sozial-Politik

Nachbarschaftshilfe

Senioren helfen sich gegenseitig in Bürgergenossenschaften




Senioren nutzen Bürgergenossenschaften zur Selbsthilfe.
epd-bild/Bocholter Buergergenossenschaft/Betz
Im Alter so lange wie möglich zu Hause leben - ein Baustein dazu kann organisierte Nachbarschaftshilfe in Senioren- oder Bürgergenossenschaften sein. Nach Meinung von Experten bekommen solche Initiativen aber zu wenig finanzielle Förderung.

"Ich stand vor einem Haufen praktischer Probleme", erinnert sich Ursula Lodewick an die erste Zeit nach dem Tod ihres Mannes. Zwar wirkt die rüstige Seniorin mit dem sportlichen, grauen Kurzhaarschnitt deutlich jünger als 81 Jahre. Dennoch stieß sie ständig an ihre Grenzen, etwa als sie in ihrem Reihenhaus in Bocholt umräumen wollte. "Man kann ja auch nicht ständig zu den Nachbarn rennen und um Hilfe bitten." Doch kam sie auf eine Lösung: In der Zeitung las Lodewick von der Bocholter Bürgergenossenschaft und wurde direkt Mitglied. Seitdem findet sie immer jemanden, der sie unterstützt.

Ein Zeitkonto bei der Genossenschaft

Zum Umräumen kam Bürgergenossenschafts-Mitglied Josef Schnelting vorbei und half ihr, das Bett über die enge Treppe ins Erdgeschoss zu transportieren. Dafür zahlte die Rentnerin acht Euro pro Stunde an die Genossenschaft. Drei Euro behält diese als Verwaltungsgebühr ein. Fünf Euro pro Stunde werden Josef Schnelting auf einem Zeitkonto gutgeschrieben.

"Jetzt kann ich noch helfen, später kann dann mir geholfen werden", sagt der rüstige Rentner. Sollte er in höherem Alter selbst einmal Unterstützung brauchen, kann er diese bei der Genossenschaft anfordern und dabei auf sein Zeitkonto zurückgreifen. Oder er kann sich auch das Geld auszahlen lassen.

Organisierte nachbarschaftliche Hilfe auf Gegenseitigkeit ist nicht neu. Zu Beginn der 90er Jahre lernte der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) Bürgergenossenschaften auf einer USA-Reise kennen. Daraufhin initiierte er eine Reihe von Modellprojekten im Ländle. Doch bundesweit richtig Schwung aufgenommen hat die Idee erst in den vergangenen Jahren.

Ein Drittel der rund 230 Genossenschaften in Deutschland sei in den vergangenen fünf Jahren gegründet worden, sagt Doris Rosenkranz, Leiterin eines vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekts zu Seniorengenossenschaften. "Das Thema ist durch den demografischen Wandel stärker geworden", stellt die Sozialwissenschaftlerin von der Technischen Universität Nürnberg fest. Seniorengenossenschaften könnten ein Baustein in der Versorgung älterer Menschen sein, damit diese länger selbstständig in den eigenen vier Wänden wohnen können.

Engpässe in der Kinderbetreuung

Viele Senioren kämen im Großen und Ganzen noch gut alleine zurecht, sagt Andrea Kuhlmann vom Institut für Gerontologie an der Technischen Universität Dortmund. Doch kleine Arbeiten im Haushalt wie das Auswechseln einer Glühlampe könnten schon einmal zum unüberwindlichen Problem werden.

Hier springen Bürgergenossenschaften ein: Mitglieder können sich melden, wenn sie zum Beispiel Hilfe beim Einkaufen oder eine Begleitung ins Konzert brauchen, Bilder aufgehängt oder Formulare ausgefüllt werden müssen. Die Bocholter Genossenschaft bietet darüber hinaus auch Hilfe für Eltern, wenn Engpässe in der Kinderbetreuung entstehen. Dafür könnten auch ältere Menschen einspringen.

Ein Ersatz für professionelle Anbieter wie etwa Pflegedienste seien Seniorengenossenschaften aber nicht, betont Andrea Kuhlmann. Sie hat die Gründung der Bocholter Genossenschaft im Rahmen eines Modellprojekts begleitet, das vom Land Nordrhein-Westfalen und der EU gefördert wurde. Die Genossenschaft habe einen Katalog von Angeboten, die von den Leistungen professioneller Dienstleister oder Organisationen genau abgegrenzt seien.

Viele rechtliche Hürden

Bislang sind nach den Erkenntnissen von Rosenkranz bundesweit erst etwa 75.000 Menschen Mitglied von Seniorengenossenschaften. Vielfach fehlt wohl das Vertrauen in das Modell. "Es ist ein Wechsel auf die Zukunft", sagt Rosenkranz. Entscheidend sei eine gute Organisation und Verlässlichkeit. Denn die Menschen, die heute Zeit investierten, könnten später nur dann selbst profitieren, wenn es auch in Zukunft genügend junge oder rüstige Mitglieder gibt.

Deshalb hätten Genossenschaften, in denen die Mitglieder nur Zeit ansparten, meist weniger Zulauf, sagt Rosenkranz. Erfolgreicher seien Modelle wie das in Bocholt, bei denen für die Leistung bezahlt und das Honorar hinterlegt werde. Die Genossenschaftsmitglieder können sich ihre angesparten Honorare dann auch jederzeit auszahlen lassen.

Allerdings seien für die Gründung solcher Genossenschaften viele rechtliche Hürden zu überwinden, sagt Kuhlmann. Das erfordere Menschen, die bereit seien, ehrenamtlich viel Zeit zu investieren. Nach ihrer Meinung müsste das Engagement für Seniorengenossenschaften stärker durch Anschubfinanzierungen gefördert werden. Bislang unterstütze lediglich Bayern die Gründung von Seniorengenossenschaften mit bis zu 30.000 Euro.

Claudia Rometsch


Weltkulturerbe

Interview

"Genossenschaften aktueller denn je"




Werner Böhnke
epd-bild/Raiffeisen-Gesellschaft
Mit der Aufnahme der Genossenschaftsidee in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit hat das Modell des gemeinschaftlichen Wirtschaftens eine besondere Anerkennung erfahren. Die Grundlagen für die Genossenschaften legten vor über 150 Jahren die deutschen Sozialpioniere Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch.

Raiffeisen gründete Mitte des 19. Jahrhunderts Hilfsvereine, um große Teile der Landbevölkerung vor dem Hungertod zu bewahren. Der sogenannte "Brodverein" wurde zur Keimzelle der Genossenschaftsidee. Heute sind nach Angaben des Vorsitzenden der Deutschen Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft, Werner Böhnke, in über 100 Staaten mehr als 800 Millionen Menschen in rund 900.000 Genossenschaften organisiert - und beeinflussen die wirtschaftliche und soziale Entwicklung vieler Länder. Mit einem "stolzen" Böhnke sprach Markus Jantzer.

epd sozial: Warum war es Ihnen wichtig, dass die Genossenschaftsidee in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wird?

Werner Böhnke: Uns ging es zum einen darum, die "Gründerväter" des modernen Genossenschaftswesens in Deutschland, Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Herrmann Schulze-Delitzsch, zu würdigen. Gleichzeitig wollten wir auf die hohe Bedeutung und bleibende Aktualität genossenschaftlichen Wirkens in vielen Bereichen hinweisen. Die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO bringt seit 2003 die Vielfalt an kulturellen Ausdrucksformen und menschlicher Kreativität aus allen Regionen der Welt zur Geltung. Wir sind stolz, dass Deutschland die Genossenschaftsidee als allererste deutsche Nominierung auf internationaler Ebene eingereicht hat.

epd: Was hat den Ausschlag für das positive Votum gegeben?

Böhnke: Überzeugt hat die UNESCO das bürgerschaftliche Engagement im sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich, das durch Genossenschaften jenseits privater und staatlicher Wirtschaftsformen zum Ausdruck kommt - aufbauend auf ideellen Grundsätzen wie Solidarität, Ehrlichkeit, Verantwortung und Demokratie. Die Anerkennung der genossenschaftlichen Idee als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit durch die UNESCO Ende November 2016 ist eine Würdigung all derer, die sich in genossenschaftlichen Initiativen und auf dem Fundament "Was einer nicht schafft, das schaffen viele" erfolgreich engagieren.

epd: Was lässt sich über die Jury sagen, die die Entscheidung in Addis Abeba getroffen hat?

Böhnke: Die Jury setzt sich aus Vertretern von 24 gewählten Vertragsstaaten der UNESCO-Konvention zum Immateriellen Kulturerbe zusammen. Die Vertreter der Jury haben sich im Vorfeld sehr intensiv mit unserer Bewerbung auseinandergesetzt und während der Sitzung eine ganze Reihe von fundierten Nachfragen an die deutsche Delegation gerichtet.

epd: Welche Folgen erwarten Sie nun aus der "Adelung" der Genossenschaftsidee?

Böhnke: Die zentralen Botschaften von Friedrich Wilhelm Raiffeisen sind heute aktueller denn je. Raiffeisen, der erfüllt war von der christlichen Nächstenliebe und der ständigen Bereitschaft, in Not geratene Menschen über die Hilfe zur Selbsthilfe zu unterstützen, hat seine Ideen konsequent und beharrlich in die Tat umgesetzt. Bei all seinem Handeln hat er nie danach gefragt: Was habe ich davon? - sondern stets: Was kann ich tun? Diese von Überzeugung und Konsequenz geprägte Haltung ist auch Maßstab beim Einsatz all derer, denen die Genossenschaftsidee am Herzen liegt. Die UNESCO-Auszeichnung macht deutlich: Die Genossenschaftsidee lebt! Und die ihr innewohnende Werteorientierung kann in vielerlei Hinsicht jene Begrenzung sein, in der Maß und Mitte nicht verloren gehen.

epd: Sollten Genossenschaften in Deutschland mehr als derzeit zum Einsatz kommen, um soziale und wirtschaftliche Ziele zu erreichen?

Böhnke: Der genossenschaftliche Gedanke ist in der deutschen Wirtschaft fest verankert. Beträchtliche Bereiche der Energieversorgung werden beispielsweise zunehmend über regionale Genossenschaften abgedeckt. Auch in sozialen Sektoren, in der Landwirtschaft, im Gewerbe und im Finanzwesen spielen Genossenschaften eine wichtige Rolle. Das in ihnen verankerte Regionalprinzip macht Dinge im besten Sinne begreifbar, nachvollziehbar und transparent. Gleichwohl lassen sich gerade mit Blick auf die gegenwärtigen Herausforderungen die Weichen für eine noch stärkere Verbreitung genossenschaftlicher Prinzipien in Wirtschaft und Gesellschaft stellen.

epd: In welchen Aufgabenfeldern sollte das geschehen?

Böhnke: Besonders am Herzen liegt mir die Jugend. Für viele junge Menschen sind heute Konsum, Besitz oder Profit kein Lebenselixier mehr. Sie wollen sich ideell verwirklichen und zu einer nachhaltigeren, gerechteren Gesellschaft beitragen. Die Genossenschaftsidee passt zum Lebensgefühl dieser Generation. Zeitgemäß formuliert hat Raiffeisen gesagt: Entdecke, was in dir steckt. Trau dir was zu. Verstehe Anstrengung nicht als Belastung, sondern als Herausforderung. Wer sich ein Ziel setzt, darauf hin arbeitet und es erreicht, der tankt Selbstvertrauen - und verspürt Lebensglück. Das versuche ich immer wieder, insbesondere jungen Menschen, zu vermitteln.

epd: Welches Gewicht haben Genossenschaften in der deutschen Wirtschafts- und Sozialbranche?

Böhnke: Lassen Sie mich einige aktuelle Zahlen nennen: Die Zahl der bei den Genossenschaften in Deutschland beschäftigten Personen beläuft sich auf rund 970.000 Voll- und Teilzeitkräfte. Außerdem bieten die Genossenschaften rund 47.000 jungen Menschen Ausbildungs- und Traineeplätze. Zum Jahresende 2016 gab es in Deutschland über 8.000 genossenschaftliche Unternehmen. Im vergangenen Jahr wurden rund 200 Genossenschaften neu gegründet. Zum Vergleich: Um die Jahrtausendwende wurden nur rund 45 Genossenschaften pro Jahr errichtet.

Übrigens gilt die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft eG aufgrund ihrer Struktur als die insolvenzärmste Rechtsform in Deutschland. Mittlerweile sind über 22 Millionen Menschen, also rund jeder vierte Bundesbürger, genossenschaftlich organisiert. Sie haben das Modell des "gemeinschaftlichen Wirtschaftens" für sich entdeckt. Sie organisieren gemeinschaftlich Lösungen für Wohnraum, Nahrung und Kredite, aber auch für Kranken- und Altenbetreuung sowie Energiefragen. Ich glaube, weitaus mehr Bürger könnten Gefallen an einer Nachahmung finden - wir müssen nur immer wieder an die eG und ihre Vorzüge erinnern.

epd: Sollte "der Staat" die Genossenschaftsidee und konkret die Gründung von Genossenschaften unterstützen? Oder ist die beste Unterstützung, dies der Entscheidungsfreiheit der Bürger zu überlassen?

Böhnke: Wir rufen nicht nach der Unterstützung des Staates, aber konkrete Handlungsfelder gibt es durchaus. Beispielsweise in der Existenzgründungsberatung: Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern könnten bei ihren diesbezüglichen Aktivitäten noch stärker darauf hinwirken, die eingetragene Genossenschaft als Rechtskleid zu wählen, um auf diese Weise den Rahmen für eine spezifische Unternehmenskultur zu schaffen.

epd: Welche Rolle spielt die Genossenschaftsidee in anderen Staaten?

Böhnke: Es gibt kaum ein Land auf dieser Welt ohne Genossenschaften. In über 100 Ländern sind heute mehr als 800 Millionen Menschen in rund 900.000 Genossenschaften organisiert. In Ländern wie Brasilien, Indien, Japan und auch in den USA haben sie eine herausragende volkswirtschaftliche Bedeutung. Die Kulturform der Genossenschaften verbindet Menschen auf der ganzen Welt. So trägt die Genossenschaftsidee zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen bei. Zugleich wird sie durch kreative Veränderungen immer wieder an moderne Gegebenheiten angepasst.



Pflege

Experten fordern gesetzliche Regelung zur Personaldichte in Kliniken



In Deutschland muss sich einer Studie zufolge eine Pflegekraft um 13 Patienten kümmern. In anderen Ländern ist das Verhältnis besser. Wissenschaftler fordern ein neues Gesetz. Die Regierung verweist auf eine gute finanzielle Ausstattung der Kliniken.

Wissenschaftler der Hochschule Hannover sowie der dortigen Medizinischen Hochschule haben im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung die Personalschlüssel in Krankenhäusern untersucht und international verglichen. Nach der am 9. Februar veröffentlichten Studie sind gesetzliche Regelungen in den USA und Australien am stärksten. Die Gewerkschaft ver.di forderte die Bundesregierung auf, den Krankenhäusern per Gesetz einen festen Personalschlüssel vorzugeben. Das Bundesgesundheitsministerium erklärte, die Krankenhäuser erhalten in den kommenden Jahren mehrere Milliarden Euro zusätzlich, die auch dem Personal zugutekämen.

"Deutschland hinkt hinterher"

Das Zahlenverhältnis zwischen Pflegern und Patienten sei nicht nur ein wichtiger Gradmesser für die Arbeitsbedingungen, betonten die Wissenschaftler. Sie beeinflusse auch die Qualität der Pflege und die Patientengesundheit. Empirische Studien hätten gezeigt, dass sich die Personalbemessung unter anderem auf das Risiko von Infektionen, Thrombosen und Todesfällen durch zu spät erkannte Komplikationen auswirke.

Insgesamt hinke Deutschland bei der Personalausstattung in den Krankenhäusern hinterher, erklärten die Studienautoren. Bei einer internationalen Vergleichsstudie aus dem Jahr 2012 kamen statistisch gesehen in den USA durchschnittlich 5,3 Patienten auf eine Pflegefachkraft. In den Niederlanden waren es sieben, in der Schweiz 7,9. In Deutschland musste sich eine Krankenschwester oder ein Pfleger dagegen um 13 Patienten kümmern.

Für Sylvia Bühler vom Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di "zeigt der internationale Vergleich den dringenden Handlungsbedarf. Die gesetzliche Personalbemessung in Kliniken muss kommen", sagte sie in Berlin. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) verwies darauf, dass andere Länder mit verbindlichen Personalschlüsseln "gute Erfahrungen gemacht haben".

830 Millionen Euro zusätzlich

Das Bundesgesundheitsministerium bestätigte, dass eine gute Patientenversorgung nur mit ausreichend Personal gelingen könne. "Deshalb sorgen wir für mehr Pflegepersonal am Krankenbett." Mit dem neu eingeführten Pflegezuschlag und dem Pflegestellen-Förderprogramm erhielten die Krankenhäuser bis zu 830 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr, "um dauerhaft mehr Personal zu beschäftigen", erklärte das Ministerium.

Jasmin Maxwell, Markus Jantzer


Armut

Obdachlos, mit Spreeblick




Obdachlosencamp unweit des Kanzleramtes in Berlin.
epd-bild/Rolf Zöllner
Die Zelte und Schlaflager von Obdachlosen auf Plätzen und Grünanlagen im Zentrum Berlins gehören immer mehr zum Stadtbild. Jetzt gehen die Behörden gegen die illegalen Camps vor.

Sie leben mitten im Berliner Regierungsviertel, direkt am Spreeufer. Der oberhalb des Ufers verlaufende geschwungene Panoramaweg des Spreebogenparks bildet an dieser Stelle ein mehrere hundert Meter langes schützendes Betondach, unter dem sich ihre Zelte aneinanderreihen. Vor den Behausungen stehen Gaskocher, Kochgeschirr und Schuhe, über den Bänken hängen Schlafsäcke zum Auslüften, an einem Betonpfeiler lehnt ein Besen, daneben stapeln sich Bücher.

Wohnungslos und berufstätig

Die dienstälteste Bewohnerin des Obdachlosen-Camps lebt seit sechs Jahren an diesem Ort gegenüber vom Bundesbildungsministerium und ist studierte Betriebswirtschaftlerin. Udo ist erst seit Weihnachten hier, zuvor habe er gegenüber unter der Hugo-Preuß-Brücke gewohnt, sagt der 58-Jährige. Ein anderer Mann, er will seinen Namen nicht nennen, hat vor anderthalb Jahren sein Zelt in einer der Nischen aufgeschlagen. Er ist zwar berufstätig, aber wohnungslos und geht von hier aus jeden Morgen zur Arbeit. "Bei diesen Mieten kann ich nicht mehr mithalten", sagt er.

Obwohl das wilde Camp unweit des Kanzleramtes zu allen Jahreszeiten sehr präsent ist, ließen die Berliner Behörden die Bewohner jahrelang gewähren. Ene Januar rückten dann plötzlich Polizei und Ordnungsamt an und begannen zu räumen. Zelte, Schlafsäcke und weitere Habseligkeiten flogen in einen mitgebrachten Container. Erst auf Intervention von eilig herbeitelefonierten Unterstützern und nachdem ein Kamerateam eines Privatsenders auftauchte, stoppten die Behörden ihr Tun und räumten den Obdachlosen eine 48-Stunden-Frist ein.

Udo besuchte dann in Begleitung des Kamerateams den zuständigen Bezirksbürgermeister, Stephan von Dassel (Grüne), im Rathaus von Berlin-Mitte und handelte einen weiteren Kompromiss aus. "Geräumt wird nicht, solange nicht eine für alle annehmbare Lösung gefunden wurde", berichtet Udo. Warum von Dassel sie aber überhaupt weg haben wollte, habe er ihm nicht verraten.

Schwäne und andere Wildvögel getötet

Die stillschweigende Duldung der Lager lasse die Zahl der illegalen Camper immer weiter anwachsen, verteidigte der Bezirksamtschef später das Vorgehen. Deswegen werde illegales Campieren auf öffentlichen Flächen jetzt unterbunden. Das wilde Campieren zu tolerieren, sei nicht sozial und löse keine Probleme. Es gebe ausreichend Hilfsangebote für die Menschen.

Im Großen Tiergarten hatte der Grünen-Politiker bereits mehrere wilde Zeltlager räumen lassen. Entfernt wurden insgesamt 15 Zelte, bewohnt vorwiegend von Wanderarbeitern aus Ost- und Südosteuropa. Das illegale, vermüllte Camp wurde schon mehrfach von den Behörden aufgelöst, zuletzt im November, nachdem bekannt wurde, dass die Bewohner Schwäne und andere Wildvögel aus dem Tiergarten töteten und verzehrten.

"Bei uns geht es aber ganz anders zu", sagt der eloquente Udo am Spreebogen. "Wir achten auf Ordnung und Sauberkeit. Wir wären doch bescheuert, wenn wir hier überall hinkacken würden." In der Tat liegt nirgendwo Müll, die Steinplatten sehen aus wie frisch gefegt, Zigarettenkippen landen in einem Aschenbecher. WC und Körperhygiene erledigen die Bewohner im benachbarten Hauptbahnhof oder im Bahnhof Friedrichstraße, Gutscheine für die dortigen Duschen werden ihnen immer wieder von Unterstützern zugesteckt.

Versagen des Sozialstaates

Elf bis zwölf Menschen leben derzeit am Spreebogen, sagt der Mann, der berufstätig ist, "alles Deutsche". Es habe aber auch schon Polen und Bulgaren unter den Bewohnern gegeben, das wechsele immer mal wieder. Ihre Schicksale sind alles Geschichten vom Versagen des Sozialstaates. Sie sind aus unterschiedlichsten Gründen durch die Maschen des soziales Netzes gerutscht und auf der Straße gelandet.

Udo etwa war früher mal Eventmanager in München, "vor drei Jahren habe ich noch Maßanzüge getragen, dann wurde ich krank", den Berufstätigen warf eine Scheidung aus der Bahn, ein Graubärtiger arbeitete bis vor wenigen Jahren im Hausservice der Europäischen Zentralbank in Frankfurt, konnte dann nicht mehr und füttert seitdem die Wildenten auf Spree.

Sie würden alle gerne ihren kalten Zelte gegen eine warme Wohnung tauschen, sagt der Berufstätige. "Aber es muss bezahlbar sein. Ich bin nicht bereit, nur für die Miete zu arbeiten." Sie hoffen auf ein Angebot der Behörden, dann würden sie auch freiwillig gehen: "Aber ohne Vorankündigung uns einfach so räumen, das geht nicht."

Eine Unterstützerin hat Udo als Übergangslösung für drei Wochen ihre Wohnung angeboten, so lange sie verreist ist. "Das ist nett, kann ich aber nicht annehmen", sagt der 58-Jährige. Nach drei Wochen warmer Wohnung wieder auf die Straße zurückzumüssen, "das ist für mich zu viel Achterbahn".

Markus Geiler


Obdachlose

Neues "MedMobil" auf Stuttgarts Straßen



Das Projekt "MedMobil" konnte dank zahlreicher Spenden ein neues Ambulanzfahrzeug anschaffen. Träger der Initiative, die Menschen am Rande der Gesellschaft medizinisch versorgt, sind die Vereine Ambulante Hilfe und Ärzte der Welt, wie die Diakonie Württemberg am 6. Februar mitteilte.

Nachdem die Mittel für die Projektfinanzierung Ende 2015 aufgebraucht waren, hatte die Stadt Stuttgart im Januar 2016 die Regelfinanzierung für die Initiative übernommen und die Projektträger beauftragt, Spenden für ein dringend benötigtes neues Fahrzeug zu sammeln. Insgesamt kamen über 100.000 Euro zusammen.

Dank der neuen mobilen Praxis, die mit einer Behandlungsliege, kleineren Geräten für Untersuchungen und Behandlungen sowie nichtverschreibungspflichtigen Medikamenten ausgestattet ist, kann MedMobil weiterhin in den Straßen von Stuttgart präsent sein.

Seit 2009 bieten die Helfer im Rahmen der Wohnungsnotfallhilfe wohnungslosen und armen Menschen medizinische Versorgung und soziale Beratung an - kostenlos, anonym und unbürokratisch. Bis zu sieben Mal pro Woche fährt das MedMobil zu den Tagesstätten der Wohnungsnotfallhilfe oder sucht öffentliche Orte auf.

Um den Zugang zu erleichtern und die Menschen an eine adäquate medizinische Versorgung anzubinden, ist MedMobil auf eine enge Kooperation mit niedergelassenen Praxen angewiesen. Derzeit arbeiten insgesamt 15 Praxen eng mit dem Projekt zusammen. 2016 hat MedMobil 292 Sprechstunden angeboten. Dabei konnten 2.064 Konsultationen sowie 422 Erstkontakte verzeichnet werden - Tendenz leicht steigend.



Kirchen

EKD hofft auf "wegweisendes Urteil" des EuGH zu humanitären Visa




Syrische Flüchtlinge in einem Lager im Libanon nahe der Stadt Barr Elias (Archivbild).
epd-bild / Thomas Lohnes
Eine Stellungnahme des EU-Generalanwaltes könnte womöglich Flüchtlingen in Zukunft sichere Fluchtwege nach Europa eröffnen. Noch ist es nicht so weit, denn der Europäische Gerichtshof hat in der Sache erst zu entscheiden. Aber die EKD macht sich Hoffnungen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat das Gutachten des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu humanitären Visa begrüßt. "Im Asylbereich wäre es ein wegweisendes Urteil", wenn sich auch die Richter des EuGH dem Gutachten anschlössen, sagte die Leiterin des Brüsseler EKD-Büros, Katrin Hatzinger, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Während von der EU derzeit viel dafür getan werde, Menschen vom Weg nach Europa abzuhalten, nehme Generalanwalt Paolo Mengozzi "die EU-Grundrechtecharta beim Wort".

Mengozzi hatte am Dienstag in Luxemburg seine sogenannten Schlussanträge zu einem Fall aus Belgien vorgelegt. Eine syrische Familie hatte im Oktober 2016 im belgischen Konsulat im libanesischen Beirut humanitäre Visa beantragt, um in Belgien einen Asylantrag stellen zu können. Belgien lehnte die Visa zunächst ab. Mengozzi befand nun, dass der EU-Visakodex in Verbindung mit der EU-Grundrechtecharta Belgien verpflichte, Visa auszustellen. Das Urteil der EuGH-Richter, die dem Generalanwalt meist folgen, steht noch aus.

Norm wird nur restriktiv ausgelegt

Der fragliche Artikel 25 im EU-Visakodex "wird von vielen Mitgliedstaaten als reine Ermessensnorm und nationale Angelegenheit angesehen", sagte Hatzinger. "Es gilt aber das Unionsrecht." Auf diesem Wege könnten auch Menschen wie die syrische Familie die EU-Grundrechtecharta in Anspruch nehmen, die unter anderem vor unmenschlicher Behandlung schützt.

Hatzinger vertritt die EKD seit 2008 in Brüssel gegenüber den europäischen Institutionen. Ähnlich wie andere religiöse Gemeinschaften, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen versucht die EKD so, Einfluss auf die europäische Gesetzgebung zu nehmen. Daneben verfolgt sie die Rechtsprechung des EuGH.

Urteil des Gerichts ist nicht vorhersehbar

Die konkreten Auswirkungen eines Urteils im Sinne der Schlussanträge seien schwierig vorherzusehen, sagte Hatzinger. Wichtig sei, dass damit auf EU-Ebene endlich mehr legale Zugangswege für Schutzsuchende geschaffen würden. Wahrscheinlich müssten die Konsulate ihr Personal aufstocken, denkbar seien aber pragmatische Lösungen, etwa gemeinschaftliche Visa-Abteilungen mehrerer EU-Staaten.

Offen ist der EKD-Vertreterin zufolge, wie das noch ausstehende EuGH-Urteil die Revision des Visakodex beeinflussen wird. Denn das EU-Gesetz wird ohnehin gerade überarbeitet. Dabei mache sich das Europaparlament mit Unterstützung der Kirchen für mehr humanitäre Visa stark, während die EU-Regierungen die Visa gerade beschränken wollten, sagte Hatzinger. Das Europaparlament bekäme mit einem solchen Urteil jedenfalls "noch ein wahnsinnig starkes Argument an die Hand".

Phillipp Saure


Flüchtlinge

Der Visakodex der EU



Der Visakodex der EU wurde 2009 per Verordnung erlassen. Seit dem Jahr 2010 ist er in sämtlichen Schengen-Staaten unmittelbar geltende europarechtliche Grundlage für die Erteilung von Visa, die zur Durchreise durch das Schengen-Gebiet oder zu einem maximal drei Monate währenden Aufenthalt berechtigen.

In der Verordnung sind der Verfahrensablauf und die Voraussetzungen geregelt, die nötig sind, um Visa an Staatsangehörige aus Nicht-EU-Staaten zu vergeben. Für die Prüfung des Antrages ist demnach das EU-Land zuständig, das als Reiseziel angegeben wird. Der Visumantrag ist in der Regel beim Konsulat des Ziellandes einzureichen und kann frühestens drei Monate vor der geplanten Reise gestellt werden.

Die Behörden prüfen stets, ob der Antragsteller die im Schengener Grenzkodex festgelegten Einreisevoraussetzungen erfüllt. Dazu gehört, dass bei ihm kein Risiko der rechtswidrigen Einwanderung besteht, er keine Gefahr für die Sicherheit darstellt und dass er das EU-Land vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums zu verlassen beabsichtigt. Über den Antrag muss innerhalb von 15 Kalendertagen entschieden werden.

Kritiker, darunter die Grünen, dringen darauf, bei der Überarbeitung des Kodex im EU-Parlament dafür zu sorgen, dass mehr Visa aus humanitären Gründen vergeben werden. Das ist zwar bereits jetzt möglich, doch rechtlich kompliziert geregelt. Die Folge: Die Mitgliedsstaaten nutzen die Möglichkeit von humanitären Visa bislang kaum. Auf die Verpflichtung der Staaten, humanitäre Visa für besonders bedrohte Menschen zu erteilen, hatte am 7. Februar der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Paolo Mengozzi, hingewiesen.



Kirchen

Studie: Stimmung gegenüber Flüchtlingen ist stabil



Skepsis und Zuversicht halten sich die Waage bei der Frage, ob Deutschland die Herausforderungen der Flüchtlingskrise bewältigen kann. Eine neue Studie der evangelischen Kirche belegt aber: Ein "Kippen" der Stimmung gibt es nicht.

Die Deutschen begegnen den Flüchtlingen im Land offenbar zu etwa gleichen Teilen mit Zuversicht und Skepsis. Die Einstellung in der Bevölkerung sei nach wie vor geteilt, aber stabil, lautet das Ergebnis einer am 8. Februar in Hannover veröffentlichten Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Erhebung beruht auf telefonischen Befragungen zu vier Zeitpunkten zwischen November 2015 und August 2016.

Entgegen mancher Befürchtung sei die Stimmung in Deutschland demnach nicht gekippt, heißt es in der Studie mit dem Titel "Skepsis und Zuversicht - Wie blickt Deutschland auf Flüchtlinge?" Beide Stimmungslagen hielten sich die Waage. "Die Meinungen darüber, ob Deutschland die Herausforderungen aufgrund der Flüchtlingssituation bewältigen wird, waren bereits zu Beginn der Umfrage geteilt. Und daran hat sich bis August 2016 praktisch nichts geändert."

15 Prozent sehen erfolgreiche Integration

An die 15 Prozent der Befragten zeigten sich durchweg sicher, dass Deutschland die Herausforderungen meistern würde. Etwa ebenso viele waren zu allen Zeitpunkten überzeugt, dass es nicht funktionieren würde. Jeweils rund 20 Prozent antworteten mit "eher nicht" und "eher ja. Die übrigen 30 Prozent mit "teils - teils". Regionale Tendenzen waren dabei auszumachen: Im Westen bewege sich die Stimmungslage leicht zum Positiven, im östlichen Bundesgebiet überwiege die Skepsis.

Zu einer zuversichtlichen Perspektive tragen den Befragungen zufolge am stärksten positive Erfahrungen in der persönlichen Begegnung mit Geflüchteten bei. Das Engagement in der Bevölkerung sei insgesamt leicht gestiegen. Im November 2015 setzten sich den Zahlen zufolge 10,9 Prozent für Flüchtlinge ein, im Mai 2016 waren es 11,9 Prozent. Ohne Berücksichtigung von Sach- oder Geldspenden waren es im November 2015 7,3 Prozent der Bevölkerung, im Mai 2016 knapp neun Prozent.

Diese Ergebnisse zeigten, "dass das beeindruckende Engagement der Bevölkerung keineswegs das Strohfeuer einer nur vorübergehenden 'Willkommenskultur' ist", wird in der Studie betont. Der Einsatz der Bevölkerung müsse aber gewürdigt und weiter gefördert werden. Das gelte besonders im östlichen Bundesgebiet, wo die Engagierten weniger mit sozialer Anerkennung rechnen könnten.

Mehrheit bestätigt positive Entwicklungen

Unterm Strich verbinde die Mehrheit der Deutschen mit der Zuwanderung anhaltend auch positive Entwicklungen, lautet ein weiteres Ergebnis. Deutlich mehr als vier Fünftel der Befragten bejahten die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland als humanitäre Hilfeleistung. Auch die kulturelle Bereicherung wurde unterstrichen.

Zugleich hätten sich jedoch auch die Sorgen kaum verändert. An erster Stelle stehe die Sorge vor wachsendem Rechtsextremismus (mehr als 80 Prozent), gefolgt von befürchteter Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt (fast 80 Prozent). Auch Angst vor mehr extremistischen Muslimen im Land wurde vielfach geäußert (rund 70 Prozent).

Die Befragungen erfolgten im Rahmen bundesweiter telefonischer Mehrthemenumfragen des Meinungsforschungsinstituts Kantar Emnid. Zielgruppe waren deutschsprachige Befragte ab 14 Jahren. Zeitpunkte der Umfragen waren November 2015 sowie Februar, Mai und August 2016.



Hessen

Evangelische Flüchtlingskonferenz wirbt für Familiennachzug



Auf der ersten Flüchtlingskonferenz der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und der Diakonie Hessen am 4. und 5. Februar in Frankfurt am Main hat Kirchenpräsident Volker Jung für einen erleichterten Familiennachzug plädiert. "Die Not vieler Menschen dauert an - ob in Syrien, Afghanistan, Eritrea oder auch in den Flüchtlingslagern in Griechenland", sagte er vor 350 Teilnehmern. "Bei uns sind Menschen, die von ihrer Familie getrennt sind, und es ist unklar, ob und wann sie mit ihren Familien zusammenkommen können." Ohne Familie sei jedoch die Integration schwerer möglich.

Der Flüchtlingskoordinator der hessischen Landesregierung, Staatsminister Axel Wintermeyer (CDU), hob die tatkräftige Hilfe der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände bei der Aufnahme der Flüchtlinge im Land hervor: "Insbesondere die vielfältige Unterstützung beim Spracherwerb, bei den Ausbildungshilfen und die Vermittlung gemeinsamer Werte für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft sind das Fundament für eine gelingende Integration."

Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen, Horst Rühl, betonte den engen Zusammenhang von Glauben und helfendem Handeln. Rühl äußerte sich begeistert von dem anhaltenden Engagement der freiwilligen und beruflichen Mitarbeitenden in der Flüchtlingsarbeit. Zugleich richtete er einen Appell an die hessische Landesregierung, einen Abschiebungsstopp für afghanische Flüchtlinge zu prüfen. Eine Abschiebung nach Afghanistan sei aus humanitären Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen, sagte Rühl.



EU

Umverteilung von Flüchtlingen zu langsam



Die Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien in andere EU-Länder hat sich zwar in den vergangenen Monaten beschleunigt, verläuft aber laut EU-Kommission insgesamt weiter zu langsam. Von ursprünglich geplanten bis zu 160.000 Menschen sind bislang 11.966 in andere EU-Länder gebracht worden, wie die Kommission am 8. Februar in Brüssel mitteilte. Im Dezember sei mit 1.926 Umverteilungen die bisher höchste Zahl in einem Monat erreicht worden.

EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos sprach zwar von einem "Fortschritt", mahnte zugleich aber mehr politischen Willen der europäischen Regierungen an.

Der EU-Ministerrat hatte im September 2015 in zwei Beschlüssen die Umverteilung von bis zu 160.000 Menschen aus Griechenland und Italien innerhalb von zwei Jahren beschlossen. Die anderen Staaten sollten, proportional zur eigenen Größe und Leistungskraft, Menschen von dort aufnehmen. Zwischenzeitlich wurden 54.000 Plätze sozusagen umgewidmet. Mitgliedstaaten können jetzt auch Syrer, die im Rahmen des EU-Türkei-Paktes legal in die EU kommen, aufnehmen und auf ihre Verpflichtungen aus den Umverteilungs-Beschlüssen anrechnen. Weitere 7.000 Plätze sind laut EU-Kommission noch nicht zugeteilt worden.

Deutschland hat den Zahlen zufolge bislang 700 Menschen aus Italien und 1.342 aus Griechenland aufgrund der Beschlüsse von 2015 aufgenommen. Verpflichtet ist es demnach zur Aufnahme von 10.327 Menschen aus Italien und von 17.209 aus Griechenland.



Hessen

Einigung mit Kommunen über Flüchtlingskosten



Die Hessische Landesregierung und die Kommunen haben sich über die Erstattung der Flüchtlingskosten für die Städte und Landkreise bis zum Jahr 2020 geeinigt. Finanzminister Thomas Schäfer und Sozialminister Stefan Grüttner (beide CDU) sprachen am 4. Februar von einem tragfähigen Kompromiss, der in den Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden in Hessen erzielt worden sei.

Danach bleibt es für weitere vier Jahre bei den Pauschalen, die zum 1. Januar 2016 um 45 Prozent angehoben worden waren. Verbesserungen für die Kommunen ergeben sich vor allem bei der Erstattung der Gesundheitskosten für die Flüchtlinge. Den Angaben zufolge gibt es bei der sogenannten großen Pauschale für die Flüchtlinge, die den Kommunen zugewiesen werden, weiterhin eine Staffelung je nach Region.

Für die Unterbringung und Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden demnach an die Städte Frankfurt, Wiesbaden, Darmstadt und Offenbach weiterhin 1.050 Euro pro Flüchtling und Monat gezahlt. Im übrigen Regierungspräsidium Darmstadt, also in Südhessen, sowie in der Stadt Kassel beträgt die Summe 940 Euro, in den übrigen Städten und Landkreisen der Regierungsbezirke Gießen und Kassel 865 Euro. Zu den weiteren Vereinbarungen gehört, dass der Grenzbetrag, ab dem den Kommunen die Gesundheitskosten erstattet werden, auf 10.000 Euro abgesenkt wird.



Hessen

Flüchtlingshelfer klagen vor Verwaltungsgericht



Mehr als zwanzig Flüchtlingshelfer, die sich als Bürgen für Flüchtlinge zur Verfügung stellten, haben beim Gießener Verwaltungsgericht Klagen eingereicht. Ein Teil der Kläger habe Bescheide vom Jobcenter mit einer Zahlungsaufforderung erhalten, sagte der Sprecher des Verwaltungsgerichts, Reinhard Ruthsatz, am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Einige Klagen richteten sich gegen Städte und Landkreise.

Die Kläger haben Ruthsatz zufolge sogenannte Verpflichtungserklärungen, also Bürgschaften, für einreisende Flüchtlinge unterschrieben, die von ihren Familienangehörigen nach Deutschland nachgeholt wurden. Damit verpflichteten sich die Bürgen auf Grundlage von Paragraf 68 des Aufenthaltsgesetzes, die Kosten für den Lebensunterhalt des Einreisenden zu tragen. "Das kennt das Ausländerrecht seit Jahrzehnten", sagte Ruthsatz. Die Bundesrepublik sei schon immer der Auffassung, dass Einreisende selbstständig für ihren Lebensunterhalt aufkommen müssten.

Die Kläger argumentierten unter anderem damit, dass sie sich vorher vom hessischen Innenministerium beraten ließen, sagte Ruthsatz. Sie seien davon ausgegangen, dass die Bürgschaftsverpflichtung erlischt, sobald die Einreisenden nach der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtlinge anerkannt würden. Das seien diese inzwischen auch.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem aktuellen Urteil vom 26. Januar zugunsten eines Jobcenters entschieden: Danach haftet der Bürge für die Lebensunterhaltskosten eines Bürgerkriegsflüchtlings auch noch nach seiner Anerkennung als Flüchtling. Nach Angaben der "Gießener Allgemeinen Zeitung" fordern die Jobcenter in der Region mittlerweile insgesamt 80.000 Euro von den Flüchtlingshelfern. Das Verwaltungsgericht Gießen sei nur zuständig für Mittelhessen, erklärte Ruthsatz. Vermutlich lägen auch anderen Gerichten Klagen vor.



Berlin

Landeseigener Betrieb betreut Flüchtlinge



Berlin will Asylsuchende künftig auch in landeseigenen Flüchtlingsunterkünften unterbringen. Damit werde ein landeseigener Betrieb beauftragt, kündigte Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) am 7. Februar in Berlin an. Geplant seien insgesamt drei landeseigene Unterkünfte mit Plätzen für bis zu 700 Flüchtlinge. Etwa Mitte des Jahres sollen die Heime in Betrieb genommen werden. Die landeseigenen Flüchtlingsunterkünfte sollen eine Ergänzung, aber kein Ersatz für Heime mit privaten Betreibern sein, hieß es.

Mit dem Schritt wolle der Berliner Senat künftig rasch in Notlagen reagieren und diese abfedern können, betonte die Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke). So sollen geflüchtete Menschen schneller adäquat untergebracht werden können. "Eine Situation der Handlungsunfähigkeit wie im vergangenen Jahr soll damit vermieden werden", ergänzte Kollatz-Ahnen.

Ende vergangenen Jahres standen mehrere fertiggestellte Flüchtlingsunterkünfte in Berlin leer, obwohl Tausende Asylsuchende in Berliner Turnhallen übernachteten. Die Flüchtlinge konnten teilweise bis heute nicht in neue Unterkünfte umziehen, weil die öffentlichen Vergabeverfahren für die Betreiber der Heime noch nicht abgeschlossen waren.

Zudem werde sich der Berliner Senat Hilfe vom landeseigenen Betrieb "Fördern und Wohnen" aus Hamburg holen. Im nächsten halben Jahr sollen rund 30 Hamburger Mitarbeiter in die Bundeshauptstadt kommen, um Starthilfe beim Aufbau des Berliner Pendants zu geben.



Asyl

Experten: Flüchtlinge so schnell wie möglich aus Heimen holen



Experten fordern, Flüchtlinge so schnell wie möglich aus Notunterkünften und Heimen herauszuholen und in eigenen Wohnungen unterzubringen. "Erst dann kann eine Integration in ein Wohngebiet und die Gesellschaft im weiteren Sinne gelingen", sagte Jürgen Friedrichs vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologe der Universität Köln am 2. Februar auf dem Kölner Flüchtlingsgipfel. Zu diesem Zweck sei es auch wichtig, Flüchtlinge über das ganze Stadtgebiet zu verteilen, auch "in Gebiete der Mittelschicht und der oberen Mittelschicht", betonte der Wissenschaftler.

Jörg Friedrich von der Fakultät für Architektur und Landschaft der Leibniz-Universität Hannover warb dafür, Flüchtlinge nicht nur als jemanden zu sehen, "der uns lästig ist, sondern den wir benötigen". Die Forschung habe gezeigt, dass Flüchtlinge gebraucht würden, um die Bevölkerungsdichte und die Bevölkerungszahl in Deutschland auf dem Stand von heute zu halten.

Um eine bessere Durchmischung der Wohnviertel zu erreichen, riet er davon ab, "den Standard der Wohnqualität herunterzuschrauben". Stattdessen forderte er eine "hochwertige Architektur", die anders gefördert wird: "weg von der Objektförderung, hin zur Subjektförderung." Nach Ansicht von Friedrich sollte nicht mehr das fertige Wohnobjekt befördern werden, sondern stattdessen der Mieter, der es sich dann erlauben kann, in einer hochwertigen Immobilie zu wohnen. Der Architekt warb für die Einführung eines "Grundstandards" für alle Bauvorhaben mit einer guten Bausubstanz: "Die Alternative wäre es, billigen Ramsch zu bauen, der dann nach ein paar Jahren wieder abgerissen wird."



Bundesregierung

Flüchtlinge stellen 19.000 Anträge auf Integrationsmaßnahmen



Bis zum 16. Januar 2017 wurden knapp 19.000 Plätze für Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM) beantragt und 13.000 genehmigt. Das schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, über die der Bundestag am 3. Februar berichtete.

Mit diesem speziellen Arbeitsmarktprogramm will die Regierung Teilnehmer schon während ihres Asylverfahrens niedrigschwellig an den Arbeitsmarkt heranführen. Ziel ist es, 100.000 solcher FIM zu schaffen.

Aus der Antwort der Regierung geht weiter hervor, dass sie über keine Daten zur Staatsangehörigkeit, zum Geschlecht oder etwa auch zu Behinderungen der Teilnehmenden verfügt, wie es die Grünen unter anderem erfragt hatten.

Unklar ist auch, wie viele Betroffene bisher eine bewilligte Flüchtlingsintegrationsmaßnahme begonnen haben. Derartige teilnehmerbezogene Daten würden von der Bundesagentur für Arbeit, die das Arbeitsmarktprogramm im Auftrag der Bundesregierung betreut, nicht erfasst.



Stiftungen

Sieben Hochschulen erhalten Geld zur Unterstützung von Flüchtlingen



Sieben Hochschulen erhalten für die Unterstützung von Flüchtlingen bei der Aufnahme eines Studiums insgesamt 350.000 Euro vom Stiftungsfonds Deutsche Bank im Stifterverband. Das Programm "Angekommen, integriert, qualifiziert" unterstützt die Hochschulen mit jeweils 32.000 Euro als Strukturförderung sowie weiteren 18.000 Euro zur Vergabe von Stipendien, wie der Stifterverband am 6. Februar in Essen mitteilte.

Gefördert werden die Weißensee Kunsthochschule Berlin, die Hochschule Anhalt in Köthen, die Universität Bremen, die Goethe-Uni in Frankfurt, die Duale Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach, die Bergische Universität Wuppertal sowie die Hochschule der Wirtschaft für Management in Mannheim.

"Mit dem Programm erreichen wir zwei Ziele: Das Förderprogramm stärkt einmal Hochschulen bei der Beratung und Integration von Migranten und Flüchtlingen, und es fördert zum anderen individuelle Talente", sagte Thorsten Strauß, Vorstandsvorsitzender des Stiftungsfonds Deutsche Bank. Die Hochschulen erhielten Unterstützung dabei, Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund zur Aufnahme und zum Abschluss eines Studiums zu motivieren, sie während des Studiums zu begleiten und ihnen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die sieben geförderten Hochschulen wurden aus 45 Bewerbern ausgewählt.

Der Stiftungsfonds Deutsche Bank wurde den Angaben zufolge 1970 zum 100-jährigen Bestehen der Deutschen Bank gegründet. Er arbeitet unter dem Dach des Stifterverbandes und fördert Vorhaben aus Forschung und Lehre sowie den Dialog zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.



Nordrhein-Westfalen

Elternvereine fordern von CDU und FDP Bekenntnis zur Inklusion



Elternverbände aus Nordrhein-Westfalen werfen CDU und FDP vor, Stimmung gegen die schulische Inklusion behinderter Kinder in NRW zu machen. In einem offenen Brief von 18 Elternverbänden an die Spitzenkandidaten Armin Laschet (CDU) und Christian Lindner (FDP) heißt es, statt konstruktive Vorschläge zu machen, inszenierten sie die Inklusion im Wahlkampf als Skandalthema. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen würden dabei immer wieder als Kostenverursacher, Störenfriede und Zumutung im Schulalltag dargestellt.

Sowohl Lindner als auch Laschet hatten sich jüngst dafür ausgesprochen, behinderte Kinder nur dann an Regelschulen zu unterrichten, wenn dort genügend Personal und Geld vorhanden ist. Stattdessen wollen die Spitzenkandidaten von CDU und FDP für die Landtagswahl im Mai wieder stärker auf Förderschulen setzen.

Die Elternverbände kritisieren in ihrem am 3. Februar veröffentlichten Brief, mit bedrohlichen Metaphern wie "Inklusion mit der Brechstange" und "Förderschulen werden zerschlagen" werde letztlich Stimmung gegen Kinder mit Behinderungen gemacht. Zwar bezeichneten sich die beiden nordrhein-westfälischen Parteichefs als Freunde der Inklusion. "Wir haben Sie jedoch noch nie mit Freude und Überzeugung von der Inklusion als selbstverständlichem Ziel einer demokratischen, freien, vielfältigen und solidarischen Gesellschaft sprechen hören", beklagten die Verbände, darunter der Kölner Verein Mittendrin und "Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen NRW".

"Auch wir sind noch lange nicht zufrieden mit der Umsetzung der Inklusion", heißt es in dem Schreiben weiter. Nötig seien mehr Lehrer und Sonderpädagogen, kleinere Klassen und eine bessere Pädagogik. Es sei aber "in höchstem Maße unehrlich", wenn CDU und FDP einerseits einen Mangel an Lehrern und Ressourcen in inklusiven Schulen beklagten und andererseits einen Bestandsschutz für Sonderschulen forderten, "in denen genau die Lehrer und Ressourcen festhängen, die in der Inklusion gebraucht würden". Wer eine Entschleunigung der Inklusion fordere, der spreche sich gleichzeitig auch dafür aus, dass behinderte Kinder wieder zwangsweise Sonderschulen zugewiesen würden, hieß es.



Familie

22 Prozent der Grundschuleltern suchen Kinderbetreuung



Viele Eltern von Grundschulkindern suchen derzeit vergeblich nach einer Tagesbetreuung für ihren Nachwuchs: Laut Bundesfamilienministerium haben 22 Prozent dieser Eltern Bedarf an Betreuung nach dem Schulunterricht angemeldet. Auch bei kleinen Kindern bis drei Jahren sei der Betreuungsbedarf nach wie vor hoch, teilte das Ministerium am 3. Februar in Berlin mit. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) sieht in den neuen Zahlen einen Beleg, dass der Ausbau in der Kindertagesbetreuung weitergehen müsse, auch für Grundschulkinder.

Dem Ministerium zufolge wünschen viele Mütter und Väter auch längere Betreuungszeiten. Etwa die Hälfte der Eltern mit Kindern zwischen drei und fünf Jahren äußerte den Wunsch von im Schnitt fünf Stunden mehr Betreuung je Woche. Einen Bedarf von rund zehn Stunden mehr pro Woche gaben 14 Prozent derjenigen Eltern an, deren Kinder in einen Hort gehen. Bei Ganztagsschülern wünschten sich 22 Prozent der Eltern rund neun Stunden wöchentlich mehr Betreuung.

Der Betreuungsbedarf von Eltern mit Kleinkindern unter drei Jahren liegt nach den 2016 erhobenen Zahlen des Ministeriums bei 46 Prozent. Aber nur 32,7 Prozent der Kinder in diesem Alter wurden im vergangenen Jahr den Angaben zufolge tatsächlich betreut. 2015 betrug der Bedarf 43,6 Prozent.

Schwesig erklärte, ihr Ziel sei es, dass alle Kinder von einer Tagesbetreuung profitieren könnten. Durch das neue Investitionsprogramm "Kinderbetreuungsfinanzierung 2017-2020" könnten zusätzlich 100.000 Betreuungsplätze für Kinder von einem Jahr bis zum Schuleintritt geschaffen und die Qualität der Betreuung verbessert werden. Über die Mittel könnten auch Sport- und Bewegungsräume oder Küchen finanziert werden.

Die neuen Zahlen basieren auf der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik und auf der "Kinderbetreuungsstudie u15: Inanspruchnahme und Bedarfe" des Deutschen Jugendinstituts in München, das 2016 dazu 19.000 Eltern von unter sechsjährigen Kindern und rund 15.000 Eltern von schulpflichtigen Kindern befragte.



Hamburg

Linke fordert Gebärdendolmetscher in Bürgerschaft



Die Linke-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft fordert den verbindlichen Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern bei Senatsauftritten und Veranstaltungen der Bürgerschaft. "Das Recht auf Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben ist in der UN-Behindertenrechtskonvention fest verankert", sagte Cansu Özdemir, inklusionspolitische Sprecherin der Fraktion, am 5. Februar.

Auch Menschen mit einer Hörschädigung und gehörlose Menschen müssten die Möglichkeit haben, sich eine politische Meinung zu bilden. "Dies ist jedoch nur möglich, wenn eine Übersetzung politischer Debatten und Gremiensitzungen in Gebärdensprache zur Regel wird", betonte sie.



Nordrhein-Westfalen

Neue Landesfachstelle "Trauma und Leben im Alter"



Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium finanziert mit 400.000 Euro den Aufbau der neuen Landesfachstelle "Trauma und Leben im Alter". Ziel sei es, Senioren mit verdrängten traumatischen Gewalterfahrungen durch Krieg, Flucht oder Vergewaltigung vor Retraumatisierungen im heutigen Pflegealltag zu schützen, erklärte Gesundheitsministerin Barbara Steffens am 7. Februar in Düsseldorf. Die Arbeit solle helfen, spezielles Verhalten oder Erkrankungen von Pflegebedürftigen besser einzuordnen.

In Trägerschaft der Vereine "Wildwasser" aus Bielefeld und "Paula" aus Köln soll die neue Landesfachstelle an den beiden Standorten ein überregionales Hilfenetzwerk aufbauen und Anlaufstelle für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte sein, hieß es.

Bis zu 50 Prozent der Generation, die bis Ende des Zweiten Weltkriegs geboren wurde, berichte über traumatische Erfahrungen aus Zeiten des Krieges durch Bombenangriffe, Flucht, Hungersnot oder sexualisierte Gewalt, erklärte die Ministerin.

Viele Betroffene hätten das Leiden verdrängt und seien damit ihr Leben lang allein geblieben. Traumafolgen können nach Ministeriumsangaben Erkrankungen von Herz und Kreislauf, Panikattacken oder Essstörungen sein. Demenzkranke Patienten könnten unter Umständen Hilfe bei der Körperpflege nicht richtig einordnen und an eine lang zurückliegende Vergewaltigung erinnert werden.




sozial-Branche

Palliativmedizin

Die Schmerzen nehmen und einfach da sein




Kinderpalliativ-Pflegerin Janin Habermann betreut Fabienne zu Hause.
epd-bild/Detlef Heese
Die ersten sechs Jahre ihres Lebens hat Fabienne fast nur in der Klinik verbracht. Die 15-Jährige ist schwer krank, wird wohl jung sterben. Heute versorgen spezielle Fachkräfte Kinder wie sie zu Hause. Auch Eftelya (6) kann bei ihrer Familie sein.

Eftelya sitzt in einem Spezialrollstuhl im Wohnzimmer ihrer Familie in Osnabrück. Die Sechsjährige ist taub und blind, kann sich nicht bewegen. Ihr Gehirn ist stark geschädigt. Sie leidet unter Epilepsie, seit sie ein halbes Jahr alt ist. "Jeden Tag hat sie Anfälle, mal stärker, mal schwächer", erklärt Kinderkrankenschwester Janine Habermann (32). "Die Epilepsie hat Eftelya nach und nach all ihre Fähigkeiten genommen." Ein kurzer Blick zur Mutter, dann ergänzt Habermann: "Irgendwann wird sie daran sterben."

"Wir tun alles"

Habermann ist Fachkraft für ambulante Kinderpalliativpflege. Sie sorgt seit vier Jahren dafür, dass Eftelya zu Hause bei ihrer Familie bleiben kann und nur selten in die Klinik muss. Sanft streicht sie über den Arm des Mädchens: "Wir tun alles, damit es ihr gutgeht." Mutter Melahat Dogdu (28) ist froh, dass Janine Habermann Blut abnehmen, Medikamente spritzen, bei plötzlicher Atemnot eingreifen kann und immer mit den Ärzten in Kontakt steht. "Ich vertraue ihr", sagt Dogdu. Dabei drückt sie ihren Jüngsten liebevoll an sich.

Im nächsten Moment rutscht Can-Sadik (1) von Mamas Schoß und flitzt immer um den Rollstuhl herum. Dann blickt er Janine herausfordernd an. Als sie ihn hochhebt, drückt er seiner Schwester einen Kuss auf die Wange und strahlt. Für Can-Sadik gehört die Krankenschwester schon fast zur Familie, so oft ist sie da.

Habermann ist eine von mehreren Hundert Kinderpalliativ-Fachkräften bundesweit. In 24 Kinder-Palliativteams kümmern sie sich gemeinsam mit Ärzten und Psychologen um Mädchen und Jungen, die wie Eftelya an einer lebensbegrenzenden Erkrankung leiden. Palliativ heißt: Die Lebensqualität soll bestmöglich erhalten werden, es geht um Zuwendung und die Linderung von Schmerzen. Seit 2007 haben Patienten wie Eftelya einen Anspruch auf die sogenannte "Spezialisierte ambulante Palliativversorgung für Kinder und Jugendliche".

In ihrer gewohnten Umgebung

Die Teams sind je nach Bundesland und Region unterschiedlich aufgestellt, sagt Holger Fiedler, Pflege-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Das liegt auch am Stadt-Land-Gefälle. In Ballungsgebieten arbeiten die Ärzte und Fachkräfte in den Teams fast ausschließlich palliativ. "In einem Flächenland ist das kaum möglich."

Dort sind die meisten als Kinderkrankenschwestern oder Kinderärzte tätig und werden bei Bedarf als Palliativ-Fachkräfte angefordert. Habermann betreut im ambulanten Kinder-Pflegedienst Caselato in der Nähe von Osnabrück in Niedersachsen sowohl kranke wie auch Palliativ-Patienten. Ihr Einzugsgebiet reicht bis ins Emsland. "Dafür muss ich oft auch außerhalb meiner normalen Schichten raus", sagt die 32-Jährige.

So wie für Fabienne. Die 15-Jährige leidet wie Eftelya unter Epilepsie und hat häufig Infekte und akute Atemnot. Früher zwangen diese Krisen sie immer ins Krankenhaus. Seit neun Jahren ist sie Janine Habermanns Patientin und kann nun auch bei Fieber oder Lungenentzündung meistens in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. "Die ersten sechs Jahre ihres Lebens habe ich mit Fabienne fast nur in der Klinik verbracht", sagt ihre Mutter Kathrin Lakota. "Deshalb bin ich Janine unendlich dankbar."

Das Unvermeidliche ertragen

Rund 23.000 Kinder und Jugendliche leben in Deutschland mit einer lebensbegrenzenden Erkrankung, erläutert Annette Sander, ärztliche Leiterin des Kinder-Palliativteams Niedersachsen. Etwa zehn Prozent von ihnen brauchen wie Eftelya und Fabienne eine palliative Versorgung, um Schmerzen oder Atemnot zu lindern. Diese Versorgung setzt nicht erst unmittelbar am Lebensende ein, wie zumeist bei Erwachsenen. Sondern sie ist oft über viele Jahre notwendig.

Manchmal helfe es auch einfach, nicht immer allein entscheiden zu müssen, was noch gut ist für Fabienne, sagt Kathrin Lakota. "Je älter sie wird, desto mehr Angst habe ich, dass sie von mir geht. Da tut es gut, mit Janine zu sprechen", sagt Lakota und blickt die Krankenschwester mit einem warmen Lächeln an. Die nickt und erwidert das Lächeln. Ja, bei aller Konzentration auf die Medizin sei eben auch das wichtig: "Ich muss immer mit den Eltern im Gespräch bleiben und wir müssen gemeinsam einen Weg finden."

Fast zwangsläufig entwickelt sich zu den Patienten und ihren Familien eine große Nähe, auch wenn Habermann längst nicht alle Patienten so intensiv betreut wie Eftelya und Fabienne. Das mache es bei aller Professionalität auch für sie oft schwer, das Unvermeidliche zu ertragen. "Kinder sollen eigentlich nicht sterben", sagt Habermann. "Aber ich weiß, ich kann ihnen, bis es soweit ist, die Schmerzen nehmen, ihnen das Leben so angenehm wie möglich machen und einfach für sie da sein."

Martina Schwager


Familienangehörige

Wenn Pflegende selber Hilfe brauchen




Häusliche Pflege belastet Angehörige oft bis an ihre physischen Grenzen.
epd-bild/Jörn Neumann
Ohne Angehörige würde das deutsche Pflegesystem zusammenbrechen: Jeder zweite Pflegebedürftige wird von Partner, Tochter oder Sohn versorgt. Die körperliche und seelische Last kann enorm sein: Rund 20 Prozent der Pflegenden leiden unter Depressionen.

Sie hätte es nicht fertiggebracht, ihn ins Alten- oder Pflegeheim zu bringen. "Das wäre nichts für ihn gewesen", sagt Petra Schult. "Außerdem hätte ich dann nie richtig abschalten können." Die 53-Jährige wäre ständig in Sorge gewesen um ihren pflegedürftigen, an Demenz erkrankten Vater. Und so hat sie ihn zu Hause gepflegt. Zehn Jahre und neun Monate lang, alleine, nur mit gelegentlicher Hilfe durch einen Pflegedienst: Gewaschen, gewindelt und manchmal gefüttert.

"Beim Essen hat er irgendwann Löffel, Gabel und Messer verwechselt", erzählt die Drogeriefachverkäuferin, die im bayerischen Mittenwald lebt. "Eine Zeitlang hat mich mein Vater nachts immer wachgemacht, weil er vom Balkon springen wollte."

Angehörige für das System Pflege unverzichtbar

Ohne Menschen wie Petra Schult, die sich bis zu seinem Tod um ihren zuletzt 91-jährigen Vater gekümmert hat, würde das Pflegesystem zusammenbrechen. Rund 2,08 Millionen der 2,86 pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause versorgt. Oft ist ein professioneller Pflegedienst beteiligt. Aber in 1,38 Millionen Fällen übernehmen Angehörige den größten Teil, einige sind fast rund um die Uhr für ihre Partner oder Eltern da.

Die Pflege belastet sie. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Einer Studie der Krankenkasse DAK aus dem Jahr 2015 zufolge leiden rund 20 Prozent aller pflegenden Angehörigen unter Depressionen. Psychiater und Psychotherapeuten erleben zunehmend, dass sie seelischen Beistand brauchen. "In unsere Praxen kommen immer mehr Menschen, die nahe Verwandte pflegen und dann selber an psychischen Störungen leiden", sagt der Psychologe Dieter Best, der lange Vorsitzender der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung mit Sitz in Berlin war.

Leistungen werden vielfach nicht anerkannt

Zu den häufigsten Symptomen gehören depressive Stimmungen, Müdigkeit, innere Unruhe, Schuldgefühle, Angst- und Schlafstörungen. Dabei spielt es auch eine Rolle, dass die Pflegebedürftigen die Leistungen ihrer Angehörigen oft als selbstverständlich betrachten und nicht anerkennen.

Hinzu kommt: Mitunter verändert sich bei Demenz-Erkrankungen das Wesen. Der Partner oder die Eltern zeigen sich nicht dankbar, sondern reagieren feindlich oder aggressiv. Mitunter wird gar den Pflegenden die Schuld an einer fortschreitenden Krankheit gegeben. "Mein Vater litt an der aggressiven Demenz und hat nach mir geschlagen", berichtet Petra Schult. Sie hat es ihm nicht übelgenommen, wie sie sagt: "Ich wusste, er konnte nichts dafür - es war die Krankheit."

Die Leistungen der pflegenden Angehörigen würden nicht ausreichend gewürdigt - auch nicht durch die Pflegereform, die Anfang des Jahres in Kraft trat, sagt Brigitte Bührlen. Sie ist Vorsitzende von "Wir! Stiftung pflegender Angehöriger" in München. Zwar wurde das Pflegegeld in den neuen Pflegegraden, die die Pflegestufen ersetzen, erhöht - aber dieses Geld aus der Pflegeversicherung fließt an den Pflegebedürftigen. "Ein pflegender Angehöriger hat auch nach den neuen Gesetzen keinen Anspruch auf einen finanziellen Leistungsausgleich der häuslich geleisteten Pflege", sagt Bührlen.

Angebote der Pflegekassen oft nicht nutzbar

Auch wenn der Pflegebedürftige das Geld der Pflegeperson überlasse, reiche es nicht aus, dessen Lebensunterhalt zu decken. Die Sätze liegen weit niedriger als die Kosten für einen stationären Aufenthalt. Petra Schult musste deshalb weiter Teilzeit arbeiten - und ihren Vater tagsüber oft mit schlechtem Gewissen alleine lassen.

Die Pflegereform, sagt Bührlen, sehe zwar Beiträge zur Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung vor. Außerdem gebe es entlastende Angebote für pflegende Angehörige wie Anspruch auf zehn Tage Freistellung von der Arbeit, Entspannungskurse und Anspruch auf Pflegeberatung und Kurzzeitpflegeplätze. Aber: "In der Praxis können die Angehörigen diese Angebote aus finanziellen oder organisatorischen Gründen nur selten wahrnehmen."

Weil der Staat aus ihrer Sicht nicht genug leistet, schließen sich viele pflegende Angehörige in Selbsthilfegruppen zusammen. Gerhild Krüger leitet eine solche ehrenamtliche Gruppe im westfälischen Haltern am See: Einmal im Monat kommen hier Männer und Frauen - Ehepartner, Töchter und Söhne - zusammen, um sich über ihren Alltag und ihre Probleme auszutauschen.

"Dabei geht es oft erst mal um ganz praktische Dinge", berichtet Krüger. "Wo bekomme ich einen Treppenlift her? Wie baue ich mein Badezimmer um?" Oft werden aber auch die seelischen Belastungen thematisiert. Krüger ermahnt dann die Angehörigen, auch an sich zu denken: Auszeiten nehmen, soziale Kontakte nicht vernachlässigen - und sich nicht scheuen, auch mal professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und den Pflegebedürftigen für eine bestimme Zeit in der Tages- oder Kurzzeitpflege betreuen zu lassen. Denn letztlich gelte ein Grundsatz: "Es hilft auch den Pflegebedürftigen, wenn es den pflegenden Angehörigen gutgeht."

Michael Ruffert


Baden-Württemberg

Netzwerk will Spielraum für neue Pflegeformen



Das Caritas-Netzwerk Alter und Pflege fordert für zukunftsfähige Pflegekonzepte fließende Übergänge zwischen stationärer und ambulanter Altenhilfe. Dazu müssten das baden-württembergische Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz und die Landesheimbauverordnung reformiert werden. Im Zentrum aller Bemühungen müssten die Bedürfnisse und die Selbstbestimmung der hilfebedürftigen Menschen stehen, erklärte das Netzwerk am 3. Februar in Stuttgart.

Ziel sei ein "Bürger-Profi-Kommune-Mix" in der Pflege. Pflegebedürftige wünschten sich nämlich eine Versorgung in ihrem gewohnten sozialen Umfeld. Vorhandene professionelle und ehrenamtliche Potenziale und Ressourcen vor Ort müssten daher gebündelt werden, heißt es in der Mitteilung. Der praktische Pflegealltag brauche Spielräume für eine Weiterentwicklung.



Gesundheit

Experten kritisieren Sterbebegleitung in Pflegeheimen




Fehlendes Personal erschwert oft die Sterbebegleitung in Heimen.
epd-bild/Werner Krüper
Sterbebegleitung ist mittlerweile ein verpflichtender Anteil der Pflege, auch in stationären Einrichtungen. Doch obwohl ein neues Gesetz Ende 2015 dafür wichtige Grundlagen geschaffen hat, ist noch immer viel zu tun, um den Heimalltag zu verbessern.

Trotz gesetzlicher Fortschritte gibt es bei der Versorgung sterbender Menschen in Pflegeheimen in der Praxis immer noch große Probleme. Das sei unter anderem auf eine zu knappe Personaldecke und unzureichendes Wissen bei den Pflegekräften zurückzuführen, hieß es am 6. Februar bei einer Experten-Tagung in Bremen. Besonders problematisch seien unnötige Krankenhauseinweisungen, die das Sterberisiko von Heimbewohnern noch erhöhten, warnte Pflegewissenschaftlerin Christel Bienstein. Die nordrhein-westfälische Expertin ist auch Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflege.

Im November 2015 hat der Bundestag ein Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung verabschiedet. In vielen Einrichtungen fehlt Bienstein zufolge aber qualifiziertes Personal, um auch in der Praxis Fortschritte zu machen. So müsse das pflegerisch-medizinische Wissen in den Heimen verbessert werden. Um Sterbende angemessen begleiten zu können, seien ethische Fallbesprechungen und koordinierende Gremien hilfreich, sagte Sabine Löther von der Bremer Heimstiftung.

Fortbildungen kommen oft nicht zustande

Klar wurde während des ersten Bremer Fachtages Hospiz aber auch: Dafür notwendige Fortbildungen kommen meist schon deshalb nicht zustande, weil Kolleginnen und Kollegen aufgrund der Personalnot nicht freigestellt werden können. Weitere Probleme bei einer besseren Versorgung sterbenskranker Menschen in Pflegeheimen sind Löther zufolge eine mangelnde allgemein- und fachärztliche Begleitung und eine oft schwierige Zusammenarbeit mit Krankenhäusern. Um diese Punkte zu verbessern, "gibt es noch viel zu tun".

Zu Beginn des Fachtages hatte Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) die Bedeutung einer guten Zusammenarbeit im Bemühen um eine palliative Versorgung betont: "Sterbebegleitung ist mittlerweile ein verpflichtender Anteil der Pflege, die durch externe Hospiz- und Palliativdienste ergänzt werden kann."

Individuelle Bedürfnisse berücksichtigen

Laut Gesetz soll es auch eine gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase geben. Dabei müssten die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen nachgefragt und beachtet werden, sagte Klaus Vosteen, Experte für Sozialrecht in Pflegeberufen. Das könne bedeuten, bestimmte Schritte nicht mehr einzuleiten. "Wenn der Notarzt gerufen wird, wird eine Maschinerie in Gang gesetzt", warnte auch er vor unnötigen Krankenhausaufenthalten.

Laut AOK-Palliativwegweiser gibt es bundesweit neben 238 stationären Hospizen und mehr als 600 Palliativstationen in Kliniken etwa 1.000 Hospizdienste. Dazu kommen knapp 400 Pflegedienste mit Schwerpunkt Palliativversorgung und 300 Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung.

Die Palliativversorgung hat das Ziel, schwerstkranke und sterbende Menschen in der letzten Phase ihres Lebens umfassend und individuell zu betreuen - sowohl medizinisch als auch pflegerisch. Im Mittelpunkt der Versorgung steht die Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Beschwerden.

Dieter Sell


Kinderbetreuung

Interview

"Kindern den Leistungsdruck nehmen"




Rosemarie Reichelt
epd-bild/Erol Gurian

Zwölf Jahre lang hat Rosemarie Reichelt die Abteilung "Kindertagesstätten" der Inneren Mission München geleitet und von fünf auf 17 Einrichtungen vergrößert. Reichelt geht zum 1. März in den Ruhestand. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) spricht sie über die Entwicklung der Kitas, Anforderungen ans Personal und die Rolle der Eltern. Die Fragen stellte Susanne Schröder.

epd sozial: Nach Medienberichten war 2016 in München der geburtenstärkste Jahrgang der vergangenen Jahre. Was bedeutet das für Kindertagesstätten?

Rosemarie Reichelt: Trotz großen Ausbau-Anstrengungen wird es uns nicht gelingen, allen Familien den gewünschten, wohnortnahen Platz anbieten zu können. Ich glaube, dass sich Eltern auf größere Wegstrecken einstellen müssen. Dies wird sich in den Stadtteilen Münchens sehr unterschiedlich gestalten.

epd: Welche Ansprüche hat die Innere Mission als Träger an Ihre Arbeit? Und welche Ansprüche stellen Eltern an Sie?

Reichelt: Grundsätzlich wollen wir für alle Beteiligten - Kinder, Eltern, Personal - gute Rahmenbedingungen schaffen und in der prekären Personalsituation die Qualität nicht aus den Augen verlieren. Dabei steht das Kind in seiner ganzheitlichen Entwicklung im Mittelpunkt. Der Weg dorthin deckt sich nicht immer mit den Vorstellungen der Eltern, die oft schon in der Kita schulische Strukturen - zum Beispiel Englischkurse, Musikkurse - erwarten.

epd: Haben sich die Bedürfnisse der Kinder verändert?

Reichelt: Der Leistungsdruck auf die Kinder ist immer größer geworden. Die Zeiten, die Kinder selbstbestimmt gestalten können, werden leider immer weniger. Der Tag wird komplett durchorganisiert und dabei wird nicht immer auf die wirklichen Bedürfnisse von Kindern Rücksicht genommen. Das Thema Zeit, Kinder in ihrer Entwicklung begleiten, den Druck nehmen, nicht bestimmen und überbehüten sind daher die Hauptaufgaben in unseren Kindertageseinrichtungen. Kinder müssen zum Teil wieder lernen, zu spielen. Aber auch Sprachauffälligkeiten und Bewegungsmangel haben zugenommen.

epd: Thema Personalsituation: Ist Besserung in Sicht?

Reichelt: Durch den enormen Ausbau von Kindertagesstätten und die gestiegene Geburtenrate sehe ich in München so schnell keine Besserung, denn generell wurde von politischer Seite zu spät in die Aus- und Weiterbildung von pädagogischen Kräften investiert. Wir als Träger haben durch die Gründung unserer Fachakademie für Sozialpädagogik versucht, hier gegenzusteuern.

epd: Wie ist die Lage dort?

Reichelt: Aktuell sind die Klassen in den Fachakademien voll. Die jetzigen Studierenden und die Studierenden einer neuen, verkürzten Ausbildungsform "Optiprax" werden den Bedarf nur bedingt decken können. Wir sollten uns ein Beispiel an den skandinavischen Ländern nehmen. Hier sind unter anderem Erzieher und Lehrer gleichgestellt. Meines Erachtens ist das ein wichtiges Signal, um den Beruf aufzuwerten und damit mehr Menschen, vor allem auch mehr Männer, in den Beruf zu bekommen.

epd: Plant die Innere Mission einen weiteren Ausbau des Bereichs?

Reichelt: Qualität ging uns immer vor Quantität, das wird sicher auch in Zukunft so bleiben. Sicherlich wird die Abteilung noch wachsen, aber sehr überlegt und dosiert.



Armut

Tafeln schulen Ehrenamtliche für Umgang mit Flüchtlingen




Viele Flüchtlinge decken ihren Bedarf inzwischen auch bei den Tafeln.
epd-bild/Rolf Zöllner
Die ehrenamtlichen Helfer der mehr als 900 Tafeln in Deutschland sollen für die Arbeit mit Geflüchteten geschult werden. An drei Tafel-Standorten starten dieser Tage die ersten Fortbildungen.

Das Pilotprojekt "Freiwilligenarbeit als Hilfe für Flüchtlinge bei den Tafeln" laufe zunächst für drei Jahre in Göttingen, Bremerhaven und Marburg, sagte Koordinatorin Nora Reckhardt am 6. Februar dem Evangelischen Pressedienst (epd). Langfristig solle es "der gesamten Tafellandschaft" zugänglich gemacht werden. Das Vorhaben ist bei der Tafel-Akademie angesiedelt und wird von der "Aktion Mensch" mit rund 220.000 Euro gefördert.

Der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Tafel, Jochen Brühl, sieht großes Potenzial in dem Pilotprojekt: "Wir als Tafeln sind zu einem zentralen Motor der Integration geworden." Die Einbindung von Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund in die Tafel-Arbeit sei für beide Seiten ein Gewinn. Nach Brühls Angaben nutzen in ganz Deutschland zwischen rund 150.000 Flüchtlinge das Angebot der Tafeln. Diese dienten Geflüchteten auch als Anlaufstellen und Vernetzung zu weiteren Beratungsangeboten. Viele Tafeln unterhielten zudem Rechtsberatungen, Kleiderkammern und Fahrradbörsen, und Mitarbeiter begleiteten Flüchtlinge zu Behörden.

Tafeln fungieren oft als erste Anlaufstellen

Die Tafeln seien häufig eine der ersten Anlaufstellen für Flüchtlinge, sagte Martina May von der Göttinger Tafel. "Wir wollen die Ehrenamtlichen qualifizieren, damit sie die Geflüchteten gezielt und langfristig begleiten können." In Seminaren und Kursen würden die Mitarbeiter unter anderem über die verschiedenen Aufenthaltstitel von Ausländern informiert und ihr interkulturelles Verständnis gefördert.

Es gehe bei dem Projekt und den Schulungen auch darum, "wie man alte und neue Kunden zusammenfügt", sagte May. Göttingen gelte zwar als liberale Stadt und sei auch durch das nahe Grenzdurchgangslager Friedland an geflüchtete Menschen gewöhnt. "Aber auch hier gibt Bedenken und Fragen, warum die Tafel Flüchtlinge unterstützt." Nach ihren Angaben sind bei der Göttinger Tafel unter den derzeit 957 registrierten Kunden 432 Geflüchtete.

Drei Flüchtlinge helfen ständig oder gelegentlich in einer der fünf Ausgabestellen bei der Verteilung von Lebensmitteln. "Unsere Arbeit bietet sich für Geflüchtete an", betonte May. "Sie ist niedrigschwellig, die Flüchtlinge kommen in Kontakt mit anderen Menschen und sie können dabei ihre Deutschkenntnisse verbessern."



Kirchen

Evangelischer Verband fordert "Teilkasko" für Pflege




Seniorenheim in Frankfurt am Main.
epd-bild/Jochen Günther
Der Deutschen Evangelischen Verband für Altenarbeit und Pflege (Devap) schlägt eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung vor. Ziel ist es, Armut im Alter zu verhindern.

Für eine "Teilkaskoversicherung" in der Pflege tritt der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege ein. Die Solidargemeinschaft müsse stärker als bisher die Pflegekosten tragen, forderte der Verbandsvorsitzende Bernhard Schneider am 7. Februar in Berlin. Ähnlich wie bei der Kfz-Versicherung sollten die Pflegenden einen festen Betrag als Selbstbeteiligung zahlen, die übrigen Leistungen sollte die Pflegeversicherung übernehmen, sagte Schneider.

Das könnte seiner Ansicht nach unabhängig davon geschehen, ob die Pflegebedürftigen in einem Wohnheim, einer Senioren-WG oder zu Hause wohnen. Bislang zahlt die Pflegeversicherung feste Sätze, das Pflegerisiko liege also vor allem bei den Betroffenen.

Viele Pflegebedürftige sind Sozialhilfeempfänger

Dem Devap zufolge sind aktuell rund 450.000 Pflegebedürftige auf Sozialhilfe angewiesen. "Und die Zahlen werden noch zunehmen", sagte Verbandschef Schneider. Viele Menschen könnten sich Heimplätze mit einem privaten Anteil von über 2.000 Euro nicht leisten, ein Drittel der Heimbewohner beanspruche Sozialhilfe. "Die Pflege steckt in der Armutsfalle", kritisierte er und verlangte: Die Solidargemeinschaft müsse die Pflegekosten stärker finanzieren.

Der Devap schlägt deshalb eine Art Modulsystem vor. Die Leistungsmodule könnten individuell je nach Pflegebedürftigkeit angepasst werden, Angehörige könnten einzelne Module übernehmen, auch für Heimbewohner. Die Pflegebedürftigen selbst kämen weiterhin für Miete und Verpflegung auf, hinzu käme der gesetzliche Eigenanteil.

Nach dem seit 1. Januar geltenden neuen Pflegestärkungsgesetz kostet die reine Pflegeleistung in Grad 3 laut Devap rund 2.100 Euro. Die Pflegekasse zahlt davon knapp 1.260 Euro, die pflegebedürftige Person trägt rund 840 Euro. Mit Miete und Verpflegung kommen Betroffene so schnell auf 2.200 Euro im Monat. Im Devap-Modell liegt der feste Eigenanteil monatlich bei 300 Euro, die Pflegekasse müsste 1.800 Euro finanzieren. Dadurch kämen die Gesamtkosten einer Heimunterbringung für die Betroffenen auf rund 1.600 Euro - statt der heutigen 2.200 Euro.

"Kein Rund-um-sorglos-Paket"

"Wir werden es nicht schaffen, alle aus der Sozialhilfe herauszuholen", räumte Schneider ein. Auch der Pflegeexperte des Bundesverbandes der Diakonie, Peter Bartmann, betonte: "Wir dürfen nicht suggerieren, dass die Pflegeversicherung ein 'Rundum-sorglos-Paket' werden könnte." Beide sind aber überzeugt, dass durch den Paradigmenwechsel deutlich weniger Pflegebedürftige auf Sozialhilfe angewiesen sein werden.

Laut Schneider könnten die Mehrkosten für die Pflegeversicherung durch höhere Beiträge von 0,5 bis 1,5 Prozentpunkten finanziert werden. Schneider hält dies für vertretbar. "Rente und Krankenversicherung sind die Kostentreiber, nicht die Pflegeversicherung", sagte er. Zudem strebt der Verband die Aufhebung der Grenzen zwischen stationärer und ambulanter Pflege an; dies würde Ausgaben senken. Außerdem sollten ehrenamtliche Tätigkeiten oder Hilfen aus der Nachbarschaft in das System hereingerechnet werden.

In einer Studie lässt der Devap seine Idee derzeit auf Umsetzung überprüfen. Danach will er das Konzept noch vor der Bundestagswahl in die politische Diskussion einbringen. Erste Gespräche seien ermutigend gewesen. "Wir sind allerdings realistisch genug zu wissen, das wir das eine oder andere Jahr für die Diskussion brauchen", sagte Schneider. Die Studie will der Verband am 18. Mai in Berlin vorstellen.



Kirchen

Abtreibungsstreit: Chefarzt verlässt Klinik



Die Anordnung eines Chefarztes, dass in seiner Abteilung keine Abtreibungen nach der Beratungsregelung mehr vorgenommen werden sollen, kostet ihn den Job. Er verlasse einvernehmlich die Elbe-Jeetzel-Klinik, teilte der kirchliche Konzern Capio mit.

Der Streit um Abtreibungen in der Elbe-Jeetzel-Klinik im niedersächsischen Dannenberg ist beendet. Patientinnen könnten dort auch zukünftig Schwangerschaftsabbrüche nach dem Beratungsmodell vornehmen lassen, teilte der Capio Mutterkonzern mit Sitz in Fulda am 9. Februar mit. Der Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe, Thomas Börner, werde die Klinik auf eigenen Wunsch mittelfristig verlassen. Er hatte erklärt, keine Schwangerschaftsabbrüche in der Fachabteilung unter seiner Leitung zu dulden. Schwangerschaftsabbrüche widersprächen seiner christlichen Überzeugung.

Nach der Verfügung des Arztes hatte es Kritik von Politik und Verbänden gegeben. Der Chefarzt hatte sich auf das sogenannten Schwangerschaftskonfliktgesetz berufen. Danach darf niemand zu einer Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen werden. Er trage außerdem Verantwortung für seine Abteilung, hatte Börner betont. Im Übrigen stünden alle Mitarbeiter hinter seiner Entscheidung.

Der Capio-Konzern hatte argumentiert, er akzeptiere zwar die persönliche Entscheidung des Chefarztes. Börner dürfe diese aber nicht zur Maxime für seine Abteilung machen. Als weltanschaulich neutrale Einrichtung sei Capio zuerst dem gesetzlich vorgeschriebenen Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen verpflichtet.

Rundt lobt Linie des Konzerns

Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) begrüßte die Ankündigung des Konzerns. Damit zeige er Verständnis für Frauen, "die in einer Notlage den Schritt eines Schwangerschaftsabbruchs nicht leichten Herzens gehen", sagte Rundt. Frauen müssten die Möglichkeit haben, den belastenden Eingriff wohnortnah durchführen zu lassen. Die Klinik werde mit Mitteln der Krankenkassen und des Landes finanziert. Daraus erwachse ihr eine gesellschaftliche Verantwortung.

Capio-Geschäftsführer Martin Reitz betonte am 9. Februar, die nun getroffene Regelung sei «sehr einvernehmlich» mit allen beteiligten Ärzten getroffen worden. «Fortan übernehmen andere, sehr erfahrene angestellte Fachärzte für Gynäkologie den medizinischen Eingriff.» Die Klinikleitung bedaure den Weggang des Chefarztes. Börner selbst war am Donnerstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Er hatte zuvor dem epd gesagt: "Ich muss zu meiner Meinung stehen und gegebenenfalls die Konsequenzen tragen." Er trage die Verantwortung für seine Abteilung. Das könne auch bedeuten, dass er den Chefarztposten, den er erst seit Dezember innehabe, wieder verlassen werde. Es stünden aber noch Gespräche mit der Konzernleitung aus.

Börner sieht sich gestützt von Kollegen

Börner erläuterte, außer ihm seien an der Klinik noch drei weitere Ärzte in der Lage, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen und hätten dies zum Teil unter anderer Leitung bereits getan. Dennoch stehe die Abteilung hinter seiner Entscheidung. "Sie richten sich nach meiner Direktive und sind im Übrigen auch gar nicht böse darüber." Er selbst berufe sich auf das Schwangerschaftskonfliktgesetz, nach dem niemand zu einer Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen werden darf.

Insgesamt wurden in dem Krankenhaus in Dannenberg nach Angaben des Capio-Konzerns im vergangenen Jahr 31 Schwangerschaften entsprechend der gesetzlichen Vorgaben abgebrochen. Der Capio-Konzern betreibt zehn Kliniken in Deutschland. Dannenberg ist darunter die einzige mit einer Geburtshilfe-Abteilung. Abtreibungen sind in Deutschland straffrei, wenn sie in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis erfolgen und legal, wenn es medizinische Gründe gibt oder nach einer Vergewaltigung. In jedem Fall muss sich die Frau vor dem Eingriff bei einer anerkannten Stelle beraten lassen.

Evangelische Allianz lobt Chefarzt

Der evangelikale Dachverband Deutsche Evangelische Allianz hatte Börner zuvor den Rücken gestärkt. Er habe mit seinem grundsätzlichen Nein zu Abtreibungen seine Verantwortung aufgrund der Gesetzes- und Rechtslage wahrgenommen, teilte der Verband am 9. Februar in Bad Blankenburg mit. Darüber hinaus habe der Mediziner von seiner Glaubens- und Gewissensfreiheit Gebrauch macht: "Wenn jetzt zwar diese für ihn selbst anerkannt wird, ihm aber untersagt werden soll, dies auch für seinen Verantwortungsbereich gelten zu lassen, ist das ein ethischer Skandal."



Ethikexperte

"Abtreibungen bleiben ethisch hoch problematisch"



Der Streit um Abtreibungen in der Dannenberger Capio-Elbe-Jeetzel-Klinik zeigt nach Ansicht des evangelischen Ethik-Experten Ralph Charbonnier, dass Schwangerschaftsabbrüche auch weiterhin nicht zu einer "geübten Routine" werden können und dürfen. Dies gelte sowohl für die betroffenen Frauen und Familien als auch für die Mitarbeitenden der Gesundheitsberufe, sagte der für sozial- und gesellschaftspolitische Fragen zuständige Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst: "Abbrüche bleiben existenzielle, seelsorglich und ethisch hoch problematische Handlungen für alle Beteiligten."

Hintergrund ist die Entscheidung des neuen Chefarztes der Geburtshilfe der Klinik, Thomas Börner, in seiner Abteilung künftig keine Abtreibungen nach der Beratungsregelung mehr vorzunehmen. Er werde auch dem Kompromissvorschlag seines Capio-Mutterkonzerns nicht zustimmen können, Abtreibungen in seiner Abteilung durch andere Fachärzte oder Kooperationsärzte ausführen zu lassen, sagte Börner am Mittwoch dem epd. Gegebenenfalls werde er dafür persönliche Konsequenzen tragen.

Pastor Charbonnier sagte, hierbei handele es sich um ein ethisches und arbeitsrechtliches Problem zwischen Krankenhausträger und Abteilungsleitung. "Ich halte eine solche Anordnung eines Chefarztes für problematisch und ethisch nicht richtig, weil die Mitarbeiter, die ihm unterstellt sind, ja ebenfalls ein eigenes Gewissen haben. Es kann sein, dass manche genauso denken wie er, andere aber genau anders herum. Maßgeblich müssen die ethischen Leitlinien des Krankenhausträgers sein." Mitarbeitende dürften nicht gezwungen werden, sich allein an Vorgaben ihres Chefs zu halten, wenn Vorgaben der Krankenhausleitung anders lauteten.

Ärzte bereits bei ihrer Einstellung nach ihrer Haltung zu Abtreibungen zu befragen, hält Charbonnier allerdings für nicht praktikabel. Der Arzt sei allein seinem Gewissen verpflichtet und könne sich bei jedem einzelnen Fall neu entscheiden. "Es muss umgekehrt laufen: Ein Krankenhausträger muss für potenzielle Bewerber transparent machen, welche ethischen Leitlinien im eigenen Haus maßgeblich sein sollen."

Die grundsätzliche Haltung zu Abbrüchen liege in erster Linie bei den Krankenhausträgern, betonte Charbonnier. Während katholische Träger von der katholischen Kirche gehalten sind, Abtreibungen abzulehnen, werde dies von evangelischen Trägern unterschiedlich gehandhabt. Krankenhäuser in evangelischer Trägerschaft legten dann, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, besonderen Wert auf die seelsorgliche Begleitung und ethische Beratung der Frauen. Bei nicht-konfessionellen Kliniken würden Schwangerschaftsabbrüche zwar in Einzelfällen von Ärzten aus Gewissensgründen abgelehnt, aber in solchen Fällen von Fachkollegen im selben Haus durchgeführt, sagte der Experte.

Für ethisch problematisch halte er ein Vorgehen nach dem St. Florian-Prinzip einzelner Kliniken, die zum Beispiel selbst vorgeburtliche Diagnostik betrieben, sich dann aber weigerten, Schwangerschaftsabbrüche oder Spätabbrüche nach der 22. Schwangerschaftswoche vorzunehmen. "Es kann nicht sein, das Problem einfach auf andere Krankenhäuser zu verschieben." Die Krankenhausträger seien in solchen Fällen ethisch verpflichtet, sich mit anderen Akteuren des Gesundheitswesens abzustimmen, damit die betroffenen Frauen Ansprechpartner auf ihrem Entscheidungsweg fänden.

Ulrike Millhahn


Baden-Württemberg

"Regierung geht in Behindertenhilfe falschen Weg"



Scharfe Kritik an den Kürzungsplänen des Landes bei der Behindertenhilfe übt die Diakonie in Baden-Württemberg. Die geplante Reduzierung von 8,4 Millionen Euro im vergangenen Jahr auf nun 7,4 Millionen Euro sei ein falsches Signal, sagten die beiden Oberkirchenräte Urs Keller und Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzende der Diakonischen Werke in Baden und Württemberg, am 6. Februar. Das Land verfehle damit auch die Ziele des Bundesteilhabegesetzes und der UN-Behindertenrechtskonvention.

"Die Landesregierung geht den falschen Weg", klagen die beiden Diakoniechefs. Bei einem jährlich erforderlichen Fördervolumen von mindestens 44 Millionen Euro stelle das Land bereits jetzt mit 8,4 Millionen Euro deutlich zu wenig Mittel zur Verfügung. Die Diakonie werde ohne eine bessere Förderung durch das Land an den kostenintensiven Vorgaben für Neubau und Modernisierungsmaßnahmen scheitern, prophezeien Keller und Kaufmann.



Zuwanderung

Neues Zentrum für Integration und Migration in Essen



Das neue Interdisziplinäre Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (InZentIM) an der Universität Duisburg-Essen (UDE) ist am 8. Februar mit einer Festveranstaltung eröffnet worden. Es gehe darum, den Blick auf das Thema Integration und Migration zu schärfen und passende wissenschaftliche Expertise für die Verantwortlichen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik bereitzustellen, sagte der Essener Erziehungswissenschaftler und Vorsitzende des InZentIM, Hermann Josef Abs.

Es gehe nicht primär darum, Lösungen zu aktuellen Problemen zu liefern, sondern zum öffentlichen Diskurs beizutragen und Fakten bereitzustellen, um die Diskussion zu versachlichen, erläuterte der Forscher.

Mit dem neuen Zentrum für Integration und Migration will die Universität Duisburg-Essen, die sich seit Jahrzehnten mit der Thematik beschäftigt, nach eigenen Angaben rund 60 Wissenschaftler aus unterschiedlichen Forschungsbereichen vernetzen. Außerdem würden drei neue Stiftungsprofessuren ausgeschrieben, die vom Land NRW und der Wirtschaft finanziert würden.

Der Evonik-Vorstandsvorsitzende Klaus Engel, dessen Unternehmen eine der Professuren gestiftet hat, sagte, angesichts der vielen Flüchtlinge und Migranten dürfe sich die Gesellschaft nicht auseinanderdividieren lassen. Das sei für ihn auch eine humanitäre und christliche Frage.

"Wir brauchen diese Menschen", sagte der Vorstandsvorsitzende der Duisburger Franz Haniel & Cie. GmbH, Stephan Gemkow. Aus volkswirtschaftlichen Gründen sei es deshalb auch ein Gebot der Vernunft, sich um die Integration der Zuwanderer zu kümmern.



Diakonie

Kritik an Abschiebepraxis in Bayern



Die Diakonie Bayern kritisiert eine "unverhältnismäßige Abschiebepolitik" des Freistaats. Wenn gut integrierte Flüchtlinge, die bereits eine Lehre begonnen haben, abgeschoben würden, konterkariere das die Bemühungen von Lehrern, Betreuern in Betrieben und vielen Ehrenamtlichen, sagte am 6. Februar bei der Jahrespressekonferenz der Diakonie in Nürnberg Vorstand Tobias Mähner. Die Spitze des zweitgrößten Wohlfahrtsverbands in Bayern forderte außerdem Maßnahmen gegen Kinderarmut und beklagte Probleme in Pflegeheimen durch das neue Pflegestärkungsgesetz.

Es häuften sich in Bayern Fälle, in denen jungen Flüchtlingen die Arbeitserlaubnis wieder entzogen werde, die mit einer Duldung einen Ausbildungsplatz gefunden hatten, berichtete Mähner. Das sei "doppelt ärgerlich", weil die betroffenen jungen Leute gute Integrationsleistungen gezeigt hätten und in sie viel Geld für Schulen und andere Maßnahmen investiert worden sei. Mähner kritisierte einen bayerischen Sonderweg, nach dem schon als erster Schritt der Abschiebung gelte, einen Termin mit der Ausländerbehörde vereinbaren zu müssen. Das Vorgehen irritiere auch die bayerische Wirtschaft, erklärte Mähner. Die habe sich verpflichtet, 90.000 Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Unzufrieden mit der bayerischen Staatsregierung ist die Diakonie auch in Sachen Kinderarmut. Diakonie-Präsident Michael Bammessel beklagte, dass 140.000 Kinder von Armut betroffen seien und sprach sich für eine eigenständige Grundsicherung für Kinder aus. Auf eine monatliche Pauschale in Höhe von 585 Euro sollte jedes Kind einen Rechtsanspruch haben.

Das bisherige Hilfesystem für Familien mit Kindern bedeute eine Schieflage zugunsten von Kindern von Gut- und Spitzenverdienern, erklärte Bammessel. Die steuerlichen Freibeträge würden sie besser stellen als die Kinder von Geringverdienern.

Die Diakonie-Vorstände sehen ein allgemeines bedingungsloses Grundeinkommen hingegen weiter skeptisch. Eine Vollpauschale könnte Notlagen von besonders hilfebedürftigen Menschen eventuell nicht abdecken, befürchtet Bammessel. Mähner sagte, er werde misstrauisch, wenn nun Wirtschaftsbosse eine solche Pauschale forderten. "Vielleicht ist das die langfristige Vorbereitung eines sozialverträglichen Arbeitsplatzabbaus."

Die Diakonie machte auch auf negative Folgen des neuen Pflegestärkungsgesetzes aufmerksam. Rüstigere Senioren könnte es vom Umzug in ein Heim abhalten, befürchtet Bammessel. Nach der neuen Regelung müssten sie einen gleich hohen Eigenanteil zahlen wie schwer Pflegebedürftige. "Das hat zur Folge, dass manche zu spät ins Heim kommen werden", sagte Bammessel.



Gesundheit

Mediziner beklagt Hürden bei der Behandlung von Flüchtlingskindern



Bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland ist nach Ansicht des Ärztlichen Direktors der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln, Michael Paulussen, eine bessere Kommunikation zwischen Behörden und Krankenhäusern notwendig. "Bei der Behandlung gibt es viele offene Fragen", sagte der Mediziner am 4. Februar auf einer Fachtagung in Essen. "Das betrifft den Leistungsumfang, den Kostenträger und die Datenweitergabe."

Paulussen berichtete über die Probleme bei der gesundheitlichen Versorgung minderjähriger Flüchtlinge. Um ihre Gesundheit sei es schlechter bestellt als bei einheimischen Kindern. Da sie sich lange auf der Flucht befunden hätten, hätten sie selbstverständlich weniger Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen erhalten. Außerdem hätten Flüchtlingskinder häufiger posttraumatische Belastungsstörungen, deren Behandlung künftig noch stärker als heute Aufgabe der Kinder- und Jugendpsychiatrie sei.

Hinzu kämen ein unsicherer sozialer Status oder mangelnde Zukunftsperspektiven, die sich ebenfalls nachteilig auf die Gesundheit der Kinder auswirken könnten. "Unsere Aufgabe ist es jetzt, genau das zu verhindern", betonte Paulussen. Für ihn als Arzt sei die Behandlung geflüchteter Kinder jedoch mit einigen Herausforderungen verbunden. Es stellten sich Fragen wie: "Was dürfen wir? Und wer zahlt?" Der Status entscheide, ob ein Kind eingeschränkte oder uneingeschränkte Leistungen erhalte. Bürokratische Abläufe und Vorgaben erschwerten die Arbeit, beklagte der Klinikchef. Hinzu kämen Sprach -und Kulturbarrieren und ein Mangel an professionellen Dolmetschern.



Nordrhein-Westfalen

Stiftung will mehr Eigenständigkeit für behinderte Menschen



Die Stiftung Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen will sich verstärkt dafür einsetzen, dass Menschen mit Behinderung selbstständig leben können. Mehr Projekte, die die Versorgung behinderter Menschen abseits stationärer Einrichtungen unterstützen, sollten auf den Weg gebracht werden, erklärte die Stiftung am 8. Februar in Düsseldorf. Dazu suche man die Zusammenarbeit mit der Architektenkammer und den Behindertenverbänden.

Ziel der landeseigenen Stiftung ist es, Projekte der NRW-Wohlfahrtspflege zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderung, alten Menschen sowie benachteiligten Kindern zu unterstützen. Sie finanziert sich seit ihrer Gründung 1974 aus Gewinnen der NRW-Spielbanken. Im Rahmen der sogenannten Spielbankabgabe stehen pro Jahr im Durchschnitt 25 Millionen Euro zur Verfügung - insgesamt bislang rund 850 Millionen Euro.

Von der Jahressumme floss im Vorjahr den Angaben zufolge mit 11,5 Millionen Euro knapp die Hälfte in Modellprojekte zur Förderung integrativer Kindergärten, in denen Kinder mit und ohne Behinderung zusammen untergebracht sind. Die Aussicht auf eine selbstständige Lebensführung behinderter Kinder könne so verbessert werden, sagte der Vizevorsitzende des Stiftungsrates, Bernhard Tenhumberg.

Eine wichtige Aufgabe sieht die Stiftung darüber hinaus in der Unterstützung von Projekten der Hospiz- und Palliativversorgung.



Integration

Bürgerstiftungen begleiten 1.800 Patenschaften für Flüchtlinge



Die Bürgerstiftungen in Deutschland haben im vergangenen Jahr über 1.800 Patenschaften für Flüchtlinge übernommen. Nach dem erfolgreichen ersten Jahr des Projekts "Bürgerstiftungen stiften Patenschaften gehe es auch 2017 weiter, teilte der Bundesverband Deutscher Stiftungen am 8. Februar in Berlin mit. Dieses Jahr sollen 2.000 Patenschaften gestiftet werden.

"Das menschliche Miteinander ist die Basis unseres Patenschaftsprogramms - und macht es erfolgreich", sagte Birgit Radow, stellvertretende Generalsekretärin des Bundesverbandes. "Vielen Geflüchteten fehlen persönliche Kontakte zu Deutschen. Ohne diese kann Integration aber nicht gelingen. Genau hier setzt das Projekt an." Doch auch für die Menschen vor Ort sei das Kennenlernen der Neuankömmlinge wichtig, denn es verhindere Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit.

Radow verwies auf eine jüngst veröffentlichte Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) und der Robert Bosch Stiftung, die die Bedeutung des Projekts „Bürgerstiftungen stiften Patenschaften“ bestätigt habe: "Neben materieller und alltagspraktischer Unterstützung durch die Bevölkerung sind es dabei vor allem individuelle Begegnungen mit den Menschen vor Ort, die emotional berühren und Dankbarkeit auslösen", heißt es in der Untersuchung.

Insgesamt 16 Bürgerstiftungen beteiligten sich 2016 an dem Patenschafts-Projekt, das zum Programms "Menschen stärken Menschen" des Bundesfamilienministeriums gehört. Es hat zum Ziel, Patenschaften zwischen geflüchteten und hier lebenden Menschen zu fördern. Insgesamt entstanden im Jahr 2016 mehr als 25.000 Patenschaften.



Diakonie

Sekundarschule Bethel soll mit neuem Konzept weitergeführt werden



Die von der Schließung bedrohte Bielefelder Sekundarschule Bethel soll mit neuem Konzept fortgeführt werden. Das sei das Ergebnis der Gespräche zwischen der Stadt Bielefeld und Bethel, erklärten die v. Bodelschwinghschen Stiftungen und die Stadt am 2. Februar. Geplant ist die bislang dreizügige Schule ab dem Schuljahr 2018/19 zweizügig weiterzuführen. Die Stadt und Bethel wollten einen Finanzierungsplan entwickeln. Das Konzept müsse noch vom Rat der Stadt Bielefeld und dem Verwaltungsrat der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel bestätigt werden. Derzeit besuchen 330 Schüler in den Klassen 5 bis 8 die Sekundarschule.

Bethel hatte im September angekündigt, aus Kostengründen die im Jahr 2013 eröffnete Sekundarschule im Jahr 2022 zu schließen. Die Finanzierung in der bisherigen Form und die dafür anstehenden Investitionen würden die Möglichkeiten der diakonischen Einrichtung deutlich übersteigen. Gegen die Entscheidung hatte es massive Proteste der Elternschaft gegeben. Nach Bethel-Angaben hatte ein Gutachten nötige Investitionen von 20 Millionen Euro festgestellt. Für diesen Bereich stünde Bethel als Träger jedoch lediglich die Hälfte des Betrages zur Verfügung.

Durch die vorgesehene Verkleinerung der Schule würden die anstehenden Investitionen in die Schulgebäude verringert, heißt es in der gemeinsamen Erklärung von Stadt und Bethel. Die Stadt beteilige sich an den Investitionen zur Hälfte bis zu einem Betrag von 3,8 Millionen Euro. Die Anmeldung für das nächste Schuljahr könne vom 8. bis 10. Februar erfolgen.




sozial-Recht

Bundessozialgericht

Haftpflichtversicherung für Hunde führt nicht zu mehr Hartz IV




Die Kosten für die Hundehaftpflichtversicherung können nicht nicht beim Jobcenter geltend gemacht werden.
epd-bild/Meike Böschemeyer
Mit mehreren Entscheidungen hat das Bundesozialgericht in Kassel am 8. Februar den Bezug von Hartz IV präzisiert. Danach müssen Hartz-IV-Aufstocker alle Kosten für ihren Hund selbst tragen. Und: Es ist nicht möglich, ohne gerichtlichen Titel die Ausgaben für Kindesunterhalt vom Einkommen abzuziehen, um mehr Hilfen zu bekommen.

Hartz-IV-Aufstocker müssen sämtliche Kosten für ihre Hunde selbst bezahlen. So können auch die Versicherungsbeiträge für eine vorgeschriebene Hundehaftpflichtversicherung nicht einkommensmindernd beim Jobcenter geltend gemacht werden, urteilte am Mittwoch das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Hundehaltern stehen damit keine höheren Hartz-IV-Leistungen zu.

Nach geltendem Recht sind Beiträge zu Versicherungen, soweit diese gesetzlich vorgeschrieben sind, grundsätzlich vom Einkommen abzuziehen.

Im jetzt entschiedenen Fall verlangte eine 56-jährige Hartz-IV-Aufstockerin aus Castrop-Rauxel höhere Leistungen. Als Hundehalterin musste sie eine in Nordrhein-Westfalen vorgeschriebene Hundehalter-Haftpflichtversicherung abschließen. Monatlich kamen so 14,61 Euro zusammen. Da es sich um eine Pflichtversicherung handele, müsse das Jobcenter die Beiträge einkommensmindernd berücksichtigen, erklärte die Frau mit Verweis auf das Gesetz.

Vor dem BSG hatte die Hundehalterin aber Pech. Bei einer privaten Tierhaltung können die Versicherungsbeiträge für eine verpflichtende Haftpflichtversicherung nicht einkommensmindernd angerechnet werden. Dies folge aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Danach sei ein Abzug nur für Haftpflichtversicherungsbeiträge möglich, die der Sicherung des Lebensunterhalts und der Eingliederung in den Arbeitsmarkt dienen. Solch ein Bezug liege hier jedoch nicht vor.

Unterhaltszahlung senkt nicht automatisch Einkommen

Einem weiteren Urteil aus Kassel zufolge können Hartz-IV-Aufstocker gezahlten Unterhalt an Eltern oder Kinder nicht ohne weiteres als Ausgaben von ihrem Einkommen abziehen. Solch eine einkommensmindernde Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen bei Hartz IV sei nur möglich, wenn ein Unterhaltstitel oder eine notarielle Vereinbarung vorliege, befand das Gericht.

Im konkreten Fall ging es um ein Ehepaar aus dem Raum Bergisch Gladbach, das als Bedarfsgemeinschaft Hartz IV erhielt. Der Ehemann übte eine selbstständige Tätigkeit mit schwankenden Einkünften aus, so dass Arbeitslosengeld II nur vorläufig gewährt wurde.

Der Mann rechnete seine Einkünfte klein, indem er Unterhaltszahlungen an seine Mutter und seinen Sohn aus erster Ehe von seinem Einkommen abzog. Danach hätte das Jobcenter höhere Hilfeleistungen gewähren müssen.

Die Behörde hielt das jedoch für unzulässig und forderte rund 2.370 Euro an Hartz-IV-Leistungen zurück. Begründung: Unterhaltszahlungen könnten nur dann einkommensmindernd berücksichtigt werden, wenn ein Unterhaltstitel oder eine notarielle Vereinbarung vorliegt. Das war hier aber nicht der Fall.

Das sah nun auch das Bundessozialgericht so. Nur titulierte Unterhaltsaufwendungen seien geeignet, das Einkommen zu senken. Das ergebe sich nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern sei auch Sinn und Zweck der Regelungen. Verfassungsrecht werde damit ebenfalls nicht verletzt, betonten die Richter.

Hartz-IV-Rückzahlung nach "sozialwidrigem" Verhalten

Hartz-IV-Bezieher können nach "sozialwidrigem Verhalten" zur Rückzahlung von Arbeitslosengeld II verpflichtet sein. Eine ab 1. August 2016 eingeführte verschärfte Gesetzesvorschrift darf allerdings nicht auch für vorhergehende Zeiträume angewendet werden, urteilte das Bundessozialgericht.

Damit bekam ein Hartz-IV-Bezieher aus dem Landkreis Emsland recht. Der Mann konnte 2011 zwar einen Job bei einer Zeitarbeitsfirma ergattern, war aber dennoch weiter auf Hartz IV angewiesen. Kurze Zeit später kündigte er wieder den Job. Daraufhin kürzte das Jobcenter ihm schließlich das Arbeitslosengeld II um 30 Prozent.

Ein Jahr später sollte der mittlerweile in Lohn und Brot stehende Mann nun auch noch die erhaltenen Hartz-IV-Leistungen wegen seines damaligen "sozialwidrigen Verhaltens" erstatten. Er habe seine Hilfebedürftigkeit mit der Kündigung "herbeigeführt", befand die Behörde mit Verweis auf die gesetzliche Bestimmung.

Sein Einwand, dass er auch während seiner Beschäftigung hilfebedürftig war und damit diese nicht "herbeigeführt" habe, ließ das Jobcenter nicht gelten. Es verwies auf eine ab 1. August 2016 eingeführte gesetzliche "Klarstellung". Danach könne auch derjenige sozialwidrig handeln, der seine Hilfebedürftigkeit "aufrechterhalten" hat. Das sei hier der Fall, so das Jobcenter.

Doch die gesetzliche "Klarstellung" gilt nicht für Zeiträume vor deren Einführung am 1. August 2016, urteilte das BSG. Die Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch liege hier nicht vor, weil der damalige Hartz-IV-Bezieher mit seiner Kündigung seine Hilfebedürftigkeit nicht "herbeigeführt" habe. Diese habe vielmehr die ganze Zeit bestanden.

Az: B 14 AS 10/16 R (Hundeversicherung)

Az: B f14 AS 22/16 R (Aufstocker)

Az: B 14 AS 3/16 R (Sozialwidrigkeit)

Frank Leth


Bundesgerichtshof

Mieter dürfen bei verzögertem Auszug zur Kasse gebeten werden



Ziehen rechtmäßig gekündigte Mieter nicht aus ihrer Wohnung aus, kann das teuer werden. Der Vermieter ist dann berechtigt, statt der bislang gezahlten monatlichen Miete den aktuellen Marktpreis für eine vergleichbare Wohnung zu verlangen, wie der Bundesgerichtshof in Karlsruhe in einem am 3. Februar veröffentlichten Urteil entschied.

Die betreffenden Mieter bewohnten in München seit 1993 eine 105 Quadratmeter große Wohnung und zahlten dafür eine Gesamtbruttomiete von monatlich 1.046,91 Euro inklusive Heizkostenvorauszahlungen. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Doch die Mieter zogen erst über ein Jahr später aus und zahlten in der Zeit weiter die im Mietvertrag vereinbarte Miete.

Der Vermieter forderte jedoch einen Mietnachschlag in Höhe von 7.300 Euro. Die Mieter seien trotz ihrer Pflicht zum Auszug einfach in der Wohnung geblieben. Daher müssten sie nun eine Nutzungsentschädigung zahlen, die sich nach der ortsüblichen Neuvertragsmiete berechnet.

Dem widersprachen die Mieter. Allenfalls könne der Vermieter einen geringeren Nachschlag verlangen, der sich an der sogenannten Vergleichsmiete orientiert. Dabei wird nicht der aktuelle Mietpreis herangezogen, der für die Wohnung erzielt werden könnte, sondern die in den zurückliegenden vier Jahren vereinbarten oder geänderten Mieten für vergleichbare Mietobjekte.

Der Bundesgerichtshof urteilte, dass ab Beendigung des Mietverhältnisses der aktuell zu erzielende Marktpreis als Nutzungsentschädigung gezahlt werden muss. Denn nach dem Gesetz sei der Mieter nach Ende des Mietverhältnisses zur Rückgabe der Wohnung verpflichtet. Indem der Mieter den aktuellen Marktpreis für das weitere Verbleiben in der Wohnung zahlen muss, solle nach dem Willen des Gesetzgebers "ein zusätzlicher Druck" zum Auszug ausgeübt werden.

Az.: VIII ZR 17/16



Landessozialgericht

Abrechnungsbetrug begründet Kündigung der Pflegekassen



Betrügen Pflegeunternehmen bei der Abrechnung von Pflegeleistungen, müssen sie sich mit der fristlosen Kündigung des Versorgungsvertrages mit den Pflegekassen rechnen. Denn bei einer groben Verletzung der vertraglichen Pflichten ist ein Festhalten am Versorgungsvertrag nicht zumutbar, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle in drei am 1. Februar bekanntgegebenen Beschlüssen.

Damit können zwei Pflegeunternehmen in Cuxhaven vorerst nicht weiter Pflegeleistungen mit den Pflegekassen abrechnen. Hintergrund des Rechtsstreits war das Geständnis der Geschäftsführerin beider Unternehmen, nicht erbrachte Leistungen der Tagespflege mit den Pflegekassen abgerechnet zu haben. Das Landgericht Bremen verurteilte die Frau am 18. November 2016 wegen schweren gewerbsmäßigen Betruges in 918 Fällen zu fünf Jahren Haft und zu einer Geldstrafe von 300.000 Euro. Der Schaden durch den Abrechnungsbetrug soll sich auf mindestens 600.000 Euro belaufen.

Die Landesverbände der Pflegekassen hatten daraufhin beiden Pflegeunternehmen wegen Abrechnungsbetruges fristlos gekündigt. Diese legten Klage ein und beantragten im Eilverfahren die aufschiebende Wirkung.

Doch das LSG lehnte die aufschiebende Wirkung der Klagen ab. Der Versorgungsvertrag könne bei einer gröblichen Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten fristlos gekündigt werden. "Das gilt insbesondere dann, wenn Pflegebedürftige in Folge der Pflichtverletzung zu Schaden kommen oder die Einrichtung nicht erbrachte Leistungen gegenüber den Kostenträgern abrechnet", heißt es in den Beschlüssen.

Hier stehe der Abrechnungsbetrug aufgrund des Geständnisses der Geschäftsführerin fest. Eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses sei nicht mehr zumutbar. Az.: L 15 P 47/16 B ER, L 15 P 48/16 B ER, L 15 P 49/16 B ER



Landessozialgericht

Einkünfte aus Pflegebetrug mindern nicht Sozialhilfe



Einkünfte aus einem strafbaren Pflegebetrug dürfen nicht bei der Sozialhilfe als Einkommen mindernd angerechnet werden. Haben pflegebedürftige Sozialhilfeempfänger solche finanziellen Leistungen erhalten, sind sie aber grundsätzlich zur Rückzahlung verpflichtet, entschied das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg in Potsdam in zwei am 2. Februar bekanntgegebenen Beschlüssen.

Hintergrund der Rechtsstreitigkeiten sind bundesweite Ermittlungen gegen Pflegedienste. Diese stehen im Verdacht, Leistungen abgerechnet zu haben, die sie gar nicht erbracht haben. Neben Ärzten sind auch die Pflegebedürftigen mit im Boot. Letztere quittieren die erbrachte Pflege und erhalten dafür eine Art monatliche Gewinnbeteiligung. Allein bei einem Berliner Pflegedienst gibt es bei rund 300 Patienten den Verdacht, dass sie an einem Pflegebetrug mitgewirkt haben. Dies ergibt sich zumindest aus sichergestellten Kassenbüchern und Dienstplänen.

Bei den verdächtigen Pflegebedürftigen, die nicht nur Sozialleistungen für die Pflege, sondern auch Sozialhilfe für den Lebensunterhalt erhalten haben, kürzten die Sozialämter die Hilfeleistungen mit sofortiger Wirkung. In den beiden konkreten Fällen wertete die Behörde die "Gewinnbeteiligung" für den Pflegedienst als Einkommen, bei einer Frau ging die Staatsanwaltschaft von Zahlungen im fünfstelligen Bereich aus.

Gegen die sofortige Kürzung ihrer Sozialhilfe legten die im Verdacht stehenden Pflegesünder Beschwerde ein. Vor dem LSG bekamen sie nun vorerst recht. Dabei wurde offengelassen, ob die Antragsteller tatsächlich Kick-Back-Zahlungen erhalten haben. Dies wird wohl im Strafverfahren abschließend geklärt.

Gewinne aus Straftaten gelten im Sozialhilferecht nicht als Einkommen, erklärten die Potsdamer Richter. Für einen Zufluss an Geld aus einem gemeinschaftlichen Betrug bestehe zwar eine Rückzahlungspflicht, die Einkünfte aus strafbaren Handlungen dürften aber nicht zum Bestreiten des Lebensunterhalts eingesetzt werden.

Im Fall einer Verurteilung drohen den Verantwortlichen des Pflegeunternehmens nicht nur Strafen, die Pflegekassen können auch gezahlte Vergütungen für nicht erbrachte Pflegeleistungen zurückfordern. Unter Umständen können dabei auch die Pflegebedürftigen zur Kasse gebeten werden.

Az.: L 23 SO 327/16 B ER und L 15 SO 301/16 B



Sozialgericht

Rentenversicherung muss Versicherten nicht nachträglich jünger machen



Die Rentenversicherung kann nur in Ausnahmefällen dazu verpflichtet werden, das Geburtsdatum eines Versicherten nachträglich zu ändern. Dies gilt nach einem am 2. Februar veröffentlichten Urteil des Sozialgerichts Mainz sogar dann, wenn jemand beantragt, mit einem geringeren Alter als bisher registriert zu werden.

Geklagt hatte ein Mann, der vor 40 Jahren aus der Türkei nach Deutschland übergesiedelt war und der sein genaues Geburtsdatum wegen fehlender Urkunden anfangs selbst geschätzt hatte. Später hatte die Türkei ihm nach einer Gesetzesänderung einen neuen Ausweis ausgestellt, laut dem er rund drei Monate jünger war als bislang angenommen.

Die unterschiedlichen Geburtstage hätten bei dem Mann im Alltag immer wieder zu Problemen mit den deutschen Behörden geführt, teilte das Gericht mit. Daher habe er eine neue Sozialversicherungsnummer auf der Basis des späteren Geburtsdatums beantragt, obwohl dies für ihn rentenrechtliche Nachteile mit sich gebracht hätte. Der Antrag wurde abgelehnt, und auch eine Klage dagegen blieb erfolglos. Eine nachträgliche Alterskorrektur sei nach deutschem Recht nur möglich, wenn ältere Originaldokumente als die ursprünglich bekannten auftauchen.

Nach Angaben des Sozialgerichts kommt es immer wieder vor, dass das Alter von Versicherten Thema juristischer Auseinandersetzungen wird. Gewöhnlich gehe es aber darum, dass Kläger ein höheres Alter anerkannt bekommen wollten. In praktisch allen Streitfällen handele es sich Menschen aus Ländern, in denen zum Zeitpunkt ihrer Geburt noch kein flächendeckendes Meldewesen etabliert gewesen sei.

Az.: S 11 R 280/16



Gerichtshof für Menschenrechte

Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafe rechtens



Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Sicherungsverwahrung für einen Mörder, der zuvor eine Jugendstrafe abgesessen hatte, für rechtens erklärt. Bei dem Fall aus Bayern handele sich um den ersten vor dem Menschenrechtsgerichtshof, bei dem es um die Sicherungsverwahrung eines nach Jugendstrafrecht verurteilten Täters ging, teilte der Gerichtshof anlässlich der Verkündigung am 2. Februar in Straßburg mit.

Der Mann hatte im Juni 1997 als 19-Jähriger aus sexuellen Motiven eine Joggerin ermordet und war dafür in Regensburg zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt worden, wie der Gerichtshof erläuterte. Nach Verbüßung der Strafe wurde er in der Sicherungsverwahrung untergebracht. Diese wurde den Angaben zufolge zunächst vorläufig und dann nachträglich angeordnet.

In dem Verfahren vor dem höchsten europäischen Gericht für Menschenrechte ging es um mehrere Aspekte der Entscheidungen über die Sicherungsverwahrung. Der Mann hatte unter anderem beklagt, dass er eine Strafe absitze, ohne dass es dafür eine gesetzliche Grundlage gebe. Das ist nach Artikel sieben der Europäischen Menschenrechtskonvention verboten.

Der Menschenrechtsgerichtshof urteilte allerdings, dass die Unterbringung in der geschlossenen Anstalt in Straubing, wo er sich seit Juni 2013 befindet, mit Blick auf seine psychische Verfassung geschehen sei. Der deutschen Justiz zufolge gehe von ihm weiterhin die Gefahr schwerster Gewalt- und Sexualstraftaten aus. Deshalb handele es sich bei der Unterbringung nicht um eine Strafe, so die Richter.

Unrecht widerfahren ist dem Mann aber offenbar dennoch. Einen anderen Punkt des komplexen Prozesses strich der Gerichtshof aus seiner Verfahrensliste. Die Bundesregierung habe nämlich eingestanden, dass der Mann zwischen Mai 2011 und Juni 2013 in einer Einrichtung untergebracht war, die für die Sicherungsverwahrung psychisch Kranker nicht geeignet sei. Der deutsche Staat habe daher in diesem Punkt selbst einen Bruch der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannt und 12.500 Euro Entschädigung vorgeschlagen.

Az.: 10211/12 und 27505/14



Gerichtshof für Menschenrechte

Kindeswille für Kontakt mit Vater entscheidend



Lehnt ein Kind aus Loyalität zur Mutter jeglichen Umgang mit seinem getrennt lebenden Vater ab, hat dieser nur eine geringe Chance auf einen Kontakt. Auch wenn die Mutter jahrelang immer wieder den Umgang mit dem Vater vereitelt hat, muss bei der Durchsetzung des Umgangsrechts immer erst das Kindeswohl berücksichtigt werden, urteilte am 7. Februar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die Straßburger Richter billigten damit das Vorgehen polnischer Behörden und Gerichte in einem Umgangs- und Sorgerechtsstreit.

Konkret ging es in dem Fall um einen 2002 geborenen Jungen. Die polnischen Eltern trennten sich im Folgejahr und übten für das bei der Mutter lebende Kind das gemeinsame Sorgerecht aus. Doch die Frau vereitelte immer häufiger den Umgang des Sohnes mit dem Vater. Als der Vater gerichtlich mehr Umgangsrechte einforderte, zog die Mutter ohne dessen Zustimmung mit dem Kind nach Deutschland.

Auch spätere psychologische Beratungen und die Androhung von Geldbußen gegenüber der Mutter führten nicht zu einer Einigung im Umgangsrecht. Das Kind erklärte ab dem neunten Lebensjahr, dass es keinen Kontakt zu seinem Vater wünsche. Ein Psychologe stellte fest, dass dies aus Loyalität der Mutter gegenüber geschah.

Der Vater warf den polnischen Behörden und Gerichten vor, ihn nicht ausreichend bei der Durchsetzung seines Umgangsrechts unterstützt zu haben. Sein Recht auf ein Familienleben sei damit verletzt worden.

Doch der EGMR urteilte, dass letztlich das Kindeswohl entscheidend sei. Die polnischen Behörden und Gerichte seien bei der Durchsetzung des Umgangsrechts des Vaters nicht untätig geblieben. Sie hätten alle möglichen Schritte unternommen, dieses Recht durchzusetzen. So seien nicht nur psychologische Beratungen angeregt, auch Regelungen zu Umgangsrechten seien getroffen worden. Diese hätten zeitweise auch funktioniert. Bei Verstößen dagegen hätten die Gerichte Geldbußen vorgesehen. Der Vater habe diese jedoch nicht eingefordert. Eine Verletzung des Rechts auf ein Familienleben liege nicht vor.

Az: 28768/12




sozial-Köpfe

Thomas Herkert wird Caritaschef in Freiburg




Thomas Herkert
epd-bild/A. Limbrunner/H. Trefzer/Katholische Akademie Freiburg
Im Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg wird es im November einen Wechsel in der Führung geben: Vorstandsvorsitzender und Diözesan-Caritasdirektor wird Thomas Herkert, der Direktor der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg.

Der Theologe Thomas Herkert tritt die Nachfolge von Bernhard Appel an, der aus gesundheitlichen Gründen sein Amt abgibt. Er leitete seit 1997 den Caritasverband für die Erzdiözese. Zuvor war er seit 1993 als stellvertretender Diözesan-Caritasdirektor im Verband tätig. Seit 2014 führt er als Vorstandsvorsitzender zusammen mit Vorstandskollegin Mathea Schneider den katholischen Wohlfahrtsverband, der über 2.000 Mitgliedseinrichtungen zählt.

Herkert ist in Schwetzingen geboren, hat von 1982 bis 1988 Theologie in Freiburg und Innsbruck studiert. Nach seiner Priesterweihe 1990 und anschließenden Kaplansjahren in Offenburg war er Hochschulpfarrer. 2002 wurde er Direktor der Katholischen Akademie in Freiburg, die er seitdem leitet. Von 2006 bis 2009 war Herkert zudem stellvertretender Vorsitzender des Leiterkreises der Katholischen Akademien Deutschlands.

Den Dialog vor allem im Hinblick auf eine gerechtere soziale Ausgestaltung der Gesellschaft voranzubringen, sieht Herkert als eine wichtige Aufgabe der Caritas an. Seine Nachfolge an der Katholischen Akademie soll bis zum Sommer geklärt sein.



Weitere Personalien



Wolfgang Langer (46) wird als erster Laie Diözesan-Caritasdirektor in Erfurt. Er tritt Mitte des Jahres die Nachfolge von Domkapitular und Diözesan-Caritasdirektor Bruno Heller an, der in den Ruhestand tritt. 2017 gilt es im Verband nach der Genehmigung einer neuen Satzung unter anderem die Einführung eines doppelten Vorstandes umzusetzen. Heller war 31 Jahre im Dienst der Caritas. Langer ist Ingenieur für Elektrotechnik und arbeitet derzeit als Manager in der Carl Zeiss GmbH in Jena. Seinen Pastoraltheologischer Kursabschluss absolvierte er 2015.

Thomas Ranft, Fernseh-Moderator, ist vom Beirat der "hessenstiftung - familie hat zukunft" für fünf Jahre zum ehrenamtlichen Vorstandsmitglied bestellt worden. Ranft ist bekannt aus den Fernsehsendungen "Alle Wetter!" und "Alles Wissen" im Hessischen Rundfunk. Sein neues Mandat als Kommunikationsvorstand tritt er in einer Phase an, in der mehr Spender und Sponsoren zu erreichen sind. So wird er einem beratenden Ausschuss für Fundraising und Kommunikation vorstehen. Im Vorstand der Hessenstiftung arbeitet Ranft mit dem Vorsitzenden, Wolfgang Dippel, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration, und dem für Finanzen zuständigen Vorstandsmitglied Sandra Ebner zusammen. Jörg Bombach ist nach drei fünfjährigen Amtsperioden satzungsgemäß aus dem ehrenamtlichen Vorstand ausgeschieden.

Detlef Kurt Boos, Betriebswirt, ist neues Mitglied im Vorstand der Karl Kübel Stiftung in Bensheim. Er wurde vom Stiftungsrat berufen und folgt auf Michael Johannes Böhmer, der nach gut siebenjähriger Tätigkeit als Vorstandsmitglied ausscheidet. Boos ist für den Geschäftsbereich Vermögensverwaltung, IT, Beteiligungen sowie Finanz- und Rechnungswesen der Stiftung verantwortlich. Er kommt aus dem Bankensektor und war unter anderem in der institutionellen Kundenbetreuung einer Kapitalverwaltungsgesellschaft tätig.

Markus Juch, Fuldaer Diözesan-Caritasdirektor, übernimmt in diesem Monat den Vorsitz der Hessen-Caritas, einer Arbeitsgemeinschaft der drei hessischen Diözesan-Caritasverbände mit Sitz in Fulda, Limburg und Mainz. Juch wird für die nächsten zwei Jahre an der Spitze der Organisation stehen. Er hatte diese Aufgabe bereits von 2013 bis 2015 inne. Die Hessen-Caritas ist mit seiner Geschäftsstelle in Wiesbaden ist unter anderem Ansprechpartner der hessischen Caritas für Landesregierung und Landespolitik und sie vertritt die sozialpolitischen Positionen des katholischen Wohlfahrtsverbandes. Als einen Schwerpunkt des Engagements in den kommenden zwei Jahren wolle er sich auf das Thema „Wohnraumversorgung“ konzentrieren, denn für viele Menschen wird es immer schwieriger, angemessenen und bezahlbaren Wohnraum zu finden.

Christian Tack (57) ist neuer Geschäftsführer des Vereins "Hamburger Tafel". Er hat das Amt am 1. Februar als Nachfolger von Ralf Taubenheim (44) übernommen, der nach 17 Monaten die Tafel wieder verlässt. Tack ist Diplom-Pädagoge und hat 25 Jahre lang für eine Versicherung zuletzt als leitender Angestellter gearbeitet. Er ist seit dem 1. Januar im Vorruhestand und arbeitet künftig überwiegend ehrenamtlich für die Tafel.

Friedrich-Christian Rieß, Hamburger Herzchirurg, hat für seinen Einsatz im Projekt "Herzbrücke" das Bundesverdienstkreuz erhalten. Die "Herzbrücke" hilft herzkranken Kindern aus Afghanistan mit lebensrettenden Operationen. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt der Albertinen-Stiftung, des Albertinen Herz- und Gefäßzentrums in Schnelsen und der Uni-Klinik Eppendorf. Seit der Gründung 2005 haben rund 150 Kinder und Jugendliche die Chance für ein zweites Leben erhalten. Rieß engagiere sich ehrenamtlich und mit großem Einsatz für herzkranke Kinder aus Afghanistan, deren Familien sich lebensrettende Operationen nicht leisten können, sagte die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks bei der Ehrung.

Eckart von Hirschhausen eröffnet im Mai die diesjährige Kongressmesse "Leben und Tod" in Bremen. Der Mediziner, Moderator und Komiker hält den Vortrag zum Auftakt. Die achte Messe ihrer Art steht unter dem Motto "Es ist Zeit..." und läuft am 12. und 13. Mai. Sie beschäftige sich vor allem mit dem Thema Zeit, hieß es. So geht es in Vorträgen und Workshops beispielsweise um die letzte Lebenszeit und um Zeitnot in der Pflege.




sozial-Termine



Die wichtigsten Fachveranstaltungen bis April

Februar

16.2. Berlin:

Kongress "Migrationsberatung - Sozialarbeit mit Migranten"

der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege

Tel.: 030/24089-121

http://www.bagfw.de/

17.2. Berlin:

Symposium "Was gehört auf die gesundheitspolitische Agenda der neuen Bundesregierung?"

der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen

Tel.: 089/21096960

www.grpg.de

17.-18.2. Hannover:

Verbereitungstagung zur "Interkulturellen Woche 2017"

des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses zur IW

Tel.: 069/24231460

http://www.interkulturellewoche.de/

18.-19.2. Gengenbach:

Seminar "Humor ist wenn man trotzdem lacht - Humor als Ressource im Hospizalltag"

des Caritasverbandes für die Erzdiözese Freiburg

Tel.: 0761/89740

20.-26.2. Villigst:

Tagung "Migration- eine neue Normalität"

der Evangelischen Akademie Villigst

Tel.: 02304/755-324

www.akademie-villigst.de

21.2. Münster:

Praktikerseminar "Krankenhausrecht"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12

http://www.bpg-muenster.de/seminarangebote-bpg-unternehmensgruppe

21.2. Hamburg:

Seminar "Baukosten-Controlling"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

www.bfs-service.de

22.-24.2. Berlin:

Forum "Sexualpädagogisch arbeiten mit jugendlichen Migrant(inn)en"

des Sozialdienstes katholischer Frauen

Tel.: 0231/55702660

22.-24.2. Berlin:

Seminar "Kinder- und Jugendliche in Flüchtligsunterkünften"

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980605

www.deutscher-verein.de

23.2. München:

Fachtag "Werkstätten"

der Curacon Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/92208-0

www.curacon.de/fachtagungen

23.-24.2. Paderborn:

Seminar "Gute Praxis in der Jugendberufshilfe - Projekte neu entwickeln"

der IN VIA Akademie

Tel.: 05251/2908-38

März

6.-7.3. Neuss:

Fachkonferenz "Barrierefreier Wohnraum - Stand und Ausblick"

der Konrad-Adenauer-Stiftung

Tel.: 02241/2464427

http://www.kas.de/

6.-7.3. Bonn:

Fachtagung "Family-like ... in jder Beziehung. Lebensphasenorientierte Personalentwicklung"

des Bundesverbandes katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen

Tel.: 0761/200-758

www.bvke.de

6.-8.3. Freiburg:

Seminar "Gewinn durch Vielfalt - Diversity Management als zukunftsweisendes Konzept"

der Fortbildungs-Akademie des DCV

Tel.: 0761/2001700

6.-10.3. Berlin:

Grundkurs "Integrierte Schuldnerberatung in Sucht- und Straffälligenhilfe, Sozialbeartung und Betreuung"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837388

www.ba-kd.de

8.-10.3. Gelnhausen:

Grundlagen-Workshop "Streetwork - Aufsuchen statt Abwarten"

(Fortsetzung: 15.-17.11.)

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-467

www-ba-kd.de

9.3. Berlin:

Fachtagung "Lebensqualität älterer Menschen in Kommunen sichern - ausgewogene Mahlzeiten ermöglichen"

der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen

Tel.: 0228/24999322

www.bagso.de

9.3. Mainz:

Fortbildung "Hilfe, ich brauche ein Konzept - Bewilligung von Fördermitteln"

des Caritasverbandes für die Diözese Mainz

Tel.: 061312826200

www.dicvmainz.caritas.de/anmeldung-fobi1

9.-12.3.: Berlin:

Kongress "Gesellschaftliche Spaltungen"

der Neuen Gesellschaft für Psychologie

http://www.ngfp.de/

13.-15.3. Freiburg:

Seminar "Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler - Wirksame Öffentlichkeitsarbeit in der sozialen Arbeit"

der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

15.3. Heidelberg:

Seminar "Fundraising - ganz einfach erfolgreich Spender gewinnen"

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 07961/959-881

www.akademiesued.org

15.-16.3 Stuttgart:

Kompaktkurs "Arbeitsrecht - Vom Arbeitsvertrag zum Arbeitszeugnis"

der Paritätischen Akademie Süde

Tel.: 07961/959881

www.akademiesude.org

15.-17.3. Hannover:

Grundlagenseminar "Fundraising"

der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

16.3. Köln

Seminar "Interne Revision"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

www.bfs-service.de

16.3. Düsseldorf:

Fachtag "Werkstätten"

der Curacon Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/92208-0

www.curacon.de/fachtagungen

21.3. Münster:

Seminar "Von der Strategie zum Businessplan"

der Curacon Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/92208-0

www.curacon.de/fachtagungen

22.3. Berlin:

Jahrestagung "Innehalten. Suchttherapie! Was geht?"

des Bundesverbandes für stationäre Suchtkrankenhilfe

Tel.: 0561/779351

www.suchthilfe.de

23.3. Hamburg:

Fachtag "Werkstätten"

der Curacon Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/92208-0

www.curacon.de/fachtagungen

29.-31.3. Freiburg:

Seminar "BWL in der Cariats - Einführung in das Rechnungswesen"

der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

30.-31.3. Filderstadt:

Seminar "Umgang mit Trauma-Folgen: Traumaspezifische Handlungskompetenz in der psychosozialen Arbeit"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

www-ba-kd.de

April

4.-5.4. Frankfurt am Main:

Seminar "Kosten- und Leistungsrechnen - Das Denken in 'Kosten' in der Sozialwirtschaft"

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 07961/959881

www.akademiesued.org

26.4. Münster:

Fachtag "Werkstätten"

der Beratungsgesellschaft Curacon

Tel.: 0251/92208-0

www.curacon.de/fachtagungen

26.-27.4. Köln:

Seminar "Grundlagen des Arbeits- und Tarifrechts für kirchliche Einrichtungen und Dienste"

des Lambertus Verlages

Tel.: 0761/36825

www.lambertus.de

27.-28.4. Witten/Herdecke:

Tagung "Together everyone achieves more - zusammen mehr erreichen"

der Universität Witten/Herdecke

Tel.: 02302/926-360

http://www.uni-wh.de/