/1241-496