sozial-Politik

Flüchtlinge

Balkanroute

Zwischen Chemieklos und Schlepperbanden




Flüchtlinge auf der Balkanroute.
epd-bild/Marcus Mockler
Hunderttausende sind bereits über die Balkanroute nach Deutschland gekommen. Einer ihrer Zwischenstopps liegt im serbischen Sid nahe der kroatischen Grenze. Notärzte, Flüchtlingshelfer und Kirchenmitarbeiter kümmern sich um die Versorgung der Flüchtlinge.

Wenn der Tankwagen die Fäkalien abpumpt, legt sich eine stinkende Wolke über das Flüchtlingslager im serbischen Sid. Doch ohne Chemieklos für die 600 Bewohner geht es nicht. Sanitäranlagen und Wasseranschlüsse sind für so viele Menschen auf so engem Raum nicht ausgelegt. Die Flüchtlinge haben auf den Tausenden Kilometern, die hinter ihnen liegen, weit Schlimmeres erlebt als den Gestank der Toiletteninhalte.

Sid hat 34.000 Einwohner, im vergangenen Jahr zogen über 700.000 Flüchtlinge durch die Stadt. Sie liegt an der Balkanroute, von hier geht es für die in den Norden reisenden Menschen mit dem Zug weiter nach Kroatien. Serbien erlaubt kroatischen Polizeibeamten, am Bahnhof von Sid die erforderlichen Personenkontrollen vorzunehmen, damit das Verfahren reibungsärmer verläuft. Zu Spitzenzeiten der Flüchtlingswelle fuhr alle vier Stunden ein Zug mit 800 Menschen nach Slavonski Brod, in den vergangenen Wochen ging die Zahl auf einen Zug pro Tag zurück. Seit Mazedonien Tageshöchstgrenzen für die Einreise eingeführt hat, läuft es noch langsamer.

"Ich will in Frieden leben"

Unter den Flüchtlingen ist der 26-jährige Hairy, ein Jeside. Er wohnte in Sindschar im Nordirak. Als die Terroristen des "Islamischen Staates" (IS) systematisch gegen die Jesiden vorgingen und anfingen, deren Frauen zu verschleppen, machte sich Hairy mit Frau und Kind auf die Flucht. Zwei Jahre lebte er in einem Lager in der Türkei, Anfang Februar startete er dann Richtung Deutschland. "Ich will dort arbeiten, egal was, damit meine Familie in Frieden leben kann", sagt er.

Doch noch ist er nicht in Deutschland. Ein Reisebus hat ihn und seine Familie quer durch die serbische Republik von Presevo im Süden bis an die Autobahnraststätte Adasevci gebracht. Dort wartet er mit Hunderten anderen auf den Transfer zum 20 Kilometer entfernten Bahnhof Sid. Rund 30 Hilfsorganisationen kümmern sich um die Gestrandeten am Rande der Autobahn, darunter auch die Ökumenische Humanitäre Organisation (EHO), die vom Diakonischen Werk Württemberg mitfinanziert wird. Helfer in blauen Westen tragen Essen in die Busse, um Rangeleien auf der Straße zu vermeiden.

Das Motel der Raststätte war schon stillgelegt, wurde aber angesichts steigender Flüchtlingszahlen wieder neu belebt. Jetzt befindet sich dort eine kleine Krankenstation. Notärztin Zita Belic berichtet von traumatisierten Patienten, von Gelbsucht und von der Amputation von Gliedmaßen. Außerdem kommen viele mit schweren Erkältungen an. Seit September wurden dort 55.000 Menschen medizinisch betreut.

Chalid Hadschi ist über Land nach Serbien gekommen. Der 30-jährige Syrer verließ sein Zuhause, weil er Angst davor hatte, für die Armee zwangsrekrutiert zu werden. In seiner Heimat arbeitete er als Bedienung in einem Restaurant. Mit seiner Frau und den drei Kindern hofft er nun, in Deutschland Arbeit zu finden - "und ein sicheres Leben", wie er betont.

Entscheidung nach 30 Sekunden

Für Verwirrung sorgt ein neues Dokument, das Flüchtlingen in Griechenland ausgestellt und von allen Staaten auf der Durchreise anerkannt wird. Von einem Tag auf den anderen wurden nur noch Flüchtlinge mit diesem Dokument durchgelassen. Hunderte, die bereits in Serbien sind, müssen damit rechnen, abgewiesen zu werden. Die machen sich aber nicht auf die Rückreise, sondern vertrauen sich Schleppern an, die sie illegal über die Grenze bringen.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) kritisiert die neue Praxis auf dem Balkan. Giorgi Sanikidze, UNHCR-Koordinator am Auffangpunkt Adasevci, hält die Dokumentenregelung für unvereinbar mit internationalem Recht. Oft sprächen die Übersetzer an den Grenzen selbst kaum Arabisch und entschieden willkürlich nach dem gehörten Akzent, zu welcher Nationalität ein Mensch gehört. "Das dauert nur 30 Sekunden", seufzt er.

Serbien bietet seit 2008 Flüchtlingen Asyl an. Besonders attraktiv scheint das Angebot aber nicht zu sein. Ivan Gerginov, stellvertretender Chef des serbischen Kommissariats für Flüchtlinge und Migration in Belgrad, berichtet, in den vergangenen acht Jahren hätten gerade einmal 73 Flüchtlinge einen Antrag gestellt. 20 von ihnen seien aufgenommen worden. "Wir sind leider für diese Menschen nicht das Endziel", sagt Gerginov.

Marcus Mockler


Flüchtlingskrise

Griechenland

EU-Kommission will mit 700 Millionen Euro helfen



Zur Bewältigung der Flüchtlingskrise will die EU-Kommission Griechenland und anderen EU-Ländern mit insgesamt 700 Millionen Euro zur Hilfe kommen. "Wir dürfen keine Zeit verlieren bei der Bereitstellung aller erforderlichen Mittel, um humanitäres Leid innerhalb unserer Grenzen abzuwenden", erklärte der für humanitäre Hilfe zuständige Kommissar, Christos Stylianides, am 2. März in Brüssel. Es sei nun an den europäischen Regierungen und dem Europäischen Parlament, den Vorschlag zu unterstützen.

Das neue Finanzinstrument könnte "den Mitgliedstaaten nutzen, deren eigene Hilfskapazitäten angesichts eines dringenden Bedarfs und außergewöhnlicher Umstände, wie durch den plötzlichen Flüchtlingszustrom oder andere ernsthafte Notfälle, überlastet sind", erklärte die Kommission. Für das laufende Jahr sind rund 300 Millionen Euro und für die kommenden zwei Jahre jeweils 200 Millionen Euro vorgesehen. Das Geld soll der Deckung von Grundbedürfnissen dienen und etwa für Lebensmittel, Unterkünfte und medizinische Hilfsgüte ausgegeben werden.

In Griechenland hatte sich die Lage der Flüchtlinge zugespitzt, seit das Nachbarland Mazedonien die Grenze weitgehend geschlossen hat, über die zahlreiche Menschen weiter nach Mitteleuropa ziehen wollen.



Gesellschaft

Flüchtlinge

Kardinal Marx: Ausmaß an Hass ist furchtbar




Kardinal Reinhard Marx
epd-bild/Lukas Barth
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, fordert die Politiker dazu auf, in der Diskussion über die Flüchtlinge zusammenzustehen und auf Schuldzuweisungen zu verzichten.

Der Erzbischof kritisierte das Gerede über eine Spaltung der Gesellschaft. Inzwischen werde "von manchen geradezu herbeigeredet, dass unser Land gespalten sei. Ich sehe das nicht!", sagte Marx dem Evangelischen Pressedienst (epd) in München. Aus Briefen an ihn müsse er aber auch schließen, dass auch Christen aller Konfessionen "auf radikales und rechtspopulistisches Gedankengut ansprechbar sind". Die Fragen stellten Wiebke Rannenberg und Karsten Frerichs.

epd sozial: Seit Monaten beschäftigt die deutsche Öffentlichkeit ein Thema: die Aufnahme der Flüchtlinge im Land. Im September vergangenen Jahres wurden die Menschen am Münchner Hauptbahnhof freudig begrüßt, nicht mal ein halbes Jahr später vergeht kaum ein Tag ohne Meldungen über fremdenfeindliche Übergriffe und Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Wie erklären Sie sich das?

Kardinal Reinhard Marx: Ich halte das Offenhalten der deutschen Grenzen in einer dramatischen humanitären Situation für die Flüchtlinge im vergangenen Jahr nach wie vor für richtig. Und eine menschenwürdige Lösung kann nur in europäischer Solidarität und in der Überwindung der Ursachen der Flucht erreicht werden. Ich denke, es hat viele in Deutschland überrascht, wie nun in Europa nationale Egoismen und Fremdenfeindlichkeit zunehmen. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass auch in unserem Land Ausgrenzung und Hass ein solches Ausmaß annehmen würden, wie wir das jetzt erleben. Es ist furchtbar.

epd: Aber Fremdenfeindlichkeit gab es schon immer.

Marx: Das stimmt, eine gewisse Anfälligkeit für Rechtspopulismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus war offensichtlich immer vorhanden. Aber es macht mir größte Sorgen, dass diese Gedanken inzwischen bis in die bürgerliche und intellektuelle Sphäre hineinreichen. Wir müssen jetzt unbedingt wieder einen Geist des Respekts, ja der Nächstenliebe befördern. Da sind wir als Christen gefordert.

epd: Wie nehmen Sie die deutsche Politik wahr?

Marx: Vielleicht hilft es in dieser historischen Situation, dass derzeit die großen Parteien in der Bundesregierung in einer Koalition zusammenarbeiten. Aber entscheidend ist jetzt, sich nicht in gegenseitigen Schuldzuweisungen zu ergehen, sondern zusammenzustehen und der Bevölkerung glaubwürdig zu vermitteln, dass gemeinsam an Lösungen gearbeitet wird. Eine zerstrittene politische Führung in einer solchen Situation ist nicht sehr hilfreich.

epd: Ist denn der politische Streit in einer Demokratie nicht geradezu notwendig?

Marx: Natürlich dürfen Politiker unterschiedliche Positionen vertreten, aber der menschenwürdige Umgang mit den Flüchtlingen ist doch nicht verhandelbar: Jeden Tag ertrinken Menschen im Mittelmeer! Wollen wir erleben, dass eines Tages Menschen an einem europäischen Grenzzaun erfrieren? Der Weg nach Europa darf nicht in einer Todesfalle enden.

epd: Sind die Deutschen denn weiter offen für die Aufnahme der Menschen?

Marx: Ich nehme wahr, dass eine überwältigende Zahl Empathie für die Flüchtlinge hat und auf eine gemeinsame europäische Lösung hofft. Doch inzwischen wird von manchen geradezu herbeigeredet, dass unser Land gespalten sei. Ich sehe das nicht!

epd: Wie würden Sie es ausdrücken?

Marx: Es ist eine sehr aufgeregte, äußerst angespannte Situation. Und manche Menschen denken vielleicht heute anders als noch vor zwei Monaten. Es ist auch durchaus eine gewisse Ratlosigkeit und Suche nach Orientierung da. Deshalb haben die politisch Verantwortlichen aus meiner Sicht die Pflicht, zusammenzustehen, gemeinsame Lösungen zu suchen und um das Vertrauen der Bürger zu werben. Wir als Kirchen unterstützen das dann und helfen karitativ und bei der Integration. Wir kämpfen auch gemeinsam gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Ausgrenzung. Überall dort, wo die Menschen sich begegnen und ein Austausch stattfindet, sinkt die Ausländerfeindlichkeit. Deshalb unser Engagement für Orte der Begegnung, auch in unseren Pfarreien.

epd: Viele Menschen fliehen vor dem andauernden Bürgerkrieg in Syrien. Wie sehen Sie die Chancen auf Frieden?

Marx: Das ist schwer zu sagen. Ich hoffe, dass ein längerer Waffenstillstand möglich ist, wenn die Vereinigten Staaten und Russland auch zu ihren eigenen Verbündeten sagen: Schluss, und jetzt wird geredet, bis wir zu einem Ergebnis kommen. Aber was danach sein wird, kann keiner sagen. Als Bischof möchte ich nicht pessimistisch sein, aber so richtig optimistisch bin ich noch nicht.



Migrationsforscher

EU-Krise wird auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen




Flüchtlinge im griechischen Idomeni.
epd-bild/Thomas Lohnes
Die Krise der Europäischen Union verschärft nach Ansicht des Migrationsforschers Andreas Pott derzeit auf dramatische Weise die Flüchtlingskrise.

Offenbar versuchten die kleineren Länder den bisher tonangebenden Staaten wie Deutschland und Frankreich zu zeigen, dass auch sie in der Lage seien, eigene Machtinteressen durchzusetzen, sagte Pott dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Sie wollen ihre Handlungsfähigkeit demonstrieren und tun das auf dem Rücken Griechenlands und auf dem Rücken der vor Krieg und Unterdrückung flüchtenden Menschen."

Es sei aber eine Illusion zu glauben, dass die Menschen sich durch Zäune aufhalten ließen, betonte der Direktor des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück. Er halte es durchaus für möglich, dass irgendwann verzweifelte Flüchtlinge versuchten, die Grenzen zu überrennen. "Dann kann auch mal ein Schuss losgehen." Er halte die Stimmung für "riskant und dramatisch". Im Zusammenspiel mit dem zunehmenden Rassismus in Europa könnte die Lage tatsächlich eskalieren.

Phase der Renationalisierung

Europa erlebe derzeit eine Phase der Renationalisierung, die den Fortbestand der gesamten Union bedrohe, erklärte Pott. Das sei schon in der Finanzkrise deutlich geworden, als nationalstaatliche Interessen stärker gewesen seien als europäische Solidarität. "Heute zeigt sich, wie schwer es ist, gleichzeitig die Erweiterung und die Vertiefung der Gemeinschaft zu gestalten." Europa gelinge es immer seltener, einen Interessenausgleich zu schaffen zwischen starken und schwächeren Ländern.

Der Professor für Sozialgeographie sagte: "Diejenigen europäischen EU-Länder, die noch an die europäische Solidarität, an gemeinsame Ziele und Politik glauben, müssen sehr bald und unmissverständlich deutlich machen, dass nationalstaatliche Alleingänge und Abschottungen nicht hingenommen werden." Dazu seien mehrere Sondergipfel notwendig.

Schon bald würden für die in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge Versorgungs- und Hilfsmaßnahmen notwendig. "Denn es kann nicht sein, dass Griechenland unter der Last kollabiert." Griechenland brauche massive finanzielle und personelle Unterstützung, betonte Pott.

Skepsis an der Türkei

Einer der größten Fehler der jüngsten Vergangenheit sei es gewesen, dass das Dublin-System nicht schon längst durch ein europäisches Asylsystem ersetzt wurde, das die Lasten gleichmäßig verteile. Spätestens nach dem Flüchtlingsdrama auf der italienischen Insel Lampedusa hätte die EU entschlossen reagieren müssen, erklärte der Experte. Auch die Vereinbarung mit der Türkei zur Rücknahme von Flüchtlingen sei keine langfristige Lösung. Zudem sei er sehr skeptisch, dass die Türkei die Flüchtlinge tatsächlich angemessen versorgen und schützen könne.

Pott beklagte eine insgesamt konzeptionslose Flüchtlings- und Migrationspolitik, die immer nur reagiere: "Der alternde Kontinent braucht einen produktiven Umgang mit Migration insgesamt." Außerdem müsse sich Europa auch in Zukunft an humanitären Standards messen lassen. Aufgrund der Ungleichgewichte in der Welt und verstärkt durch den Klimawandel werde es in den kommenden Jahrzehnten immer wieder Fluchtbewegungen geben: "Europa muss flüchtenden Menschen in größerem Umfang Schutz bieten können."

Martina Schwager


Folgen einer Abschiebung

Familie findet nach achtjähriger Trennung nicht mehr zueinander




Gazale Salame: "Irgendwann muss man aufgeben."
epd-bild / Jens Schulze
Als Schwangere wurde Gazale Salame mit ihrer Tochter in die Türkei abgeschoben. Ihr Mann blieb mit den älteren Töchtern in Deutschland. Acht Jahre war die Familie getrennt. Vor drei Jahren durfte Salame zurück - doch die Familie ist nun zerstört.

Gazale Salame will ein Stück ihrer Vergangenheit am liebsten vergessen. Die 36-Jährige sitzt neben ihren jüngeren Kindern auf dem Sofa im Wohnzimmer. Vor wenigen Monaten sind sie in eine neue Stadt gezogen, mehrere hundert Kilometer von den beiden älteren Töchtern und dem Familienvater in Hildesheim entfernt. Seit mehr als einem Jahr haben sie sich nicht mehr gesehen.

"Irgendwann muss man aufgeben", sagt Salame, die heute einen anderen Nachnamen trägt. Acht Jahre war die Familie durch ihre Abschiebung in die Türkei auseinandergerissen. Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen. Jetzt zeigt sich, dass sie wohl nie wieder zueinander finden werden.

Acht Jahre Kampf

Im Februar 2005 brachten Polizeibeamte die schwangere Salame mit ihrer einjährigen Tochter zum Flughafen. Ihr Mann Ahmed Siala blieb mit den beiden älteren Töchtern von acht und neun Jahren im Landkreis Hildesheim in Niedersachsen. Acht Jahre lebte Salame mit den beiden jüngeren Kindern in der Türkei in der Nähe von Izmir in ärmlichen Verhältnissen. Ehemann Siala konnte seine Frau wegen seines ungesicherten Aufenthaltsstatus nicht in der Türkei besuchen - er befürchtete, nicht zurückkehren zu dürfen. Die Familie kämpfte mit einem Unterstützerkreis acht Jahre für ein gemeinsames Leben in Deutschland.

Am 3. März 2013 schlossen sich Eltern und Kinder am Flughafen von Hannover unter Tränen in die Arme. Sie alle wollten sich zunächst Zeit nehmen und geben, erinnert sich Salame heute. Sie zog mit den zwei jüngeren Kindern in eine eigens von Unterstützern angemietete Wohnung in Hildesheim. Siala blieb mit den beiden älteren Töchtern im Landkreis wohnen. "Wir wussten damals nicht, wie wir aufeinander reagieren sollten", beschreibt Salame die Situation. Bei den gemeinsamen Treffen standen oft gegenseitige Vorwürfe im Raum.

Nach Ansicht von Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat ist der Fall dieser Familie "außerordentlich tragisch". Er sei ein Beispiel dafür, welche Auswirkungen eine Trennung durch Abschiebung habe. "Irgendwann zermürbt es die Menschen." In den vergangenen Jahren habe es keine derartigen Fälle mehr gegeben. Grund dafür ist ein 2014 vom Land beschlossener Rückführungserlass, der unter anderem vorschreibt, dass Familien nicht getrennt werden dürften. "Wir befürchten aber, dass es wieder so kommt, wenn Rückführungen nicht angekündigt werden."

Salame kannte die Türkei nicht

Salame wurden angeblich falsche Angaben zum Verhängnis. Den Eltern der aus dem Libanon stammenden Kurdin wurde vorgeworfen, bei ihrer Einreise vor fast 30 Jahren falsche Angaben über ihre Herkunft gemacht zu haben. Salame war damals sieben Jahre alt. Als sie abgeschoben wurde, hatte sie bereits 17 Jahre in Deutschland gelebt. Die Türkei kannte sie nicht.

Unterstützern zufolge hat die Trennung die ganze Familie bis heute stark traumatisiert. Schon während der Zeit in der Türkei habe Salame unter Depressionen gelitten. Nach ihrer Rückkehr musste sie erneut das Asylverfahren durchlaufen. "Sie hatte immer wieder Angst, abgeschoben zu werden", sagt Unterstützerin Luise Harms. Auch jetzt wird ihr Aufenthaltstitel alle zwei Jahre überprüft.

Nach einem Streit um das Sorgerecht der Kinder vor einigen Monaten zog Salame mit dem in der Türkei geborenen Gazi (10) und seiner Schwester Schams (12) weg aus Hildesheim zu ihrer eigenen Mutter. Beide Kinder gehen am neuen Wohnort zur Schule und haben Freunde gefunden. In der neuen Wohnung erinnert kein Foto an den anderen Teil der Familie.

"Man muss einfach weitermachen"

Salames älteste Tochter Amina lebt weiterhin bei ihrem Vater im Landkreis Hildesheim. Die 18-Jährige möchte endlich nach vorne schauen, sagt sie. Nachdem ihre Mutter von einem auf den anderen Tag nicht mehr da war, wurden die Schulleistungen schlechter, sie musste eine Klasse wiederholen. Jetzt macht sie ihr Abitur, möchte vielleicht sogar studieren. "Ich musste es ohne meine Mutter schaffen, die mir den Rücken stärkt", sagt die junge Frau selbstbewusst. Amina engagiert sich mittlerweile selbst ehrenamtlich für Flüchtlinge und hat für eine Jugendgruppe ein Tanzprojekt initiiert. "Man darf sich nicht hängenlassen, man muss einfach weitermachen."

Salame erzählt nur wenig über das Wiedersehen mit ihren älteren Töchtern, die sie teilweise jede Woche in Hildesheim besuchten. "Wir haben alle Fehler gemacht", sagt sie schließlich traurig. Mit der Zeit sei es schlimmer geworden. Durch die Nähe sei sie schmerzlich immer wieder an das erinnert worden, was sie verloren habe. "Das Schlimmste ist, dass man den Halt in der Familie nicht mehr hat."

Charlotte Morgenthal


Flüchtlinge

Mehrheit in Deutschland glaubt an erfolgreiche Integration



Rund zwei Drittel (67 Prozent) der Deutschen sind einer Umfrage zufolge der Ansicht, dass die Integration von Flüchtlingen gelingen wird. 52 Prozent halten dafür allerdings eine Begrenzung des Flüchtlingsstroms für nötig, wie aus einer am 29. Februar veröffentlichten Umfrage von Infratest dimap für das NDR-Politikmagazin "Panorama" hervorgeht. Repräsentativ befragt wurden 1.025 Bundesbürger.

Die Mehrheit sieht demnach insbesondere eine unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen skeptisch. Nur elf Prozent der Deutschen befürworten, Flüchtlinge weiterhin ohne Begrenzung aufzunehmen. 38 Prozent wollen die Zahl auf 200.000 pro Jahr beschränken. 17 Prozent auf 500.000. Nur drei Prozent sind für die Aufnahme von bis zu einer Million Flüchtlinge. Einen generellen Aufnahmestopp befürworteten 21 Prozent der Befragten.

Etwa drei Viertel (77 Prozent) befürchten laut Umfrage, dass die Verschuldung der öffentlichen Haushalte steigt. 72 Prozent sorgen sich wegen zunehmender Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt, 62 Prozent befürchten mehr Straftaten. 58 Prozent äußerten die Sorge, dass die Kosten für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge zu hoch sein könnten. Fast genauso viele (57 Prozent) haben Sorge wegen des Erstarken des Islams in Deutschland. 45 Prozent sehen die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt als Problem. Bei der Frage, ob der Wohlstand in Deutschland von Flüchtlingen bedroht sei, sind die Deutschen indes gelassen - 61 Prozent antworten mit Nein.

Die Zuwanderung von Flüchtlingen spaltet laut Umfrage die Bevölkerung: 49 Prozent der Deutschen machen die hohen Flüchtlingszahlen Angst, 49 Prozent nicht. 46 Prozent empfinden die Flüchtlinge als Bereicherung für das Leben in Deutschland, 51 Prozent sehen das anders.



Flüchtlinge

Kommunalverband legt Leitfaden für Integration vor



Der Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen hat einen Handlungsleitfaden zur Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern vorgelegt. Das 31 Seiten starke Papier sei als Hilfestellung für die Kommunen gedacht, erklärte der Präsident des Verbandes, der Soester Bürgermeister Eckhard Ruthemeyer am 2. März in Soest. «Die Städte und Gemeinden sind der Hauptort der Integration.» Dort spiele sich der Alltag der neu ankommenden Menschen ab.

Integration bedeute eine organisatorische, aber auch eine humanitäre Herausforderung, betonte Ruthemeyer. «Diese Aufgabe wird den Alltag von Bürgerschaft und Verwaltung in den kommenden Jahren maßgeblich prägen.» Sämtliche Lebensbereiche seien betroffen, vom Spracherwerb über Kinderbetreuung, Schule, Berufsqualifizierung und Arbeitssuche bis hin zu Sport und Freizeitaktivitäten.

Allerdings seien die hohen Kosten der «Jahrhundertaufgabe Integration» bisher durch kein Finanzierungssystem abgedeckt, kritisierte Ruthemeyer. Er forderte Land und Bund auf, sich mit Investitionsprogrammen und laufenden Zuschüssen daran zu beteiligen. Der Städte- und Gemeindebund, der kreisangehörige Kommunen vertritt, schlägt dazu einen Erhöhung des kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer von derzeit 2,2 auf 7,5 Prozent vor.



Sachsen-Anhalt

Neues Online-Portal für die Flüchtlingshilfe



In Sachsen-Anhalt ist eine Internetseite zur landesweiten Vernetzung der Flüchtlings- und Bedürftigenhilfe gestartet worden. Über das Portal www.helpto.de können sich Initiativen, Wirtschaftsunternehmen, Vereine und Bürger unkompliziert über Betreuung und Integration austauschen, erklärten die Organisatoren am 25. Februar in Magdeburg. Auch die Hilfeempfänger selbst gehören zur Zielgruppe.

Die Nutzung erfolgt kostenfrei, nötig ist nur eine Registrierung mit Benutzername und E-Mail-Adresse. Nach der Anmeldung können Interessenten selbst Angebote oder Hilfsgesuche einstellen. Projektpartner sind die Arbeiterwohlfahrt und der Sozialverband Der Paritätische, die die Seite bewerben und verlinkt haben. Die Finanzierung erfolgt über Spenden und Sponsoren.

Das Projekt HelpTo solle einen Impuls in das gesamte Land bringen, besonders die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe weiter zu vernetzen, sagte Sachsen-Anhalts Integrationsbeauftragte Susi Möbbeck. Zwar ersetze das Portal nicht die direkte Begegnung zwischen Einheimischen und Zuwanderern. Es beschleunige aber Prozesse und entlaste die Anlaufstellen.

Das Portal bietet zehn verschiedene Kategorien wie etwa Sachspenden, Sprache, Wohnen und Arbeit. Im Bereich Fahrdienste und Transporte können zum Beispiel Umzugshilfen gesucht werden.



Hamburg

26.000 Unterschriften gegen Flüchtlingssiedlungen



In Hamburg hat eine Volksinitiative gegen Großsiedlungen für Flüchtlinge die erste Hürde genommen. Mehr als 26.000 Unterschriften sammelten die Initiatoren unter dem Namen "Hamburg für eine gute Integration" nach eigenen Angaben innerhalb von fünf Tagen. Notwendig wären 10.000 Stimmen gewesen. Keine andere Volksinitiative habe in Hamburg jemals in so kurzer Zeit solch ein Ergebnis erreicht, sagte der Sprecher der Initiatoren, Klaus Schomacker, am 2. März.

Ziel der Volksinitiative ist es, in Hamburg eine dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge vorzuschreiben. In kleinen Unterkünften sollen dann nicht mehr als 300 Geflüchtete leben. Damit wollen die Bürgerinitiativen auch eine bessere Integration erreichen.

Nach der erfolgreichen Volksinitiative muss sich jetzt die Bürgerschaft mit dem Anliegen befassen. Kommt es dabei zu keiner Einigung, müsste die Initiative innerhalb von drei Wochen rund 60.000 Unterschriften für ein Volksbegehren sammeln. Dann käme es zum Volksentscheid.

Der Streit entzündete sich an dem Plan des Senats, größere Unterkünfte und Wohnsiedlungen für Flüchtlinge zu errichten. So sollen beispielsweise im Bezirk Bergedorf 3.400, in Neugraben-Fischbek mehr als 3.000 Flüchtlinge untergebracht werden. Die Volksinitiative dagegen ist politisch umstritten. CDU und FDP haben bereits ihre Zustimmung, die Linke ihre Ablehnung deutlich gemacht. Die Regierungsfraktionen SPD und Grüne befürchten eine Vergiftung des politischen Klimas in der Stadt.

Hamburgs Diakoniechef Dirk Ahrens hat deutlich vor einem Volksentscheid gewarnt, weil damit der soziale Frieden gefährdet werden könnte. Eine Abstimmung darüber könnte zu einem Pro oder Contra über Flüchtlinge werden, sagte Ahrens. Eine solche Polarisierung verhindere eine erfolgreiche Integration.



Baden-Württemberg

Weitere Kammer soll Asylverfahren beschleunigen



Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat zum 1. März drei neue Richterstellen zur Beschleunigung von gerichtlichen Asylverfahren bewilligt. Damit könne eine weitere Kammer bei den Verwaltungsgerichten gebildet werden, teilte das Justizministerium am 25. Februar in Stuttgart mit. Insgesamt seien seit vergangenen Mai 26 neue Richterstellen zur Bearbeitung von Asylverfahren geschaffen worden.

Im vergangenen Jahr waren den Angaben zufolge 9.266 Asylverfahren bei den baden-württembergischen Verwaltungsgerichten eingegangen, ein Plus von 1.564 Verfahren gegenüber dem Vorjahr. Das Land rechnet mit einer weiteren Steigerung der Verfahrenszahlen in den nächsten Monaten, wenn der Rückstand an unbearbeiteten Asylanträgen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufgelöst wird.

Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) sagte, dass die Asylverfahren in Baden-Württemberg nach Herkunftsländern geordnet und dann jeweils speziellen Gerichtskammern zugewiesen werden. Außerdem unterstütze die Landesjustiz ein Pilotprojekt des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum elektronischen Datenaustausch mit den Verwaltungsgerichten. Demnach werden Akten des BAMF künftig rein elektronisch auf gesicherten Übertragungswegen an das Verwaltungsgericht übermittelt. Damit entfielen zeitliche Verzögerungen auf dem Postweg.



Bundesregierung

Pflegeberuf soll attraktiver werden




Die Altenpflege fürchtet, mit der Ausbildungsreform ins Hintertreffen zu geraten.
epd-bild / Rolf Zöllner
In der Pflege stehen viele Veränderungen an. Die Bundesregierung will die Ausbildung vereinheitlichen. Doch die Kritik der Verbände an den Plänen reißt nicht ab. Und auch der Bundesrat trat unlängst noch auf die Bremse.

Der Patienten- und Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), sieht in der geplanten Reform der Pflegeausbildung einen Schritt, mehr Pflegekräfte zu gewinnen. Er sagte am 2. März in Berlin, die Zahl der Pflegebedürftigen nehme jedes Jahr um zwei bis drei Prozent zu, deshalb würden auch jedes Jahr 20.000 zusätzliche Pflegekräfte gebraucht. Der Beruf werde mit einer generalistischen Ausbildung attraktiver. Doch Verbände wie auch der Bundesrat sind skeptisch. Die Länderkammer beschloss am 26. Februar, den Start der Generalistik zu verschieben.

Eckpunkte für Ausbildungsverordnung

Laumann verwies auch darauf, dass der Pflegeberuf durch die Abschaffung des Schulgelds, die Einführung des Pflegestudiums und eine breitere Auswahl an Arbeitsmöglichkeiten attraktiver werde. Das Bundesgesundheitsministerium veröffentlichte am 2. März auf seiner Internetseite die Eckpunkte für eine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, nach der künftig alle Pflegekräfte gemeinsam ausgebildet werden sollen.

Der Plan der Regierung ist, die getrennte Altenpflege-, Krankenpflege- und Kinderkrankenpflegeausbildung bis 2018 zu beenden und den neuen Beruf der Pflegefachfrau beziehungsweise des Pflegefachmanns zu schaffen. Den Eckpunkten zufolge soll die Ausbildung weitgehend neu konzipiert werden. Sie dauert drei Jahre (oder fünf Jahre in Teilzeit) und umfasst 4.600 Stunden, davon 2.500 im praktischen Einsatz und 2.100 an einer Pflegeschule.

Anders als bisher sollen die Auszubildenden zu gleichen Teilen im Krankenhaus, im Altenheim und bei ambulanten Diensten lernen. Hinzu kommen kurze Einsätze in der Kinderkrankenpflege und der Psychiatrie und die Möglichkeit einer ersten praktischen Spezialisierung in einem Bereich.

Zugleich forderte Laumann die Heime auf, mehr Personal einzustellen. Vom kommenden Jahr an sollen die Demenzkranken besser versorgt werden. Dafür erhielten allein die Heime 800 Millionen Euro zusätzlich im Jahr, sagte der Pflegebeauftragte.

"Kein Mittel gegen Fachkräftemangel"

Kritik kam von den Arbeitgebern aus der Altenpflegebranche. Der Präsident des Bundesverbandes der privaten Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernd Meurer, sagte: "Wir haben die Auszubildenden dann nur noch 20 Wochen im eigenen Betrieb." Den Rest der Zeit seien sie in der Schule oder an anderen Einsatzorten, was vom Ausbildungsbetrieb organisiert werden müsse. Das könnten kleine Pflegeunternehmen nicht leisten.

Zudem orientiere sich die Ausbildungsverordnung weitgehend an der Krankenpflege: "Altenpflege und Kinderkrankenpflege bleiben schmückendes Beiwerk, sagte Meurer. Er fürchte deutliche Einbrüche bei den gegenwärtig hohen Ausbildungszahlen in der Altenpflege. Den Fachkräftemangel werde dies eher verstärken als mindern.

Die Pflege-Expertin der Grünen Bundestagsfraktion, Elisabeth Scharfenberg, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit Blick auf die Eckpunkte der neuen Ausbildung, ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich. "Fachwissen wird massiv verloren gehen." In der schulischen Ausbildung sollten offenbar gar keine spezifischen Kompetenzen mehr vermittelt werden. In der praktischen Ausbildung müssten Pflichteinsätze in allen Bereichen abgeleistet werden, so dass wenig Zeit bleibe, in einem Bereich vertiefte Kompetenzen zu erwerben. Der Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung der Ausbildung soll im März erstmals im Bundestag beraten werden.

Länder vermissen Finanzierungsplan

Die Bundesländer hatten zuvor nicht nur das Fehlen der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung beklagt. Auch liege noch keine Finanzierungsverordnung vor. Außerdem beklagte der Bundesrat, dass die Kosten, die mit der Reform für die Länder verbunden sein werden, im Gesetzentwurf der Bundesregierung nur unzureichend ausgewiesen seien. Deshalb müsse im weiteren Gesetzgebungsverfahren gemeinsam mit den Ländern eine nachvollziehbare und vollständige Einschätzung der Kosten der Reform der Pflegeausbildung erfolgen.

Friedhelm Fiedler, Vizepräsident des Arbeitgeberverbandes Pflege (AGVP): "Die Altenpflege hat schon heute eine anerkannt hohe Qualität. Würden die Ausbildungsinhalte generalisiert, wäre eine Verflachung der Ausbildung die Folge, mit schädlichen Folgen für die gesamte Altenpflege." Die Altenpflege dürfe sich nicht länger von den Interessen der Krankenhauspflege majorisieren lassen, sagte der Verbandschef.

Fiedler nannte das Reformvorhaben der Minister Hermann Gröhe (CDU) und Manuela Schwesig (SPD) überhastet. Er hoffe, dass sich in den Reihen des Bundestages zunehmend politische Klugheit durchsetze. "Wenn drei Ausbildungsberufe in eine Ausbildung gepresst werden, wird das zu einer Oberflächlichkeit und zu weniger speziellem Tiefenwissen führen." Er verwies auf die seit Jahren steigenden Zahlen in der Altenpflegeausbildung. "Dieser Trend darf nicht mutwillig durch ideologisch motiviertes Handeln torpediert werden."

Bettina Markmeyer / Dirk Baas


Gesetzentwurf

DGB verlangt bei Leiharbeit von Merkel Unterstützung



Der Deutsche Gewerkschaftsbund erhöht beim Thema Leiharbeit den Druck auf die Kanzlerin. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann forderte Angela Merkel (CDU) am 1. März in Berlin auf, die Gesetzgebung in Gang zu setzen. "Unsere Geduld ist am Ende", sagte Hoffmann. Es könne nicht sein, "dass die Arbeitgeber und vor allem die CSU die letzten wirksamen Maßnahmen aus dem Entwurf tilgen".

Mit dem Gesetz gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen soll die Dauer von Leiharbeit grundsätzlich auf 18 Monate beschränkt und nach neun Monaten der gleiche Lohn gelten wie für die Stammbelegschaften. Außerdem soll verboten werden, Leiharbeiter als Streikbrecher einzusetzen. Werkverträge sollen stärker reglementiert werden, damit sie nicht anstelle regulärer Anstellungen abgeschlossen werden.

Die CSU-Landesgruppe im Bundestag verlangt zahlreiche Änderungen an dem Gesetzentwurf von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Sie wirft Nahles vor, über das im Koalitionsvertrag Vereinbarte hinauszugehen. Daraufhin hatte das Kanzleramt in der vorigen Woche überraschend die Ressortabstimmung zwischen den Ministerien gestoppt, die Voraussetzung dafür ist, dass sich das Kabinett mit dem Gesetz befassen kann. Anschließend geht es in den Bundestag und in den Bundesrat.

Der DGB-Bundesvorstand sei "extrem verärgert", hieß es in der Erklärung. Es sei gerade sechs Wochen her, dass Merkel sich beim DGB dafür starkgemacht habe, dass das Gesetz kommt. Die Gewerkschaftsvorsitzenden erwarteten nun, dass sich Merkel gegenüber der CSU auch klar dafür einsetze, sagte Hoffmann.



Böckler-Stiftung

Deutscher Mindestlohn im EU-Vergleich "moderat"



Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Staaten ist der Mindestlohn in Deutschland laut einer Untersuchung eher niedrig. Der deutsche Mindestlohn liege mit 8,50 Euro pro Stunde unter den Lohngrenzen der übrigen westeuropäischen Staaten, die allesamt deutlich über neun Euro vorsähen, erklärte das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am 29. Februar in Düsseldorf. Im EU-weiten Vergleich sei der deutsche Mindestlohn "moderat", betonten die Forscher.

In den westeuropäischen Ländern rangieren die Lohnuntergrenzen demnach zwischen 8,50 Euro in Deutschland und 11,12 Euro in Luxemburg. Die südeuropäischen EU-Staaten haben Untergrenzen zwischen 3,19 Euro in Portugal und 4,20 Euro auf Malta. Etwas darüber liegt Slowenien mit 4,57 Euro je Stunde. In den meisten anderen mittel- und osteuropäischen Staaten sind die Mindestlöhne noch deutlich niedriger. Allerdings hätten diese Länder im Vergleich zu den anderen EU-Staaten beim Lohnniveau mittlerweile aufgeholt, erklärten die Wissenschaftler.

Der Untersuchung zufolge haben 22 von 28 Mitgliedsstaaten der EU einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. 17 von ihnen hätten ihre Lohnuntergrenze zum Jahreswechsel angehoben. Die Erhöhungen fielen laut dem WSI mit durchschnittlich 4,6 Prozent stärker aus als 2014.



Statistik

Tarifverdienste im Vorjahr um 2,1 Prozent gestiegen



Die tariflichen Verdienste sind im vergangenen Jahr in Deutschland um durchschnittlich 2,1 Prozent gestiegen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist das der geringste Anstieg seit 2011, als ein Plus von 1,7 Prozent erreicht wurde. Die Behörde in Wiesbaden bestätigte damit am 26. Februar eine vorläufige Berechnung von Anfang Januar.

Berücksichtigt sind tarifliche Grundvergütungen und tariflich festgelegte Sonderzahlungen wie Einmalzahlungen, Jahressonderzahlungen und tarifliche Nachzahlungen. Die tatsächlich gezahlten Bruttomonatsverdienste stiegen laut Bundesamt 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 2,8 Prozent. Im gleichen Zeitraum erhöhten sich die Verbraucherpreise um 0,3 Prozent.

Der vergleichsweise geringe Verdienstanstieg ist nach Angaben des Statistisches Bundesamtes vor allem auf einen Sondereffekt im Jahr zuvor zurückzuführen: Im Bereich des öffentlichen Dienstes gab es 2014 hohe Nachzahlungen. Da diese Nachzahlungen im Jahr 2015 nicht erfolgten, waren die Tariferhöhungen einschließlich Sonderzahlungen in den Bereichen, in denen überwiegend nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes des Bundes und der Gemeinden (TVöD) bezahlt wird, geringer als im Vorjahr.

Bei der Entwicklung der Verdienste gibt deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen. Am stärksten erhöhten sie sich im Jahr 2015 im Gastgewerbe (3,3 Prozent). Dort wirkte sich in den unteren Verdienstgruppen die Einführung des Mindestlohnes von 8,50 Euro aus, wie die Statistiker im Bundesamt erläuterten. Im Verarbeitenden Gewerbe sind die Tarifverdienste mit 3,2 Prozent ebenfalls überdurchschnittlich gestiegen, da es einen vergleichsweise hohen Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie gab.



Hochschulen

Teilzeitstudium nur in jedem zehnten Studiengang möglich



Nur jeder zehnte Studiengang in Deutschland kann auch in Teilzeit studiert werden. Laut einer am 29. Februar in Gütersloh veröffentlichten Studie des Centrums für Hochschulentwicklung gibt es im Saarland aktuell mit 64 Prozent den höchsten Anteil an in Teilzeit angebotenen Studiengängen. Dahinter liegen Hamburg mit 42,6 Prozent und Brandenburg, wo jeder dritte Studiengang in Teilzeit studiert werden kann.

Wie es weiter heißt, haben neun Bundesländer eine Quote unter dem Bundesdurchschnitt von zehn Prozent, darunter auch Nordrhein-Westfalen mit knapp sechs Prozent. Schlusslicht sei Sachsen-Anhalt, wo mit einem Anteil von 0,9 Prozent nicht einmal jeder hundertste Studiengang eine Alternative zum Vollzeit-Studien darstelle. Während im Berufsleben flexible Teilzeit-Modelle mittlerweile etabliert seien, sei man in der akademischen Aus- und Fortbildung "davon noch ein ganzes Stück entfernt", bewertete CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele die Zahlen.



Justiz

Mehr Verfahren am Bundessozialgericht



Das Bundessozialgericht in Kassel muss mit immer mehr neuen Verfahren zurechtkommen. "Die Neueingänge haben 2015 mit 4.032 Verfahren einen Spitzenwert erreicht", sagte Gerichtspräsident Peter Masuch am 26. Februar in Kassel. Im Jahr zuvor habe es nur 3.439 Verfahrenseingänge gegeben. Durchschnittlich müssten Bürger 11,8 Monate bis zum Abschluss eines Revisionsverfahrens warten.

Erschwert werde die Arbeit des Bundessozialgerichts dadurch, dass vier Vorsitzendenstellen derzeit nicht besetzt sind. Mehrere Richter aus den eigenen Reihen hätten sich erfolglos beworben und bei den Verwaltungsgerichten Klage eingereicht, sagte Mausch. Wann die Stellen besetzt werden können, sei unklar.

Die hohen Flüchtlingszahlen haben sich nach Angaben des Gerichtspräsidenten noch nicht auf die Arbeitsbelastung der obersten Bundesrichter ausgewirkt. Viele Streitigkeiten um Asylbewerberleistungen würden im Eilrechtsschutzverfahren entschieden, die vor den Sozial- und Landessozialgerichten enden. Erst die Hauptsacheverfahren würden dann beim Bundessozialgericht landen.

Auffällig ist laut Masuch, dass sich mehr Bürger per E-Mail an das Gericht wenden und um Hilfe bitten. Viele Bürger würden glauben, dass das Gericht Behörden einfach etwas anweisen kann, sagte Masuch. Das sei aber nicht so, vielmehr müsse der Rechtsweg eingehalten werden.

Kritisch äußerte sich Masuch zu Plänen der Justizministerkonferenz, künftig Fernsehkameras bei Urteilsverkündungen zuzulassen, um die Gerichtsbarkeit transparenter zu machen. "Ich bin nicht davon überzeugt, dass das eine richtige Maßnahme ist", sagte Masuch. Richter müssten dann bereits bei der Verkündung jedes Wort auf die Goldwaage legen, bevor das Urteil verschriftlicht wird.

Für die nahe Zukunft stehen in Kassel mehrere interessante Verfahren an. So soll geklärt werden, inwieweit das Elterngeld und Spielgewinne auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden müssen. Der Unfallsenat des Bundessozialgerichts will zudem über den Umfang des Unfallversicherungsschutzes bei Telearbeitsplätzen zu Hause entscheiden.



Strafvollzug

Psychiatrie

Forensik-Experte warnt vor verfrühter Entlassung



Forensik-Experten warnen davor, den Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter wieder zu verkürzen. Inzwischen seien bundesweit mehr als ein Viertel der rund 8.000 Forensik-Patienten mindestens für zehn Jahre im deutschen Maßregelvollzug untergebracht, erklärte der Maßregelvollzugsdezernent des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), Tilmann Hollweg, am 2. März in Lippstadt-Eickelborn. Zugleich wachse die Kritik durch die Öffentlichkeit, dass Straftäter viel zu schnell in den Maßregelvollzug kämen und dort zu lange blieben. Deshalb setzten sich Strafverteidiger häufig für eine zeitlich begrenzte Gefängnisstrafe anstatt einer unbefristeten Klinikunterbringung ein.

Es sei zwar problematisch, wenn psychisch Kranke wegen vergleichbarer Straftaten deutlich länger untergebracht seien als gesunde Straftäter, sagte der Forensik-Experte bei der Eröffnung der größten deutschen Expertentagung der forensischen Psychiatrie. Auch sei es grundsätzlich richtig, bei Maßregelvollzugspatienten das Delikt, den Therapiestand und die Gefährdungsprognose nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beurteilen. Riskant werde es jedoch, wenn die Patienten aufgrund eines Gerichtsbeschlusses entlassen werden müssten, obwohl die Klinikexperten eine Rückfallgefährdung nicht ausschließen könnten.

Die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit bei Maßregelvollzug haben sich in den vergangenen Jahren nach Worten des Forensik-Experten stark verändert. Nach der jahrelangen Parole "Wegsperren für immer" sei jetzt die Klage darüber populär, dass Straftäter viel zu schnell in den Maßregelvollzug hinein kämen. Die durchschnittliche Unterbringungsdauer in forensischen Kliniken für schuldunfähige Täter ist nach Worten von Hollweg bundesweit auf acht Jahre gestiegen. Im Jahr 2008 betrug die Verweildauer noch sechs Jahre.

Bei der 31. Eickelborner Fachtagung des LWL befassten sich rund 500 Teilnehmer drei Tage lang mit der Behandlung von psychisch kranken Straftätern sowie Sicherheit und Ethik im Strafvollzug. Unter dem Titel "Abwege und Extreme" diskutieren Kriminologen, Psychiater und Sozialwissenschaftler über Herausforderungen der Forensischen Psychiatrie.



Niedersachsen

Gemeinsamer Landesstützpunkt soll Hospizarbeit verbessern



Zur besseren Versorgung sterbenskranker Menschen und ihrer Angehöriger wollen in Niedersachsen vier Organisationen der Hospiz- und Palliativarbeit ihre Kräfte bündeln. Dazu haben sie am 24. Februar in Hannover den Verein "Landesstützpunkt Hospizarbeit und Palliativversorgung" gegründet. "In unserer Gesellschaft werden Krankheit und Tod zunehmend tabuisiert", sagte Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) bei der Gründungsfeier im Friederikenstift: "Umso wichtiger ist es, diejenigen zu unterstützen, die sich in der Palliativ- und Hospizarbeit engagieren."

Beteiligt sind die Landesvertretung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, die Niedersächsische Koordinierungs- und Beratungsstelle für Hospizarbeit und Palliativversorgung, die in dem Verein aufgeht, der Hospiz- und Palliativ-Verband Niedersachsen sowie das Betreuungsnetz für schwer kranke Kinder. Sie wollen mit dem gemeinsamen Stützpunkt mit Sitz in Celle ihre Angebote und Qualitätsstandards miteinander abstimmen. Das Land fördert den Angaben zufolge den neuen Stützpunkt in diesem Jahr mit knapp 240.000 Euro. Bis 2020 sei eine Förderung in ähnlichen Umfang geplant.

"Mit dem Landesstützpunkt wollen wir vor allem die Qualifikation und Weiterbildung der Ehrenamtlichen unterstützen, die Hospizdienste stärken und eine Beratungs- und Informationsstruktur für Einrichtungen und Einzelpersonen etablieren", sagte Rundt.



Bundesregierung

Handbuch für behinderte Menschen mit FASD



"Fetale Alkoholspektrumstörung - und dann?” lautet der Titel eines serviceorientierten Buches, das die Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, am 25. Februar in Berlin vorgestellt hat. Ein Buch, das verständlich und praxisorientiert für die Betroffenen geschrieben wurde und von Menschen mit FASD miterarbeitet wurde sei ein Ansatz, der viele erreichen könne, betonte die Beauftragte.

Das handliche Buch bietet den Angaben nach neben psycho-edukativen Hilfen kleine Arbeitsblätter und Anregungen, wie man den Alltag für sich, als Mensch mit FASD, leichter gestalten kann.

Die Aufklärung zur vollständigen Alkoholabstinenz während der Schwangerschaft müsse weiterhin vorangetrieben werden, forderte Mortler. Denn nur so könne man vollkommen sichergehen, dass diese Behinderung nicht auftreten könne.

Die Initiatorin der Publikation, Gela Becker vom FASD Fachzentrum/Sonnenhof, betonte außerdem die hohe Bedeutung des Buches für die Sensibilisierung der Hilfefelder. Das bundesweit erste Handbuch für Betroffene ist in leichter Sprache überarbeitet und kann beim Download in größerer Schriftgröße als in der Druckversion heruntergeladen werden.



Nordrhein-Westfalen

Familienministerin nennt Kinderarmut "beschämend"



Die nordrhein-westfälische Familienministerin Christina Kampmann (SPD) hat die hohe Kinderarmut in Nordrhein-Westfalen als "beschämend" bezeichnet. Kampmann forderte am 2. März bei einer Aktuellen Stunde im Düsseldorfer Landtag unter anderem mehr finanzielle Hilfen des Bundes für kinderreiche Familien, Alleinerziehende und zugewanderter Familien. "Ich lasse nicht zu, dass sich auf Bundesebene eine schwarze Null statt einer stärkeren Förderung benachteiligter Kinder durchsetzt."

Sozialminister Rainer Schmeltzer (SPD) erklärte, die Zahl von 637.000 von Armut betroffenen Kindern und Jugendlichen im Jahr 2014 in NRW sei "eindeutig zu hoch". Um langfristig Verbesserungen zu erreichen, sei vor allem eine sichere Erwerbsarbeit der Eltern notwendig.

CDU-Fraktionschef Armin Laschet warf der Landesregierung vor, bei der Bekämpfung der Kinderarmut versagt zu haben. Unter Verweis auf kürzlich vorgelegte Studien des Kinderschutzbundes NRW und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes erklärte Laschet, die Kinderarmut sei "in keinem anderen Flächenland in Deutschland so hoch wie in NRW". Der Oppositionschef zog auch eine Parallele zwischen Armut und Unterrichtsausfall an Schulen: Jede Stunde Unterrichtsausfall sei für Kinder mit Eltern, die selbst nicht helfen und auch keine Nachhilfe finanzieren könnten, "ein Anschlag auf die Bildungschancen". Schlechte Bildungschancen beförderten Armut.

Marcel Hafke (FPD) erklärte, wenn in NRW inzwischen 25 Prozent der Kinder in Armut lebten, sei das "peinlich und unverantwortlich". Nötig seien flächendeckende Ganztagsschulen, 24-Stunden-Kindertagesstätten sowie eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Kindererziehung. "Bildungserfolg hängt immer noch viel zu stark vom Geldbeutel der Eltern ab", kritisierte Hafke.




sozial-Branche

Familiennachzug

Kinderschutzbund bittet Gauck um Stopp des Asylpakets II




Minderjährige Flüchtlinge im Deutschunterricht.
epd-bild / mck
Der Kinderschutzbund kämpft gegen die geplanten Einschränkungen beim Familiennachzug auch für minderjährige Flüchtlinge. In einem Brief an Bundespräsident Gauck warnt die Organisation vor einem Verstoß gegen das Grundgesetz.

Der Kinderschutzbund hat Bundespräsident Joachim Gauck aufgefordert, das Asylpaket II wegen der Einschränkung des Familiennachzugs zu blockieren. "Wir bitten Sie herzlich, dieses Gesetz nicht zu unterzeichnen", heißt es in einem am 1. März veröffentlichten Brief des Kinderschutzbund-Präsidenten Heinz Hilgers an Gauck. Der Bundespräsident kündigte laut einem Zeitungsbericht an, die Einwände des Kinderschutzbundes zu prüfen.

Verstoß gegen das Grundgesetz

Die vorgesehene Einschränkung des Familiennachzugs verstoße nicht nur gegen internationale Abkommen, sondern auch gegen das Grundgesetz, das Ehe und Familie unter einen besonderen Schutz stelle, heißt es in dem Schreiben Hilgers'. Im Asylpaket II wird das Recht auf Familiennachzug für alle Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz für zwei Jahre ausgesetzt. Das soll auch für hier lebende Minderjährige gelten, deren Eltern dann nicht zu ihnen kommen können.

Das Gesetz war Ende Februar von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden. Es kann erst in Kraft treten, wenn der Bundespräsident es unterzeichnet. Er darf die Unterschrift nur aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken verweigern.

Hilgers schrieb, für Kinder sei der Familienzusammenhalt während des Krieges, auf der Flucht und beim Ankommen das Wichtigste. Eine gewaltsame Trennung über einen langen Zeitraum führe zu "gravierenden Bindungs- und Beziehungsstörungen". Die dadurch verursachten Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen seien in vielen Fällen irreparabel.

Negativer Einfluss auf Integrationswillen

"Die oft vorhandene Traumatisierung der Kinder wird dabei weder aufgehoben noch verarbeitet, sondern durch Ungewissheit, Unsicherheit und geringe Zuversicht fortgesetzt", heißt es in dem auf den 29. Februar datierten Brief, über den zunächst die "Berliner Zeitung" berichtete.

Auch könne die Aussetzung des Familiennachzugs den Integrationswillen massiv beeinflussen, schrieb der Präsident des Kinderschutzbundes. Außerdem werde die Beschränkung mit Blick auf die angestrebte Reduzierung der Flüchtlingszahlen nichts nützen. Vielmehr sähen sich Frauen und Kinder besonders aus Syrien "jetzt erst recht gezwungen, sich auf den oft lebensgefährlichen Weg nach Europa zu begeben".

Prinzipiell dürfe "ein geflüchtetes Kind nicht schlechter gestellt sein als ein Kind, das in Deutschland aufgewachsen ist", erklärte Hilgers. Ohnehin seien Menschenrechte "nicht nur eine Schönwetterangelegenheit. Gerade in der Krise müssen sie erst ihre Wirkung entfalten."

Da die Bundesregierung selbst eine Zahl von nur etwa 400 betroffenen Kindern genannt habe, sei es "umso erschreckender, dass wegen einer so geringen Zahl eine klare Verletzung der Menschen- und Kinderrechte sowie ein Bruch des Verfassungsauftrags in Kauf genommen" werde, schrieb der Präsident des Kinderschutzbundes.

Michaela Hütig


Behinderung

Blinde bauen Brücken für Gehörlose




Mirien Carvalho ist Schriftdolmetscherin.
epd-bild/Pat Christ
Moderne Technik ermöglicht, was vor einigen Jahren nur mit sehr viel Aufwand möglich war: Hörbehinderte oder Gehörlose können dank Schriftdolmetschern Vorträgen folgen oder an Bildungsmaßnahmen teilnehmen. In Würzburg werden Blinde dazu ausgebildet.

Auch hörbehinderte Menschen wollen studieren, sie möchten an Bildungsmaßnahmen und öffentlichen Vorträgen teilnehmen. Dies gelingt immer häufiger durch Schriftdolmetscher, die simultan mitschreiben, was ein Dozent oder Referent spricht. Auf seinem Laptop liest der Gehörlose dies in Echtzeit mit. Mirien Carvalho ist seit kurzem eine solche Schriftdolmetscherin. Neun Monate lang qualifizierte sich die von Geburt an blinde Frau hierzu am Berufsförderungswerk (BFW) Würzburg.

"Es entsteht ein gut lesbarer Text"

Um zu arbeiten, muss die frischgebackene Schriftdolmetscherin nicht quer durch die Republik zu Tagungen und Symposien reisen. Das Internet macht es möglich, dass die 46-Jährige viele Aufträge zu Hause in Marburg bearbeiten kann. Ein hörbehinderter Mensch nimmt zum Beispiel an einer wissenschaftlichen Tagung in Kassel teil. Carvalho ist dem Kongress online zugeschaltet. Sie hört sich an, was der Referent erzählt, schreibt mit und versucht parallel, die Informationen so aufzubereiten, dass der Hörbehinderte mit ihrem Text klarkommt. Sie fasst zusammen und gliedert ihre Mitschrift durch Punkte, Kommas, Fragezeichen und Absätze: "So, dass ein gut lesbarer Text entsteht."

Vor einem Jahr entschied sich das in Veitshöchheim bei Würzburg etablierte Berufsförderungswerk, den bundesweit ersten Lehrgang "Schriftdolmetscher" für Blinde und Sehbehinderte anzubieten. Acht Männer und Frauen aus allen Teilen Deutschlands, die nicht oder nur sehr wenig sehen, nahmen daran teil. Während des Kurses kamen sie zu 20 Präsenztage in das BFW. Zwölf Stunden lang wurde jeder Teilnehmer einzeln gecoacht. Insgesamt 70 Stunden dauerte das verpflichtende Online-Praktikum. Zudem galt es, sich das ABC des Schriftdolmetschens durch intensive Selbstlernphasen selbst anzueignen.

Blinde Schriftdolmetscher müssen sich im Vergleich zu ihren sehenden Kollegen noch einmal spezielles Know-how aneignen, erläutert Mirien Carvalho. So muss die in der Branche etablierte Technik, also etwa die Online-Konferenz-Software, die Transkriptions-Software für das Anschlagen von Buchstabenkombinationen und Kürzeln sowie das Spracherkennungsprogramm mit der technischen Ausstattung zusammenpassen, die ein blinder Mensch für die Arbeit am Computer benötigt. Carvalho: "Also mit der Sprachausgabe, dem Screenreader und der Braillezeile."

Auch Lernbehinderte profitieren

Ideengeberin des Lehrgangs war Irmgard Badura, Beauftragte der Bayerischen Staatregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung. Schriftdolmetscher leisten nach ihren Worten einen entscheidenden Beitrag dafür, dass hörbehinderte Menschen am gesellschaftliche Leben teilhaben und einer Arbeit nachgehen können: "Wobei ihr Nutzen noch darüber hinausgeht." Auch Menschen mit Lernschwierigkeiten, die den Gedanken eines Referenten während eines Vortrags nicht so schnell zu folgen vermögen, könnten von der Arbeit der Schriftdolmetscher profitieren.

Am 1. Juni wird die nächste Gruppe blinder und sehbehinderter Menschen den neunmonatigen Lehrgang beginnen. Teilnehmen können Interessenten, die sehr schnell schreiben, ein gutes auditives Gedächtnis, das Talent zum selektiven Hören sowie eine schnelle Auffassungsgaben haben. Die verschiedenen Methoden des Schriftdolmetschens werden ihnen unter anderem von Jan Jawinski beigebracht. Der 49-Jährige aus Zwickau ist der erste Blinde, der in Deutschland Schriftdolmetscher wurde.

Vor 13 Jahren nahm Jawinski als einziger Blinder in Dresden an der bundesweit ersten Schulung von Schriftdolmetschern teil. Heute ist der BFW-Dozent Vorsitzender des in Berlin etablierten Bundesverbands der Schriftdolmetscher. Die Nachfrage nach Menschen, die für Hörbehinderte Gesprochenes schriftlich übersetzen, steigt nach seinen Beobachtungen kontinuierlich an: "Denn es gibt inzwischen einen Rechtsanspruch hierauf, von dem auch immer mehr Hörbehinderte erfahren."

Pat Christ


Gastbeitrag

Behinderung

"Bildungsrahmenpläne bewähren sich in der Praxis"




Beatrix Heistermann
Foto: privat
Bildung und Weiterbildung sind in allen Werkstätten für behinderte Menschen ein Thema. Doch nicht alle haben dazu optimale Strukturen. Bildungsrahmenpläne eröffnen Bildungsbegleitern und Teilnehmern einen schnelleren Zugang zu den Ausbildungsinhalten. Die Haus Freudenberg GmbH zeigt, wie man ans Ziel kommt. Ein Gastbeitrag von Beatrix Heistermann, Leiterin in der Einrichtung.

Mit fünf weiteren Werkstätten schloss sich die Haus Freudenberg GmbH in Kleve 2010 zum "Netzwerk Berufliche Inklusion Niederrhein" zusammen. Haus Freudenberg ist eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und bietet zurzeit fast 1.950 Menschen vielfältige Möglichkeiten zur beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung. Das Ziel des Netzwerks ist es, für Menschen mit Behinderung den jeweils für sie am besten geeigneten Arbeitsplatz innerhalb oder außerhalb einer Werkstatt zu finden.

Das erste gemeinsame Ziel des Netzwerks war es, vorhandene Bildungsrahmenpläne an die Struktur der Ausbildungsrahmenpläne, die in der Ausbildung angewandt werden, anzupassen. Jede Werkstatt erarbeitete dazu je einen Bildungsrahmenplan. Die fertigen Pläne wurden anschließend allen teilnehmenden Werkstätten zur Verfügung gestellt. Das bedeutete einen hohen Nutzen bei geringem Aufwand für alle Beteiligten.

Die Erfahrungen aus dem Netzwerk brachte die Haus Freudenberg GmbH bei ihrer Arbeit in der Arbeitsgruppe Harmonisierung der Bildungsrahmenpläne ein, die auf Initiative der Bundesarbeitsgemeinschaften der Werkstätten gebildet wurde. Inzwischen ist die Erstellung von mehreren Bildungsrahmenplänen geschafft.

Einheitlicher Rahmen für Berufliche Bildung

Mit Vertretern aus zwei anderen Bundesländern erarbeitete Haus Freudenberg den Bildungsrahmenplan nach dem Ausbildungsberuf zum Gärtner/zur Gärtnerin der Fachrichtung Garten- und Landschaftsbau. Aufgrund der guten, gemeinsamen Vorbereitung in der Arbeitsgruppe aller beteiligten Länder war es möglich, den Bildungsrahmenplan strukturiert aufzubauen und alle Ausbildungsinhalte differenziert abzubilden.

Mit der Unterstützung der Fachkräfte aus dem Bereich des Garten- und Landschaftsbau wurden entsprechende Beispiele erarbeitet. Jetzt ist der Bildungsrahmenplan der einheitliche Rahmen für die Berufliche Bildung im Bereich Garten- und Landschaftsbau. Er umreißt sämtliche Fertigkeiten und Kenntnisse, die die Teilnehmer erwerben können. Daraus wird ein individuell angepasstes Bildungsangebot erstellt, das sich am Bedarf der jeweiligen Person orientiert und bei besonderer Eignung auch erweitert werden kann.

Dafür beurteilen die Bildungsbegleiter die bisherigen Kenntnisse und Fähigkeiten des Teilnehmers im Bildungsrahmenplan. Eine Fachkraft brachte es auf den Punkt und setzte den Bildungsrahmenplan mit einer Einkaufsliste gleich: Wenn alles erledigt wäre, dann wäre man am Ziel.

Aber wie ist so ein detaillierter Bildungsrahmenplan in der Praxis einsetzbar? Unser Vorgehen dabei war wie folgt: Zunächst wurde in einer Arbeitsgruppe festgelegt, welche Arbeiten im Garten- und Landschaftsbau unserer Einrichtung überwiegend anfallen.

Die Arbeiten, die nur durch zusätzliche Module oder Praktika in anderen Betrieben erlernbar sind, wurden in einer Exceltabelle mit der Filterfunktion ausgeblendet. Bei der Förderung von Teilnehmern auf den Stufen Berufsfeld- und Berufsbildorientierung können diese aber immer wieder eingeblendet und dahingehend überprüft werden, ob das Erlernen durch weitere Maßnahmen möglich wäre. Die Arbeitsgruppe legte ferner fest, welche Inhalte durch theoretische Unterweisungen oder durch praktische Übungen vermittelt werden sollen.

Reduktion des Lernstoffes

Das Ergebnis der Beurteilung bisheriger Kenntnisse und Fertigkeiten des Teilnehmers im Bildungsrahmenplan und ein im Haus Freudenberg entwickelter Kompetenzcheck ermöglichen eine Orientierung darüber, auf welcher Niveaustufe der Binnendifferenzierung der Teilnehmer gefördert werden soll. Aufgrund dieser Erkenntnisse wird in einem gemeinsamen Gespräch die Auswahl der Lernziele vereinbart und im Bildungsrahmenplan dokumentiert. Dadurch reduziert sich die Menge des Lernstoffes auf ein für den jeweiligen Teilnehmer realistisches Maß. Gleichzeitig erhält der Bildungsbegleiter ein geeignetes Instrument an die Hand, die Berufliche Bildung der Teilnehmer klar zu strukturieren.

In der Praxis zeigt sich, dass die Bildungsrahmenpläne den Bildungsbegleitern und Teilnehmern schon heute einen schnelleren Zugang zu den Ausbildungsinhalten und einen Überblick über Lerninhalte sowie einsetzbare Methoden bieten. Und sie enthalten Materialien für Anleiter und Teilnehmer. Durch die Zuordnung von vorhandenen und neu entwickelten Lernmaterialien zu einzelnen Ausbildungsinhalten erfährt der Bildungsbegleiter in der täglichen Arbeit Unterstützung.

Die Haus Freudenberg GmbH wird die Bildungsrahmenpläne im Arbeitsbereich weiterhin nutzen. Sie dokumentieren das Erlernte und zeigen, was noch erlernbar sein könnte. Perspektiven werden dadurch für alle Teilnehmer ermöglicht. Die Praxis bestätigt, dass Bildungsrahmenpläne auch bei Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf einsetzbar sind.

Außerdem werden die verschiedenen Qualifizierungsmöglichkeiten enger miteinander verknüpft, wenn sich Maßnahmen von Werkstätten am Ausbildungsrahmenplan orientierten. Ein ähnlicher Aufbau und die gleiche Sprache führen zu mehr Verständnis aufseiten der Arbeitgeber, die besser einschätzen können, welche Qualifikationen die Menschen mit Behinderungen mitbringen. Gleichwohl profitieren die Menschen mit Behinderungen, denn sie können die Anforderungen der Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes dadurch besser einschätzen.

Beatrix Heistermann leitet den Sozialen Dienst der Haus Freudenberg GmbH, die mit über 2.000 Beschäftigten behinderte Menschen betreut.


Wohlfahrtspflege

Muslimische Sozialarbeiter gründen Netzwerk



In Düsseldorf hat sich das "Netzwerk muslimischer Sozialarbeiter und Sozialpädagogen" (NEMUS) gegründet. Es sei ein Fachgremium für Wissenschaft, Praxis und Politik zur Unterstützung einer aufkommenden Freien islamischen Wohlfahrtspflege, teilte die Organisation am 29. Februar mit.

Seit einigen Jahren werde die Professionalisierung der sozialen Teilhabe von Muslimen innerhalb und außerhalb der islamischen Gemeinschaft intensiv und kontrovers diskutiert. Dabei korrespondiere dieser Diskurs mit einer in Deutschland aufkommenden islamischen Wohlfahrtspflege, hieß es.

Die Gründer sehen in einem speziellen Verband die logische Konsequenz einer freien Wohlfahrtspflege in der Zuwanderungsgesellschaft. Sozialarbeiter und Sozialpädagogen sowie andere Akteure der sozialen Arbeit könnten Multiplikatoren im Zentrum dieser gesellschaftlichen Debatte stehen und so einen Beitrag zur Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen von Muslimen und Nichtmuslimen leisten.

Ziel sei es, sich bessere zu vernetzen und die Kooperation voranzutreiben. "Neue innovative Konzepte der professionellen sozialen Arbeit und der Wohlfahrtspflege können so entstehen und für die interessierte Wissenschaft, Praxis und Politik zur Verfügung gestellt werden", so der Verband.



Online-Umfrage

Verband sammelt Aussagen zur Arbeit in der Pflege



Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat im Rahmen seiner Aktion "Mein Recht auf Frei" eine Online-Umfrage gestartet. Ziel sei es, von Fachkräften Details über deren aktuelle Arbeitssituation zu erfahren", teilte der Verband am 1. März in Berlin mit. Dabei gehe es um Fragen, wie verlässlich der Dienstplan ist, wann er ausgegeben wird und wie etwa kurzfristige Personalengpässe überbrückt werden.

Wie die Organisation weiter erläuterte, sei der Pflegealltag in Krankenhäusern, Heimen oder der häuslichen Pflege durch hohe Arbeitsdichte, häufig wechselnde Anforderungen und zu wenig Personal gekennzeichnet. Und obwohl die Arbeitsbelastung so hoch sei, werde häufig nicht sichergestellt, dass die für eine Regeneration dringend benötigten Ruhephasen auch gewährleistet sind. "Unsichere Dienstplanung, Einspringen aus dem Frei, kurzfristiges Wechseln von Schichten und fehlende oder verkürzte Pausen machen aber auf Dauer krank", betonte der DBfK.

Die Umfrage findet anonymisiert statt und bleibt bis Mitte April freigeschaltet.



Jahresbilanz

Bank für Sozialwirtschaft zufrieden mit 2015



Die Bank für Sozialwirtschaft AG hat für das vergangene Jahr eine positive Bilanz der Geschäftsentwicklung gezogen. Die Bilanzsumme sei mit 9,36 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr nahezu gleich geblieben, teilte das Institut am 1. März in Köln mit. Das Betriebsergebnis lag mit 81,5 Millionen Euro leicht unter dem Ergebnis des Vorjahres von 83,9 Millionen Euro.

Im Wachstumsmarkt Sozial- und Gesundheitswirtschaft habe die Bank ihre Position als führendes Spezialkreditinstitut weiter gefestigt, erklärte der Vorstandsvorsitzende Harald Schmitz. Angesichts der herausfordernden Rahmenbedingungen wie des anhaltenden Niedrigzinsniveaus sei dies ein sehr gutes Ergebnis.

Im Kundenkreditgeschäft erzielte die Bank den Angaben zufolge eine Steigerung um 4,6 Prozent auf 5,4 Milliarden Euro. Wie in den Vorjahren habe hier die langfristige Finanzierung von Investitionsvorhaben im Vordergrund gestanden. Die Kundeneinlagen seien trotz des anhaltenden Niedrigzinsniveaus im Geschäftsjahr 2015 mit 6,7 Milliarden Euro etwa auf dem Niveau des Vorjahres geblieben.

Die im Jahr 1923 von der Freien Wohlfahrtspflege gegründete Bank für Sozialwirtschaft konzentriert sich nach eigenen Angaben auf das Geschäft mit Unternehmen, Verbänden und Stiftungen in den Branchen Soziales, Gesundheit und Bildung. Zu den Kunden zählen Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser, Krankenkassen, Sozialversicherungsträger sowie Werkstätten und Wohnheime für Menschen mit Behinderung sowie Schulen in freier Trägerschaft.



Integrationsprojekt

Diakonie Karlsruhe startet Hilfe für Flüchtlinge



Das Diakonische Werk Karlsruhe will mit dem Projekt "Arbeit und Ausbildung für Flüchtlinge" die Integration beschleunigen. An fünf Standorten in Baden sollen Asylbewerber und Flüchtlinge bei der Ausbildungs- und Arbeitssuche beraten, unterstützt und begleitet werden, teilte das Werk am 29. Februar in Karlsruhe mit. Integration müsse sofort beginnen, nicht erst nach einem Jahr, hieß es.

Das Projekt soll vier Jahre laufen. Es soll unter anderem Industrie- und Handelskammern, Ministerien und Ämter, Arbeitgeber, Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbände vernetzen, sagte Wolfgang Stoll, Direktor des Diakonischen Werks Karlsruhe. Außerdem geht es um konkrete Hilfe bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche.

Allein im Landkreis Karlsruhe werden nach Diakonie-Angaben dieses Jahr rund 12.000 neu angekommene Flüchtlinge leben. Von ihrer erfolgreichen Integration hänge nicht nur deren eigenes, sondern auch das gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Wohl der gesamten Region ab, betonte die Diakonie.



Arbeitslosigkeit

Regine-Hildebrandt-Preis verliehen



Der Hildesheimer Verein "Arbeit und Dritte Welt" erhält den mit insgesamt 10.000 Euro dotierten Regine-Hildebrandt-Preis der Bielefelder Stiftung Solidarität. Zudem wird der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell ausgezeichnet, wie die Stiftung am 26. Februar mitteilte. Die Preisträger setzten sich nach Auffassung der Jury in beispielhafter Weise mit dem Thema Langzeitarbeitslosigkeit auseinander. Der Preis wird am 22. April in Bielefeld verliehen.

Der von Hildesheimer Gewerkschaftern gegründete Verein "Arbeit und Dritte Welt" biete Langzeitarbeitslosen ohne Berufsausbildung die Möglichkeit einer Erstausbildung zum Tischler, Metallbauer oder Bürokaufmann, hieß es. In dem Projekt "Langzeitarbeitslose leisten Entwicklungshilfe" erhielten Langzeitarbeitslose und schwerbehinderte Menschen eine Beschäftigungsmöglichkeit.

Der Koblenzer Sozialwissenschaftler und Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung, Stefan Sell, betreibe mit außergewöhnlichem sozialpolitischen Engagement den Blog "Aktuelle Sozialpolitik" (www.aktuelle-sozialpolitik.de) sowie ergänzend dazu die Facebook-Seite www.facebook.de/aktuelle.sozialpolitik. Die dort oft tagesaktuell veröffentlichten Informationen, Analysen und Kommentare aus stellten eine Gegenöffentlichkeit dar.

Die Auszeichnung wird seit 1997 für besonderes soziales Engagement vergeben. Das Preisgeld kommt gemeinnützigen Projekten nach Wahl der Preisträger zugute.



Auszeichnung

Pflegemanagement-Award in zwei Kategorien



Der Pflegemanagement-Award wird ab dem Jahr 2017 in zwei Kategorien verliehen. Künftig werde es einen Preis für den Pflegemanager des Jahres sowie für den Nachwuchs-Pflegemanager des Jahres geben, teilte der Bundesverband Pflegemanagement am 1. März in Berlin mit. So sollen die Leistungen des Pflegemanagements auf allen Ebenen besser gewürdigt werden, hieß es zur Begründung.

Der Pflegemanagement-Award für Nachwuchsführungskräfte sei seit seiner ersten Vergabe vor fünf Jahren ein fest etablierter Preis in der Pflegebranche geworden. Um dieses Potenzial zu erkennen und zu fördern, bedürfe es jedoch auch einer entsprechenden Führungskultur des Top-Managements.

Vor diesem Hintergrund haben sich der Bundesverband Pflegemanagement, Springer Pflege als Veranstalter des Kongresses Pflege und ZeQ als Hauptsponsor des Preises dazu entschlossen, den Award künftig in zwei Kategorien zu vergeben. Beim Nachwuchs werden weiterhin die ersten drei Kandidaten gekürt, beim Pflegemanager wird es eine Nummer eins geben.



Auszeichnung

"Schüler helfen Leben" gewinnt Integrationswettbewerb



Der Verein "Schüler Helfen Leben" in Neumünster ist einer von sechs Gewinnern des bundesweiten Integrationswettbewerbs "Alle Kids sind VIPs" der Bertelsmann Stiftung. Unter dem Motto "Deutschlands Städte machen Lärm" organisierte der Verein Benefizkonzerte in Hamburg, St. Peter-Ording, Kiel und Berlin, um auf die Diskriminierung von Roma aufmerksam zu machen. Dabei sammelten die Schüler Geld für Projekte, die sich für die Integration benachteiligter Kinder, wie die Bertelsmann Stiftung am 2. März in Gütersloh mitteilte.

Zu den weiteren Preisträgern für vorbildliche Integrationsprojekte von Jugendlichen zählen auch Teilnehmer aus Berlin, Oberhausen, Regensburg, Grevenbroich und Minden. Alle Preisträger erhalten Besuche von prominenten Botschaftern mit ausländischen Wurzeln wie dem Comedian Bülent Ceylan, dem Fußballspieler Gerald Asamoah, Model Rebecca Mir, dem Musiker Andreas Bourani und der Band "Culcha Candela". Die Siegerehrung findet am 12. April in Berlin statt.

Mit dem Wettbewerb "Alle Kids sind VIPs" zeichnet die Bertelsmann Stiftung seit 2008 Projekte von Jugendlichen zum Thema Integration und Fairness aus. Teilnehmen können Schüler der Klassen fünf bis zwölf sowie Vereine und Jugendeinrichtungen. Ziel des Wettbewerbs sind ein besseres Miteinander der Kulturen und faire Bildungschancen im deutschen Schulsystem.



Teilhabe

Neues Online-Angebot für sehbehinderte Fußballfans



Mit einem neuen Online-Angebot können sehbehinderte Fußballfans jetzt nachträglich Bundesligaspiele verfolgen. Das Zentrum für Sehbehinderten- und Blindenreportage (ZSBR) bietet auf seiner Internetseite ab sofort nach Spielende einzelne Beiträge von Begegnungen der ersten und zweiten Bundesliga an. Das Angebot solle schrittweise ausgebaut werden, kündigte die Arbeiterwohlfahrt als ZSBR-Mitbetreiberin am 2. März bei Vorstellung der Initiative in Leverkusen an.

Blindenreportagen gibt es in den deutschen Fußballstadien bereits seit 1999. Seitdem der Bundesligist Bayer Leverkusen damit an den Start ging, zogen inzwischen alle Vereine der ersten Bundesliga nach. In der zweiten Bundesliga wollen alle Vereine bis zum Ende der laufenden Saison den Service anbieten. In allen Stadien der Liga-Vereine sind dazu nach Angaben der Deutschen Fußball-Liga (DFL) Sitzplätze für Blinde reserviert - jeweils rund 20 pro Spielstätte in der ersten und je zehn Plätze in der zweiten Bundesliga.

Die Nachfrage ist groß: "Wir haben eine Auslastung der Plätze von 90 Prozent", sagte DFL-Referent Arne Stratmann. Über Kopfhörer bekommen die blinden Fußballfans die Liveberichte von ehrenamtlich tätigen Reportern eingespielt, von denen laut DFL aktuell rund 140 bundesweit im Einsatz sind. Für die Ausbildung dieser Berichterstatter ist seit September 2014 das ZSBR zuständig, das mehrmals im Jahr entsprechende Seminare anbietet. Damit soll ein bundesweit einheitlich hohes Niveau von Blindenreportagen gewährleistet werden. Die Ausschreibung für Bewerbungen zu den Seminaren kommen von den Vereinen, die auch die Kosten für die Technik auf den Sehbehinderten-Plätzen übernehmen.

"Eine gute Blindenreportage versucht das Fußballspiel, die Ereignisse auf und neben dem Spielfeld und im Stadion situationsgenau in Worte zu fassen. Ziel ist es, dass nichtsehende Menschen Fußball so erleben können wie Menschen ohne Sehbeeinträchtigung", sagte Awo-Präsident Wilhelm Schmidt über die Herausforderung für die Reporter. Der Unterschied zur Fußball-Radioreportage sei, dass die Blindenreporter noch genauer und detaillierter sein und jeden Pass und jede Spielsituation pausenlos in Worte übersetzen müssten. Denn die Hauptkritik der Nutzer laute: "Wenn ihr schweigt, bin ich wieder blind."

Initiatoren des Zentrums für Sehbehinderten- und Blindenreportage sind die AWO, die DFL und die Aktion Mensch. Im Service der Blindenreportage in den Stadien sehen sie nach eigenen Angaben einen wichtigen Beitrag für gelebte Barrierefreiheit im Alltag. "Sport ist ein idealer Treiber für Inklusion. Da wird Behinderung zur Nebensache", erklärte der Vorstand der Aktion Mensch, Armin von Buttlar.




sozial-Recht

EuGH

Wohnsitzauflagen für Flüchtlinge nur eingeschränkt möglich




Flüchtlinge protestieren gegen Wohnsitzauflagen.
epd-bild / Peter Roggenthin
Anerkannten Flüchtlingen darf nur bedingt ein Wohnort vorgeschrieben werden, urteilt der Europäische Gerichtshof. Die aktuellen Gesetzespläne für solche Beschränkungen in Deutschland sieht das Innenministerium dadurch aber nicht gefährdet.

Wohnsitzauflagen für Flüchtlinge können einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zufolge nur bei Integrationsproblemen auferlegt werden. Die Luxemburger Richter urteilten am 1. März, dass die Auflagen, die die Freizügigkeit sogenannter subsidiär Schutzberechtigter einschränken, grundsätzlich gegen EU-Recht verstoßen. Die Auflagen können allerdings rechtmäßig sein, wenn diese Menschen vergleichsweise große Integrationsprobleme haben, wie der EuGH mitteilte. In Deutschland, wo derzeit über eine Wohnsitzauflage auch für anerkannte Flüchtlinge diskutiert wird, stieß das Urteil auf ein geteiltes Echo.

Gegen Ghettobildung

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) begrüßte das Urteil. "Danach sind Wohnsitzauflagen grundsätzlich mit dem Europarecht vereinbar, so wie wir das Urteil lesen, auch für anerkannte Flüchtlinge", sagte der CDU-Politiker, der derzeit zu politischen Gesprächen in den Maghreb-Staaten ist. Gerade integrationspolitische Interessen benenne der Europäische Gerichtshof als legitime Begründung dafür. "Ich halte eine Wohnortzuweisung für Flüchtlinge für dringend erforderlich, damit es vor allem in Ballungsräumen nicht zur Ghettobildung kommt", sagte de Maizière.

Das Vorschreiben des Wohnorts soll in Deutschland dafür sorgen, dass die Belastung durch die Zahlung von Sozialleistungen gleichmäßig auf alle Bundesländer verteilt wird. Eine Wohnsitzauflage, die allein Personen mit subsidiärem Schutzstatus aus dieser Erwägung heraus erteilt wird, stehe der EU-Richtlinie aber entgegen, urteilte der EuGH. Allein integrationspolitische Erwägungen erkennt er als Rechtfertigung für die Beschränkung an.

In Deutschland gilt eine Wohnsitzauflage grundsätzlich für Flüchtlinge im Asylverfahren. Im Fall vor dem Luxemburger Gericht ging es um zwei 1998 und 2001 nach Deutschland gekommene Syrer, die als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt wurden. Der subsidiäre Schutz wird Flüchtlingen gewährt, die nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe politisch verfolgt werden, im Heimatland durch Krieg oder Folter aber ebenso bedroht wären. Flüchtlinge mit dem Anerkennungsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben dagegen derzeit volle Freizügigkeit.

Verschärfte Auflage in Planung

Die Koalition will das ändern. Unter anderem Bundesinnenminister de Maizière, Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) haben sich für eine Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge ausgesprochen, um einen vermehrten Zuzug in die Städte zu verhindern.

Die Auflage soll laut Regierungskreisen für Flüchtlinge gelten, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen und könnte eventuell befristet werden. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, die Arbeiten an einem Gesetzentwurf könnten nach dem Urteil nun beginnen. Einen Zeitplan gibt es demnach aber noch nicht.

Der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städtetag begrüßten das Urteil ebenfalls und forderten eine schnelle Einführung der Auflage für anerkannte Flüchtlinge. "Ohne eine Wohnsitzauflage sind kommunale Integrationsangebote nicht planbar, und es ist nicht gewährleistet, dass sie die Flüchtlinge auch tatsächlich erreichen", sagte Landkreistag-Hauptgeschäftsführer Hans-Günter Henneke.

Die Grünen und Pro Asyl lehnten die Pläne dagegen ab. "Wohnsitzauflagen dienen nicht der Integration, sondern erschweren sie", sagte der Innenpolitiker Volker Beck. Das Urteil sei "kein Blankoscheck für weitere Schikanen gegen Flüchtlinge".

Az.: C-443/14 und C-444/14

Phillipp Saure / Corinna Buschow


Bundessozialgericht

Hartz-IV-Kind kann Unterkunftskosten nicht geltend machen



Besucht ein auf Hartz IV angewiesenes Kind seinen getrennt lebenden Vater, kann es nicht selbst die Übernahme der dort anfallenden Unterkunftskosten einfordern. Nur weil das Kind die Wohnung des Vaters mitsamt Kinderzimmer mitnutzt, ist dies kein Grund dafür, dass das Jobcenter die Hälfte der Unterkunftskosten übernimmt, urteilte am 17. Februar das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Bestehe wegen der Wahrnehmung des Umgangsrechts ein zusätzlicher Wohnraumbedarf, müsse vielmehr der im Hartz-IV-Bezug stehende betroffene Elternteil dies geltend machen.

Im konkreten Fall hatten sich Eltern aus Leipzig getrennt. Beide Elternteile übernahmen die gemeinsame Sorge für den 2001 geborenen Sohn. Das Kind lebte jedoch bei der Mutter, die Arbeitslosengeld II erhielt. Alle 14 Tage besuchte es seinen studierenden Vater, der auf Bafög angewiesen war.

Für den Umgang mit seinem Kind hielt der Vater in seiner Drei-Zimmer-Wohnung ein Kinderzimmer bereit.

Das Kind verlangte vom Jobcenter daher die hälftige Übernahme der Unterkunftskosten. Es habe schließlich bei dem Vater einen Wohnbedarf, für den die Behörde aufkommen müsse.

Das BSG urteilte, dass das Kind keine Unterkunftskosten geltend machen könne. Die Unterkunftskosten würden bei dem Vater, der den Mietvertrag unterschrieben hat, anfallen und nicht beim Kind. Lebensmittelpunkt des Sohnes sei zudem bei der Mutter. Eine Aufteilung des Wohnbedarfs je nach dem Umfang des Aufenthaltes bei dem einen oder anderen Elternteil sei nicht möglich.

Allerdings könne der im Hartz-IV-Bezug stehende Elternteil grundsätzlich einen zusätzlichen Wohnraumbedarf geltend machen. Bei häufigen Besuchen des Kindes muss dann das Jobcenter eine größere Wohnung erlauben. Hier habe jedoch das Kind geklagt.

Inwieweit auch studierende Eltern, die laut Gesetz von Hartz IV ausgeschlossen sind, Hilfeleistungen für einen größeren Wohnraumbedarf verlangen können, ließ der Senat offen.

Az.: B 4 AS 2/15 R



Bundesgerichtshof

Anonymer Ärzte-Bewertung Grenzen gesetzt



Bewertungsportale im Internet müssen Ärzten auf Nachfrage geschwärzte Unterlagen von Patienten vorlegen, die anonym dem Mediziner eine schlechte Note gegeben haben. Das gelte zumindest dann, wenn bezweifelt wird, das es sich bei dem Notengeber tatsächlich um einen Patienten gehandelt hat, urteilte am 1. März der Bundesgerichtshof in Karlsruhe.

Danach können vom Arzt ausgestellte Rezepte oder Bonushefte des Patienten als Indiz gewertet werden, dass der Nutzer bei dem schlecht benoteten Arzt in Behandlung war. Die Belege dürfen nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aber vom Portalbetreiber geschwärzt werden, so dass weiterhin die Anonymität des Patienten gewährleistet ist.

Im konkreten Fall hatte ein Patient anonym seinen Zahnarzt auf dem Arztbewertungsportal "jameda.de" mit der Gesamtnote 4,8 besonders schlecht beurteilt. Für die Bereiche "Behandlung", "Aufklärung" und "Vertrauensverhältnis" gab es eine glatte 6.

Das wollte der Zahnarzt nicht auf sich sitzenlassen, der bezweifelte, dass der Bewerter Patient in seiner Praxis war. Der Mediziner forderte "jameda" ohne Erfolg auf, die Bewertung zu löschen. Das Portal hatte auf Nachfrage von dem Nutzer zwar eine weitere Stellungnahme erhalten, diese unter Hinweis auf den Datenschutz aber nicht an den Arzt weitergeleitet.

Der Bundesgerichtshof urteilte, das Portal habe seine Prüfpflichten verletzt. Gerade Bewertungsportale würden ein "gesteigertes Risiko von Persönlichkeitsrechtsverletzungen" in sich bergen, insbesondere wenn Bewertungen anonym abgegeben werden können. Hier hätte "jameda" den angeblichen Behandlungskontakt möglichst genau beschreiben müssen, um so dem Zahnarzt darlegen zu können, dass tatsächlich eine Behandlung vorlag. Über das Verfahren muss nun das Oberlandesgericht Köln erneut entscheiden.

Az.: VI ZR 34/15



Finanzgericht

Kinderfreibetrag verfassungswidrig niedrig



Nach Überzeugung des Niedersächsischen Finanzgerichts in Hannover ist der steuerliche Kinderfreibetrag zu niedrig und verstößt damit gegen das Grundgesetz. Er wurde zum Steuerjahr 2015 ein Jahr zu spät und zudem nicht in ausreichendem Umfang angehoben, wie das Gericht in einem am 23. Februar veröffentlichten Beschluss entschied. Es gewährte damit einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Töchtern vorläufigen Rechtsschutz.

Der Streit wirkt sich für alle steuerpflichtigen Eltern beim Solidaritätszuschlag aus. Bei der Einkommensteuer sind alle Eltern mit höherem Einkommen betroffen, die statt des Kindergeldes den steuerlichen Freibetrag in Anspruch nehmen.

Im konkreten Fall hatte das Finanzamt 2014 bei den Klägern einen Kinderfreibetrag in Höhe von 4.368 Euro für jedes ihrer beiden Kinder berücksichtigt. Der Existenzminimumbericht der Bundesregierung hatte das Existenzminimum eines Kindes aber in Höhe von 4.440 Euro berechnet - 72 Euro mehr.

Die Bundesregierung habe den Betrag dann zwar entsprechend angehoben, aber erst im Jahr 2015, so das Finanzgericht. Zudem seien bei der Berechnung des Freibetrags Kinder über sechs Jahre nicht ausreichend gewichtet worden. Eigentlich müsse der Kinderfreibetrag um mindestens 444 Euro jährlich höher liegen, rechneten die Hannoveraner Richter vor.

Schließlich rügte das Gericht, dass für arbeitslose unterhaltsberechtigte Kinder über 21 Jahre der reguläre Grundfreibetrag (2016: 8.652 Euro) angerechnet wird, für Kinder über 21, die sich noch in einer Ausbildung befinden, aber nur der niedrigere Kinderfreibetrag (2016: 4.368 Euro). Dafür gebe es keinen sachlichen Grund.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung wurde die Beschwerde zum Bundesfinanzhof in München zugelassen.

Az.: 7 V 237/15



Sozialgericht

Keine Entschädigung wegen Alkohol in der Schwangerschaft



Trinkt eine Frau während ihrer Schwangerschaft regelmäßig Alkohol, kann das später geborene Kind wegen erlittener alkoholbedingter Schäden keine staatliche Opferentschädigung verlangen. Denn während der Schwangerschaft könne eine "Leibesfrucht" kein Opfer einer Körperverletzung sein, entschied das Sozialgericht Düsseldorf in einem am 25. Februar veröffentlichten Urteil.

Der heute 58-jährige Kläger hatte eine Opferentschädigung vom Landschaftsverband Rheinland gefordert. Er warf seiner Mutter vor, dass diese während der Schwangerschaft zumindest mit bedingtem Vorsatz Alkohol getrunken und die Schädigung des Fötus billigend in Kauf genommen hatte. Wegen des Alkoholkonsums habe er "fetale Alkoholspektrumsstörungen" erlitten. Diese gehen mit einer Wachstumsminderung, intellektuellen Beeinträchtigungen, Organschäden und Verhaltensstörungen einher.

Doch der Alkoholkonsum einer werdenden Mutter ist keine Straftat, so das Sozialgericht in seinem Urteil vom 8. Dezember 2015. Nur bei einer "auf den Körper gerichteten Gewalttat" und einem daraus folgenden Gesundheitsschaden könne ein Anspruch auf Opferentschädigung bestehen.

Eine Leibesfrucht könne aber kein Opfer einer Körperverletzung sein. Strafrechtlich sei lediglich das ungeborene Leben selbst geschützt. Hier sei aber nicht belegt worden, dass die Mutter mit dem Alkoholkonsum einen illegalen Schwangerschaftsabbruch versucht habe. Der Lebenswandel einer Schwangeren unterliege deren Persönlichkeitsrechten und lasse sich außerhalb des Strafrechts nicht durch staatliche Eingriffe beeinflussen.

Az.: S 1 VG 83/14



Oberlandesgericht

Tod nach Dialyse: Schmerzensgeld für Familie



Eine Arztpraxis für Dialysepatienten im Sauerland muss einem Gerichtsurteil zufolge über 7.700 Euro Schmerzensgeld an die Hinterbliebenen eines Patienten zahlen, der infolge einer Behandlung verblutet war. Die Dialysebehandlung des aufgrund seiner Diabeteskrankheit erblindeten Mannes sei fehlerhaft gewesen, heißt es in dem am 2. März veröffentlichten Urteil des Oberlandesgerichts Hamm.

Nach dem Gutachten eines medizinischen Sachverständigen hätten es die Beklagten versäumt, die in der besonderen Situation gebotenen Maßnahmen zu treffen, um den blinden Patienten zu schützen, etwa durch die Fixierung eines Armes, so die Richter. Das Landgericht Arnsberg hatte die Klage noch in erster Instanz abgewiesen.

Der Fall liegt anderthalb Jahre zurück. Im Juni 2014 hatte sich während einer mehrstündigen Dialysesitzung des 67 Jahre alten Mannes eine im linken Oberarm befestigte Nadel gelöst, nachdem er sich bewegt hatte. Der Patient wurde in dem Moment nicht vom Personal der Gemeinschaftspraxis beobacht und bemerkte die starke Blutung selbst nicht. Bei der routinemäßigen Kontrolle war er bereits bewusstlos und musste noch in der Praxis reanimiert werden. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht, wo er am Folgetag verstarb.

Die Witwe des Mannes und ihre Kinder forderten unter anderem Schadensersatz in Höhe von 5.000 Euro. Ihrer Ansicht nach war der Ehemann und Vater zu spät notfallmedizinisch behandelt worden, weil die Ärzte ihn nicht ordnungsgemäß überwacht hatten. Die Klage war in zweiter Instanz überwiegend erfolgreich. Das Oberlandesgericht Hamm sprach der Familie neben dem Schmerzensgeld rund 2.700 Euro Beerdigungskosten zu.

Das Abrutschen einer Nadel während einer Behandlung sei eine seltene Komplikation, die in kürzester Zeit durch einen hohen Blutverlust zum Tod eines Patienten führen könne, heißt es in dem Urteil. Da der verstorbene Mann blind gewesen sei, sei es geboten gewesen, seinen linken Arm während der Dialysebehandlung zu fixieren. Das könne zwar nicht gegen den Willen des Patienten geschehen, aber dieser hätte zumindest über die Gefahren aufgeklärt werden müssen. Diese Sicherheitsmaßnahme sei bei eingeschränkten, insbesondere blinden Patienten zwingend erforderlich, weil die Betroffenen möglicherweise nicht in der Lage seien, selbst Alarm auszulösen.

Az.: 26 U 18/15




sozial-Köpfe

Verbände

Theo Lampe erhält Goldenes Kronenkreuz




Theo Lampe
epd-bild/Diakonie im Oldenburger Land
Theo Lampe, Migrationsexperte aus Oldenburg, hat mit dem Goldenen Kronenkreuz die höchste Auszeichnung erhalten, die die Diakonie in Deutschland zu vergeben hat.

Der 64-jährige Diplom-Sozialarbeiter und Sozialpädagoge erhielt das Kreuz für sein mehr als 35 Jahre anhaltendes Engagement in der Migrations- und Flüchtlingsarbeit bei der Diakonie im Oldenburger Land.

Lampe begann sein jahrzehntelanges Engagement im Oktober 1980 bei der Diakonie mit der damaligen "Griechen-Beratung" für Gastarbeiter. Bereits 1983 wurde er Fachreferent für die Ausländer- und Flüchtlingsarbeit. Schnell knüpfte er Kontakte zur syrisch-orthodoxen Kirche in Delmenhorst und zur Religionsgemeinschaft der Jesiden in Oldenburg. Lampe gilt landesweit als Experte für Flüchtlingsfragen.



Weitere Personalien



Karin Fankhaenel (59) wird am 7. März nach über 40 Dienstjahren beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) in den Vorruhestand verabschiedet. Zuletzt leitete seit 2013 sie das Integrationsamt. Fankhaenel ist stellvertretende Vorsitzende im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen und hat dort auch den Vorsitz im Fachausschuss Schwerbehindertenrecht übernommen.

Bernd Molzberger, Geschäftsführer, cusanus trägergesellschaft trier mbH (ctt), bleibt Vorsitzender des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen (AcU). Er wurde vom Vorstand für die Jahre 2016 bis 2019 gewählt. Stellvertretender Vorsitzender beleibt Matthias Scholz, Bereichsleiter Personal der Malteser Deutschland gGmbH in Köln. Für das vakante Amt des Schatzmeisters wurde Thomas Gäde, Geschäftsführer der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria Hospitalvereinigung St. Marien GmbH in Köln vorgeschlagen und vom Vorstand bestätigt.

Hans-Joachim Haeger (67), Pastor im Ruhestand und Vorsitzender des schleswig-holsteinischen Landesbeirates für den Vollzug in der Abschiebungshaft, ist mit der Bugenhagenmedaille ausgezeichnet worden. "Damit wird sein großes Engagement für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein angemessen gewürdigt", sagte Landespastor Heiko Naß: "Haeger hat einen wesentlichen Beitrag zur Abschaffung der Abschiebungshaft in Schleswig-Holstein geleistet und damit gezeigt, was ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit bewirken kann." Haeger besuchte regelmäßig das im November 2014 geschlossene Abschiebegefängnis in Rendsburg und setzte sich vor allem für eine bessere psychologische Betreuung der Inhaftierten ein. Haeger war seit der Gründung des Beirats im Jahr 2003 bis zur Auflösung im Mai 2015 Vorsitzender des Gremiums. Die Bugenhagenmedaille ist benannt nach Johannes Bugenhagen (1485 bis 1558). Der Freund Martin Luthers gilt als Reformator des Nordens.

Ann-Kathrin Eckardt, Redakteurin der "Süddeutschen Zeitung", und Beate Greindl vom Bayerischen Rundfunk werden mit dem mit 5.000 Euro dotierte Karl-Buchrucker-Preis der Inneren Mission München ausgezeichnet. Von Eckhardt stammt der Text "Gute Menschen", in dem sie ihre Erlebnisse als Flüchtlingshelferin schildert. Greindl hat eine Fernsehreportage mit dem Titel "Der Kommissar und seine Söhne" für die BR-Reihe "Lebenslinien" gedreht. Sie porträtiert darin einen Polizisten, der zwei Halbwaise adoptiert und einen Verein für auffällige Jugendliche gegründet hat. Der Themenpreis geht an den Hörfunkjournalisten Wolfgang Kerler für seine Reportage "Millionengeschäft Asyl - wer an den Flüchtlingen verdient", den Nachwuchspreis bekommt Maria Gerhard für die Reportage "Familienglück auf Umwegen". Sie erzählt das Schicksal eines siebenjährigen Pflegekinds, das nach zehn verschiedenen Familien endlich ein Zuhause findet. Beide Preise sind mit 3.000 Euro dotiert.

Reinhard Horn, Kinderliedermacher und Musikpädagoge, ist neuer Botschafter der Kindernothilfe. Gemeinsam setzen sich der Komponist und das Hilfswerk für die Rechte der Kinder weltweit ein. Horn ist der Kindernothilfe seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden. Der Lippstädter begleitete die Kindernothilfe bereits mehrfach musikalisch beim Evangelischen Kirchentag und anderen Großveranstaltungen, schrieb die Musik für ein Kindernothilfe-Musical und produzierte einen musikalischen Adventkalender. Der Studiendirektor für Musik und Religion war auch schon auf Tournee in Lateinamerika, wo die Kindernothilfe zahlreiche Projekte unterstützt.




sozial-Termine



Die wichtigsten Fachveranstaltungen bis April

März

8.-9.3. Fulda:

Forum "Mehr Inklusion durch Partizipation"

des Deutschen Caritasverbandes

Tel. 0761/200222

8.-10.3. Freiburg:

Seminar "Fundraising: Spender(innen) mit Herz und Verstand gewinnen"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

9.-10.3. Köln:

Fortbildung "Psychische Erkrankungen im Überblick. Umgang mit psychisch krnaken Klienten in der Beratung"

des SkF Gesamtvereins

Tel.: 0231/55702613

9.-11.3. Erfurt

Seminar "Aktuelle Fragen der Grundsicherung für Arbeitsuchende"

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980-312

www.deutscher-verein.de

10.-12.3. Berlin:

Deutscher Pflegetag 2016

des Deutschen Pflegerates

Tel.: 030/39877303

www.deutscher-pflegetag.de

12.3. Berlin: Workshop Medizinethik "Behandlung im Akkord - Ethische Überlegungen zum Umgang mit Zeit im Krankenhaus"

der Ev. Akademie zu Berlin

Tel.: 030/20355502

www.eaberlin.de

15.3. Münster:

Seminar "Abschluss von Vereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII für Einrichtungen der Eingliederungshilfe"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12 http://www.bpg-muenster.de/seminarangebote-bpg-unternehmensgruppe

16.3. Münster:

Weiterbildung "Jenseits von Fernsehkrimis - der Beitrag der Rechtsmedizin in Fällen der von Kindeswohlgefährdung"

der Fachhochschule Münster

Tel.: 0251/8364090

www.fh-muenster.de/weiterbildung-sozialwesen

16.-17.3. Berlin:

Fachtag "Europa in der Krise, Europa als Chande für jungen Menschen mit erhöhtem Förderbedarf"

der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugendsozialarbeit in Zusammenarbeit mit der EuropaBeratungBerlin

Tel.: 0711/1648922

www.bagejsa.de

17.-18.3. Berlin:

Kongress "Armut und Gesundheit"

des Vereins Gesundheit Berlin-Brandenburg

Tel.: 030/44319073

April

4.-6.4. Hannover:

Tagung "Unterstützung für Eltern mit Behinderung - Elternassistenz und Begleitete Elternschaft als Hilfen der Eingliederunghilfe und Jugendhilfe"

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/629800

www.deutscher-verein.de

4.-8.4. Freiburg:

Seminar "Konfliktmanagement als Führungsaufgabe"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

6.-8.4. Bergisch-Gladbach:

Fachtagung "Stabilisierung in unstabilen Zeiten: mit traumatisierten Menschen stabilisierend arbeiten"

des SkF-Gesamtvereins

Tel.: 0231/55702613

www.skf-zentrale.de

9.4. Berlin:

Symposium "Pflegequalität in der Notfallpflege"

des DBfK Nordost

Tel.: 030/208987260

www.dbfk.de

11.4. Hamburg:

Seminar "Einführung ins Online-Fundraising"

der Paritätischen Akademie Nord

Tel.: 040/41520166

www.paritaet-hamburg.de

13.4. Frankfurt am Main:

Fachtagung "Integration von minderjährigen unbegleiteten Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe"

des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik

Tel.: 069/95789-153

www.iss-ffm.de

15.4. Berlin:

Fortbildung "Rechtliche Aspekte der Pflegedokumentation"

des DBfK Nordost

Tel.: 030/208987260

20.-21.4. Frankfurt a.M.:

Messe und Kongress "Zukunft Lebensräume"

der Messe Frankfurt Exhibition GmbH

Tel.: 069/75750

www.zukunft-lebensraeume.de

26.4. Kassel

Fachtag "Die Pflegestärkungsgesetze - Ambulant und stationär, statt ambulant vor stationär!"

der diakonischen Fachverbände DEVAP und VdDD

Fax: 030/83001-25277

www.devap.info

27.4. Berlin

Strategieworkshop Krankenhaus "Stark aufgestellt für die Zukunft"

der Evangelischen Bank eG

Tel.: 0431/6632-1321

www.eb.de