sozial-Politik

Pflege

Kaffeeklatsch mit dem Medizinischen Dienst




Eine Frau sortiert Medikamente für ihren pflegebedürftigen Mann.
epd-bild/Jürgen Blume
Vor einem Jahr wurden die neuen Kriterien für die Einstufung der Pflegebedürftigkeit eingeführt. Davon konnten vor allem Demenzkranke profitieren. Eine gute Vorbereitung auf den Besuch des Medizinischen Dienstes kann aber nach wie vor entscheidend sein.

"Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?" fragte die alte Dame den Gutachter des Medizinischen Dienstes höflich. "Ich war fassungslos", sagt Susanne Meier (Name geändert). Im Alltag muss sie ihrer dementen Mutter alle Mahlzeiten zubereiten, weil sie das Essen sonst glatt vergisst. Beim Besuch des Gutachters aber präsentierte sich die 82-Jährige plötzlich als perfekte Gastgeberin - servierte Kaffee und Gebäck. Und auch bemühte sie sich, möglichst fit zu erscheinen. Die Folge: Der Antrag auf mehr Geld von der Pflegekasse wurde abgelehnt.

Helmut Täuber von der Pflegeberatung der Diakonie in Frankfurt am Main kennt solche Fälle. "Kein Mensch gesteht sich im Alter gerne ein, dass die Einschränkungen größer werden." Wenn der Gutachter des Medizinischen Dienstes frage, wo Hilfe benötigt wird, sei das vielen Senioren unangenehm, beobachtet Täuber. Manche böten dann alle Kräfte auf, um ihre Situation besser darzustellen, als sie ist.

Angehörige sollten bei MDK-Visite dabei sein

"Gerade bei Themen wie Inkontinenz oder Vergesslichkeit schämen sich viele Pflegebedürftige", sagt auch Catharina Hansen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. "Wir raten deshalb dazu, dass beim Besuch des Medizinischen Dienstes immer eine Person dabei ist, die den Pflegebedürftigen gut kennt." Der Angehörige solle sich dann auch ruhig in das Gespräch einschalten, wenn er merke, dass der Pflegebedürftige seinen Hilfebedarf herunterspielt.

Damit der Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ein möglichst realistisches Bild von der Situation erhält, rät Hansen, den Termin gezielt vorzubereiten. "Am besten gehen Pflegebedürftige und Angehörige vorher gemeinsam durch, wo es im Alltag Probleme gibt, und sammeln Beispiele dafür."

"Alle wichtigen Dokumente sollten bereitliegen"

Auch Peter Pick, Geschäftsführer des MDK-Spitzenverbandes, rät: "Man sollte den Termin mit dem Gutachter nicht einfach auf sich zukommen lassen." Das Wichtigste sei, alle nötigen Unterlagen bereitzulegen. Das sind etwa Arztberichte, Entlassungsberichte aus dem Krankenhaus oder der Reha, der Medikamentenplan und - falls man bereits einen Pflegedienst in Anspruch nimmt - die Pflegedokumentation. "Der Gutachter kann nur die Informationen berücksichtigen, die er auch bekommt", sagt Pick.

Der Medizinische Dienst stellt bei seinem Besuch viele Fragen wie zum Beispiel: Kann der Pflegebedürftige ohne Hilfe aufstehen? Kann er sich noch selbst waschen? Ist er in der Lage, sich selbst Essen zuzubereiten? "Viele Menschen erleben das als Prüfungssituation und geraten in Stress", sagt Täuber. Viel entspannter sei das Gespräch, wenn Pflegebedürftige und Angehörige den Fragenkatalog vorher durchgehen, sagt Pflege-Expertin Hansen. Die Fragen sind auf der Internetseite des Medizinischen Dienstes veröffentlicht.

Demenzpatienten profitieren von der Reform

Seit 1. Januar 2017 zählen bei der Einstufung der Pflegebedürftigkeit nicht nur körperliche Einschränkungen. Neu ist, dass bei der Begutachtung nun auch berücksichtigt wird, ob Menschen aufgrund psychischer Probleme oder Demenz Hilfe brauchen. Damit haben diese Patienten nun wesentlich bessere Chancen, in einen der fünf Pflegegrade eingestuft zu werden. So bekamen 2017 nach Angaben des MDK-Spitzenverbandes im Vergleich zum Vorjahr zusätzlich rund 283.000 Menschen Geld von der Pflegekasse.

Gerade für Demenzkranke aber seien Hinweise von Angehörigen beim Besuch des MDK besonders wichtig, sagt Pick. Der Gutachter fragt zum Beispiel, ob der Patient noch selbstständig soziale Kontakte pflegen kann. Oder etwa, ob er sich daran erinnern kann, seine Medikamente genommen zu haben, und wie es um seinen Orientierungssinn steht.

Widerspruch lohnt sich

Doch was tun, wenn die Pflegekasse den Antrag ablehnt, oder aber der Pflegebedürftige meint, er sei zu niedrig eingestuft worden? Dann sollten sich der Pflegebedürftige und seine Angehörigen das schriftliche Gutachten genau ansehen. Möglicherweise wurden darin wichtige Punkte ausgelassen. Damit ließe sich dann ein Widerspruch begründen.

Der Versuch lohnt sich. Die Erfolgschancen haben sich seit dem Start der Pflegereform sogar verbessert. 2017 wurde laut Medizinischem Dienst rund 52 Prozent der Widersprüche stattgegeben. Das sind rund acht Prozent mehr als im Vorjahr.

Auch Susanne Meier hatte mit einem Widerspruch Erfolg. Nach dem Besuch eines zweiten Gutachters erhielt ihre Mutter doch noch einen höheren Pflegegrad und bekommt nun mehr Geld von der Pflegekasse.

Claudia Rometsch


Pflege

Gastbeitrag

"Für die Personalausstattung in Pflegeheimen gibt es rechtliche Vorgaben"




Rainer Freyer
epd-bild/die arge lola / Kai Loges + Andreas Langen
Stationäre Pflegeeinrichtungen stehen in der öffentlichen Diskussion meist schlecht da. Rainer Freyer, Geschäftsführer eines überregional tätigen diakonischen Pflegeanbieters, tritt in seinem Gastbeitrag für epd sozial, dem Urteil entgegen, in den Heimen fehle es generell an Regelungen. Dennoch sieht er Handlungsbedarf beim Gesetzgeber und in einigen Bundesländern.

Seit dem couragierten Auftritt eines Auszubildenden aus dem Pflegebereich in einer ARD-Livesendung im Bundestagswahlkampf mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) häufen sich Meldungen, in denen sowohl über eine unzureichende Personalausstattung als auch über fehlende Vorgaben zur Personalausstattung in stationären Pflegeeinrichtungen berichtet wird. Meldungen zur Personalausstattung im Pflegebereich greifen plakative Aspekte in der Regel isoliert auf: Entweder wird unterstellt, dass es keine ausreichenden Vorgaben für die Personalbemessung in stationären Einrichtungen gibt. Oder das Bemühen der Träger und Einrichtungen, die gesetzlichen Vorgaben oder die vereinbarten Personalschlüssel einzuhalten, wird negiert.

Heimpersonalverordnung des Bundes

Implizit wird damit unterstellt, dass es in stationären Einrichtungen in Deutschland per se keine qualitativ hochwertige Pflege gibt. Dabei gibt es beides: gesetzliche Vorgaben und gute Pflege.

Für die Bundesländer, die noch keine eigene Verordnung zur personellen Mindestausstattung erlassen haben, gilt die Heimpersonalverordnung des Bundes. Die Weiterentwicklung dieser Heimpersonalverordnung wurde in den meisten Bundesländern ernst genommen und gestaltet. So enthält beispielweise die Landespersonalverordnung des Landes Baden-Württemberg eine neue Regelung für die Nachtbesetzung mit klar definierten Vorgaben.

Weiterhin gilt: Für die personelle Ausstattung der Einrichtungen vereinbaren Leistungsträger und Leistungserbringer in den Pflegesatzverfahren nach SGB XI die Personalschlüssel. Grundlage hierfür sind die Rahmenverträge auf Länderebene zwischen der Liga der freien Wohlfahrtspflege und den Leistungsträgern wie Pflegeversicherungen und Sozialhilfeträger. Die Einhaltung der Personalschlüssel wird durch die Heimaufsichten kontrolliert. Daneben sehen die Rahmenverträge in der Regel sogenannte Personalabgleiche zwischen vereinbarter und umgesetzter Personalausstattung vor. Die aktuelle Diskussion zu einer besseren Personalausstattung bildet die Komplexität des Handlungsrahmens von Trägern und Einrichtungen der stationären Pflege nicht ab.

Große Unterschiede zwischen den Ländern

In den Bundesländern gibt es völlig unterschiedliche Ausgangssituationen hinsichtlich der aktuell vereinbarten Personalschlüssel, der baulichen Anforderungen, der finanziellen Situation der Sozialhilfeträger und der sonstigen heimrechtlichen Bestimmungen. Die Hürden für eine Verbesserung sind hier demnach unterschiedlich hoch. Diese Differenzierungen müssen bei der Forderung nach mehr Personal auch differenziert betrachtet werden.

Daneben wirken sich unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern zur Finanzierung der Ausbildung unterschiedlich auf die Gewinnung von Fachkräften aus. Die neuen gesetzlichen Grundlagen für die Ausbildung der Pflegeberufe bieten die Chance, den Zugang von jungen Menschen zu den Pflegeberufen zu verbessern und die Ausbildungsfinanzierung zu vereinheitlichen. Es bleibt hier zu hoffen, dass die Umsetzung möglichst praktikabel und wirtschaftlich erfolgt.

Der Gesetzgeber hat erkannt, dass bei der Personalausstattung und deren Finanzierung an wichtigen Stellen Klärungsbedarf besteht. So ist aus meiner Sicht positiv zu bewerten, dass tarifliche Vergütungen grundsätzlich als wirtschaftlich anzuerkennen sind. Auch ist die Einführung des Personalabgleichs, verbunden mit einer Sanktionierungsmöglichkeit, bei bewusster Unterschreitung vereinbarter Personalschlüssel im Grundsatz nicht falsch, wenn die praktische Umsetzung nicht in planwirtschaftlichen Verfahren endet.

Mehr Personal ist finanzierbar

Die im Pflegestärkungsgesetz II angelegte Vereinheitlichung der Personalbemessung ist jedoch aus der Perspektive eines Trägers, der überwiegend in Baden-Württemberg tätig ist, eher mit Skepsis zu sehen. Durch diese Vereinheitlichung könnte sich eine Absenkung der - im Vergleich zu anderen Bundesländern - relativ hohen Personalschlüssel in Baden-Württemberg ergeben, die nicht nur politisch nicht gewollt sein kann.

Eine bessere Personalausstattung kann finanziert werden. Eine Verbesserung der Personalschlüssel hat unmittelbare finanzielle Folgen, die im aktuellen System die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen zu tragen haben. Schon mit den derzeit üblichen Pflegesätzen sind viele Betroffene am Rand ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten.

Hier bedarf es meines Erachtens einer politischen Weichenstellung, die die stationäre Pflege als einen notwendigen Baustein in der Betreuung pflegebedürftiger Menschen in Deutschland akzeptiert. Diese Akzeptanz würde dazu führen, dass die strukturelle Benachteiligung der Versicherten, die auf Hilfe in den stationären Einrichtungen angewiesen sind, überwunden werden kann. Eine Dynamisierung der Leistungen der Pflegeversicherung, die die Mehrkosten der Verbesserung der Personalausstattung trägt, wäre ein sinnvoller und notwendiger Beitrag im Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch der Mitarbeitenden.

Dynamische Leistungen der Pflegeversicherung

Vergessen wir trotz der vielen negativen Schlagzeilen nicht, dass schon heute in den Einrichtungen der diakonischen Träger viele Tausende Mitarbeitende engagiert die ihnen anvertrauten Menschen bestmöglich versorgen und dass wir in den diakonischen Einrichtungen mit in der Regel höheren Pflegesätzen gute Personalschlüssel und gesicherte tarifliche Vergütungen finanzieren können.

Mich würde es freuen, wenn die laufende Diskussion mutig und differenziert geführt wird. Letztlich sollen alle Bemühungen dazu führen, dass im Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner und der Mitarbeitenden eine bessere Personalausstattung in der stationären Pflege erreicht wird.

Rainer Freyer, Diplom-Betriebswirt, ist Geschäftsführer des diakonischen Altenhilfeträgers Dienste für Menschen gGmbH in Esslingen. Bei dem Pflegeunternehmen arbeiten rund 1.800 Beschäftigte in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen.


Flüchtlinge

Interview

Städtetagspräsident: Integrationspauschale des Bundes bleibt wichtig




Markus Lewe
epd-bild/Stadt Münster
Der neue Städtetagspräsident, der Münsteraner Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) will die Chancen durch Zuwanderung stärker in den Fokus rücken. Kommunen leisteten viel für die Integration.

Die Kommunen benötigen für die Integration von Flüchtlingen Unterstützung durch den Bund, sagte Städtetagspräsident Markus Lewe im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zugleich plädierte Lewe dafür, langfristige Strategien für die Städte zu entwickeln und das Bürgerengagement zu stärken.

epd sozial: Auf der Agenda der neuen Bundesregierung soll auch eine neue Regelung des Nachzugs von Familienangehörigen von Flüchtlingen stehen. Was erhoffen Sie sich von der neuen Regierung?

Markus Lewe: Aus Sicht der Städte muss eine Regelung gefunden werden, mit der die Integrationsfähigkeit in den Städten bewahrt bleibt. Auf der anderen Seite müssen wir in den Blick nehmen, inwieweit enge Familienangehörige die Integration erleichtern können. Für den Städtetag heißt das: Die Städte dürfen nicht überfordert werden. Zugleich dürfen wir aber auch nicht die Integrationschancen Geflüchteter beeinträchtigen. In dieser Balance muss sich das bewegen.

epd: Welche Rolle spielen bei der Integration Projekte vor Ort, die in den Kommunen umgesetzt werden können?

Lewe: Eine große Rolle. Integration findet vor Ort in den Kommunen statt, in Kindergärten, den Schulen, in Integrationskursen, durch Helferinitiativen, in Sportvereinen und mit Ehrenamtlichen. Der Blick sollte dabei nicht auf geflüchtete Menschen beschränkt werden. Diese geflüchteten Menschen werden ja, sofern sie als Flüchtlinge oder Asylbewerber anerkannt werden, ganz normal am öffentlichen Leben in unserer Gesellschaft teilhaben. Deshalb geht es darum, die Chancen in den Fokus zu rücken, die Neuzuzüge und möglicherweise künftige Fachkräfte für die Kommunen bedeuten.

epd: Was ist dafür an Unterstützung nötig?

Lewe: Wir müssen dafür umfassende Bildungsaufgaben wahrnehmen. Spracherwerb ist wichtig, die Integration in den Arbeitsmarkt braucht noch größere Anstrengungen. Die Bundesmittel für die Jobcenter sollten deshalb deutlich erhöht werden. Damit die Kommunen ihre Integrationsaufgaben erfüllen können, sollte der Bund über 2018 hinaus die fluchtbedingten Kosten der Unterkunft im Sozialgesetzbuch II tragen. Auch eine Integrationspauschale des Bundes ist weiter nötig. Die einzelnen Bundesländer in Deutschland gehen mit der Weitergabe der Integrationsmittel allerdings bisher unterschiedlich um. Es ist zwingend erforderlich, dass diese integrationsbezogenen Mittel auch in angemessener Höhe an die Städte weitergegeben werden.

epd: Wie reagieren Kommunen auf die Debatte über Kriminalität von Zuwanderern?

Lewe: Die Gesetze bieten ja Instrumente gegen Kriminalität: Wenn jemand straffällig wird, dann müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Das Problem muss ernst genommen werden. Es sollten aber auch Beispiele genannt werden, wo Integration gelingt. Es gibt ja eine ganze Reihe, wo das funktioniert. Wir sollten auch nicht so viel über Geflüchtete sprechen, sondern mit ihnen sprechen.

epd: Was sind hierbei die Aufgaben vor Ort?

Lewe: Die Aufgabe der Kommunen ist es, dafür zu sorgen, dass von Anfang an allen Kindern und Jugendlichen eine Chance gegeben wird, dass sie erst gar nicht in eine kriminelle Laufbahn hineingeraten. Das ist der präventive Auftrag, der gerade in den Kommunen geleistet wird. Hier wird deutlich, wie wichtig ganzheitliche Bildungssysteme sind. Das beginnt schon vor der Geburt eines Kindes: dass werdende Eltern gestärkt und bei Bedarf unterstützt werden.

epd: Wo wollen Sie als Städtetagspräsident Schwerpunkte setzen?

Lewe: Städte sollten sich so aufstellen, dass Vielfalt als Chance und nicht als Bedrohung erfahren wird. Das beginnt beim Städtebau: Die Stadt gehört allen. Ich muss also in den Stadtteilen Räume für Begegnungen schaffen. Dazu gehören Kitas, Cafés oder Parks. Wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft und Lebensorientierung diese Treffpunkte haben, sind sie viel eher in der Lage, sich zu vertrauen und sich auch selber zu organisieren.

Gerade in einer Zeit, die stark im Wandel steht, müssen wir großen Teilen der Öffentlichkeit etwas wiedergeben, was viele schon verloren glauben - nämlich Vertrauen. Bürger müssen Vertrauen in den Rechtsstaat haben können. Ebenso wichtig ist das Vertrauen darauf, dass man in einer Stadt weiter bezahlbar und auch bis ins hohe Alter gut leben kann.

epd: Wie sieht Ihre Vision für die Städte aus?

Lewe: Angesichts der unmittelbar großen Herausforderungen standen bislang die Mittel im Zusammenhang mit der Integration von geflüchteten Menschen im Vordergrund. Jetzt müssen wir das in eine Gesamtstrategie einbinden. Wir brauchen Strategien, wie man in zehn oder zwanzig Jahren in den Städten leben kann. Wenn man mit der Bürgerschaft die Zukunft plant, dann hat man auch eine. Wenn man das nicht tut, verpasst man Zukunftschancen.

Wir wollen unsere Städte zukunftsfähig machen in einer Zeit, die wirtschaftlich insgesamt recht gut ist, in der aber auch die Unterschiede zwischen strukturschwachen und wirtschaftsstarken Städten und Regionen wachsen. Deshalb müssen auch die Städte, denen es in Deutschland nicht so gut geht, unterstützt werden. Das gilt besonders für Städte, die Altschulden und hohe Sozialausgaben haben. Außerdem gibt es bundesweit einen großen kommunalen Investitionsstau von 126 Milliarden Euro mittelfristig abzutragen. Wir müssen der Bürgerschaft Hoffnung auf den Weg geben, dass die Städte auch für die Kinder und Enkel eine lebenswerte Zukunft bieten.



Familie

Elterngeld Plus kommt gut an - Zahl der Bezieher verdoppelt




Vater in Elternzeit
epd-bild/Rolf Zöllner
Vor zweieinhalb Jahren wurde das Elterngeld um die Plus-Variante erweitert - und die entwickelt sich zu einem Erfolg. Sie kommt dem Wunsch vieler Paare entgegen, Berufsarbeit und Kindererziehung partnerschaftlicher aufteilen zu können.

Mütter und Väter entscheiden sich nach der Geburt eines Kindes zunehmend für das Eltergeld Plus: Seit der Einführung im Jahr 2015 hat sich die Zahl der Eltern verdoppelt, die die Familienleistung beziehen. Das geht aus dem Elterngeld-Bericht hervor, den das Bundeskabinett am 10. Januar in Berlin beschlossen hat. Im Bundesdurchschnitt beziehen 28 Prozent der Mütter und Väter das Elterngeld Plus, in einigen Bundesländern wie Thüringen (38,5 Prozent), Rheinland-Pfalz (36,6 Prozent) und Bremen (34,2 Prozent) auch deutlich mehr.

Erwerbstätigkeit während der Elternzeit

Das Elterngeld Plus ist mit mindestens 150 und höchstens 900 Euro pro Monat halb so hoch wie das Basis-Elterngeld und kann dafür doppelt so lange bezogen werden, also 24 Monate. Wenn beide Eltern gleichzeitig zwischen 25 und 30 Stunden Teilzeit arbeiten, wird es vier weitere Monate gezahlt. Diese Möglichkeit - den Partnerschaftsbonus - nutzten dem Bericht zufolge 5,6 Prozent der Paare. Mehr als drei Viertel der Bezieher bewerteten das Elterngeld Plus als "gute Sache". Etwa die Hälfte der Paare betrachtet die Plus-Variante des Elterngeldes als besondere Hilfe zur Verwirklichung ihrer Vorstellungen zur Erwerbstätigkeit während der Elternzeit.

"Das Elterngeld Plus ist ein voller Erfolg", sagte die geschäftsführende Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD). Es habe dazu geführt, "dass Frauen wieder stärker in den Beruf einsteigen können und dass sich Väter mehr Zeit für ihre Kinder nehmen". Die Frauen-Union der CDU und die stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende, Nadine Schön, sowie der Familienpolitiker Marcus Weinberg (beide CDU) sprachen ebenfalls von einem Erfolg. Mit dem Elterngeld Plus helfe die Politik den Eltern bei der Verwirklichung ihrer Lebensentwürfe.

Ausweitung auf sieben Vätermonate gefordert

Die Inanspruchnahme des Elterngeldes Plus ist stetig gestiegen. Im dritten Quartal 2015, als es erstmalig zur Verfügung stand, wurde es von 13,8 Prozent der Elterngeld-Bezieher gewählt. Zwei Jahre später, im dritten Quartal 2017 waren es 28 Prozent. Als wichtigstes Motiv, die Plus-Variante zu wählen, geben zwei Drittel der Mütter und Väter an, mehr Zeit mit dem Kind verbringen zu können, als wenn sie nur ein Jahr lang das Basis-Elterngeld bezögen.

Die Plus-Variante kann mit dem Basis-Elterngeld kombiniert werden, das bis zu 1.800 Euro pro Monat beträgt und zwölf Monate lange gezahlt wird. Zwei Vätermonate kommen hinzu, wenn auch der Mann für diese Zeit aus dem Job aussteigt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) forderte in seiner jüngsten Studie zum Frauenanteil in Führungspositionen eine Ausweitung der Vätermonate auf vier oder sieben Monate. Das Elterngeld mit den Vätermonaten führe dazu, dass sich soziale Normen änderten.

Gutverdiener nehmen Elterngeld Plus

Das Basiselterngeld beträgt grundsätzlich 65 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens in den letzten zwölf Monaten vor der Geburt, mindestens aber 300 Euro. Für Geringverdiener liegt es prozentual etwas höher. Die meisten Paare, die beide Leistungen kombinieren, beginnen mit dem Basis-Elterngeld.

Grundlage des Elterngeld-Berichtes aus dem Bundesfamilienministerium sind die Daten des Statistischen Bundesamts sowie die Ergebnisse einer Befragung der Elterngeld Plus-Bezieher durch das Institut für Demoskopie Allensbach. Aus dieser Befragung stammen die Angaben zur Erwerbstätigkeit und zur wirtschaftlichen Lage der Familien.

Das Elterngeld Plus wird danach überwiegend von Gutverdienern in Anspruch genommen. Jeder zweite Haushalt verfügt über mindestens 3.000 Euro netto im Monat; im Durchschnitt verdienten die Paare vor der Geburt 3.120 Euro. Nur 14 Prozent der Elterngeld Plus-Bezieher hatten weniger als 2.000 Euro netto zur Verfügung. Die Linksfraktion im Bundestag sieht in den Zahlen die Bestätigung dafür, dass vom Elterngeld vor allem Familien mit hohen und mittleren Einkommen profitieren.

Bettina Markmeyer


Studie

Langandauernde Arbeitslosigkeit geht deutlich zurück




Hartz-IV-Antrag
epd-bild/Norbert Neetz
Erstmals präsentieren Arbeitsmarktforscher eine Studie, die auch jahrelange Arbeitslosigkeit und das Pendeln zwischen Jobcenter, Maßnahmen und Kurzzeit-Jobs statistisch erfasst. Die Gruppe der chronisch Arbeitslosen macht ein Drittel der Arbeitslosen aus.

Die Zahl der Menschen, die über Jahre keine feste Arbeit finden, hat sich deutlich verringert. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichte am 9. Januar in Nürnberg eine Studie, wonach sich der Anteil chronisch Arbeitsloser unter allen Erwerbspersonen seit 2006 von mehr als sechs auf rund drei Prozent halbiert hat. Im Jahr 2015 waren 1,2 Millionen Menschen schon jahrelang und eine weitere Million mindestens ein Jahr erwerbslos. 2006 waren 2,6 Millionen Menschen schon jahrelang und weitere 1,9 Millionen ein Jahr arbeitslos.

Lohnkostenzuschüsse wirken

Als Gründe für den Rückgang der chronischen Arbeitslosigkeit nennen die IAB-Forscher die seit zehn Jahren fast durchgängig gute Konjunktur sowie die Hartz-Reformen. Der Studie zufolge gelingt es 15 Prozent der chronisch Arbeitslosen, innerhalb von fünf Jahren wieder eine reguläre Beschäftigung zu finden. Als besonders wirksame beschäftigungsfördernde Maßnahmen nennt die Studie Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber, die Erwerbslose einstellen sowie die berufliche Weiterbildung der Arbeitslosen.

Mit dem Begriff der chronischen Arbeitslosigkeit werden Arbeitnehmer erfasst, die über Jahre zwischen Erwerbslosigkeit, Beschäftigungsmaßnahmen und befristeten Jobs pendeln, aber im ersten Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen können. Langzeitarbeitslosigkeit bezeichnet dagegen eine Erwerbslosigkeit von mehr als einem Jahr. Sie endet, sobald ein Erwerbsloser etwa an einer Maßnahme teilnimmt. Wenn er danach wieder arbeitslos ist, gilt er erst nach einem Jahr erneut als Langzeitarbeitsloser.

Bewegung bei chronisch Arbeitslosen

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen gibt daher keine genaue Auskunft darüber, wie viele Menschen schon über Jahre in der Arbeitslosigkeit feststecken. Die Gruppe der chronisch Arbeitslosen ist größer als der Langzeitarbeitslosen. Die IAB-Forscher haben sie erstmals statistisch erfasst und mit Zahlen aus Dänemark und Finnland verglichen. Die Ergebnisse weisen in zwei Richtungen: Die absolute Zahl der chronisch Arbeitslosen ist deutlich gesunken. Ihr Anteil an allen Arbeitslosen hat sich aber in allen drei Ländern erhöht und verfestigt.

In Deutschland ist die chronische Arbeitslosigkeit um das 1,4-fache höher als die Zahl der statistisch erfassten Langzeitarbeitslosen; in Dänemark um den Faktor 1,8, in Finnland sogar um das Dreifache. Der IAB-Studie zufolge sind gut ein Drittel (35-37 Prozent) aller Arbeitnehmer, die arbeitslos gemeldet sind oder an Beschäftigungsmaßnahmen teilnehmen, chronisch Arbeitslose. Sie finden höchstens Kurzzeit-Jobs und sind dann wieder arbeitslos.

Für jene Dauer-Erwerbslosen, die trotz aller Bemühungen auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chancen haben, empfehlen die IAB-Forscher öffentlich geförderte Beschäftigungsangebote. Ein Drittel der chronisch Arbeitslosen ist den Angaben der Studie zufolge schon zehn Jahre oder länger ohne Beschäftigung und wird keinen regulären Job mehr finden.

Bettina Markmeyer


Arbeit

Mit dem Druck der Quote bewegt sich der Frauenanteil in Führungspositionen




Angestellte mit Leitunsgaufgaben
epd-bild/Jens Schulze
Die Frauenquote hat die Aufsichtsräte großer Unternehmen verändert. Wo sie nicht gilt, ändert sich aber nach wie vor wenig. Wirtschaftsforscher mahnen die Unternehmen, sehen aber auch in der Familienpolitik Potenzial zur Frauenförderung.

Die gesetzliche Frauenquote wirkt - aber nur dort, wo sie gilt. Nach dem neuen "Managerinnenbarometer" des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) stieg der Anteil von weiblichem Spitzenpersonal in den Aufsichtsräten der größten Unternehmen in Deutschland auf durchschnittlich 30 Prozent an. Zwei Drittel der betroffenen Unternehmen erfüllten demnach Ende 2017 die gesetzliche Vorgabe, 30 Prozent oder mehr der Sitze mit Frauen zu besetzen, heißt es in der am 10. Januar in Berlin vorgestellten Studie.

Eine Signalwirkung auch auf andere Führungsgremien können die Autoren allerdings nicht feststellen. Wo keine Quote gilt - in Vorständen und Geschäftsführungen - herrscht demnach Stillstand bei der Berufung oder Beförderung von Frauen.

Ohne Frau bleibt der Stuhl leer

Die gesetzliche Quote gilt seit 2016 für große börsennotierte und mitbestimmungspflichtige Unternehmen. 105 Firmen unterlagen zum Zeitpunkt der Untersuchung dieser Regelung. Im Durchschnitt kommen sie auf den Frauenanteil von 30 Prozent in Aufsichtsräten, auch wenn ihn nicht alle erfüllen. Keines der Unternehmen hat einen Aufsichtsrat ganz ohne weibliche Vertreter - bei den Top-200-Unternehmen in Deutschland gilt das immerhin noch für 7,6 Prozent. Das Gesetz gibt vor, dass bei der Neubesetzung von Plätzen im Aufsichtsrat die Geschlechterquote berücksichtigt werden muss. Beruft das Unternehmen keine Frau, muss ein Stuhl leer bleiben.

Die Quote für Aufsichts- und Verwaltungsräte erfüllen auch die Unternehmen mit Bundesbeteiligung. Dort ist auch der Anteil von Frauen in Vorständen und Geschäftsführungen am höchsten. Ende 2017 lag er bei knapp 18 Prozent, ein Zuwachs von 2,4 Prozentpunkten. Bei den Unternehmen, für die die Quote im Aufsichtsrat gilt, lag er in den anderen Führungsgremien dagegen nur bei acht Prozent. In bestimmten Unternehmensgruppen, darunter Versicherungen, ging der Anteil von Frauen in Vorständen sogar zurück.

Die Quote wirke, lautete die Bilanz von Forschungsdirektorin Elke Holst. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass ohne Druck und drohende Sanktionen fast nichts vorangehe. Das DIW appellierte an Unternehmen, einen Pool geeigneter Kandidatinnen auch für andere Führungsgremien aufzubauen. Andernfalls liege es an der Politik, die bislang auf Freiwilligkeit beruhenden Regelungen für Frauen in Vorständen und Geschäftsführungen zu verschärfen.

Kampf gegen Geschlechterklischees

Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) hatte dies bereits im vergangenen Jahr angedroht. "Es kann schlicht nicht sein, dass sich Unternehmen auf Dauer eine Zielgröße von null setzen, was den Frauenanteil in Vorständen angeht", sagte sie am 10. Januar in Berlin. Sie erwarte, dass Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. "Wenn sich hier nichts ändert, besteht aus meiner Sicht Handlungsbedarf."

Für mindestens ebenso wichtig halten die DIW-Forscher den Kampf gegen Geschlechterklischees sowie politische Maßnahmen zur Frauenförderung. Holst sagte, bis heute definiere sich die Vorstellung, wie eine Führungskraft sein und arbeiten müsse, durch männliche Bilder.

Familienpolitische Maßnahmen der vergangenen Jahre werden begrüßt: Das Elterngeld mit den Vätermonaten führe dazu, dass sich soziale Normen änderten, sagte Studien-Mitautorin Katharina Wrohlich. Es wird derzeit 14 Monate gezahlt, wenn der Vater mindestens zwei Monate der Elternzeit übernimmt. Die DIW-Studie regt an, die Vätermonate auszuweiten. Wrohlich verwies auf Island, wo die 15 Monate Elternzeit gedrittelt werden - fünf Monate für jeden Partner, die restlichen fünf aufgeteilt.

Island gehört mit einem Frauenanteil von 43 Prozent in den Entscheidungsgremien der großen Unternehmen neben Frankreich zu den Spitzenreitern bei der Berufung weiblicher Spitzenkräfte in Europa. Deutschland landet in dieser Statistik mit 32 Prozent auf Platz fünf.

Corinna Buschow


Gesundheit

Expertin: Krankenversicherung in Frankreich solidarischer




Renate Reiter
epd-bild/Christian Hüller
Frankreich hat nach Einschätzung der Politikwissenschaftlerin Renate Reiter mit einer Art Bürgerversicherung ein solidarischer finanziertes Gesundheitssystem als Deutschland.

In Frankreich gebe es eine für alle verbindliche Krankenversicherung, der sich Selbstständige und Beamte nicht wie hierzulande einfach entziehen könnten, sagte Reiter dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zudem werde eine Sozialversicherungssteuer erhoben, die auch auf Kapitaleinkünfte fällig sei.

Die Leipziger Wissenschaftlerin betonte aber, dass die französische Grundversicherung nur rund 70 Prozent der Behandlungskosten bezahlt und deshalb fast alle Franzosen private Zusatzversicherungen abschließen. Zudem müssten die meisten Patienten in Vorleistung treten und sich das Geld später von den Versicherungen zurückholen. "Das ist für Kranke schlechter organisiert als in Deutschland", sagte sie.

"System ein Stück weit egalitärer"

Der Leistungskatalog der verbindlichen Grundversorgung umfasst der Politologin zufolge allerdings anders als in Deutschland auch Zahnersatz und Sehhilfen. Zudem bekämen insbesondere Arbeitslose und Geringverdiener staatliche Zuschüsse zum Abschluss einer privaten Zusatzversicherung, die bis zu 100 Prozent betragen könnten, erläuterte die Leiterin eines deutsch-französischen Forschungsprojekts zur Krankenversorgung.

Deutschland und Frankreich geben nach Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vergleichbar viel für ihre Gesundheitssysteme aus, nämlich jeweils etwa elf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts. In Frankreich wird das meiste Geld zwar ebenfalls zum Großteil aus Beitragsmitteln aufgebracht, zum Teil aber auch über die Sozialversicherungssteuer CSG, die Lohn und Gehalt mit 7,5 Prozent und Kapitaleinkünfte mit 8,2 Prozent besteuert. Der Arbeitgeberanteil beträgt knapp 13 Prozent des Bruttolohns. Reiter betonte, dass die CSG nicht nur die Kranken-, sondern auch die anderen Sozialversicherungszweige mitfinanziert.

"Es gibt in Frankreich nicht wie in Deutschland diese Möglichkeiten für Besserverdiener und bestimmte Statusgruppen wie Beamte, sich aus der gesetzlichen Krankenversicherung zu verabschieden", sagte die Politologin. Das sei solidarischer. "Zudem hat die Umstellung auf die Sozialversicherungssteuer in den 90er-Jahren das System ein Stück weit egalitärer gemacht." Allerdings könnten sich Gutverdienende bessere Zusatzversicherungen leisten, was neue Ungerechtigkeiten schaffe.

Reiter widersprach der Einschätzung, dass die Umstellung auf eine Bürgerversorgung in Deutschland wegen mangelnder Innovationsreize zu einem insgesamt sinkenden Leistungsniveau führe.

Uwe Gepp


Sucht

WHO: Computerspielsucht ist eine Krankheit



Computerspielsucht soll nach dem Willen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) künftig offiziell als Krankheit gelten. Das sieht der Entwurf neuer Richtlinien vor, den die WHO am 5. Januar in Genf vorgestellt hat. Als computerspielsüchtig gälten demnach all jene, die mit dem Spielen nicht mehr selbst aufhören könnten und das Spielen am Computer über andere Interessen stellten, auch wenn dies schwerwiegende soziale, berufliche oder familiäre Folgen hat.

Die 11. Auflage der "Internationale Klassifikation von Krankheiten" (ICD), in der die Computerspielsucht verankert werden soll, wird unter Federführung der WHO erarbeitet und soll im Mai beschlossen werden. Ärzte in Deutschland erstellen auf Grundlage der ICD ihre Diagnosen und Abrechnungen. Damit hätte der Beschluss direkte Auswirkungen auf die Anerkennung von Computerspielsucht als Krankheit auch in Deutschland.

Die Aufnahme der neuen Krankheit in die ICD folgt der Entwicklung von geeigneten Therapien überall auf der Welt. Die Organisation erhofft sich davon mehr Aufmerksamkeit bei Diagnose und Behandlung.

Die WHO erklärte, tatsächlich sei nur ein kleiner Teil der Computerspieler tatsächlich von einer Sucht betroffen. Dennoch solle sich jeder, der am Computer spiele, der Risiken bewusst sein, die Zeit vor dem Computer einschränken und auf mögliche Symptome achten.



Niedersachsen

Land sucht neuen Namen für Schwerbehindertenausweis



Das Land Niedersachsen will mit einem Kreativ-Wettbewerb einen neuen Namen auf der Hülle von Schwerbehindertenausweisen finden. Hintergrund der Aktion ist der Fall der 14-jährigen Hannah aus dem schleswig-holsteinischen Pinneberg, wie ein Sprecher des niedersächsischen Sozialministeriums am 10. Januar in Hannover sagte. Das Mädchen mit Down-Syndrom hatte im vergangenen Jahr aus ihrem Schwerbehindertenausweis einen "Schwer-in-Ordnung-Ausweis" gebastelt, weil sie sich diskriminiert fühlte.

Hannah habe einen wichtigen Denkanstoß gegeben, sagte Sozialministerin Carola Reimann (SPD). Die Bezeichnung "Schwerbehindertenausweis" stelle die vermeintlichen Defizite in den Vordergrund. "Das widerspricht dem Gedanken von Inklusion. Wir müssen die Barrieren in den Köpfen wegbekommen, und das fängt auch bei der Änderung von Bezeichnungen an, die aus- oder abgrenzen." Allerdings lasse sich der Ausweis selbst nicht einfach umbenennen, schränkte die Ministerin ein. Name und Aussehen seien bundesrechtlich geregelt. Beim Versorgungsamt Hamburg können Antragsteller zu ihren Ausweisen inzwischen bereits jetzt eine Hülle mit dem Aufdruck "Schwer-in-Ordnung-Ausweis" erhalten.



Integration

Berlin plant neues Konzept für Flüchtlinge



Der Berliner Senat will im Frühjahr 2018 einen neuen Plan zur Flüchtlingsintegration vorlegen. Geplant sei, ein Gesamtkonzept zur Partizipation und Integration Geflüchteter, sagte Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Beteiligt seien daran auch andere Senatsverwaltungen und Bezirke. Schwerpunktmäßig gehe es um den Zugang zu Arbeit und Ausbildung für Geflüchtete, die schulische Betreuung sowie die gesundheitliche Versorgung.

In das neue Partizipations- und Integrationskonzept solle auch die Arbeit der Wohlfahrtsverbände sowie privater Flüchtlingsunterstützer und -initiativen einfließen. "Wir wollen am Ende ein Gesamtkonzept zur Unterstützung geflüchteter Menschen haben. Ziel ist, dass Geflüchtete ganz normale Berlinerinnen und Berliner werden und sich hier ein eigenständiges Leben aufbauen können", sagte Breitenbach.

Eine wichtige Voraussetzung sei dafür eine eigene Wohnung. Breitenbach verwies darauf, dass das Land Berlin über die bislang geplanten Tempohomes keine weiten Containerunterkünfte kaufen und bauen lassen wolle. Stattdessen werde der rot-rot-grüne Senat 30 sogenannte MUF`s (Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge in Plattenbauweise) errichten, in denen rund 12.000 Menschen unterkommen könnten. Diese Unterkünfte in Wohnungs- und Appartementstruktur sollen nach rund drei Jahren auch von anderen Berlinerinnen und Berlinern bezogen werden können.



Armut

Berlin will Obdachlosigkeit eindämmen



Berlin will stärker gegen die Wohnungs- und Obdachlosigkeit in der Stadt vorgehen. Eine erste gesamtstädtische Strategiekonferenz zum Thema Wohnungslosigkeit habe bereits einige konkrete Ergebnisse gebracht, sagte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) am 10. Januar. So sollen etwa künftig verstärkt für Flüchtlinge errichtete Wohncontainer auch zur Unterbringung von Wohnungs- und Obdachlosen genutzt werden.

Wie Breitenbach weiter sagte, sollen die Obdachlosen in der Stadt zudem statistisch erfasst und gezählt werden, weil es bislang keine verlässliche Zahlen dazu gibt. Mit einer ersten Zählung, die auch eine Straßenzählung beinhaltet, soll 2019 begonnen werden. Weiterhin sollen die städtischen und freien Wohnungsunternehmen stärker eingebunden werden, preisgünstigen Wohnraum zu schaffen oder zur Verfügung zu stellen.

Der Senat plane in den kommenden Jahren weitere 30 modulare Unterkünfte mit 250 bis 450 Plätzen zu errichten, sagte Breitenbach. Diese müssten nach derzeit geltenden Recht in den ersten drei Jahren von Flüchtlingen bewohnt werden. Danach wäre auch eine Umnutzung möglich.



Arbeit

Baden-württembergische Betriebe helfen bei der Integration



Baden-württembergische Unternehmen tragen viel zur gesellschaftlichen Integration bei. Sie stellen häufiger als im Bundesdurchschnitt Langzeitarbeitslose und ausländische Arbeitskräfte ein, teilte die Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit am 9. Januar in Stuttgart mit. In baden-württembergischen Betrieben arbeiteten 22 Prozent aller in Deutschland beschäftigten ausländischen Staatsangehörigen, hieß es.

Nach einer Studie des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung beschäftigen vor allem große Betriebe ausländische Praktikanten, Trainees und Auszubildende. Zudem seien baden-württembergische Betriebe eher bereit als der Durchschnitt, Langzeitarbeitslose einzustellen. Sie setzten mehr auf den persönlichen Eindruck als auf den Lebenslauf.




sozial-Branche

Flüchtlinge

Freiwilligendienst

Junge Syrerin ein "Schatz" für die Kirchengemeinde




Die 24-jährige Lara Scheikh Mohammad in der Seniorengruppe der evangelischen Kirchengemeinde Bremen-Walle
Nach einer gefährlichen Flucht in einem überfüllten Schlepperboot übers Mittelmeer kam die junge Syrerin Lara Scheikh Mohammad nach Bremen. Soziale Arbeit hilft ihr bei der Integration. Was ihre Zukunft angeht, so hat sie genaue Pläne.

Lachen, herzliche Umarmungen wie unter alten Freunden und ein großes Hallo für jeden, der in den Raum kommt: Lara fühlt sich sichtlich wohl in der Seniorengruppe, die sich jeden Mittwochmittag im Zentrum der evangelischen Kirchengemeinde Bremen-Walle zum gemeinsamen Kochen, Essen und anschließendem Sitztanz trifft. Man ist per Du mit der jungen Frau aus Syrien, die mit ihrem offenen Lachen immer wieder Mittelpunkt des Gespräches ist. Für fünf Monate macht Lara Scheikh Mohammad ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in der Kirchengemeinde.

Abwechslungsreiche Aufgabe in der Gemeinde

"Die Seniorengruppe ist einer meiner Lieblingstermine", sagt die 24-Jährige, die nach drei Jahren fast perfekt Deutsch spricht. "Die Aufgabe ist abwechslungsreich, was mir entgegenkommt, weil ich Routine hasse. Ich helfe im Büro und unterstütze den Hausmeister, verteile Plakate und helfe bei der Arbeit mit Kindern."

Eine Freundin brachte Lara auf die Idee, ein freiwilliges Jahr zu machen. "Ich wollte die deutsche Kultur und den Alltag der Menschen besser kennenlernen. Außerdem kann ich etwas Hilfreiches für die Gesellschaft tun, die mich hier in Deutschland unterstützt." In der Gemeinde könne sie ihre Sprachkenntnisse eher verbessern als beim Kellnern.

2014 ist Lara vor dem Bürgerkrieg aus ihrer Heimat in Damaskus zunächst in den Libanon, dann weiter nach Libyen geflohen. Nach einer gefährlichen Überfahrt mit einem kleinen, überfüllten Schlepperboot übers Mittelmeer kam sie am Ende nach Bremen. Der Bruder von Laras Mann lebte bereits hier. "Wir wollten zusammen sein, und das hat glücklicherweise geklappt."

Zurück, aber in ein freies Syrien

Nach einem halben Jahr hielt sie ihren Aufenthaltstitel in Händen - endlich in Sicherheit. Doch Lara denkt oft an ihre Heimat. "Ich möchte auf jeden Fall zurück, aber in ein demokratisches, freies und offenes Syrien. In Zukunft braucht das Land gut ausgebildete Leute für den Wiederaufbau."

Seit sie in Deutschland ist, muss sie sich durchbeißen. "Am Anfang hat alles sehr lange gedauert. Meinen Aufenthaltstitel hatte ich schnell, habe dann aber ein halbes Jahr auf meinen ersten Integrationskurs gewartet. Mein Mann Hassan und ich haben monatelang selber Kurse gesucht und nachgefragt, bis es schließlich geklappt hat."

Integration braucht beide Seiten, die Flüchtlinge und die Deutschen, ist Lara überzeugt: "Wer aus einer anderen Kultur kommt, kann sich hier einleben und anpassen. Man trägt als Flüchtling die eigene Herkunft weiter in sich, und die sollte durch Integration nicht zerstört werden. Richtige Integration bedeutet, dass sich auch die Deutschen öffnen und andere Kulturen kennenlernen und zulassen."

"Schade, dass du bald gehst"

"Schade, dass du schon so bald gehst", ist nach dem Sitztanz oft zu hören, denn nur noch bis Ende Januar ist Zeit, mit der syrischen FSJlerin zu klönen und Spaß miteinander zu haben. Auch Gemeindepastorin Sabine Kurth bedauert das, denn Laras FSJ sei ein Volltreffer für beide Seiten: "Hier treffen sich nicht Kulturen oder Religionen, hier treffen einfach Menschen aufeinander." Sich so persönlich kennenzulernen sei der beste Weg, Vorurteile abzubauen. "Lara ist ein Schatz für uns."

Für ihre Zukunft hat Lara genaue Pläne. Sie möchte Psychologie studieren und hofft, dass ihr Mann in Deutschland bald als Zahnarzt arbeiten kann. "Ich weiß, das ist schwierig. Aber ich will versuchen, einen Studienplatz zu bekommen." Das Abi aus Syrien und die nötigen Deutschkenntnisse bringt sie mit. Zum Sommersemester soll es losgehen. "Ich muss mich an verschiedenen Universitäten bewerben und hoffe, es klappt."

Matthias Dembski


Behinderung

Taubblind: In einer stillen, dunklen Welt




Der taubblinde Patrick Radecke (re.) zeigt seinem Gruppenleiter Martin Seeberger den von ihm angefertigten Wochenplan.
epd-bild/Pat Christ
Sie erkennen nichts oder fast nichts. Und sie hören kaum oder gar nichts. "Taubblind" nennt man diese Personen. In Deutschland leben nach Schätzungen 9.000 taubblinde Menschen.

Das ist in der Bevölkerung nahezu unbekannt: Dass es Menschen gibt, die sich die Welt weder mit ihren Augen noch mit ihren Ohren erschließen können. Wie es Taubblinden möglich ist, sich zu verständigen, das können sich sehende und hörende Menschen kaum vorstellen. Dabei verfügen die Betroffenen über ein breites Spektrum an Kommunikationsmöglichkeiten.

Im 1967 gegründeten Deutschen Taubblindenwerk Hannover tauschen sich Bewohner, die über einen Sehrest verfügen, zum Beispiel über die Deutsche Gebärdensprache untereinander oder mit sehenden Beschäftigten aus. "Verliert ein Tauber seine Sehkraft, dann hat er immer noch den visuellen Eindruck der Gebärden", erläutert Sebastian Öhl vom Taubblindenwerk. Nach der Erblindung findet die Kommunikation dann über das sogenannte "Taktile Gebärden" statt: "Die Gebärden werden dabei über das Berühren der Hände 'gelesen'." Bei der Kommunikationsart "Lormen" für Taubblinde werden verschiedene Kontaktpunkte in der Handinnenfläche Buchstaben zugeordnet. Ein lormender Taubblinder buchstabiert seinem Gegenüber das, was er sagen möchte, sozusagen in die Hand hinein.

Zur Sinnesbehinderung kommt ein geistiges Handicap

Wenige Jahre, nachdem die Einrichtung in Hannover begonnen hatte, Taubblinde zu beschulen, fing auch das Würzburger Blindeninstitut an, mehrbachbehinderte, blinde Kinder zu unterrichten. "Irgendwann entdeckten wir, dass einige unserer Schüler nicht nur nichts sehen, sondern auch nichts oder fast nichts hören", erinnert sich Hans Neugebauer, ehemaliger Direktor. Die Stiftung begann daraufhin, eine Abteilung für taubblinde Menschen aufzubauen.

Heute leben 80 Betroffene im Blindeninstitut. Einer von ihnen ist Patrick Radecke. Der 34-Jährige kann überhaupt nichts hören, verfügt aber noch über einen Sehrest. Zu seiner ausgeprägten Sinnesbehinderung kommt ein geistiges Handicap.

Mit sechs Jahren kam Radecke in die Würzburger Einrichtung. "Seine Eltern verließen die DDR kurz vor der Wende", erzählt sein langjähriger Betreuer Martin Seeberger. Vollgepumpt mit Medikamenten sei Patrick angekommen. Der Stempel "unbildbar" haftete ihm an. In einem mühsamen Prozess gelang es, die Medikamente abzusetzen. Dass Patrick Beruhigungsmittel bekam, lag an seiner Aggressivität. Die Unfähigkeit, gegenüber einem sehenden und hörenden Umfeld Wünsche und Abneigungen auszudrücken, erzeugte in Patrick immense Spannungen.

Repertoire von 300 Gebärden

Das Blindeninstitut bewies, dass Patrick Radecke trotz Taubblindheit und kognitiver Beeinträchtigung sehr wohl "bildbar" ist. Heute macht sich der junge Mann mit 300 Gebärden verständlich. Für vieles, was ihm im Alltag begegnet, hat er ein Symbol gefunden. Sein Therapeut Seeberger zum Beispiel ist für ihn die "Jacke". "Das liegt daran, dass ich früher immer mit einem Jäckchen in die Gruppe kam", schmunzelt der Pädagoge. Noch heute macht er die Geste "Jacke anhaben", wenn er Patrick besucht und sich ihm vorstellt.

Was Patrick Radecke in den vergangenen knapp 30 Jahren gelernt hat, ist für Johannes Spielmann, der das Blindeninstitut heute leitet, ganz erstaunlich: "Er geht inzwischen alleine zum Bäcker." Das tut Radecke, wie fast alles, was er unternimmt, nach einem akribischen Plan, den er verinnerlicht hat. Macht er sich mit seinem weißen Blindenstock auf den Weg zum Brötchenholen, ist er voll und ganz auf dieses Tun konzentriert. Besser, man spricht ihn dann nicht an, um ihn nicht aus dem Konzept zu bringen.

"Was Taubblinde vor allem einschränkt, ist ihre behinderungsbedingte Isolation", sagt Sebastian Öhl vom Deutschen Taubblindenwerk in Hannover. In der Einrichtung werden aktuell 79 Kinder und Jugendliche beschult. Ein Teil der jungen Menschen lebt im einrichtungseigenen Internat. In der Abteilung für Erwachsene wohnen 60 Taubblinde zwischen 20 und fast 90 Jahren.

Starke Verhaltensauffälligkeiten"

Auch in Hannover sind laut Öhl nicht alle Bewohner vollständig taub und blind: "Die doppelte Sinnesbehinderung gibt es in jedweder Facette." Eine ausgeprägte Hör- und Sehbehinderung ist nach seinen Worten im Alltag jedoch oft gleich bedeutend mit einer Taubblindheit. Zu beobachten sei, dass immer weniger Bewohner "nur" eine doppelte Sinnesbehinderung haben: "Wir sehen immer öfter eine Kombination mit kognitiven Beeinträchtigungen, psychischen Krankheiten und komplexen Behinderungen.

Diese Erfahrung macht auch das diakonische Oberlinhaus in Potsdam, das seit 130 Jahren taubblinde Menschen unterstützt. Die 47 Taubblinden, die in sechs Wohngruppen leben, sind unterschiedlich stark behindert. "Das reicht von der leichten Beeinträchtigung der Sinnesorgane bis hin zum kompletten Verlust des Hör- und zugleich des Sehorgans", erläutert die Heilpädagogin Patricia Gerasch. Häufig haben auch hier Taubblinde eine geistige Behinderung.

"Zu den Behinderungen kommen oft starke Verhaltensauffälligkeiten", sagt Gerasch. Viele Taubblinde sind aggressiv sich selbst oder anderen Menschen gegenüber. Das liegt laut Gerasch unter anderem am Frust darüber, dass sie sich aufgrund ihrer starken Einschränkungen kaum "Gehör verschaffen" können."

Pat Christ


Wohlfahrtsverband

Diakonie startet Kampagne gegen Ausgrenzung




Diakonie startet Kampagne gegen Ausgrenzung
epd-bild/Rolf Zöllner
Die Diakonie Deutschland mischt sich mit einer neuen Image-Kampagne in die öffentliche Debatte ein und scheut auch Irritationen nicht. Sie will Menschen eine Stimme geben, die unbeachtet sind oder sich so fühlen - Obdachlosen und AfD-Wählern.

Die Diakonie Deutschland startet eine Kampagne für mehr Zusammenhalt und geht dabei neue Wege. Unter dem Motto "Unerhört!" will sie an den Rand gedrängten Menschen eine Stimme geben. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie stellte die auf drei Jahre angelegte Werbe-Aktion am 10. Januar in Berlin vor. Zuhören statt Empörung stehe im Zentrum, sagte Lilie. Dafür stehe das Motto "Unerhört!". Die wohlfeile, häufig medial verstärkte Empörung stehe dem wirklichen Interesse an anderen Menschen oder Meinungen häufig im Weg.

"Wir sollten nicht zu vorsichtig sein"

Die Kampagne startet im laufenden Monat zunächst mit Groß-Plakaten und einem Internetauftritt zu den Themen Flüchtlinge und Obdachlose. Später soll es um weitere benachteiligte oder sich benachteiligt fühlende Gruppen gehen. Auch "Unerhört! Diese AfD-Wähler" sei als Plakatmotiv in Planung, sagte Lilie. Man wolle damit durchaus für Irritationen sorgen. Sehr viele Menschen hätten inzwischen das Gefühl, mit ihren Biografien nicht mehr dazuzugehören und für die Politik keine Rolle zu spielen. Auch ihnen müsse zugehört werden.

Lilie plädierte für ein "großes Maß an Gelassenheit, Unerschrockenheit und Geradlinigkeit" im Umgang mit dem rechten Populismus. Es gebe rote Linien im Umgang, aber man könne die aktuellen Entwicklungen nicht ausblenden und sich nur in seinen eigenen Kommunikations-Blasen bewegen, sagte der Diakonie-Chef. Alle großen Institutionen, die Kirchen, Gewerkschaften oder Parteien stünden gegenwärtig vor den gleichen Herausforderungen, sagte Lilie: "Wir sollten nicht zu vorsichtig sein."

"Unerhört!"-Diskussionsveranstaltungen geplant

Auf der Internet-Seite zur Kampagne sollen künftig Menschen mit ihren eigenen Geschichten und Biografien zu Wort kommen. Die Landesverbände können die Kampagne und ihre Motive übernehmen. Außerdem plane die Diakonie öffentliche "Unerhört!"-Diskussionsveranstaltungen, teilte der Leiter Kommunikation der Diakonie, Thomas Schiller, mit. Die Kampagne kostet seinen Angaben zufolge 350.000 Euro und liegt damit im Budgetrahmen früherer Image-Kampagnen des Verbandes. Entworfen wurde sie in Zusammenarbeit mit der Agentur "ButterBerlin", die auch Wahlkampf-Plakate für die SPD und Werbung für "Aktion Mensch" gemacht hat.

Die Diakonie Deutschland ist der Bundesverband der Diakonischen Werke der evangelischen Landes- und Freikirchen sowie von Fachverbänden. Zur Diakonie gehören nach Angaben des Bundesverbandes etwa 31.500 stationäre und ambulante Dienste wie Pflegeheime, Krankenhäuser, Kindertagesstätten und Sozialstationen mit 525.000 Mitarbeitern und etwa 700.000 ehrenamtlichen Helfern.

Bettina Markmeyer


Wohlfahrtsverband

Caritas schlägt wegen Wohnungsnot Alarm




Demonstration gegen Wohnungsnot in Bremen
epd-bild/Alasdair Jardine
Bezahlbare Mietwohnungen tun not: Für immer mehr Menschen in Ballungsgebieten wird Wohnraum zur Mangelware. Die Caritas sieht darin Sprengstoff für die Gesellschaft und fordert Konsequenzen.

Der katholische Caritasverband schlägt Alarm: Angesichts einer zunehmenden Wohnungsnot forderte Caritas-Präsident Peter Neher am 10. Januar in Berlin die Politik zum Handeln auf. Besonders die Kommunen seien gefordert. Von einer neuen Bundesregierung erhoffe er sich, dass sie Rahmenbedingungen für eine Ankurbelung des sozialen Wohnungsbaus setzt, auch wenn die gesetzliche Verantwortung für dessen Förderung ab 2020 bei den Ländern liege, erklärte Neher. Anlass war der Auftakt der Caritas-Kampagne "Jeder Mensch braucht ein Zuhause".

Bezahlbarer Wohnraum sei mittlerweile Mangelware, führte Neher aus: "Das Problem hat die Mitte der Gesellschaft erreicht." Städte und Gemeinden seien jetzt als zentrale Akteure in der Wohnungspolitik gefragt. Kommunen besäßen mit dem Bauplanungsrecht "ein starkes Instrument, mit dem sie bestimmen können, wo, wie und was gebaut wird".

"Gesellschaftspolitisches Konfliktpotenzial"

Neher sieht in der zunehmenden Wohnungsnot ein "gesellschaftspolitisches Konfliktpotenzial". Wenn die Zusammensetzung von Stadtquartieren zunehmend durch den Geldbeutel bestimmt werde, führe dies zu einem Auseinanderdriften von Milieus und schwäche den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Dabei stützt sich Neher auf eine repräsentative telefonische Umfrage im Auftrag der Caritas vom November vergangenen Jahres unter rund 1.000 Erwachsenen in Deutschland. Danach gehört bezahlbares Wohnen neben Pflege, Kinderarmut und Alterssicherung zu den drängendsten politischen Themen.

Als Folgen hoher Wohnkosten erwarteten mehr als drei Viertel der Befragten ein erhebliches Armutsrisiko, die Beeinträchtigung der Entwicklungschancen von Kindern, die räumliche Trennung von Arm und Reich sowie die Gefahr, wohnungslos zu werden. Bei der Frage, welche Maßnahmen die Politik ergreifen soll, finde die Förderung des sozialen Wohnungsbaus (84 Prozent), die Bereitstellung preiswerter Wohnungen für benachteiligte Personen und die Förderung von Wohnungsgenossenschaften (beide 80 Prozent) eine deutliche Zustimmung.

Wohnungen fallen aus der Sozialbindung

Ein wesentlicher Grund für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum sei der Verlust sozial gebundener Wohnungen, sagte der Caritas-Chef. So habe die Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit Anfang der 1990er Jahre dazu geführt, dass mehr als zwei Millionen Wohnungen vor allem aus kommunalem Eigentum, Betriebswohnungen sowie Bundes- und Landesimmobilien verkauft wurden: "Gab es im Jahr 1987 noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland, waren es 2015 nur noch 1,3 Millionen Wohnungen. Jedes Jahr fallen weitere 40.000 bis 60.000 Wohnungen aus der Sozialbindung."

Neher unterstrich, Kommunen hätten über ihre Wohnungsunternehmen eine unmittelbare Steuerungsmöglichkeit, um günstigen Wohnraum zu erhalten oder zu schaffen. Ziel kommunaler Wohnungsgesellschaften sollte nicht größtmöglicher Gewinn sein, sondern günstiger Wohnraum auch für Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkommen. Auch kirchliche Immobilenbesitzer sieht der Caritas-Chef in der Pflicht.

Lukas Philippi


Kirchen

Diakoniepfarrer Bähr lehnt generelle Alterstests für Flüchtlinge ab



Das Tötungsdelikt an einem 15-jährigen Mädchen im pfälzischen Kandel durch einen mutmaßlichen afghanischen Täter löste Entsetzen und auch Forderungen nach neuen Gesetzen aus. Generelle Alterstests für junge Flüchtlinge stoßen sowohl bei der Diakonie in der Pfalz als auch beim Rechtsexperten Jochen Taupitz auf Ablehnung.

Der Sprecher der Diakonischen Werke in Rheinland-Pfalz, Albrecht Bähr, hat sich gegen generelle Alterstests für junge Flüchtlinge ausgesprochen. In besonderen Einzelfällen, wie bei Verbrechen, seien medizinische Überprüfungen jedoch notwendig, sagte der pfälzische Diakoniepfarrer dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Speyer. Der Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, Jochen Taupitz, sieht nach dem Tötungsdelikt in Kandel in der Pfalz keinen gesetzlichen Handlungsbedarf.

Für Bähr ist es selbstverständlich, dass der dringend tatverdächtige Flüchtling, der im südpfälzischen Kandel eine 15-Jährige erstochen haben soll, auf sein Alter hin untersucht werde. Der Afghane war ohne Ausweispapiere nach Deutschland eingereist und gibt sein Alter mit 15 Jahren an, daran sind Zweifel laut geworden. Die Staatsanwaltschaft Landau will nun mit Hilfe eines medizinischen Gutachtens das Alter des Tatverdächtigen klären lassen.

"Kein höherer Schutz durch Altersschätzung"

Der Mannheimer Rechtsprofessor Taupitz sagte dem epd: "Eine frühe Altersschätzung kann niemanden schützen. Denn an die Altersschätzung knüpfen sich ja keine Konsequenzen wie Einsperren, dauerhafte Überwachung oder Ähnliches." Eine frühe Altersschätzung könne lediglich Fragen beantworten, welche Vorschriften etwa in einem behördlichen Verfahren einschlägig sind, ob das Jugendamt für die Sorge um die Person zuständig ist und ob besondere Leistungen, die Minderjährigen zustehen, gewährt werden.

Diakoniesprecher Bähr appellierte zu mehr Ruhe bei der Diskussion um den Zuzug von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. In Rheinland-Pfalz gehe deren Zahl eher zurück, es gebe Einrichtungen, die wieder über freie Plätze für deren Aufnahme verfügten. Ziel müsse es nun sein, die jungen Menschen besser in die Gesellschaft zu integrieren.

Bähr kritisierte, dass die rheinland-pfälzische Landesregierung bisher keinen klaren Plan für die Integration junger Flüchtlinge habe. Auch wie die Regelversorgung nach der Phase der Erstaufnahme gestaltet und finanziert werden solle, sei nicht eindeutig geregelt. Die Träger von Einrichtungen der Flüchtlingshilfe wie die Diakonie benötigten dringend mehr staatliche Unterstützung. "Die Probleme sind groß, werden größer und wir haben nicht genügend Ressourcen", sagte der Diakonie-Experte. Wenn nicht mehr in die Betreuung und Bildung junger Flüchtlinge investiert werde, drohten sie später zu Sozialhilfeempfängern zu werden.

Alexander Lang, Markus Jantzer


Migration

Diakonie-Experte: Integration von Flüchtlingen steht erst am Anfang




Integrationskurs an der VHS Köln
Jörn Neumann
Nordrhein-Westfalen steht bei der Integration von Flüchtlingen und Zugewanderten nach Ansicht des Diakonie-Experten Dietrich Eckeberg erst am Anfang.

"Die eigentliche Herausforderung, nämlich die Integration von drei Vierteln der rund 400.000 Flüchtlinge, die dauerhaft oder auf längere Zeit hier leben werden, liegt noch vor uns", sagte der Referent für Flüchtlingsarbeit und junge Zugewanderte der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe am 9. Januar dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Münster.

Der unter Rot-Grün gestartete Integrationsplan NRW, der nun unter der schwarz-gelben Landesregierung mit einem eigenen Integrationsministerium fortgeführt wird, müsse daher weiterentwickelt werden, mahnte Eckeberg. Der Integrationsplan, der viele wichtige Instrumente wie den Stellenaufbau bei Weiterbildungskollegs oder bei den Kommunalen Integrationszentren enthalte, müsse nun verstärkt die Integration der vielen jungen Menschen in den Blick nehmen, sagte er.

"Zwei Drittel sind unter 27 Jahre alt", unterstrich Eckeberg. Bei ihnen gebe es viel Nachholbedarf in schulischer Bildung, aber auch viel Potenzial. Ein erweitertes Anrecht auf Schulbesuch auch über das Ende der Schulpflicht hinaus, finanzielle Unterstützungsleistungen während einer Qualifikationsmaßnahme sowie besondere Angebote von Berufskollegs seien Stichworte, wie der Integrationsplan weitergedacht werden könnte.

"Es fehlt eine frühzeitige Potenzialanalyse bei den Flüchtlingen", kritisiert Eckeberg und regt die Schaffung eines neuen Aufnahme- und Integrationsmanagements im Integrationsministerium an, das Vorqualifizierungen und Lebensbedingungen analysiert. Zu oft scheitere die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung nicht an den Fähigkeiten, sondern etwa an der fehlenden Sicherung des Lebensunterhaltes, erläuterte er. "Die Aufnahme und Integration der Menschen müssen zusammen gestaltet und interdisziplinär gedacht werden."

Eckeberg appellierte an die Landesregierung, sich auch mit der "Integrationshürde Wartezeit" auseinanderzusetzen und auf Verbesserungen bei der Qualität der Asylverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hinzuwirken. Die Fehleranfälligkeit der Asyl-Entscheidungen sei hoch, kritisierte er. Und während des Anerkennungsverfahrens bestünden keine oder nur eingeschränkte Zugänge zu Sprachkursen und anderen Maßnahmen. Der Integrationsplan NRW sollte nach Ansicht von Eckeberg außer Flüchtlingen auch EU-Migranten aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien einbeziehen.

Gabriele Fritz


Sterbebegleitung

"Nicht genug Ehrenamtliche für Hospizdienste"



Der Einsatz von Ehrenamtlichen bei der Begleitung sterbender Menschen ist nach Ansicht der Deutschen Stiftung Patientenschutz an seine Grenzen gekommen. Vorstand Eugen Brysch forderte am 9. Januar in Berlin mehr professionelle und mobile Palliativteams. Das Potenzial an Freiwilligen sei offenbar ausgeschöpft, erklärte Brysch und verlangte von der künftigen Bundesregierung ein Konzept, jedem Sterbenden die Fürsorge zu garantieren, die er brauche. Die freiwilligen Helfer leisteten eine wertvolle Hilfe, erreichten aber nur fünf Prozent der Sterbenden, sagte er.

Die Patientenschutz-Stiftung nahm die jüngsten Zahlen des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) zum Anlass für ihre Forderung nach mehr professionellen Palliativteams. Danach hat sich die Zahl der Hospizdienste kaum erhöht - von 893 im Jahr 2016 auf 913 im vergangenen Jahr -, obwohl die finanzielle Förderung der Dienste seit 2016 ausgeweitet wurde. Die Krankenkassen fördern die häusliche Begleitung sterbenskranker Menschen durch Hospizdienste mit Zuschüssen zu den Personalkosten, Fahrt- und Sachkosten sowie zur Qualifizierung ehrenamtlicher Mitarbeiter.

Nach Angaben des Ersatzkassenverbandes gibt es bundesweit rund 40.000 Ehrenamtliche, die 2016 etwa 53.000 sterbende Patienten begleiteten. Insgesamt haben die Krankenkassen die Hospizdienste 2017 mit 76 Millionen Euro unterstützt, die Ersatzkassen zahlten mit 28 Millionen den größten Anteil. Die Begleitung durch stationäre Hospize und ambulante Hospizdienste ist für Versicherte kostenlos.



Vergütung

Mehr Geld für Berliner Pflegekräfte



Die Pflegekräfte der ambulanten Pflegedienste in Berlin erhalten mehr Lohn. Darauf haben sich die Pflegekassen, die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sowie die Arbeitsgemeinschaft Ambulante Pflege in ihren Verhandlungen geeinigt, wie die AOK Nordost am 9. Januar in Berlin mitteilte. Ab kommenden März steigt demnach die Vergütung für ambulante Pflegeleistungen um bis zu sechs Prozent. Den mehr als 600 ambulanten Pflegediensten im Land Berlin werde die höhere Vergütung von den Pflegekassen und Sozialämtern in Berlin aber nur gezahlt, wenn sie den Großteil der Erhöhung ihren Pflegekräften als Gehaltsplus weitergeben, hieß es.

Für das gesamte Jahr 2018 bedeute dies eine Lohnerhöhung von 5,78 Prozent. Die ausgehandelte Regelung biete den Pflegediensten Spielraum für Lohnerhöhungen, ersetze aber keinen Tarifvertrag oder vergleichbare Regelungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, hieß es weiter.

Berlins Pflegesenatorin Dilek Kolat (SPD) erklärte, dies sei ein erster Schritt zu einer besseren Bezahlung von Pflegekräften. "Eine angemessene Vergütung ist auch im Interesse der Arbeitgeber, denn nur so kann die Attraktivität der Pflege verbessert werden." Berlin werde genau darauf achten, "dass diese Erhöhungen tatsächlich bei den Beschäftigten ankommen". Sie wünsche sich aber auch mehr Tarifverträge in der Pflege, um den Beruf nachhaltig attraktiver zu machen, so Kolat.

Frank Michalak, Vorstand der AOK Nordost, unterstrich, "als Kostenträger setzen wir darauf, dass die Pflegeunternehmen ihren Teil der Verantwortung übernehmen und die Vergütungserhöhungen an ihre Mitarbeiter weitergeben". Darauf sollten auch die Beschäftigten in den jeweiligen Pflegediensten achten, so Michalak.



Behinderung

Fachhochschule Kiel entwickelt Handicap-Boot



Die Kieler Fachhochschule hat ein Boot entwickelt, mit dem Menschen mit körperlichem Handicap Wassersport betreiben können. Am 9. Januar wurde es in Kiel erstmals zu Wasser gelassen, teilte die Fachhochschule mit. Rollstuhlfahrer können über eine Rampe auf das Boot fahren und es mit Hilfe eines Elektroantriebs selbstständig bedienen.

Das Boot ist ein fünf Meter langer und zweieinhalb Meter breiter Katamaran mit geringem Tiefgang und hoher Stabilität. Gebaut wurde das Handicap-Boot von der Kieler Yacht- und Bootswerft Rathje. Das Hochschulteam will nun noch Antrieb und Steuerung in den Katamaran einbauen.

2015 hatten Studenten aus Maschinenbau und Betriebswirtschaftslehre mit ihren Professoren erste Studien angefertigt. Auch Menschen mit Behinderungen waren an der Entwicklung des Boots beteiligt.

Das Land Schleswig-Holstein fördert das Projekt mit knapp 62.000 Euro. Es habe Beispielcharakter für die Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderung, sagte Raimund Stieler von der Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein GmbH (WTSH). Außerdem rücke der Wassersport in der wachsenden Sparte Handicap-Tourismus immer mehr in den Vordergrund.



Kirchen

Evangelische Bank schreibt Nachhaltigkeitspreis aus



Unter dem Motto "Gemeinschaft erleben - Wandel gestalten" steht der vierte Nachhaltigkeitspreis, den die Evangelische Bank für 2018 auslobt. Prämiert würden innovative Projekte institutioneller Kunden aus Kirche, Diakonie, Caritas und freier Wohlfahrtspflege, die sich mit dem Megatrend Demografie befassten und Wege aufzeigten, wie den daraus entstehenden Herausforderungen erfolgreich begegnet werden könne, teilte die Bank am 9. Januar in Kassel mit. Der Preis ist mit insgesamt 20.000 Euro dotiert und wird am 20. September verliehen.

Der Preis wurde erstmals für 2012 ausgelobt, weitere Ausschreibungen erfolgten 2014 und 2016. Anlass für die Auslobung des Preises war die Auszeichnung der Kirchenbank mit dem europäischen Nachhaltigkeitsstandard EMAS plus. Der erste Preis ist mit 10.000 Euro, der zweite Preis mit 7.000 Euro und der dritte Preis mit 3.000 Euro dotiert. Die Evangelische Bank zählt bundesweit rund 480 Mitarbeiter und ist an 14 Standorten vertreten. Sie betreut 19.000 institutionelle und rund 72.000 private Kunden.




sozial-Recht

Oberlandesgericht

Schmerzensgeld für Sohn nach künstlicher Ernährung des Vaters




Künstliche Ernährung in einem Altenheim
epd-bild/Werner Krüper
Die künstliche Ernährung eines schwerst demenzkranken Patienten mittels Magensonde kostet einen Hausarzt 40.000 Schmerzensgeld. Er muss sie an den Sohn und Betreuer des Verstorbenen zahlen, da er diesen in seine Entscheidung nicht einbezogen hatte.

Hat sich ein schwerst demenzkranker Patient in der Vergangenheit nie zu lebensverlängernden medizinischen Maßnahmen geäußert, darf der behandelnde Arzt nicht schalten und walten, wie er will. Will der Arzt seinen Patienten mit Hilfe einer Magensonde dauerhaft künstlich ernähren, muss er diese Behandlung umfassend mit dem Betreuer des Patienten erörtern, urteilte das Oberlandesgericht (OLG) München in einem am 21. Dezember veröffentlichten Urteil. Da der Arzt dies im konkreten Fall nicht getan hat, wurde der vom OLG zu Schmerzensgeldzahlungen an die Erben des Patienten verurteilt.

Eine Patientenverfügung lag nicht vor

Die Münchener Richter sprachen dem Sohn eines im Oktober 2011 verstorbenen schwerst demenzkranken Patienten ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zu. Da dieser sich nicht mehr selbst ernähren konnte, hatte der behandelnde Arzt eine künstliche Ernährung mit Hilfe einer durch die Bauchdecke gelegte Magensonde veranlasst. Eine Patientenverfügung oder ein mutmaßlicher Wille des Patienten zu lebensverlängernden Maßnahmen lagen nicht vor.

Der Sohn des Mannes, gleichzeitig auch dessen Betreuer, rügte, dass spätestens ab Anfang 2010 die künstliche Ernährung medizinisch nicht mehr angebracht war. Diese habe lediglich zur "sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens" geführt. Der künstlichen Ernährung mittels PEG-Sonde habe er nie zugestimmt, erklärte der Betreuer.

Sein Vater habe nur noch verkrampft im Pflegebett gelegen und am Leben nicht mehr teilhaben können. Zu diesem Zeitpunkt habe die Behandlungsmaßnahme einen rechtswidrigen körperlichen Eingriff und damit ein Behandlungsfehler und eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts seines Vaters dargestellt. Der Hausarzt hätte die Sondenernährung abbrechen müssen, so dass der Vater unter palliativmedizinischer Betreuung hätte sterben können. Von dem Hausarzt verlangte er ein Schmerzensgeld von 100.000 Euro.

Schutz des Lebens

Der Arzt verteidigte die künstliche Ernährung. Der Schutz des Lebens habe Vorrang.

Das OLG verurteilte den Hausarzt zu einer Schmerzensgeldzahlung an den Sohn in Höhe von 40.000 Euro. Als behandelnder Arzt eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten wäre er verpflichtet gewesen, mit dem Betreuer die Fortsetzung der PEG-Sondenernährung im Stadium der finalen Demenz und eine mögliche rein palliativmedizinische Behandlung "vertieft" zu erörtern. Dies sei nicht erfolgt. Der Schmerzensgeldanspruch sei uneingeschränkt vererblich, so dass der Sohn diesen uneingeschränkt geltend machen könne, urteilte das OLG.

Es gebe aber eine gesetzliche Pflicht des Arztes zur umfassenden Information des Betreuers. Die Pflichtverletzung des Arztes lag nicht darin, dass er nicht von sich aus die künstliche Ernährung abgebrochen hat, "sondern dass er dem Betreuer die Grundlage für dessen verantwortungsbewusste Entscheidung an die Hand hätte geben müssen".

Die aus der Pflichtverletzung resultierende Lebensverlängerung eines Patienten könne auch "einen Schaden im Rechtssinn darstellen". Mit der künstlichen Ernährung über fast zwei Jahre habe der Arzt das "Integritätsinteresse des Patienten" verletzt. In dieser Zeit habe er an Wundgeschwüren und anderen schweren Erkrankungen gelitten. Zugleich habe er an seiner Umwelt nicht mehr teilhaben können.

Katholikin mit Sterbewunsch

Ärzte und Angehörige müssen sich an den in einer Patientenverfügung erklärten Sterbewillen halten, stellte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Beschluss vom 8. Februar 2017 klar. Nur weil eine Patientin aktive Katholikin ist und eine aktive Sterbehilfe ablehnt, bedeute nicht unbedingt, dass sie den Abbruch einer künstlichen Ernährung ablehnt, entschied der BGH damals.

Im konkreten Fall wurde eine im Wachkoma befindliche Frau künstlich ernährt. In einer Patientenverfügung hatte sie aufgeführt, dass sie als Katholikin eine "aktive Sterbehilfe" ablehne, ebenso aber auch lebensverlängernde Maßnahmen, wenn "keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht". Der Ehemann der Frau wollte - im Gegensatz zum Sohn und Betreuer der Frau - dem Abbruch der künstlichen Ernährung dennoch nicht zustimmen und verwies auf den Glauben der Frau.

Der BGH ging jedoch von einem Sterbewillen der Frau aus. Dieser dürfe nicht übergangen werden. Der Abbruch einer künstlichen Ernährung sei zudem keine "aktive Sterbehilfe".

Der mutmaßliche Wille des Patienten

In einem weiteren Verfahren stellte der BGH am 17. September 2014 klar, dass für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen nicht zwingend eine Patientenverfügung vorliegen müsse. Sei diese nicht vorhanden, komme es auf mögliche "Behandlungswünsche" an, die der Patient früher zu vergleichbaren Situationen wie der eigenen geäußert hat. "Behandlungswünsche sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen."

Gebe es auch diese nicht, komme es auf den mutmaßlichen Willen des Patienten an. Dieser könne sich aus allgemeinen früheren Äußerungen ergeben, ohne dass der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht.

Az.: 1 U 454/17 (OLG München)

Az.: XII ZB 604/15 (BGH zur Interpretation einer Patientenverfügung)

Az.: XII ZB 202/13 (BGH zum Fehlen einer Patientenverfügung)

Frank Leth


Bundesverfassungsgericht

Vorschnelle Abschiebungen bei Foltergefahr gerügt



Bei Hinweisen auf eine Foltergefahr dürfen Ausländer nicht vorschnell in ihr Heimatland abgeschoben werden. Gibt es konkrete Anhaltspunkte für eine drohende Folter, müssten deutsche Behörden und Gerichte das aufklären und gegebenenfalls auf die Abschiebung verzichten, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am 9. Januar veröffentlichten Beschluss. Vor einer Abschiebung könnten auch "geeignete Zusicherungen" der Behörden im Zielland eingeholt werden, "die Folter und unmenschliche Behandlung wirksam ausschließen".

Konkret ging es um einen in Rüsselsheim geborenen türkischen Salafisten, der 2015 vom Kammergericht Berlin wegen der Unterstützung der syrischen terroristischen Vereinigung Junud al-Sham zu einer dreieinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Im Juni 2016 drohte die Ausländerbehörde dem heute 30-jährigen Mann die Abschiebung in die Türkei an.

Die dagegen eingelegte Beschwerde blieb ebenso wie der im August 2017 gestellte Asylantrag erfolglos. Vor Gericht hatte der Mann geltend gemacht, dass in der Türkei gegen ihn ein Strafverfahren wegen Unterstützung des islamistischen Terrorismus anhängig sei und ihm dort Folter drohe. Als Begründung legte er ein Schreiben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International vor, wonach es in einem anderen vergleichbaren Fall konkrete Hinweise auf Folter gegen einen Terrorverdächtigen gegeben hatte.

Die Verwaltungsgerichte lehnten die Eilanträge des Mannes ab. Anhaltspunkte für Folter gebe es nicht. Diese drohe lediglich Angehörigen der kurdischen PKK und der Gülen-Bewegung.

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Gerichte den konkreten Folterhinweisen in der Türkei nicht ausreichend nachgegangen seien. Wegen des Schreibens von Amnesty "und insbesondere vor dem Hintergrund der als gerichtsbekannt einzustufenden allgemeinen Erkenntnisse zur politischen Situation in der Türkei" habe Anlass zu weiterer Sachaufklärung bestanden. Dem seien die Verwaltungsgerichte aber nicht nachgekommen.

Das Verwaltungsgericht Gießen muss nun die Gefahr einer drohenden Folter und unmenschlichen Behandlung in der Türkei neu prüfen.

Az.: 2 BvR 2259/17



Landessozialgericht

Rente mit 63: Beitragslücken können nicht später geschlossen werden



Wer die Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren beziehen will, kann zurückliegende Beitragslücken nicht durch spätere Zahlungen schließen. Das entschied das baden-württembergische Landessozialgericht in einem am 8. Januar veröffentlichten Urteil. Die Richter argumentierten, Arbeitnehmer könnten mit der Nachzahlung von Beiträgen nicht warten, bis Änderungen eintreten, die die Nachteile einer Lücke sichtbar werden lassen.

Der 1952 geborene Kläger hat den Angaben zufolge 44 Jahre lang Rentenbeiträge gezahlt. Er habe lediglich in den Jahren 2006 und 2007 eine insgesamt einjährige Beitragslücke wegen Arbeitslosigkeit gehabt. Der Mann plante, die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren in Anspruch zu nehmen. Das wären für den Kläger monatlich 200 Euro mehr gewesen, als wenn er Abschläge hinzunehmen hätte. Daher bot er der Rentenversicherung eine freiwillige Beitragsnachzahlung in Höhe von 4.800 Euro an. Die Rentenversicherung lehnte diese Nachzahlung wegen Versäumung der Zahlungsfrist ab.

Das Landessozialgericht schloss sich dieser Argumentation an. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine abschlagsfreie Rente mit 63. Um Abschläge zu vermeiden, hätte er noch zwölf Monate länger arbeiten oder bereits 2007 freiwillig nachzahlen können. Dies habe er aber nach eigenen Angaben nicht getan, weil er davon ausgegangen sei, dass diese Beitragslücke für ihn kein Nachteil sei. Das Sozialgericht Stuttgart hatte zunächst für den Kläger entschieden.

Az.: L 10 R 2182/16



Landessozialgericht

Auch Förderschüler haben Anspruch auf Schulbegleiter



Auch Förderschüler können Anspruch auf einen Schulbegleiter haben. Mit diesem am 2. Januar bekanntgemachten Urteil gab das baden-württembergische Landessozialgericht der Klage von Eltern eines Autisten Recht. Das Landratsamt hatte die Kosten für einen Schulbegleiter nicht vollständig übernehmen wollen. Der Argumentation des Amtes zufolge müsse eine Schule für geistig behinderte Kinder, anders als eine "Regelschule", jedem Schüler eine individuelle Förderung bieten.

Der 14-Jährige braucht unter anderem feste Rituale, Hilfe beim Gang auf die Toilette und wirft den Angaben zufolge häufig mit Sachen um sich. Das Landratsamt erklärte sich bereit, einen Schulbegleiter für 13 Stunden pro Woche zu bezahlen. Die Eltern des Schülers legten Klage ein, da ihr Sohn ihrer Meinung nach während der gesamten Schulzeit Unterstützung brauche.

Die Richter schlossen sich dieser Meinung an. Je nach Art und Schwere einer Behinderung könne ein Schüler im Unterricht nur Fortschritte machen, wenn er einen Schulbegleiter habe. Eine solche Unterstützung betreffe auch nicht die pädagogische Arbeit, für die die Schule verantwortlich sei, sondern sichere den Unterricht. Daher müsse das Landratsamt einen Schulbegleiter für den Jungen bezahlen.

Az.: L 2 SO 3268/16



Landessozialgericht

Nur eingeschränkter Rat für Schwerbehinderte



Schwerbehinderte können von einem Rentenberater keinen umfassenden Rat zum Schwerbehindertenrecht erhalten. Nur wenn ein konkreter Bezug zu einer gesetzlichen Rente vorliegt, darf eine außergerichtliche Beratung in Fragen des Schwerbehindertenrechts erfolgen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in einem am 19. Dezember 2017 veröffentlichten Urteil. Danach lehnten es die Essener Richter ab, dass ein registrierter Renten- und Pflegeberater für seine schwerbehinderte Mandantin die Eintragung des Merkzeichens "B" im Schwerbehindertenausweis von den Behörden fordern kann.

Der Rentenberater hatte für die Frau die Feststellung der Schwerbehinderung sowie mehrere Merkzeichen in den auszustellenden Schwerbehindertenausweis beantragt. Die Frau wurde zwar als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt. Allerdings versagten die Behörden die Eintragung des Merkzeichens "B". Dieses erlaubt die kostenfreie Beförderung einer Begleitperson bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Gegen den ablehnenden Bescheid legte der Rentenberater Widerspruch ein.

Die Bezirksregierung Münster wies diesen zurück. Der registrierte Rentenberater dürfe nur in Rentenfragen tätig werden. Dies sei bei der Erteilung des Merkzeichens "B" nicht der Fall.

Vor dem LSG hatte der Renten- und Pflegeberater ebenfalls keinen Erfolg. Nach dem Willen des Gesetzgebers könne ein Rentenberater außergerichtlichen Rat zu Fragen des Schwerbehindertenrechts geben, wenn dazu ein konkreter Bezug zu rentenrechtlichen Fragestellungen besteht.

Die Eintragung des Merkzeichens "B" spiele für rentenrechtliche Fragen aber keine unmittelbare Rolle. Der Rentenberater habe seine Mandantin im Widerspruchsverfahren daher nicht vertreten dürfen. Die Beschränkungen der außergerichtlichen Beratung hätten den Zweck, Rechtssuchende "vor unqualifiziertem Rechtsrat" zu schützen.

Auch die Tätigkeit als Pflegeberater erlaube keine außergerichtliche Beratung hinsichtlich der Erteilung des Merkzeichens "B". Die Tätigkeit richte sich im Wesentlichen auf die Antragsverfahren zur Ermittlung des Bedarfs und von Leistungen kranker und pflegebedürftiger Personen. Das Merkzeichen "B" habe mit einer Pflegeberatung aber nichts zu tun, urteilte das LSG. Gegen das Urteil wurde Revision beim Bundessozialgericht in Kassel eingelegt.

Az.: B 9 SB 89/17



Landessozialgericht

Merkzeichen "BL" auch ohne Störung des Sehapparates



Um als "blind" zu gelten, muss nicht zwingend das Auge oder der Sehnerv geschädigt sein. Anspruch auf Eintragung des Merkzeichens "BL" für "Blind" im Schwerbehindertenausweis haben Betroffene auch dann, wenn sie allein wegen einer Hirnschädigung Sinneseindrücke nicht richtig verarbeiten können, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in einem am 18. Dezember 2017 bekanntgegebenen Urteil klar. Damit können sie bestimmte Nachteilsausgleiche und Rechte in Anspruch nehmen.

Im konkreten Fall hatte ein zehnjähriges Mädchen aus dem Landkreis Leer geklagt. Das Kind ist wegen einer Stoffwechselstörung schwerst hirngeschädigt. Infolgedessen kann das Mädchen Sehreize im Gehirn nicht verarbeiten. Auf optische Reize reagiert das Kind nicht, und es hält die Augen meist geschlossen. Wenn sie die Augen öffnet, verdreht die Zehnjährige die Pupillen nach oben.

Das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie lehnte die Eintragung des Merkzeichens "BL" in den Schwerbehindertenausweis ab. Das Mädchen sei nicht wirklich blind, da keine Störung des Sehapparates vorliege. Vielmehr könne nur das Gehirn optische Sinneseindrücke nicht ausreichend erkennen und verarbeiten.

Doch auch dies gilt als "blind", betonte das LSG. Das Gericht verwies dabei auf ein Urteil des BSG vom 11. August 2015. Danach ist eine konkrete Sehstörung am Sehapparat nicht mehr Voraussetzung, um als "blind" anerkannt zu werden. Entscheidend ist laut BSG, dass der Verlust der Sehfähigkeit festgestellt wurde. Damit könnten auch Hirngeschädigte als "blind" gelten, die Sehreize nicht verarbeiten können.

Az.: L 13 SB 71/17 (LSG Niedersachsen-Bremen)

Az.: B 9 BL 1/14 R (BSG vom 11. August 2015)



Amtsgericht

Bonner Heimbetreiber nach Schließung zu Schadenersatz verurteilt



Bei einer Zwangsschließung eines Pflegeheims wegen gravierender Pflegemängel muss der Heimbetreiber den Bewohnern Schadenersatz leisten. Mit einem entsprechenden Urteil gab das Amtsgericht Bonn einer Klägerin Recht, die wegen der kurzfristigen Schließung ihrer Einrichtung in ein teureres Heim umziehen musste. Der Heimbetreiber muss Mehrkosten für Umzug und Unterbringung von fast 5.000 Euro tragen, wie es in der am 8. Januar bekanntgewordenen Entscheidung heißt. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz, die die Klägerin unterstützt hatte, begrüßte das Urteil als wegweisend.

"Auf die Träger steigt damit der Druck, Pflegemängel rasch abzustellen", sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch in Dortmund. Mängel in den 13.600 Pflegeheimen in Deutschland kämen immer wieder vor. Doch sei es die absolute Ausnahme, dass eine Heimaufsicht eine Einrichtung wegen gravierender Mängel schließt.

Die Klägerin war Bewohnerin des Bonner Pflegeheims "Haus Dottendorf", das Anfang 2015 von der Heimaufsicht aufgrund gravierender Pflegemängel geschlossen worden war. Die knapp 100 Bewohner mussten innerhalb von zwei Tagen in anderen Einrichtungen unterkommen. Im Oktober 2016 hatte das Verwaltungsgericht Köln eine Klage der Betreiber abgewiesen und die Schließung als rechtmäßig bestätigt.

Zum Zeitpunkt der Schließung war die in Bonn klagende Bewohnerin 77 Jahre alt und hatte Pflegestufe 2. In dem neuen Heim musste sie 8,67 Euro am Tag mehr bezahlen. Nach 442 Tagen starb sie. Die Erben führten das Verfahren fort.

Auch der Prozessbevollmächtigte, der Hamburger Rechtsanwalt Oliver Tolmein, begrüßte die Entscheidung. Das Bonner Urteil werde bundesweite Auswirkungen haben, da die neuen Heimgesetze der Länder hier sehr ähnlich konzipiert seien, sagte er. Beim Landgericht Bonn ging im Dezember Berufung gegen die Entscheidung ein.

Az.: 118 C 253/16




sozial-Köpfe

Leitungswechsel

Michael Edele ist neuer Caritasdirektor in Hamburg




Michael Edele
epd-bild/Caritasverband Hamburg / Michael Kottmeier
Beim Landesverband der Caritas in Hamburg gibt es einen Wechsel an der Spitze: Michael Edele (51) ist seit Jahresbeginn neuer Direktor des katholischen Verbandes.

Michael Edele hat das Amt des Caritasdirektors in Hamburg von Hermann Josef Thiel (54) übernommen. Edele studierte nach einer kaufmännischen Ausbildung Politik- und Verwaltungswissenschaften in Konstanz. Von 1999 bis 2013 war der gebürtige Hamburger Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Hamburg. Im Anschluss wechselte er zur Caritas.

Der Volkswirt Thiel kam im August 2015 von der Consulting-Firma Terranus in Köln als kommissarischer Direktor zu dem katholischen Verband in die Hansestadt. Diese Aufgabe beendete er zum Jahresende, um sich wieder voll seiner Tätigkeit bei dem auf den Klinik- und Pflegesektor spezialisierten Kölner Beratungsunternehmen zu widmen.

Bei der Caritas im Norden sind strukturelle Veränderungen geplant: Wie der Pressesprecher der Caritas Hamburg, Timo Spiewak, dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 5. Januar sagte, sollen in der ersten Hälfte dieses Jahres die bislang eigenständigen Landesverbände Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg in dem Diözesan-Caritasverband Hamburg aufgehen.

In den Einrichtungen und sozialen Diensten des Diözesan-Caritasverbandes werden rund 1.800 hauptamtliche Mitarbeiter tätig sein. Bei der Caritas Hamburg sind es derzeit 150 Beschäftigte.



Weitere Personalien



Tobias Mähner, zweiter Vorstandsvorsitzender im Diakonischen Werk Bayern, verlässt den Landesverband und wechselt zum 1. Mai in den Vorstand des Diakoniewerks Martha-Maria in Nürnberg. Bei der Diakonie Bayern verantwortet der promovierte Jurist die Bereiche Recht, Personal, Finanzen sowie die Offenen Sozialen Dienste. Mähner ist seit 2012 Vorstandsmitglied der Diakonie Bayern. Bei Martha-Maria, einem selbstständigen Diakoniewerk in der Evangelisch-methodistischen Kirche, arbeiten rund 3.700 Beschäftigte in mehreren Bundesländern.

Michael Wedershoven wird der neue Leiter des Integrationsamtes beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Er übernimmt am 1. Februar die Leitung von Ulrich Adlhoch, der in den Ruhestand gegangen ist. Wedershoven leitet seit 2007 in der LWL-Behindertenhilfe Westfalen das Referat Angebote der Behindertenhilfe. Zuvor war der 57-Jährige 13 Jahre lang Geschäftsführer der Lebenshilfe Münster. Zu Wedershovens Aufgaben im LWL-Integrationsamt gehört es, die 20 regionalen Integrationsfachdienste in Westfalen zu steuern, Integrationsunternehmen zu unterstützen und Programme zu konzipieren, die den Übergang von Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt fördern. Das Integrationsamt hat 105 Mitarbeiter.

Michael-Mark Theil ist in den Vorstand der Evangelischen Stiftung Neuerkerode berufen worden. Der Chefarzt und Leiter des Integrierten Gesundheitsdienstes Neuerkerode ist für den Bereich Strategieentwicklung zuständig. Theil leitet außerdem das Medizinische Behandlungszentrum für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen am Standort Marienstift in Braunschweig. Die Evangelische Stiftung Neuerkerode mit rund 3.000 Mitarbeitern unterhält in Südost-Niedersachsen Einrichtungen in der Behindertenhilfe, Altenhilfe und Suchthilfe sowie in der Ausbildungsförderung und Gesundheitsdiensten.

Burkhard Rodeck ist zum Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) ernannt worden. Als Chefarzt einer der größten Kinderkliniken in Niedersachsen könne er nun dazu beitragen, "den Interessen einer der schwächsten Gruppen unserer Gesellschaft, unseren Kindern, Gehör in Berlin und darüber hinaus zu verschaffen", erklärte der Mediziner am Christlichen Kinderhospital Osnabrück. Die DGKJ fördert die wissenschaftlichen und fachlichen Belange der Kinder- und Jugendmedizin. In politischen Gremien vertritt sie die Interessen der Kinder und Jugendlichen.




sozial-Termine



Die wichtigsten Fachveranstaltungen bis Februar

Januar

12.1. Berlin:

Fachtag "Pflege-Update 2018 - Fachlichkeit im Fokus"

des DBfK

Tel.: 030/2191570

Weitere Informationen: http://u.epd.de/ww0

12.-13.1. Paderborn:

Seminar "Moderation und Präsentation als Kommunikationsinstrumente"

der IN VIA Akademie

Tel.: 05251/2908-38

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvl

15.-16.1. Bonn:

Seminar "Präsent in den Medien - Gezielt Botschaften platzieren"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvm

15.-19.1. Freiburg:

Seminar "Moderation von Konferenzen, Teams und Projektgruppen"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.:0761/2001700

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvo

16.1. Frankfurt a.M.:

Diskussionsveranstaltung "Was hält die Gesellschaft zusammen? Hessische Gewerkschaften und Kirchen diskutieren"

der Kirchen und des DGB Hessen-Thüringen

Tel.: 069/27300552

http://u.epd.de/x5g

17.1. Hamburg:

Seminar "Baukosten-Controlling"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvp

17.-18.1. Loccum:

Werkstatt-Tagung "Resilienz - Beteiligung in Organisationen und Gesellschaft verwurzeln"

Der Evangelischen Akademie Loccum

Tel.: 05766/81106

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvq

18.1. Münster:

Seminar "Einführung in die MAVO für Dienstgeber - Basiswissen, aktuelle Rechtsfragen"

der BPG Unternehmensgruppe

Tel.: 0251/4820412

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvr

18.-19.1. Berlin:

Tagung "Suchthilfe und Wohnungslosigkeit"

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-142

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvs

19.-20.1. Berlin:

Kongress Pflege 2018 "Ältere Mitarbeiter: Altes Eisen oder Silberschatz?"

der Springer Medizin Verlag GmbH

Tel.: 06221/4878166

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvt

22.1. Mülheim an der Ruhr:

Seminar "Als MAV-Mitglied neu gewählt: Die Beteiligungsrechte im Alltag der MAV"

der Katholischen Akademie Die Wolfsburg

Tel.: 0208/999190

Weitere Informationen: http://u.epd.de/x23

23.1. Köln:

Seminar "Rechnungslegungshinweise für Werkstätten für behinderte Menschen unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitsergebnisses"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356159

http://u.epd.de/xid

25.1. Münster:

Seminar "Jahresabschluss der Werkstatt und Arbeitsergebnisrechnung, aktuelle Entwicklungen im Sozialrecht"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvr

25.1. Brüssel:

Seminar "Mit EU-Geldern die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie profilieren"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

Weitere Informationen: http://u.epd.de/ws1

25.-26.1. Rastede:

Seminar "Das neue Bundesteilhabegesetz"

der AWO Bundesakademie

Tel.:030/26309-142

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvu

25.-26.1. Berlin:

Tagung "Teilen Gesellschaft und Unternehmen die gleichen Werte? – Maßstäbe der Gemeinwohlorientierung"

der Katholischen Akademie in Berlin

Tel.: 030/20355-0

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvv

26.-28.1. Stuttgart:

Tagung "Nach der Bundestagswahl das Ringen um die künftige Migrationspolitik"

der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart

Tel.: 0711/1640730

Weitere Informationen: http://u.epd.de/x26

29.-30.1. Berlin:

Seminar "Progressiv gegen Stress und Belastung: Mit den Belastungen des Pflegealltags umgehen können

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837388

Weitere Informationen: http://u.epd.de/x24

30.1. Bochum:

Seminar "Sozialleistungen für Geflüchtete. Rechtliche Grundlagen und Zugänge kennen, soziale Teilhabe fördern"

der Paritätischen Akademie LV NRW

Tel.: 0202/2822-229

Weitere Informationen: http://u.epd.de/x25

30.1. Berlin:

Seminar "Quartierskonzepte: Die Zukunft der Altenhilfe?

der BFS-Service GmbH

Tel.: 0221/97356159

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvw

30.1. Heidelberg:

Seminar "Leitungen bewerten den Nutzen ihres Qualitätsmanagements"

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 07961/959881

Weitere Informationen: http://u.epd.de/wvx

30.-31.1. Frankfurt a.M.:

Seminar "IT-Aufbauwissen für Datenschutzbeauftragte"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

Weitere Informationen: http://u.epd.de/x22

Februar

1.2. Berlin:

Seminar "Flexible Personalsteuerung/Ausfallmanagement"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356159

http://u.epd.de/xie

7.-9.2. Berlin:

Seminar "Verhandlungen führen - taktische Planung. situatives Reagieren und ethische Haltung"

der Führungsakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/20355582

http://u.epd.de/xig

16.-17.2. Frankfurt a.M.:

Tagung "Vielfalt verbindet" zur bundesweiten Vorbereitung der Interkulturellen Woche 2018

des Aktionsbündnisses Interkulturelle Woche

Tel.: 069/242314-71

http://u.epd.de/xic

19.2. Köln:

Seminar "Grundlagen des Arbeitsrechtes in Einrichtungen der Sozialwirtschaft - Gestaltungsspielräume nutzen"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356159

http://u.epd.de/xif

27.2.-2.3. Berlin:

Weiterbildungsreihe "Personalmanagement für Führungskräfte"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/20355582

http://u.epd.de/xih